Wahlen - Warum die Linken Berlins neue Bundestagswahlkreise fürchten müssen

Mi 30.11.22 | 06:25 Uhr
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Symbolbild: Das Logo der Linkspartei im Bundestag (Quelle: dpa/Michael Kappeler)
Bild: dpa/Michael Kappeler

Vor der nächsten regulären Bundestagswahl müssen Berliner Bundestagswahlkreise angepasst werden. Doch was die Wahlkreiskommission nun empfiehlt, verschiebt die politischen Gewichte - zu Lasten der Linken, zum Nutzen der SPD. Von S. Schöbel

Die routinemäßige Anpassung der Berliner Bundestagswahlkreise könnte die Linkspartei ihren Platz im Bundestag kosten. Das geht aus der aktuellen Empfehlung der Wahlkreiskommission hervor, die dem rbb exklusiv vorliegt. Denn die sieht vor, dass der Wahlkreis Lichtenberg vor der nächsten regulären Bundestagwahl aufgelöst und auf andere Wahlkreise aufgeteilt wird. Damit würden die Linken eine ihrer wenigen Hochburgen verlieren, ohne die sie aktuell gar nicht mehr im Bundestag sitzen würde.

An Lichtenberg hängt für die Linke wohl der Bundestag

Die Linkspartei war 2021 unter die Fünf-Prozent-Hürde gefallen, schaffte es aber dennoch in den Bundestag, weil sie insgesamt drei Direktmandate gewinnen konnte - zwei davon in den Berliner Wahlkreisen Treptow-Köpenick und Lichtenberg. Ohne Lichtenberg aber droht der Partei nun der Verlust eines relativ sicheren Direktmandats - und bei einem ähnlich schlechten Wahlergebnis wie 2021 wäre der Wiedereinzug in den Bundestag beinahe ausgeschlossen. Die Partei hatte zuletzt mehrere Niederlagen einstecken müssen, bei sämtlichen Landtagswahlen in diesem Jahr blieb sie unter der Fünf-Prozent-Hürde.

Doch nicht nur bei den Linken dürfte die Empfehlung der Wahlkreiskommission für die neuen Bundestagwahlkreise Diskussionen auslösen. Legt man das letzte Bundestagswahlergebnis zugrunde, könnte auch die CDU bei den neuen Wahlkreisen als Verliererin dastehen - während vor allem die SPD profitieren könnte.

Die CDU muss um Reinickendorf bangen

Denn um den Wahlkreis Lichtenberg aufzulösen, muss eine komplexe Verschiebung stattfinden: Fast alle Berliner Bundestagswahlkreise bekommen neue Gebiete dazu und müssen im Gegenzug bestimmte Gebiete abgeben - so, dass am Ende die Bevölkerungszahl in allen Wahlkreisen etwa gleich ist. Als Grundlage dienen die deutlich kleinteiligeren Wahlkreise des Abgeordnetenhauses.

Durch den Vorschlag der Wahlkreiskommission könnten sich die politischen Kräfteverhältnisse zum Teil merklich verschieben. Der Wahlkreis Reinickendorf zum Beispiel würde Gebiete aus Pankow dazubekommen, in denen zuletzt vor allem SPD und Grüne gute Ergebnisse eingefahren haben. Er müsste dafür aber Gebiete an Spandau-Charlottenburg Nord abgeben, in denen 2021 SPD und vor allem CDU viele Wähler hatten. Reinickendorf, wo zuletzt Monika Grütters von der CDU gewann, würde politisch damit wohl in Richtung SPD kippen.

Die SPD kann nur gewinnen

Die SPD wiederum kann sich freuen: In den von ihr gewonnenen Bundestagwahlkreisen würde sich kaum etwas ändern. Vor allem die Wahlkreise des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Michael Müller und des SPD-Generalsekretärs Kevin Kühnert, Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg, blieben unangetastet.

Das Gleiche gilt für den Wahlkreis Berlin-Mitte, in dem die Grüne Hanna Steinmüller das Direktmandat gewann. Ebenfalls unbesorgt könnte wohl CDU-Generalsekretär Mario Czaja sein: Sein Wahlkreis in Marzahn-Hellersdorf würde ein Gebiet aus Lichtenberg dazugewinnen, in dem 2021 die CDU klar die Nase vorn hatte.

