Frauen in der Brandenburger Politik - Der mühsame Weg zur Parität

So 04.09.22 | 13:28 Uhr | Von Hanno Christ
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Die Abgeordneten beraten in der Landtagssitzung (Quelle: dpa/Bernd Settnik)
Audio: rbb24 Brandenburg aktuell | 03.09.2022 | Hanno Christ | Bild: dpa/Bernd Settnik

Brandenburg war einst Vorreiter, wenn es darum ging, Frauen den Weg zu mehr politischer Teilhabe zu ebnen. Doch das Paritätsgesetz scheiterte – ein Nachfolger ist nicht geplant. Verfechterinnen sehen darin heute aber trotzdem Erfolge. Von Hanno Christ

Es war ein Coup und gleichzeitig ein Stück Parlamentsgeschichte, das da geschrieben wurde: Unter fraktionsübergreifendem Jubel hatte soeben erstmals ein deutsches Parlament ein Gesetz auf den Weg gebracht, das regelte, wie Frauen und Männer gleichermaßen in politische Ämter kommen können. So geschehen im Brandenburger Landtag im Januar 2019. Das sogenannte Paritätsgesetz (von lat. paritas "Gleichheit, gleich stark") sollte bei Landtagswahlen wechselweise Männer und Frauen auf Parteilisten platzieren.

Das Ziel: mehr Frauen den Zugang zu Macht und Ämtern ermöglichen. Es war ein Novum in Deutschland, andere Länder wie Thüringen versuchten gleichzuziehen. Doch die geschriebene Parlaments-Geschichte war nur eine kurze: Nach und nach kassierten Verfassungsgerichte die Gesetze wieder, das brandenburgische etwa im Oktober 2020. Mehrere Parteien, darunter NPD und AfD hatten geklagt. Das Landesverfassungsgericht sah die Rechte von Parteien verletzt, selbst zu entscheiden, wen sie auf eine Liste setzen – und wen eben nicht.

Frauen eine klare Minderheit

Das Projekt Paritätsgesetz aber hatte gute Gründe: Die Beteiligung von Frauen in der Politik ist ausbaufähig. Nach der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung "Frauen Macht Brandenburg" von 2022 bilden sie dort eine klare Minderheit. Zwar gibt es im Kabinett der Landesregierung mehr Frauen als Männer. Im Landtag aber sind gerade mal 35,2 Prozent der Abgeordneten weiblich, in den Kreistagen und Stadtparlamenten nur 27,6. 19 Prozent der haupt- und ehrenamtlichen Bürgermeister sind Frauen. 11 Prozent der Kreisverwaltungen werden von einer Frau geführt.

Kein neues Landesgesetz geplant

Die Verfechter des Paritätsgesetzes wie die Bündnisgrünen oder der Frauenpolitische Rat e.V. waren einst mit Sprechchören und Transparenten vor das Verfassungsgericht gezogen. Damals gaben sie sich angesichts der juristischen Niederlage kämpferisch und kündigten neue Wege an. Seitdem aber ist es still geworden in der Brandenburger Landespolitik. Ein neuer Gesetzentwurf sei weder im Koalitionsvertrag der Kenia-Regierung vorgesehen noch anderweitig geplant, sagt Frauenministerin Ursula Nonnemacher (Bü'90/Grüne), damals eine der Urheberinnen des Paritäts-Projektes und heute Vize-Ministerpräsidentin des Landes.

"Natürlich bin ich traurig, dass es nicht standgehalten hat", sagt sie, "aber das ist nun mal die Realität." Trotzdem sei Brandenburg damit einen wichtigen Schritt vorangegangen. Nun hofft sie auf die geplante Wahlrechtsänderung des Bundes, wo es nicht nur um die Verkleinerung des Bundestages geht, sondern auch Wege zu mehr Parität. Doch das liegt nicht in Brandenburger Hand.

Corona hat die Bewegung zurückgeworfen

Auch Verena Letsch vom Frauenpolitischen Rat hält das Brandenburger Paritätsgesetz für ein wichtiges Signal, selbst wenn es gescheitert ist. Es sei ein Teilerfolg gewesen. "Ich glaube, mit dem Gesetz gab es einen großen Schwung für die Sichtbarkeit von Frauen", sagt sie. "Ich glaube, dass es heute nicht mehr möglich ist, dass Podien nur mit Männern besetzt werden. Das traut sich einfach keiner mehr, weil es einfach nicht mehr zeitgemäß ist."

