Ehemaliges Konzentrationslager - Anwohner drängen auf neues Verkehrskonzept rund um Gedenkstätte Sachsenhausen

Mi 02.11.22 | 07:27 Uhr | Von Karsten Zummack
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Besucher auf dem Weg in die Gedenkstätte Sachsenhausen. (Quelle: imago images/Jürgen Ritter)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 01.11.2022 | Karsten Zummack | Bild: imago images/Jürgen Ritter

Bis zu 700.000 Besucher pro Jahr zählt die Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg. Der Busverkehr dorthin führt quer durch ein Wohngebiet. Anwohnerinitiativen kämpfen seit Jahren um eine Verkehrsberuhigung. Von Karsten Zummack

 

Ein großer Reisebus poltert über das Kopfsteinpflaster der Straße der Nationen. Der Weg Richtung Gedenkstätte führt quer durch ein Wohngebiet. So geht das den ganzen Tag über, beklagt Christian Wollank. Der 42-Jährige wohnt im benachbarten - ebenfalls vom Busverkehr betroffenen - Schäferweg und hat bereits vor fünf Jahren eine Anwohnerinitiative (AWI) gegründet.

Anwohnerinitiative will Verkehrsberuhigung

"Die Straßen sind nicht ausgebaut für den Busverkehr", sagt Wollank und deutet mit der Hand auf den Wegesrand. Hier gibt es keinen Bürgersteig. Deshalb sei es durchaus gefährlich, sich auf den Straßen zu bewegen. Darüber hinaus beklagt er die Lärmbelästigung rund um die Gedenkstätte. "Die anderen Nachbarn in der Straße der Nationen klagen über Erschütterungen und auch Risse in den Häusern. Da klappert das Geschirr in den Vitrinen, auch in der zweiten Reihe", so Wollank.

Zustände, die nach Meinung seiner Initiative so nicht bleiben können. Deshalb kämpfen Christian Wollank und seine Mitstreiter seit Jahren schon um eine Verkehrsberuhigung vor den eigenen Haustüren. Beim ehemaligen Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch, blitzten die Anwohner mit ihrem Ansinnen klar ab. Dessen Nachfolger Axel Drecoll, seit vier Jahren im Amt, hingegen zeigt sich kompromissbereit.

Kompromissvorschlag der Gedenkstätten-Stiftung

Dabei stellt Drecoll unmissverständlich klar, dass es hier nicht um eine normale Diskussion um ein Verkehrskonzept handelt. An einer KZ-Gedenkstätte ist auch so etwas ein sensibles Thema. "Hier ist es schon unter sehr besonderen Vorzeichen, weil es ein historischer Tatort von internationaler Bedeutung ist, der für zigtausendfache Massenverbrechen steht", erklärt der Stiftungsdirektor.

So scheint weder für ihn noch für die Opferverbände verhandelbar, dass die zahlreichen Besucher der Gedenkstätte weiterhin über den einstigen Weg der Häftlinge auf das KZ-Gelände gelangen sollen. Trotzdem hat Drecoll jetzt einen Kompromiss angeboten. Der sieht vor, dass etwas abseits auf einer derzeitigen Brache ein neuer Parkplatz für Reisebusse entstehen könnte. Der Halte- und Wendepunkt würde etwa 200 Meter verlegt werden. Damit hätten die Anwohner der Straße der Nationen und des Schäferwegs deutlich mehr Ruhe. Die Kosten werden mit 4,5 Millionen Euro veranschlagt.

Rote Kreuze an Gartenzäunen

Doch unumstritten ist auch diese Variante in der Umgebung der Gedenkstätte nicht. Kaum lag der Kompromiss auf den Tisch, gründete sich rund um die Hans-von-Dohnanyi-Straße eine neue, zweite Anwohnerinitiative (IAG). An vielen Gartenzäunen hier hängen rote Kreuze als Protest gegen eine Verlagerung des Reisebusverkehrs vor die eigenen Häuser.

