U-Ausschuss zu Neuköllner Anschlagsserie - "Meine Eltern hätten sterben können, weil ich mich politisch engagiert hatte"

Fr 16.09.22 | 18:20 Uhr
Ferat Kocak (Die Linke) vor dem Berliner Abgeordnetenhaus am 02.09.2022 (Quelle: dpa/Bernd von Jutrczenka)
Audio: rbb24 Inforadio | 16.09.2022 | Juliane Kowollik | Bild: dpa/Bernd von Jutrczenka

Knapp fünf Jahre ist der Brandschlag her. Ferat Kocak und seine Familie leiden immer noch an den Folgen. Im Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses zur Neuköllner Anschlagsserie berichtete der Linkspolitiker jetzt von seinen Erlebnissen.

Der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der rechten Anschlagserie in Neukölln im Berliner Abgeordnetenhaus hat am Freitag unter anderem den Abgeordneten Ferat Kocak (Linke) als Zeugen befragt. Er war 2018 Opfer eines Brandanschlags auf sein Auto.

Todesangst noch immer verspürbar

Den Abgeordneten berichtete Kocak unter anderem von den Folgen des Anschlags für ihn und seine Eltern. "Meine Mutter zitterte, wir hatten alle Todesangst." Auch wenn das Feuer rechtzeitig gelöscht worden sei, habe die Nacht bis heute Narben hinterlassen: "Meine Eltern hätten sterben können, weil ich mich politisch engagiert hatte." Das Haus werde bis heute durch Polizeibeamte geschützt, "zum Zuckerfest bringt mein Vater ihnen Backwaren".

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss will vor allem die Rolle der Berliner Ermittlungsbehörden aufklären. So hatte der Berliner Verfassungsschutz bereits vor dem Anschlag auf das Auto Erkenntnisse, dass Kocak ins Visier der Rechtsextremisten geraten war. Unter anderem hatten die Behörden ein Gespräch abgehört, in dem die beiden Verdächtigen über den Linken Politiker sprachen und zu seiner Wohnung verfolgten.

U-Ausschuss will Hintergründe aufklären

Trotz dieser Erkenntnisse hatten die Behörden Kocak nicht vor einem möglichen Anschlag gewarnt. Der Untersuchungsausschuss will herausfinden, was dazu geführt hat. Im Raum steht der Verdacht, dass die rechtsextreme Szene Verbindungen bis in die Berliner Ermittlungsbehörden habe und von dort möglicherweise gedeckt worden sei.

Im Zuge der internen Untersuchungen waren zwei Staatsanwälte versetzt worden, weil bei einem der Anschein der Befangenheit nicht ausgeschlossen werden konnte. Es habe zwar keine Anhaltspunkte gegeben, dass die Ermittlungen verschleppt worden seien, so die Begründung der Generalstaatsanwältin. Aber der Umgang mit den Gesuchen nach Akteneinsicht und den Nachfragen der Opfer sei nicht vertretbar gewesen.

Kocak will keine generelle kritik an Polizei üben

Nach der Ablösung des Staatsanwalts sei der Kontakt zu den Behörden besser geworden, berichtete Kocak. Generelle Kritik an der Polizei wollte er nicht üben. "Es gab sehr viel Schatten bei den Ermittlungen, aber wo Schatten ist, ist auch Sonne" – einige Beamte hätten sich vertrauensvoll verhalten, seien für ihn ansprechbar gewesen und hätten ihm ein gutes Gefühl vermittelt.

Er kritisierte aber die Sicherheitsgespräche nach dem Anschlag. Statt ihm Erkenntnisse über die beiden Tatverdächtigen zu geben und seine Fragen zu beantworten, habe man ihn über seine Aktivitäten und Lebensgewohnheiten ausgefragt: "Das ging mir ein Stück weit zu weit – bin ich jetzt der Täter?"

Die Hinweise seien zudem widersprüchlich gewesen. Einerseits habe man ihm immer gesagt, es gebe "keine Gefahr", obwohl bekannt war, dass die Hauptverdächtigen sich im direkten Umfeld aufhielten - andererseits habe man ihn geraten, sein Leben zu ändern und immer auf der Hut zu sein. Das habe ihn zusätzlich verunsichert.

Nach seiner Wahl ins Berliner Abgeordnetenhaus gehört Kocak dem Ausschuss auch als stellvertretendes Mitglied für die Linksfraktion an. Gegen die Hauptverdächtigen läuft seit einiger Zeit auch ein Strafprozess am Amtsgericht Tiergarten. Dort ist Kocak Nebenkläger.

Zweiter Zeuge: "Man lebt nicht mehr unbefangen"

Als zweiter Zeuge sagte am Freitag ein Gewerkschafter aus. Er berichtete, er habe sich immer gegen Rechtsextreme in Neukölln engagiert. Sein Auto habe schon vor dem Angriff auf Kocak im Januar 2017 nachts gebrannt. Regelmäßig hätten Aufkleber von rechtsradikalen Organisationen an seinem Garteneingang und an seinem Auto geklebt. Seitdem habe er "Gedanken, dass die mich beobachten". In seinem Haus stünden inzwischen Feuerlöscher. "Man lebt nicht mehr unbefangen, überlegt, wann und wo man lang geht."

Der Untersuchungsausschuss will auch Zeugen aus den Sicherheitsbehörden vorladen und Akten auswerten, um aufzuklären, warum die Anschlagserie jahrelang nicht aufgeklärt werden konnte. Die Hauptverdächtigen waren lange im Visier der Ermittler, Beweise gab es lange aber nicht. Zwei Sonderermittler hatten bereits auf mehrere Ungereimtheiten hingewiesen und Ermittlungsfehler festgestellt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.09.2022, 14 Uhr

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