Interview | Can Dündar zur Wahl in der Türkei - "Wenn Erdogan die Wahl verliert, sitze ich im ersten Flugzeug"

Fr 12.05.23 | 14:01 Uhr
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Can Dündar, türkischer Journalist, sitzt am 21.04.2023 im Dinnersaal beim 70. Bundespresseball "Für die Pressefreiheit" im Hotel Adlon Kempinski. (Quelle: dpa-Pool/Monika Skolimowska)
Video: Die Türkei vor der Wahl – Ein Blick aus dem Exil | 07.05.2023 | Petra Dorrmann | Bild: dpa-Pool/Monika Skolimowska

Demokratie oder Autokratie? Die Türkei hat am 14. Mai die Wahl. Der türkische Journalist Can Dündar hofft auf eine deutliche Niederlage von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Auch weil er endlich in seine Heimat zurückkehren will.

Seit sieben Jahren lebt Can Dündar, der ehemalige Chefredakteur der türkischen Zeitung "Cumhuriyet" in Berlin im Exil.

2015 hatte die Zeitung über Waffenlieferungen der Türkei an Islamisten in Syrien berichtet. Diese Meldung sorgte weltweit für Aufsehen. Dündar wurde in der Türkei wegen Spionage und Terrorpropaganda angeklagt und zeitweise festgenommen. Daraufhin verließ er das Land. In Abwesenheit wurde Dündar später zu 25 Jahren Haft wegen Geheimnisverrats verurteilt.

Dündar hofft nun, dass Erdogan die Wahl verliert und in die Türkei zurückkehren kann. Am Maxim-Gorki-Theater, wo seine Zelle nachgebaut ist, gab Dündar dem rbb ein Interview.

rbb|24: Was erhoffen Sie sich von dieser bevorstehenden Wahl?

Can Dündar: Die Türkei steht am Rande einer Revolution oder Konterrevolution. Und die Türkei wird am 14. Mai zwischen Demokratie und Autokratie entscheiden. Unsere ganze Hoffnung ist eine totale Niederlage Erdogans. Aber ehrlich gesagt, hat jeder Zweifel und Fragezeichen, ob Erdogan bereit sein wird, die Macht einfach abzugeben. Wie Sie wissen, sind viele Autokraten nicht bereit, friedlich zu gehen. Sie wollen an der Macht bleiben. Deshalb braucht es eine echte Mehrheit. Dann wäre es nicht so einfach, die Armee oder die Polizei gegen den Willen des Volkes zu mobilisieren.

Erdogan führt die Türkei seit mehr als 20 Jahren - zunächst als Premier, seit 2014 als Präsident. Wie blicken Sie auf diese Zeit?

Dies waren die dunkelsten Zeiten in meinem Leben. Ich war Chefredakteur einer Zeitung und habe durch ihn alles verloren. Meine Freiheit, mein Haus, mein Vermögen. Ich lebe fern meiner Familie und musste hier in Berlin von vorn anfangen. Als Erdogan an die Macht kam, erlebten ich und viele meiner Kollegen und Freunde erstmals Angriffe, Gefängnis, Exil, Zensur. Erdogan kontrolliert die Armee, die Polizei, die Justiz, die Medien, das Kapital, die Universitäten, die Zivilgesellschaft, die Straßen, alles. Die Türkei ist ein totalitärer Staat ohne Platz für eine Zivilgesellschaft, freie Medien oder unabhängige Justiz. Seit Jahren hat die Türkei das größte Gefängnis für Journalisten. Ich hatte Glück, dass ich nur drei Monate in der Zelle verbracht habe. Aber es gibt viele Leute, die seit Jahren dort sind und das ohne jeden Grund.

Als Erdogan am Anfang die Regierung übernahm, sahen viele in ihm einen Hoffnungsträger. Wie ist das zu erklären?

Am Anfang hat er einen Engel gespielt. Er versprach ein Ende der Folter, die Wiederherstellung von Demokratie, Frieden und die Neuansiedlung der türkischen Institutionen. Viele Liberale unterstützen ihn, weil sie das politische Engagement der Armee satt hatten. Sie dachten, dass ein junger Islamist, der bereit war, Kompromisse mit Europa einzugehen, eine Lösung für die türkische Demokratie wäre.

Haben Sie ihm damals geglaubt?

Ich hätte ihm gerne geglaubt. Ich wusste aber schon damals, dass er beispielsweise als Bürgermeister in Istanbul erklärt hat, dass er ein Islamist ist und dass für ihn der Islam mit der Demokratie nicht zurechtkommt.

Wann war der Wendepunkt in seiner Politik?

Ich denke, der Wendepunkt sind die Gezi-Proteste im Jahr 2013 gewesen. Zum ersten Mal erkannte er, dass Millionen gegen ihn sind und er seine Macht verlieren kann. Deshalb entschied er sich für mehr Druck. Er baute das größte Gefängnis Europas auf und brachte viele seiner Gegner in dieses Gefängnis und versuchte, sie alle zum Schweigen zu bringen.