Guido Illgen, einer der IAG-Sprecher, zeigt eine Landkarte, auf der der Kompromissvorschlag aufgezeichnet ist. Gleich in unmittelbarer Nachbarschaft soll demnach eine Grünfläche verschwinden. Hier soll ein Wendehammer für Reisebusse inklusive Aussteige-Haltestelle gebaut werden. "Das wollen wir auf dieser schönen Grünfläche nicht haben. Es wäre eine zusätzliche Belastung und ein Einschnitt in die Lebensqualität", kritisiert Illgen.

Wenn zwei sich streiten…

In Sachsenhausen kursieren nun bei den beiden Anwohnerinitiativen zwei neue Alternativvorschläge. Der eine – von der AWI favorisiert – sieht vor, dass die Gedenkstättenbesucher noch etwas weiter entfernt an der größeren Bernauer Straße aussteigen. Die IAG hingegen möchte in der Straße der Nationen das Kopfsteinpflaster durch Asphalt ersetzen. Diese Lösung müsste allerdings die Stadt Oranienburg bezahlen. Ansonsten dürften die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten sowie das Land Brandenburg das letzte Wort haben.

Unstrittig scheint lediglich der Bau eines neuen Parkplatzes. Über welchen Weg die Reisebusse ihre Gäste zur KZ-Gedenkstätte künftig bringen, ist aber weiter in der Schwebe. "Man wird aller Voraussicht nach keine Lösung finden, die alle gleichermaßen zufriedenstellen kann", betont Stiftungsdirektor Axel Drecoll. Notfalls werde die "Diskussion wieder auf null gestellt", will heißen: Alles bliebe so wie es ist.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 01.11.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Karsten Zummack

20 Kommentare

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  1. 20.

    Jetzt haben Sie aber die „Mentalitätsfrage“ auf den Kopf getroffen....

  2. 19.

    Ich stimmen Ihnen in keinem einzigen Punkt zu. Die Behauptung moderne Flughäfen müssten irgendwo im Nichs gebaut werden, ist schlicht und einfach falsch und ökologisch unsinnig. Die angeblich ach so schnelle Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist eine Illusion. Aufgrund der Größe Berlins ist der bestehende Flughafen schon sehr weit vom Zentrum entfernt.

  3. 18.

    Entschuldigung, aber Sie wirken auf mich genau so intolerant, wie Sie es "den Brandenburgern" vorwerfen. Die dürfen gerne die Probleme und Unannehmlichkeiten haben, die es in Berlin baulich bedingt nicht geben kann. Sie wollen bestimmen, wie deren Lebensqualität auszusehen hat, weil Sie ja nicht davon betroffen sind. Das reißt eben genau diese Kluft, die Sie abstreiten zu graben. Die "Landeier" sind eben nicht ausschließlich zur Versorgung der Städter da.
    Der Flughafen steht an der falschen Stelle. Der jetzige Standort war einer politische Entscheidung und dabei die schlechteste aller Optionen. Er hätte, wie in fast allen anderen Hauptstädten weit nach draußen gehört, mit Expressanbindung. Oslo, Stockholm, Wie, Paris sind gute Beispiele, wie es richtig geht. Ein Hauptstadtflughafen, der nicht 24 Stunden am Tag in Betrieb ist, ist ein Armutszeugnis. Auch wir Berliner dürfen mal akzeptieren, dass nicht alles in Gehreichweite sein kann.

  4. 17.

    Thema verfehlt, Reisebusse haben mit der S-Bahnstation wenig zu tun.
    Und wozu ist der öffentliche Nahverkehr sonst da?
    Laufen kann man, muss man aber nicht.
    Und warum nicht gleich die Gedenkstätte schliessen? Problem ideal gelöst.

  5. 16.

    Die fordern ernsthaft, das historische Kopfsteinpflaster zu asphaltieren?

  6. 15.

