Wahlchaos in Berlin - Gericht entscheidet möglicherweise erst im Dezember über Neuwahl

Do 29.09.22 | 15:21 Uhr
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Wähler stehen für die Wahl an.(Quelle:dpa/C.Soeder)
Video: rbb24 Abendschau | 29.09.2022 | Carla Spangenberg | Bild: dpa/C.Soeder

Die Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs zu möglichen Neuwahlen in Berlin fällt möglicherweise später als zunächst erwartet. Unter anderem, weil die Landeswahlleitung eine neue Tabelle zu Fehlern bei der Wahl vorgelegt hat.

Nach der mündlichen Verhandlung über die Gültigkeit der Berliner Wahlen vom vergangenen Jahr könnte der Berliner Verfassungsgerichtshof die Entscheidungsfrist von maximal drei Monaten ausschöpfen. Das bestätigte die Sprecherin des Gerichts am Donnerstag dem rbb. Dies deutet auf eine Entscheidung im Dezember hin. Bis zuletzt galt eine frühere Entscheidung als wahrscheinlich.

In der rund siebenstündigen Verhandlung waren zunächst vier der insgesamt 35 eingelegten Einsprüche besprochen worden. Neben einem umfangreichen Vortrag durch die Anwälte der Innenverwaltung, der nun rechtlich geprüft werden muss, hatte auch die stellvertretende Landeswahlleiterin Ulrike Rockmann dem Gericht eine neue Tabelle mit den bisher ermittelten Wahlfehlern in allen Wahllokalen überreicht.

Gericht: Alle Verfahrensbeteiligten müssen Tabelle bekommen

Dort listet Rockmann insgesamt 455 problematische Vorkommnisse auf. Diese Liste werde das Gericht nun zunächst selbst prüfen, kündigte die Sprecherin an. Auch alle Verfahrensbeteiligten müssten die Tabelle bekommen, und ausreichend Gelegenheit, zu den vorgelegten Informationen Stellung zu nehmen.

Ebenfalls Einfluss auf den Zeitplan dürfte ein Antrag der Innenverwaltung haben. Die Anwälte hatten beantragt, die Frist für Schriftsätze auf drei Wochen zu verlängern. Das Gericht habe darüber noch nicht entschieden, sagte die Sprecherin, es sei nicht unwahrscheinlich, dass der Antrag angenommen werde.

Anders als von der Innenverwaltung gefordert, sieht der Verfassungsgerichtshof aber keinen Grund, vor seiner Entscheidung eine Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Dies sei im Grundgesetz nur dann vorgesehen, wenn Gerichte das Grundgesetz anders auslegen wollen als das Bundesverfassungsgericht. Bei der Wahlprüfung gehe es aber nicht um eine Auslegung des Grundgesetzes, sondern der Berliner Landesgesetze zu den Wahlen beziehungsweise die Berliner Landesverfassung. Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe nach der Berliner Entscheidung seien nicht auszuschließen, über deren Annahme entscheide das Bundesverfassungsgericht.

Fehlende Stimmzettel, lange Wartezeiten, nach 18 Uhr offene Wahllokale

Nach einer vorläufigen Einschätzung hielt der Berliner Verfassungsgerichtshof eine komplette Wiederholung der Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus sowie der Bezirksverordnetenversammlungen für erforderlich. Bei einer ersten Anhörung des Gerichts zu den Wahlpannen im Jahr 2021 sagte Gerichtspräsidentin Ludgera Selting am Mittwoch, eine "vollständige Ungültigkeit" der Wahl komme in Betracht.

Die Wahlen zum Bundestag und zeitgleich zum Berliner Abgeordnetenhaus sowie der Abstimmung über den Enteignungsvolksentscheid am 26. September 2021 waren in der Hauptstadt von zahlreichen Pannen und organisatorischen Problemen geprägt. Dazu zählten falsche oder fehlende Stimmzettel, die zeitweise Schließung von Wahllokalen und lange Schlangen davor mit teils stundenlangen Wartezeiten. Außerdem hatten einige Wahllokale noch weit nach 18 Uhr geöffnet.

Sendung: rbb24 Abendschau, 29.09.2022, 19:30 Uhr

14 Kommentare

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  1. 14.

    Steffen, ich bin selbst Richter. Eine perfekte Urteilsbegründung schützt nicht vor Rechtsmitteln oder einer anderen Entscheidung.

  2. 13.

    Danke @Heidekind.
    Dann finde ich, sollte es schlichtweg nicht möglich sein (gesetzlich geregelt), dass an einem Wahltag ein diesen beeinträchtigendes Großevent stattfinden kann/darf.
    Dass das zu sehr kollidiert, hätte wirklich jeder der Verantwortlichen vorausahnen können.