Die vergangenen Jahre haben es Vereinen wie dem Frauenpolitischen Rates nicht einfach gemacht, Frauen in die Politik zu lotsen oder sie dafür zu begeistern. Das größte Hindernis sei die fehlende Zeit, so Letsch. Das habe die Corona-Pandemie "schmerzlich" gezeigt. "Wir hatten im zweiten Lockdown 173 Tage bundesweit im Mittel, wo es keine oder keine reguläre Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten gab. Das ist eine irre Zahl." Noch immer tragen Frauen die Hauptlast der Erziehung. Da bleibt keine Zeit für Stadtverordneten- oder Kreistagssitzungen.

Graswurzel-Arbeit statt Gesetze

Auf neue Anläufe für Paritäts-Gesetze oder andere Regelungen will man nicht warten und setzt stattdessen auf mehr kommunale Initiativen, um Interessen von Frauen zu bündeln. "Wir brauchen Strukturen, die es Frauen erleichtern, in die Politik zu gehen", sagt Letsch. Man habe enorm viele Frauen, die ehrenamtlich aktiv sind. "Jetzt muss es nur noch diesen Schritt geben, dass irgendjemand diese Frauen ermutigt, ihre Politik vor Ort zu machen. Ich glaube, Frauen machen den Unterschied."

Frauen sind viel intensiver Hass-Kampagnen ausgesetzt als männliche Politiker

Ursula Nonnemacher, Brandenburger Gesundheitsministerin (Bü'90/Grüne)

Auch die Projektleiterin "Vielfalt, Teilhabe, Parität" vom Frauenpolitischen Rat, Anna Emmendörfer, setzt eher auf Graswurzel-Arbeit wie etwa kommunale Netzwerke, Social Media und Öffentlichkeitsarbeit zum Beispiel mit bekannten Frauen aus der Politik. Das Engagement für die Parität, meint sie, sei keinesfalls weniger geworden.

Frauenministerin Nonnemacher wirbt etwa mit Maßnahmen wie familienfreundlicheren Sitzungszeiten, hybriden Sitzungen, um lange Anfahrtswege zu ersparen oder auch mit festgelegten Redezeiten in Debatten. In den meisten Ausschüssen ergreifen immer noch Männer häufiger und länger das Wort als es Frauen tun, heißt es im Maßnahmenkatalog zur Steigerung des Frauenanteils in der Kommunalpolitik. Auch andere Initiativen wie "Frauen aufs Podium" soll helfen, Frauen eine Stimme zu geben.

Sexismus schreckt Frauen ab

"Der noch schwierigere Akt ist, sie auch in politischen Positionen zu halten, weil Frauen viel intensiver Hass-Kampagnen ausgesetzt sind als männliche Politiker", meint Nonnemacher. Sie würden diskriminiert oder teils auch mit sexuellem Unterton angegangen. Gerade bei Angriffen gegen ihre Parteikolleginnen wie die Bundesvorsitzende Riccarda Lang und Außenministerin Annalena Baerbock sieht sie eine "klare geschlechtsspezifische Komponente".

Anna Emmendörfer, einst selbst Kommunalpolitikerin, Bundestagskandidatin und heute Sprecherin der Grünen Jugend Brandenburg, kennt das Problem aus eigener Erfahrung. Es beträfe Frauen in allen Parteien, meint sie. Gerade als junge Frau begegnetem einem viele Vorurteile: Weniger Lebenserfahrung, wenig politische Erfahrungen. Dabei seien es gerade die jüngeren, neuen Abgeordneten gewesen, die sich sehr intensiv mit den Anträgen und Satzungen beschäftigt hätten, erinnert sie sich an ihre Zeit als Stadtverordnete in Teltow. Sie hätte nie gedacht, dass der sexistische Umgang so massiv ist, berichtet sie. "Wenn man als Frau in der Kommunalpolitik unterwegs ist, braucht man definitiv ein dickeres Fell."

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 03.0.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Hanno Christ

20 Kommentare

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  1. 20.

    Ich schliesse mich gerne den gestrigen maennlichen Namen an. Sie fordern, aber belegen nicht, wie es mit Paritaet irgendwo besser sein soll; interessanterweise verlangt das niemand bei dem Beruf der Strassenkehrer. In meinem Beruf, zum Beispiel, arbeiten fast nur Frauen! Gleichstellung verlangen Sie, und ich frage mich, wo wir die nicht haben. Uebrigens, gestern, in Ihrem Paragraph, ist ein adverb und wird daher klein geschrieben.

  2. 19.