Ex-Landeswahlleiterin widerspricht eigenem Vorschlag

Die Vorlage für diesen politischen Verschiebebahnhof lieferte die ehemalige Landeswahlleiterin Ulrike Rockman, nach Aufforderung der Wahlkreiskommission. Eine übliche Aufgabe für Landeswahlleiter, Rockmann hatte dieses Amt in Berlin nach der Pannenwahl 2021 übernommen und bis Ende September inne. In dieser Funktion arbeitete sie auch zwei Varianten für die Aufteilung der neuen Bundestagswahlkreise aus. Mit einer überraschend klaren Präferenz, wie aus dem Schriftwechsel mit der Wahlkreiskommission hervorgeht.

Statt die Wahlkreise für das Abgeordnetenhaus heranzuziehen, schlug Rockmann vor, die sogenannten "Lebensweltlich orientierten Räumen" als Grundlage zu nutzen. Die "LOR" werden seit 2006 in der Stadtplanung genutzt und definieren kiezgenau Gebiete, in denen die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Einwohner:innen sehr ähnlich sind. Das sei, schreibt Rockmann, sei viel geeigneter als Grundlage für die neuen Bundestagswahlkreise.

Das letzte Wort hat der Bundestag

Die Wahlkreiskommission, die vom Bundespräsidenten einberufen wird und unabhängig arbeitet, sah das offenbar anders. Bis Dienstag konnten alle im Bundestag vertretenen Berliner Parteien ihre Stellungnahmen dazu abgeben. Bis Ende November soll das auch der Senat tun. Die Endgültige Empfehlung der Wahlkreiskommission muss bis 26. Januar 2023 an den Bundestag übermittelt werden. Ob und wie sie umgesetzt wird, entscheiden letztlich die Abgeordneten.

Auf die teilweise Wiederholung der Bundestagswahl, wie sie zuletzt beschlossen wurde, hätte all das keine Auswirkung: Die müsste in den Grenzen der 2021 gültigen Wahlkreise durchgeführt werden.

Wahlkreise werden immer wieder neu definiert

Dass die Wahlkreise für den Bundestag regelmäßig überprüft und verändert werden, ist laut Bundeswahlgesetz vorgeschrieben. Denn die Bevölkerung innerhalb eines Wahlkreises darf nicht zu groß oder zu klein sei im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt der anderen Wahlkreise. So wurden vor der Bundestagwahl 2021 zum Beispiel 13 Wahlkreise in ganz Deutschland wegen der veränderten Einwohnerzahl neu gezogen, darunter zwei in Brandenburg. Aktuell liegt der Schnitt bei rund 243.500 Einwohner:innen pro Wahlkreis. Das erklärt auch, warum das bevölkerungsreiche Nordrhein-Westfalen aktuell 64 Wahlkreise hat, der Stadtstaat Bremen hingegen nur zwei.

Sendung: Inforadio, 30.11.2022, 6 Uhr

17 Kommentare

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  1. 17.

    Für die Partei mögen die Direktmandate für das politische Überleben wichtig sein. Direkt gewählte Abgeordnete wie Gysi scheinen aber keine Lust mehr auf den Bundestag zu haben. Schon zu Beginn des Ukraine-Krieges signierte der außenpolitische Sprecher der Linken lieber Bücher als an der Bundestagssitzung zum Krieg teilzunehmen. Und auch jetzt wieder suchte er die Öffentlichkeit bei Gericht anstelle an der Bundestagssitzung teilzunehmen. Würde er überhaupt noch einmal antreten wollen?

    Nebenbei sei auch daran erinnert, dass bereits bei der letzten Wahl die Linke zwei Direktmandate verloren hatte, darunter auch die durchaus überregional bekannte Politikerin Pau.

  2. 16.

    Liest sich wie ein Kartenspiel Skat oder Würfel Spiel. Ich finde ja gut wie hier Gewinner oder Verlierer da gestellt werden ich glaube der Wähler/innen bestimmen wer die Stimme bekommt und wo einzieht.

  3. 15.

    Der Mord an Liebknecht und Luxemburg hat zur Machtübernahme der Nazis geführt. Soviel Quatsch hab ich selten gelesen. Sagt Ihnen der Name Hugenberg etwas und die Weltwirtschaftskrise? Die Banken aus den USA mussten die Kredite zurückziehen worauf die deutsche Wirtschaft zusammenbrach. Beschäftigt man sich mit den Wahlprogrammen der NAZIS vor der Krise, so tauchte immer die antisemitisch ausgeschmückte Warnung vor den Banken auf. Wie haben die Wähler reagiert? Die extremen Pole wurden gestärkt!

  4. 14.

