Ehemaliges Konzentrationslager - Anwohner drängen auf neues Verkehrskonzept rund um Gedenkstätte Sachsenhausen
Bis zu 700.000 Besucher pro Jahr zählt die Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg. Der Busverkehr dorthin führt quer durch ein Wohngebiet. Anwohnerinitiativen kämpfen seit Jahren um eine Verkehrsberuhigung. Von Karsten Zummack
Ein großer Reisebus poltert über das Kopfsteinpflaster der Straße der Nationen. Der Weg Richtung Gedenkstätte führt quer durch ein Wohngebiet. So geht das den ganzen Tag über, beklagt Christian Wollank. Der 42-Jährige wohnt im benachbarten - ebenfalls vom Busverkehr betroffenen - Schäferweg und hat bereits vor fünf Jahren eine Anwohnerinitiative (AWI) gegründet.
Anwohnerinitiative will Verkehrsberuhigung
"Die Straßen sind nicht ausgebaut für den Busverkehr", sagt Wollank und deutet mit der Hand auf den Wegesrand. Hier gibt es keinen Bürgersteig. Deshalb sei es durchaus gefährlich, sich auf den Straßen zu bewegen. Darüber hinaus beklagt er die Lärmbelästigung rund um die Gedenkstätte. "Die anderen Nachbarn in der Straße der Nationen klagen über Erschütterungen und auch Risse in den Häusern. Da klappert das Geschirr in den Vitrinen, auch in der zweiten Reihe", so Wollank.
Zustände, die nach Meinung seiner Initiative so nicht bleiben können. Deshalb kämpfen Christian Wollank und seine Mitstreiter seit Jahren schon um eine Verkehrsberuhigung vor den eigenen Haustüren. Beim ehemaligen Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch, blitzten die Anwohner mit ihrem Ansinnen klar ab. Dessen Nachfolger Axel Drecoll, seit vier Jahren im Amt, hingegen zeigt sich kompromissbereit.
Kompromissvorschlag der Gedenkstätten-Stiftung
Dabei stellt Drecoll unmissverständlich klar, dass es hier nicht um eine normale Diskussion um ein Verkehrskonzept handelt. An einer KZ-Gedenkstätte ist auch so etwas ein sensibles Thema. "Hier ist es schon unter sehr besonderen Vorzeichen, weil es ein historischer Tatort von internationaler Bedeutung ist, der für zigtausendfache Massenverbrechen steht", erklärt der Stiftungsdirektor.
So scheint weder für ihn noch für die Opferverbände verhandelbar, dass die zahlreichen Besucher der Gedenkstätte weiterhin über den einstigen Weg der Häftlinge auf das KZ-Gelände gelangen sollen. Trotzdem hat Drecoll jetzt einen Kompromiss angeboten. Der sieht vor, dass etwas abseits auf einer derzeitigen Brache ein neuer Parkplatz für Reisebusse entstehen könnte. Der Halte- und Wendepunkt würde etwa 200 Meter verlegt werden. Damit hätten die Anwohner der Straße der Nationen und des Schäferwegs deutlich mehr Ruhe. Die Kosten werden mit 4,5 Millionen Euro veranschlagt.
Rote Kreuze an Gartenzäunen
Doch unumstritten ist auch diese Variante in der Umgebung der Gedenkstätte nicht. Kaum lag der Kompromiss auf den Tisch, gründete sich rund um die Hans-von-Dohnanyi-Straße eine neue, zweite Anwohnerinitiative (IAG). An vielen Gartenzäunen hier hängen rote Kreuze als Protest gegen eine Verlagerung des Reisebusverkehrs vor die eigenen Häuser.
Guido Illgen, einer der IAG-Sprecher, zeigt eine Landkarte, auf der der Kompromissvorschlag aufgezeichnet ist. Gleich in unmittelbarer Nachbarschaft soll demnach eine Grünfläche verschwinden. Hier soll ein Wendehammer für Reisebusse inklusive Aussteige-Haltestelle gebaut werden. "Das wollen wir auf dieser schönen Grünfläche nicht haben. Es wäre eine zusätzliche Belastung und ein Einschnitt in die Lebensqualität", kritisiert Illgen.
Wenn zwei sich streiten…
In Sachsenhausen kursieren nun bei den beiden Anwohnerinitiativen zwei neue Alternativvorschläge. Der eine – von der AWI favorisiert – sieht vor, dass die Gedenkstättenbesucher noch etwas weiter entfernt an der größeren Bernauer Straße aussteigen. Die IAG hingegen möchte in der Straße der Nationen das Kopfsteinpflaster durch Asphalt ersetzen. Diese Lösung müsste allerdings die Stadt Oranienburg bezahlen. Ansonsten dürften die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten sowie das Land Brandenburg das letzte Wort haben.
Unstrittig scheint lediglich der Bau eines neuen Parkplatzes. Über welchen Weg die Reisebusse ihre Gäste zur KZ-Gedenkstätte künftig bringen, ist aber weiter in der Schwebe. "Man wird aller Voraussicht nach keine Lösung finden, die alle gleichermaßen zufriedenstellen kann", betont Stiftungsdirektor Axel Drecoll. Notfalls werde die "Diskussion wieder auf null gestellt", will heißen: Alles bliebe so wie es ist.
Sendung: Brandenburg Aktuell, 01.11.2022, 19:30 Uhr