    Nachtrag:
    Ob Menschen immer wissen was gut für sie ist glaube ich bzgl. dem Verständnis größerer Zusammenhänge aber nicht.
    Ob z.B.: 1989 so viele CDU gewählt hätten, wenn sie gewusst hätten was das für sie bedeutet bezweifle ich bis heute.
    Aber hier gilt (leider): Doofheit wird bestraft

  3. 18.

    Die Birne Helene hat ihre Bedeutung nicht durch „Selbstbewusstsein“ erlangt. Da steckt was ungeheuer Wertvolles drin. Und deren Bedeutung muss man nicht messen, sie braucht auch keine Quote, sie ist allseits geachtet, einfach so... ;-)

  4. 17.

    Und wieder sind es Kommentatoren mit Namen wie Horst, Günter oder Detlef, die uns erklären wollen, warum wir keine Parität, Gleichstellung oder Quote brauchen, und politische Bemühungen darum „Schwachsinn“ sei. Eure Meinung ist wie Eure Namen von Gestern. Auch wenn die Umsetzung der Forderungen während der Pandemie Rückschritte gemacht hat, sie ist nicht zu verhindern. Und die selbstbewussten Frauen werden immer besser sichtbar werden. Nur nicht entmutigen lassen! Die Gesellschaft ändert sich stetig.

  5. 16.

    Absolut richtig. Gleichberechtigung bedeutet übersetzt Chancengleichheit, nicht Ergebnisgleichheit. Es gibt breite politische Kreise, die das nicht auseinanderhalten können oder wollen. Wenn eine Ergebnisgleichheit nicht aufgrund von Rahmenbedingungen automatisch zustande kommt, ist sie immer mit Ungerechtigkeit und Benachteiligung verbunden und widerspricht damit dem Grundgesetz und hoffentlich auch dem gesunden Menschenverstand. In vielen Fällen ist vom Durchschnitt der Betroffenen eine Ergebnisgleichheit nicht einmal gewollt und das hat die Politik dann auch gefälligst zu akzeptieren. Die Menschen wissen selbst, was sie wollen und was gut für sie ist.

  6. 15.

    Warum muss der RBB diesen Unsinn ständig wieder erneut durchs Dorf treiben? Frauen sind in den Parlamenten bereits überrepräsentiert, wenn man als Maßstab die Mitgliedschaft in den Parteien betrachtet. Das heißt, sie engagieren sich politisch deutlich weniger. Trotzdem haben sie bereits jetzt eine deutlich höhere Chance, auf lukrative Sitze im Parlament. Wenn man den Frauenanteil also steigern will, mögen die Parteien dafür sorgen, dass eine Mitarbeit für Frauen attraktiver wird. Alles andere ist ungerecht denjenigen gegenüber, die die Parteiarbeit erledigen.
    Zudem unterliegt die Debatte dem grundsätzlichen Denkfehler, dass Jeder nur für seine eigene Community Politik machen könne und wöllte, was vollkommener Unsinn ist. In Wahrheit geht es gar nicht um Gerechtigkeit, es geht um lukrative Posten.

  7. 14.

    Es würde viel erfolgreicher sein, wenn Brandenburg an anderer Stelle "Vorreiter" sein würde, da wo es was bringt: Bildung und BIP wären da an erster Stelle zu nennen. Denn, wenn das stimmt, ist die Sogwirkung für das Mitmachen nicht nur für Frauen groß... Also, die Reihenfolge muss stimmen.

  8. 13.

    Na wenigstens hatten wir die Parität schon im Bund: Frau von der Leyen, Frau Kramp-Karrenbauer, Frau Lambrecht, Frau Baerbock und nicht zu vergessen Frau Merkel!

  9. 12.

    Die Vorgabe es paritätischen Ergebnisses zäumt im politischen Bereich das Pferd in der Tat von hinten auf: Anders, als bei Wirtschaftsbetrieben, die bei sämtlichen Stellen - auch im Management - ausreichend Bewerbende haben, sodass eine Quotenvorgabe etwas pur Selbstverständliches ist, anders ist es dagegen im politischen Bereich: Solange Politik in erster Linie auf Durchsetzung gegen andere, als Herabreden von anderen begriffen wird, erst in zweiter Linie der Gestaltung verpflichtet ist, wird es einer Männerdomäne bleiben.

    Immerhin gibt es Hoffnung. Das ist etwas Umgangskulturelles, was sich im Zeitablauf "auswächst." Und das hat mit dem Aufkommen der ökologischen Frage zu tun. Kein Wunder, dass dort rein quantitativ eine gleich starke Vertretung bei Frauen und Männern vorhanden ist.

  10. 11.

