Urteil verkündet - Berliner im "NSU-2.0"-Prozess zu knapp sechs Jahren Haft verurteilt

Do 17.11.22 | 13:38 Uhr
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Der Angeklagte steht am 17.11.22 zwischen seinen Anwälten. Fortsetzung im Prozess um die "NSU 2.0"-Drohschreiben. (Quelle: dpa/Andreas Arnold)
Audio: rbb24 Inforadio | 17.11.2022 | Bild: dpa/Andreas Arnold

Urteil im "NSU 2.0"-Prozess in Frankfurt am Main: Ein Berliner, der über 100 Drohschreiben an Personen des öffentlichen Lebens gerichtet hatte, muss für fast sechs Jahre ins Gefängnis. Der Angeklagte hatte alle Vorwürfe zurückgewiesen.

Im Prozess um die "NSU 2.0"-Drohschreiben ist der Angeklagte am Donnerstag zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Nach Auffassung der Richter am Landgericht Frankfurt am Main hatte der aus Berlin stammende Mann eine Serie hasserfüllter und rassistischer Drohschreiben an Personen des öffentlichen Lebens gerichtet.

Der 54-Jährige wurde für mehrere Vergehen schuldig gesprochen, darunter für öffentliches Auffordern zu Straftaten, Bedrohung, Beleidigung, Nötigung, Störung des öffentlichen Friedens und Volksverhetzung.

Der Verurteilte bestreitet Taten

Die Anklage beschuldigte den Mann, zwischen dem 2. August 2018 und dem 21. März 2021 insgesamt 116 Drohschreiben verfasst zu haben. Alle seien mit "Heil Hitler" unterzeichnet gewesen, sagte Oberstaatsanwalt Sinan Akdogan zu Beginn der Verhandlungen. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Haftstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten gefordert.

Der Angeklagte wies in einem letzten Vortrag im Prozess alle Vorwürfe zurück. Diese seien nicht belegt. Er sei lediglich Mitglied einer rechten Chatgruppe im Darknet gewesen, habe aber keine Straftaten begangen.

Drohschreiben an diverse in der Öffentlichkeit bekannte Personen

Die Schreiben waren den Staatsanwälten zufolge in behördlicher Form verfasst, dabei gespickt mit vulgären Schimpfwörtern sowie ausländerfeindlichen und rassistischen Beleidigungen. Eine ganze Reihe dieser Mails und Faxe bedrohten die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz. Adressaten waren unter anderen auch Politikerinnen der Linken wie die jetzige Bundesvorsitzende Janine Wissler und Journalistinnen wie die "Panorama"-Moderatorin Anja Reschke und die ZDF-Moderatorin Maybrit Illner.

Auch Behördenvertreter erhielten Drohungen wie die Frankfurter Oberstaatsanwältin Nadja Nießen, oder Personen des öffentlichen Lebens, wie die Berliner Kabarettistin Idil Baydar. Die Unterschrift "NSU 2.0" spielte auf die rechtsextremistische Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)" an, die von 2000 bis 2007 neun Migranten und eine Polizistin ermordete.

Der Verfasser der Drohschreiben nannte sich häufig "SS-Obersturmbannführer", manchmal auch "Uwe Böhnhardt" in Anspielung auf das NSU-Mitglied, oder er bezeichnete sich als Polizeibeamter.

Angeklagte wurde in Chatgruppen aufgespürt

Da sich herausstellte, dass vor einigen Drohschreiben persönliche Daten der Betroffenen ohne Anlass auf Polizeicomputern in Frankfurt, Wiesbaden, Hamburg und Berlin abgerufen worden waren, hatte das den Verdacht auf rechtsextremistische Täter in Polizeikreisen gelenkt.

Die Staatsanwaltschaft hält aber den über rechtsextremistische Chatgruppen aufgespürten Angeklagten für den alleinigen Täter. Der anfängliche Verdacht, Polizeibeamte könnten an der Datenabfrage beteiligt gewesen sein, habe sich nicht bestätigt. Der Angeklagte habe die Daten erlangt, indem er vorgegeben habe, Bediensteter einer Behörde zu sein. Er ist laut Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung vorbestraft und schon einmal rechtskräftig verurteilt worden, weil er sich fälschlich als Kriminalbeamter ausgegeben hatte.

Sendung: Fritz, 17.11.2022, 12:58 Uhr

21 Kommentare

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  1. 19.

    "Ich glaube jedenfalls eher an Schlamperei als an absichtlicher Mitwirkung."

    Selbstverständlich glauben sie das. Sie wollen ja auch keine echte Aufklärung.

  2. 18.

    Wenn das Gericht sagt, es war so, wird es wohl so gewesen sein. Es sei denn, Sie zweifeln die Unabhängig der Richter an.
    Die genauen Umstände des Vorgehens wären zwar schön zu erfahren gewesen, aber das wäre wahrscheinlich zu peinlich gewesen und wird das BKA intern klären wollen.
    Ich glaube jedenfalls eher an Schlamperei als an absichtlicher Mitwirkung.