    Lieber Steffen, die Gräben zwischen Berlin und Brandenburg habe nicht ich aufgerissen, und auch die restlichen Berliner zeigen sehr viel mehr Toleranz gegenüber unseren Besuchern aus dem Umland als umgekehrt. Genauer: Es ist uns egal, wo jemand wohnt, wenn die Person sich vernünftig verhält. Nun würden einige Speckgürtelbewohner gerne sehen, dass die Hauptstädter mehr als 100 km zu ihrem Flughafen anreisen, und wenn sich ein Windrad in ihrer Nähe dreht, ist das auch zu laut. Und wenn Putin nicht nur ein Land überfällt, sondern auch eine Energiekrise herbeiführt, dann laufen zahlreiche unserer Nachbarn mit Russlandfahnen auf und ab und sprechen geradezu Unfassbares in Mikrofone, während Flüchtlinge aus der Ukraine sich dort nicht sicher fühlen können. Natürlich gilt das nicht für alle Brandenburger, aber das ist insgesamt nicht die Nachbarschaft, die ich mir wünsche.

  7. 14.

    Lieber Wossi, Ihre Beiträge im hiesigen Forum sind mir wohlbekannt. Insofern weiß ich das einzuordnen. Alles gut, und ich habe kein Problem damit, wenn meine ehrliche Meinung etwas über mich aussagt. Es geht nicht um eine Einteilung nach Wohngebieten, sondern um Mentalitätsfragen. Und da gibt es definitiv erhebliche Unterschiede zwischen Brandenburg und Berlin.

  8. 13.

    Es ist unsinnig, aus diesem Thema wieder eine Front Städter gegen Kleinstädter/Landbewohner aufzumachen und sich vollkommen überheblich über jene moralisch erheben zu wollen. Das Bedürfnis über geordnete Zustände und geringstmögliche Störung besteht hier wie da. Mit derlei Vorurteilen kann man sich nur in die Nesseln setzen, weil man schnell und berechtigt von der Gegenseite den Spiegel vorgehalten bekommt und einem die eigene Intoleranz aufgezeigt wird.
    Wenn es dort vor Ort eine Möglichkeit zur Verbesserung der allgemeinen Situation gibt, dann sollte sie auch ergriffen werden und darüber diskutiert werden. Am Ende gibt es aber immer jemanden, der sich an der geplanten Lösung stört. Es ist dann Aufgabe der Demokratie, eine Güterabwägung zu treffen und einen Kompromiss zu finden, der die kleinste Beeinträchtigung darstellt. Nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht sieht der Kompromiss dann auch ganz anders aus und der Fußweg für die Besucher wird noch länger. Auch das wäre möglich.

  9. 12.

    "Ja, wir nehmen gerne die Arbeitsplätze, aber bitte keine Starts und Landungen über unserem Wohngebiet!"
    Wollen Sie in der verlogenen Standortfrage schmökern um zu erkennen: Der Politik waren die Leute egal.
    "Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus? Wenn's denn sein muss, aber bitte keinerlei Lärmbelästigung deswegen!"
    Warum haben Sie eine solch falsche Wahrnehmung?
    Ihre weiteren Ausführungen teilen die Menschen auf: In Stadt/Land und Gut/Böse. Darauf sollte man nicht eingehen. Es sagt aber über Sie etwas aus, was Sie besser nicht hören wollen.

  10. 11.

    "So scheint weder für ihn noch für die Opferverbände verhandelbar, dass die zahlreichen Besucher der Gedenkstätte weiterhin über den einstigen Weg der Häftlinge auf das KZ-Gelände gelangen sollen."
    Das Wörtchen "scheint" kann man genauer untersuchen. Denn es ist gerade das Umgekehrte für Überlebende auch möglich und wurde bei Besuchen vereinzelt gehört/geäußert diesen Weg in Freiheit und Würdigung zu gehen. So gedacht ergeben sich sogar Gestaltungsvarianten der Würdigung. Wenn man das repräsentativ erhebt?

  11. 10.

    Mein Opa (beim Zoll gearbeitet), nach dem Krieg inhaftiert, kam von dort auch nicht mehr zurück. Meine Mutter hat dort einen Schrebergarten. Glauben Sie mir, der Streit muss ausgetragen werden und ist nicht der schlechteste Weg.