    In meiner Partei werden auf Orts-und Bezirksebene aufgrund der bescheuerten Paritätspolitik Frauen regelrecht angefleht für den Vorstand zu kanditieren. " Du musst wenigstens kanditieren. Ob du dann an den Sitzungen teilnimmst, kannst du dann ja selbst entscheiden" Aber selbst bei einem solch "Tollen" Angebot ist es schwierig Frauen, geschweige motivierte, zu bekommen. Diejenigen die Interesse zeigen, würden am liebsten direkt im BT anfangen.

  11. 10.

    "Frauen der grünen im Bundestag in deutlicher Überzahl vertreten.. " Strenggenommen müßte das dann aber auch bei Parität als zwingende Vorgabe verhindert werden.

  12. 9.

    Wie soll ein Paritätsgesetz zustande kommen, und mehr politische Teilhabe bei Frauen, wenn die Frauen in den Parteien überdeutlich in Unterzahl sind, beispielsweise 2019 waren bei der SPD 32,8%, bei CDU 26,5% der Mitglieder weiblich.
    Was sagt uns das, die Frauen wollen viel selterner Mitglied einer Partei werden, und noch selterner streben sie ein politisches Amt an.
    Wenn sie es wirklich wollen, dann schaffen sie es auch, siehe Grüne, da waren 2019 41% der Mitglieder weiblich, und im Januar2021 waren die Frauen der grünen im Bundestag in deutlicher Überzahl vertreten..

  13. 8.

    Verfassungswidrigkeit ist salonfähig. Muss ich, wenn ich beruflich Erfog haben möchte das Geschlecht wechseln? Jaa die Wahrheit kann wieder keiner ertragen.

  14. 7.

    Wieso muß es eigentlich Parität sein? Gibt es doch in anderen Bereichen auch nicht? Oder ist in allen Bereichen dann Parität zwingend erforderlich? Auch beim Wehrdient wie z.Bsp. in Israel? Es entsteht bisweilen der Eindruck, daß auch nur in gut bezahlten Bereichen (Abgeordnete, Management etc) eine Parität angestrebt wird und eher nicht in anderen Bereichen.

  15. 6.

    Mir ist egal wieviel Männer, Frauen oder Diverse im Parlament sitzen. Hauptsache, sie engagieren sich für ihren "Job", sind Realpolitiker, haben einen Berufsabschluss, stehen mit beiden Beinen fest im Leben und sind nicht einseitig ideologisch drauf. Quote ist Symbolpolitik!!!

  16. 5.

    Mit der Brechstange funktioniert Glechbehandlung sowieso nicht. In den Köpfen muss sich etwas ändern. Dazu braucht man auch Geduld (und z.B. keine Gendersprache). Druck erzeugt gesetzmäßig immer auch Gegendruck.

  17. 4.

    Hat Frau Nonnenmacher auch Beispiele für sexuelle Diskrimierungen? Zudem darf ich die Frage stellen, was Sie gegen Berufserfahrung und Lebenserfahrung hat? Reine Ideologie führt selten in unser Demokratie zu Ergebnis sondern eher zur Spaltung der Gesellschaft!

  18. 3.

    Liegt es nicht vielmehr daran, dass in den Parteien sich zu wenig Frau engagieren? Auf der einen Seite geben Sie vor gegen Sexismus zu kämpfen, aber wenn es darauf ankommt dann greifen Sie zu Mitteln wie zB das als verfassungswidrig erklärte Gesetz die entweder hart an der Grenze sind oder gar verfassungswidrig. Die Verfechterin sollten sich ein Beispiel an den Müttern des Grundgesetzes nehmen, die gegen eine erdrückende Übermacht die Gleichberechtigung im Grundgesetz verankert haben!

  19. 2.

    Gleichberechtigung ist ja keine "Gleichmacherei".
    Und welchen Vorteil Parität mit sich bringen soll bzw. welcher Nachteil da ausgeglichen werden soll ist nicht ersichtlich.
    Bei der Mehrheit der Gesetze spielt das Geschlecht keinerlei Rolle.
    Und was Brandenburgs Grüne davon halten ist mir herzlich egal.
    Denn Kriminalität gegen Frauen hat damit nix tun.
    Dazu kann man das Strafmaß erhöhen.
    Frauen sind ja nicht von "Natur aus" bessere Menschen (Meiner Erfahrung nach).

  20. 1.

    Wenn die Frau die Hauptlast bei der Kinderbetreung hat ist das eher ein Beziehungsproblem. Ist sie Alleinerziehend geht eben nicht beides ausser man hat genug Geld für eine Nanny. Den alleinerziehenden Vätern geht es auch so.

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