    Dann beschäftigen Sie sich einmal mit der Novemberrevolution. Die USPD und die Räte wollten keine Demokratie sondern gewaltsam eine Diktatur einrichten. So in etwa wie nach 45 sie in der DDR entstanden ist.

  5. 13.

    Nur, dass hier per Gesetz die Wahlkreise in etwa die gleiche Einwohnerzahl haben müssen.
    Leider ist es nicht die seit der Vereinigung versprochene große Reform um den Bundestag wieder auf die Größe von vor der Vereinigung zu bringen. Sollte diese Reform durchgeführt werden, so dürfte neben den Linken, der AFD auch die FDP Probleme mit der 5% Hürde haben.

  6. 12.

    Für die Wahlwiederholung für September 2021 in B wurde vereinbart dass der Wahlkampf am 02.01.2023 beginnt. Stellt sich die Frage, warum war ein Stand der Bündnis 90 die Grünen schon heute in 10961 Berlin, Gneisenaustr. Ecke Mittenwalder Str. In Aktion?

  7. 11.

    Auch deshalb wird ja der Bundestag so aufgebläht. 2 Direktmandate und 1 Direktmandat aus Leipzig reichen aus um in den Bundestag mit Fraktionsstärke einzuziehen. Dann sitzen wieder Leute dort die abgewählt wurden.

  8. 10.

    Egal ist die Art des Wahlkreises für die Linken immer. Wer kaltherzig anmutend, gegen die Einzahler in das Sozialsystem Politik macht, hat ein Problem.... Zuschnitt hin oder her.

  9. 9.

    Sorry, aber wer lesen kann, ist eigentlich immer klar im Vorteil: Im Text steht „bei der nächsten regulären (!!) Bundestagswahl“, es geht nicht (!!) um die Wiederholung der Wahl von 2021.

  10. 8.

    So mancher ist ist einfach nur schlecht informiert; "Auf die teilweise Wiederholung der Bundestagswahl, wie sie zuletzt beschlossen wurde, hätte all das keine Auswirkung: Die müsste in den Grenzen der 2021 gültigen Wahlkreise durchgeführt werden." kann man z.B. hier nachlesen:
    https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/11/berlin-bundestag-wahlkreise-direktmandat-linke-lichtenberg-verlust-wahlkommission.html

  11. 7.

    Wird die 5 % Hürde nicht durch diese Regelung mit den Direktmandaten im Prinzip ad absurdum geführt ?

  12. 6.

    Wenn bei einer Wahlwiederholung Wahlkreise neu geordnet werden, ist das keine Wiederholung, sondern eine Neuwahl. Lotte hat Recht: alles für den Machterhalt. In Berlin sieht es für die SPD nicht gut aus. Dass DIE LINKE bei ihrem Selbstzerlegungsprozess Schützenhilfe von der SPD - toleriert von der rechten Opposition - erhält, ist politisches Intigrantentum. Die SPD tritt das "S" im Namen mit ihren eigenen Füßen, wie schon vor 103 Jahren. Sind wir nicht lernfähig? Armes, gefährliches Deutschland.

  13. 5.

    Hat man Ihnen damals im Geschichtsunterricht auch gelehrt, dass Liebknecht und Luxemburg selber zu den Waffen riefen, um mit Gewalt ein Regime nach bolschewikischem Vorbild einrichten zu können?

  14. 4.

    "Irgendwie liest sich das wie im Geschichtsunterricht 9. Klasse,"

    Da hab ich gepennt; war immer sterbenslangweilig. Deshalb: Könnten Sie mir genauer erklären, worin Sie da Parallelen sehen? Was hat die Bundeswahlkommission mit der SPD und mit den Rechten zu tun?!

  15. 3.

    klingt nach Gerrymandering, das wir aus den USA kennen.

  16. 2.

    Das ist ja sehr interessant. Und wo genau sehen Sie jetzt die Parallelen zu der Veränderung der Wahlkreisaufteilung?

    Ihr Vergleich hinkt doch sehr stark, wenn Sie mich fragen.

  17. 1.

    Irgendwie liest sich das wie im Geschichtsunterricht 9. Klasse, Thema Novemberrevolution 1918 in Deutschland. Damals ging die SPD unter Ebert und Scheidemann mit rechten Freikorps einen Deal ein und tolerierte den öffentlichen Aufruf zur Ermordung der linken Führer Luxemburg und Liebknecht und sorgte dafür, daß deren Mörder nie angeklagt wurden. Die Spaltung der deutschen Arbeiterschaft war perfekt und u.a. eine Ursache für das Erstarken der Nazis.
    Alles für den eigenen Machterhalt. Krass.

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