  12. 9.

    Eigentlich ein ganz normaler Vorgang in Brandenburg. Flughafen? Ja, wir nehmen gerne die Arbeitsplätze, aber bitte keine Starts und Landungen über unserem Wohngebiet! Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus? Wenn's denn sein muss, aber bitte keinerlei Lärmbelästigung deswegen! Wenn Menschen nicht über den eigenen kleinen Tellerrand hinausschauen können und nur in ihrem kleinen Ego-Universum leben, entstehen gesellschaftliche Zustände, die uns leider tagtäglich beschäftigen. Als Berliner Innenstadtbewohner ist mir der Anspruch dieser Landbewohner auf ein völlig ungestörtes Leben komplett unverständlich. Dazu kommt, dass genau diese Leute oftmals keinerlei Probleme damit haben, in Berlin ihrem Lebensunterhalt nachzugehen und damit massiv zu höherem Verkehrs- und Lärmaufkommen beizutragen. Ich selbst habe damit auch keine Probleme, weil das nun einmal unvermeidbare Belastungen sind. Leider aber haben einige Landbewohner den Zusammenhang von Geben und Nehmen gar nicht verstanden.

  13. 8.

    Wer sich ein Haus oder Grundstück in dieser Nähe billig gekauft hat, sollte auch mit bestimmten Nachteilen rechnen.
    Die Geschichte kann auch einen Viertel verschmutzen.

  14. 7.

    Mein Opa wurde in dieses Lager auf nie mehr wiedersehen verschleppt, und nun haben die "armen" Anwohner deswegen eine Unannehmlichkeit, da ist man den Tränen nahe.

  15. 6.

    Also ich bin mit der Schule auch auf Ausflüge gegangen. Mit der BVG. Auch Touristengruppen kann man es zumuten mal die Öffis zu nehmen. Hat meine Reisegruppe in Italien letztes Jahr zum Beispiel so gemacht um von Neapel zum Vesuv zu kommen. Warum man jetzt bis zum Eingang des KZ mit dem Bus fahren muss erschließt sich mir nicht.

  16. 5.

    Wer so argumentiert will keine Lösung, sondern polarisierende Konfrontation. Die Verknüpfung mit dem Leidensweg hat eskalierenden Charakter, spricht dies doch Betroffenen Rechte ab, die mit Moral Nichtbetroffener so verknüpft werden, als wenn die "schlechtere" Menschen seien und schon allein deshalb nicht mitreden dürfen. Lösungen ergeben sich oftmals auch im Streit. So wird es hier auch sein.

  17. 4.

    - Wer nach Entstehen der Gedenkstätte dort gebaut hat oder hingezogen ist, wusste um die Bedeutung von Gedenkstätte und deren Umgebung. Einen Anspruch auf Protest haben m.E. nur Altanlieger.

    - Bei einem Ort von internationaler Bedeutung kann man sicherlich keine Besucherreglementierung wie für Kreuzfahrer zu touristischen Zielen wie Venedig oder Santorini aussprechen.

  18. 3.

    Dies ist eine typische NIMBY-Diskussion! Wurden die zukünftigen Opfer denn im Bus ins Lager gefahren und wie kann man den Erhalt einer Rasenfläche mit dem Leidensweg bis zum Todeslager als wichtiger erachten ? Eine typische Wohlstandsfrage! Man kann den Besuchern doch zumuten den Weg zu Fuß zu absolvieren. Das würde zumindest auf das einstimmen, was da noch kommt! Kz-besuch ja, aber dann bitte komfortabel

  19. 2.

    Die meisten Besuchergruppen kommen nun mal per Bus - nicht vom S-Bahnhof, sondern per REISEbus aus ihren Unterkünften in Berlin, oder direkt aus ihren Wohnorten - z.B. Schulklassen ...

  20. 1.

    Braucht es für 2.2km vom S-Bhf wirklich Busse? Die allermeisten Besucher werden ja wohl nicht gehbehindert sein.

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