  3. 17.

    Die Daten hat er (meinetwegen angeblich) erlangt, indem er sich als Mitarbeiter einer Behörde ausgegeben hat."
    Na klar, wer kennt das nicht-da ruft man mal eben beim BKA an und fragt nach, was denn so gegen den Nachbarn aus Nr. 12 vorliegt. Und bei der Gelegenheit sagt man gleich, der Kollege möchte doch die Akte um häusliche Gewalt und linksradikale Umtriebe ergänzen. Damit alle so auf dem neuesten Stand sind.

  4. 16.

    Sie müssen schon richtig lesen ( sowohl im Artikel als auch in den Kommentaren). Muss ich das tatsächlich nochmal zitieren? Na gut: Die Daten hat er (meinetwegen angeblich) erlangt, indem er sich als Mitarbeiter einer Behörde ausgegeben hat.
    Der zweite Satz in dem Zitat unterstreicht nur, dass er einen Hang dazu hat, so vorzugehen, und damit wohl einigermaßen erfolgreich ist.

  5. 15.

    Die Staatsanwaltschaft hielt auch den NSU 1.0 für eine Gruppe bestehend aus drei Mitgliedern. Ob die so vertrauenswürdig sind?...

  6. 14.

    Ich zitiere für Sie aus dem Artikel:
    "Die Staatsanwaltschaft hält aber den über rechtsextremistische Chatgruppen aufgespürten Angeklagten für den alleinigen Täter. Der anfängliche Verdacht, Polizeibeamte könnten an der Datenabfrage beteiligt gewesen sein, habe sich nicht bestätigt. Der Angeklagte habe die Daten erlangt, indem er vorgegeben habe, Bediensteter einer Behörde zu sein."

    Was hingegen die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner dem SPIEGEL gegenüber behauptete, sind unbewiesene Verschwörungstheorien.

  7. 13.

    Klar, logisch. Kennen sie noch Piggeldy und Frederick? „Nichts leichter als das, komm mit.“

    Ich gebe mich am Telefon als Polizist aus "Tach Kollege, gibste mit mal die Meldeadresse von..." Wie naiv muß man sein um das glauben zu wollen?

    „Und Piggeldy ging mit Frederick nach Hause“.

  8. 12.

    Klar, logisch. Kennen sie noch Piggeldy und Frederick? „Nichts leichter als das, komm mit.“

    Ich gebe mich am Telefon als Polizist aus "Tach Kollege, gibste mit mal die Meldeadresse von..." Wie naiv muß man sein um das glauben zu wollen?

    „Und Piggeldy ging mit Frederick nach Hause“.

  9. 11.

    Klar, logisch. Kennen sie noch Piggeldy und Frederick? „Nichts leichter als das, komm mit.“

    Ich gebe mich am Telefon als Polizist aus "Tach Kollege, gibste mit mal die Meldeadresse von..." Wie naiv muß man sein um das glauben zu wollen?

    „Und Piggeldy ging mit Frederick nach Hause“.

  10. 10.

    "Offenbar ist im Prozess nicht geklärt worden, wie er an die Polizeiauskünfte gekommen ist."

    Da steht: "Der Angeklagte habe die Daten erlangt, indem er vorgegeben habe, Bediensteter einer Behörde zu sein. Er ist (...) schon einmal rechtskräftig verurteilt worden, weil er sich fälschlich als Kriminalbeamter ausgegeben hatte."

    Noch Fragen?

  11. 9.

    "Offenbar ist im Prozess nicht geklärt worden, wie er an die Polizeiauskünfte gekommen ist. Da mauert jemand."

    Und jeder weiß wer mauert. Alles Einzelfälle wie der Berliner Polizist der in einer rechtsextremen Chatgruppe Mitglieder der rechtsextremen AfD informiert oder der Berliner LKA Polizist mit engsten Verbindungen in die rechtsextremistischen Szene, was erst durch Journalisten aufgeflogen ist oder der Berliner Polizist der mit Hilfe seiner Frau die auch Polizistin ist Todeslisten erstellt und Drohungen verschickt und noch immer bei der Polizei arbeiten.

    Wie gesagt, alles Einzelfälle!

    Aber da muß man sich nicht wundern warum die rechtsextremistische Terrorserie in Neukölln noch immer nicht aufgeklärt ist.

  12. 8.

    Ach ja, man muss es immer wiederholen: Es sind keine seriösen Ermittlungsergebnisse zu erwarten, muss die Polizei gegen sich selbst ermitteln. Dazu braucht man keinen Hauptschulabschluss. Ist das Ergebnis einer Struktur. Im Moment empört man sich über die, die das nüchtern so feststellen. Als würden die die Skandale produzieren, die wiederum das Ergebnis der Struktur sind. Alle Hühnern rum und reden, als wäre "Die Polizei" ein Subjekt, das nun beleidigt, mit Misstrauen überhäuft werde...ist natürlich alles Quatsch.
    Beschwerde- und Ermittlungsbehörde nach britischem Vorbild. Tatsächlich personell-strukturell unabhängig von Polizei. Polizeibeamte, gar Polizeipräsidenten werden nicht deren Personal. Schon werden nicht mehr strukturell all jene Polizeibeamte beleidigt, die ihren Job ja überwiegend anständig machen. Wieso müssen die eigentlich dauernd für die schwarzen Schafe unter ihnen büssen? Verstehe ich auch die Logik der Polizeigewerkschaften nicht. Ist doch Katastrophenstruktur.