  3. 12.

    "...dass eine Aufhebung nichts mit der Genauigkeit der Urteilsbegründung zutun hat" Na ja, indirekt schon. Das Urteil muss rechtsschlüssig, vollständig und treffend begründet sein, damit beim BGH bzw. dem BVerfG eine Beschwerde abgelehnt werden kann.
    Juristisch finde ich es schon sehr richtig, dass sich die Richter hier die nötige Zeit nehmen und nicht drängen lassen. Politisch ist es ein Desaster, weil gerade in der aktuellen Lage der Senat dies für weitere teure und nicht nachhaltig finanzierte Wahlgeschenke nutzen wird, um seine Wiederwahlchancen zu erhöhen. Dafür kann aber das Gericht nichts und darf darauf auch keine Rücksicht nehmen.

  4. 11.

    Als Richter kann ich Ihnen sagen, dass eine Aufhebung nichts mit der Genauigkeit der Urteilsbegründung zutun hat

    Außerdem hat das Gericht noch andere Verfahren zu bearbeiten

    Schon komisch, dass so viele Bürger ohne Kenntnis der Materie die Arbeit eines Gerichts beurteilen können?

  5. 9.

    "Und wer war zuerst da: der Termin der Wahlen oder der des Marathons?"
    Wahltermine sind hier veröffentlicht. https://www.bundeswahlleiter.de/service/wahltermine.html
    Der Marathon findet "gewohnt" immer am letzten WE im September statt. Mangels "Gewohnheitsrecht" muss er jährlich neu beantragt und genehmigt werden. In Kenntnis des Wahlumfanges der letzten Wahl in Berlin hätten die verantwortlichen Behörden auch darauf drängen können, das Sportevent um ein WE nach vorn oder hinten zu verschieben. Vll. wäre einiges an Ungemach erspart geblieben. Nun ist es (leider) wie es ist und die abschließende Rechtsfindung, ggf. auch des BVerG, wird abzuwarten sein.

  6. 8.

    Wenn sie noch ein bisschen länger warten/sich das noch bisschen länger hinzieht, kann man sich das mit den Neuwahlen auch sparen. Und "sparen" ist dann wortwörtlich zu verstehen.
    Was das alles wieder kostet. Wird eigentlich irgendjemand von den Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen?

    Und wer war zuerst da: der Termin der Wahlen oder der des Marathons?

  7. 7.

    Auch wenn es eindeutig aussieht oder auch ist. In der Urteilsbegründung muss das Gericht in (fast) jeder Einzelheit darlegen, warum Neuwahen zwingend erorderlich sind. Eine schlampige Urteilsbegründung führt, auch wenn sie im Prinzip richtig ist, zu einer Aufhebung in der nächsten Instanz. Eine Neuwahl kann deshalb auch durch eine schlampige Urteilsbegründung, aus rein formalistischen Gründen oder aufgrund nicht nachvollziehbarer Begründung unmöglich gemacht werden. Übertriebene Eile ist nicht immer der schnellere Weg.

  8. 6.

    Warum dauert das immer in Berlin zu lange?
    Die Fehler sind doch eineindeutig.
    Also Neuwahlen sofort ausrufen.

  9. 5.

    Das sehe ich genauso. Schließlich möchte ja jeder seinen Posten so lange wie möglich behalten. Von oben bis unten. Wahrscheinlich wird dann eine Wiederwahl so gegen September 2026 festgelegt.

  10. 4.

    Das Gericht hat 3 Monate Zeit um
    Informationen zu sammeln und auszuwerten, Meinungen und Schuldanerkenntnisse zu sichten, die Vorgänge rechtlich einzuordnen und zu wichten.
    Um das Vertrauen der Bürger in Gesetz und Justiz zu stärken und zu festigen sollte sich das Gericht nicht drängen und vor keinen Karren spannen lassen.

  11. 3.

    Schon lustig, dass nach über einem Jahr plötzlich eine neue Liste auftaucht. Was ist denn da neu aufgetaucht? Das Gericht muss sich doch veräppelt vorkommen. Sollen die Richterinnen und Richter an der Nase herumgeführt werden?

  12. 2.

    Wenn ich das alles lese, beschleicht mich das Gefühl immer mehr, dass ein wirkliches Interesse an der Aufklärung des Wahldebakels nicht besteht. Wo es möglich ist wird verschleppt und verzögert.

  13. 1.

    Da frage ich mich wieso dieses so lange dauert.

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