  13. 7.

    Rummms - heftiges Urteil. Aber generalpräventiv möglicherweise wirklich notwendig. Diese Form von kleinteiligem, alltäglichem Terror...bei dem die Opfer über lange Zeiträume und vielleicht immer in ihrem Alltagsvertrauen zerstört werden...muss grosse gesellschaftliche Ächtung erfahren. Eine der wenigen Urteile wo man sagen kann: Hier ist vom Opfer und den Opfern her geurteilt worden. Die den Schutz vor Tätern brauchen, die lange schon mit der Selbstverständlichkeit arbeiten ihnen passiere nichts, es sei ja auch Satire, oder "Meinung" und sowieso sind sie es nicht gewesen...
    Zusammen mit der heute digital so einfach für Jedermann herstellbaren Öffentlichkeit, stellt die Straflosigkeit ein hohes Sicherheitsrisiko dar. Schon das Künast-Urteil war wichtig. Bestürzend nur, wie lange es dauert hierüber einen gesellschaftlichen Konsens zu erreichen. Der eigentlich keine Gerichtsurteile brauchen sollte.

  14. 6.

    "Offenbar ist im Prozess nicht geklärt worden, wie er an die Polizeiauskünfte gekommen ist. Da mauert jemand."

    Und jeder weiß wer mauert. Alles Einzelfälle wie der Berliner Polizist der in einer rechtsextremen Chatgruppe Mitglieder der rechtsextremen AfD informiert oder der Berliner LKA Polizist mit engsten Verbindungen in die rechtsextremistischen Szene, was erst durch Journalisten aufgeflogen ist oder der Berliner Polizist der mit Hilfe seiner Frau die auch Polizistin ist Todeslisten erstellt und Drohungen verschickt und noch immer bei der Polizei arbeiten.

    Wie gesagt, alles Einzelfälle!

    Aber da muß man sich nicht wundern warum die rechtsextremistische Terrorserie in Neukölln noch immer nicht aufgeklärt ist.

  15. 5.
    Antwort auf [Jan] vom 17.11.2022 um 15:25

    Nicht ganz richtig, der Täter ist überführt UND es laufen noch Mittäter frei herum.

    »Meiner Ansicht nach wurde nicht mit der notwendigen Akribie ausermittelt«, sagt die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner dem SPIEGEL. Auch sie bekam »NSU 2.0«-Drohmails. Sobald es darum gehe, dass auch Polizeibeamte und Beamtinnen von Ermittlungen betroffen seien, entstünden Lücken, die nur »mit mangelndem Aufklärungsinteresse« zu erklären seien.

    »Fakt ist, dass es hessische Polizeibeamt:innen gegeben hat, die sich illegal Zugang zu persönlichen Daten verschafft haben, und Fakt ist auch, dass es Drohnachrichten via Fax gegeben hat, die aus hessischen Polizeirevieren verschickt wurden«, so Renner.

  16. 4.

    "Offenbar ist im Prozess nicht geklärt worden, wie er an die Polizeiauskünfte gekommen ist. Da mauert jemand."

    Und jeder weiß wer mauert. Alles Einzelfälle wie der Berliner Polizist der in einer rechtsextremen Chatgruppe Mitglieder der rechtsextremen AfD informiert oder der Berliner LKA Polizist mit engsten Verbindungen in die rechtsextremistischen Szene, was erst durch Journalisten aufgeflogen ist oder der Berliner Polizist der mit Hilfe seiner Frau die auch Polizistin ist Todeslisten erstellt und Drohungen verschickt und noch immer bei der Polizei arbeiten.

    Wie gesagt, alles Einzelfälle!

    Aber da muß man sich nicht wundern warum die rechtsextremistische Terrorserie in Neukölln noch immer nicht aufgeklärt ist.

  17. 3.
    Antwort auf [Jan] vom 17.11.2022 um 15:25

    Der Rechtsextreme wurde nicht angehext, sondern schuldig gesprochen, darunter für öffentliches Auffordern zu Straftaten, Bedrohung, Beleidigung, Nötigung, Störung des öffentlichen Friedens und Volksverhetzung.

  18. 2.

    Offenbar ist im Prozess nicht geklärt worden, wie er an die Polizeiauskünfte gekommen ist. Da mauert jemand.
    Hoffentlich hat das Urteil bei einer etwaigen Berufung Bestand.

  19. 1.

    6 Jahre Gefängnis sind für Menschen die so etwas tun noch viel zu wenig !! Außerdem wird auch in solchen Fällen immer noch viel zu selten konsequent gehandelt .

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