Und doch hat er nach wie vor viele Anhänger?

Natürlich mögen manche Leute starke Führungskräfte. Ich kann es nicht verallgemeinern, aber es ist wahr, mindestens die Hälfte der Menschen, die in der Türkei leben, unterstützen ihn und seine starke radikale Politik.

Auch aus politisch heiklen Positionen hat er sich immer wieder befreien können – wie ist das zu erklären?

Erdogan ist ein Politiker, der in der Lage ist, Krisen in Chancen zu verwandeln. Als er nach den Gezi-Park-Protesten in die Enge getrieben wurde, haben ihm die Flüchtlinge, das politische Leben gerettet. Und dann, als er wieder im Niedergang war, gab ihm der Krieg in der Ukraine eine weitere Chance, mit den Europäern zu verhandeln, weil er gute Kontakte zu Putin und zu Selensky hatte.

Manche Leute sagen, dass das Erdbeben Erdogan die Wahl kostet?

Nun, das Erdbeben war die größte Katastrophe, die die Türkei je erlebt hat, und auch Erdogans größtes Versagen, weil mehr als 50.000 Menschen bei diesem Erdbeben starben, weil die Regierung es versäumt hat, ihnen zu helfen. Und doch hat Erdogan in dieser Gegend nach wie vor viele Unterstützer. Wenn Sie sich die Meinungsumfragen dieser Städte ansehen, können Sie keine radikale Änderung in den Einstellungen der Menschen feststellen.

Und doch haben Sie Hoffnung?

Ja, ich habe Hoffnungen, weil ich denke, dass die Leute in den letzten zwei Jahrzehnten wirklich viel gelernt haben. Und doch nichts ist sicher bei dieser Wahl.

Viele junge Leute, ein Großteil der jungen Generation, zieht aus der Türkei weg. Wären Sie mit dem 74-jährigen Kemal Kilicdaroglu, dem Hoffnungsträger des Oppositionsbündnisses, zufrieden?

Ich habe einen Sohn im Alter von 27 Jahren. Er hat bisher keinen anderen Politiker als Erdogan an der Macht gesehen. Er und viele seiner Generation sind bereit, jeden anderen willkommen zu heißen, egal in welchem Alter er oder sie ist. Wir brauchen jemanden, der die Vision und die Autorität hat, alle zu umarmen - nach einer so langen Phase des Hasses.

Wenn Erdogan die Wahl verliert, würden sie sofort zurückkehren?

Mein Gepäck ist immer gepackt - quasi für die sofortige Rückkehr. Wenn Erdogan am kommenden Sonntag die Wahl verliert, möchte ich am Morgen des 15. Mai im ersten Flugzeug sitzen. Seit den vergangenen sieben Jahren warte ich auf diesen Moment. Natürlich wird es nicht so einfach sein, das Land wieder aufzubauen. Wir müssen das Land reformieren und lernen, wieder zusammenzuleben. Und in meinem konkreten Fall: Ich muss auf eine Reform des Justizsystems warten – eine Amnestie für politisch Verurteilte.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Petra Dorrmann für "title, thesen, temperamente" (rbb).

Sendung: titel, thesen, temperamente (rbb), Das Erste, 07.05.23, 23:05 Uhr

26 Kommentare

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  1. 26.

    "Ja, das hat der Egon Bahr gesagt. Aber er hat damit nicht gemeint, dass Demokratie und Menschenrechte keine Rolle spielen. " Ich habe ihn so verstanden, daß er genau das damit sagen wollte, daß Demokratie und Menschenrechte keine Rolle spielen in der internationalen Politik - bin da aber für eine Diskussion offen.

  2. 25.

    Ich wüßte nicht,daß die AfD hier die Macht hat,Leute ohne konkrete Anklagen und Prozesse inhaftieren zu lassen,die Presse gleichzuschalten und Leute aus dem öffentlichen Dienst,Beamte von ihren Posten zu entheben.Auch werden Bundesbürger im Ausland wohl selten auf Anweisung der AfD bedroht oder zurück geholt.Und davon mal abgesehen geht es hier um die Türkei und den Autokraten Erdogan.

  3. 24.

    Manche haben offenbar übersehen, dass in Brandenburg die AfD stärker und stärker wird. Dass es immer wieder von Rechten rassistische Angriffe gibt, zuletzt wurde eine Berliner Schulklasse angefeindet weil einige Mädchen Kopftuch getragen haben. Kehrt mal vor der eigenen Tür.

  4. 23.

    Warst Du jemals in der Türkei? Und es ist übergriffig Deinem Nachbarn sein Wahlrecht untersagen zu wollen. Die Türkei lässt Türken in aller Welt wählen. Das ist Demokratie.

  5. 22.

    Was verstehst Du unter „weltoffen“? Bzw. warum ist die Türkei es Deiner Meinung nach, nicht?

  6. 21.

    Auch bei einem Machtwechsel glaube ich nicht an einen umfassenden Politikwechsel hin zu einer weltoffenen Türkei.

  7. 20.

    Ja, das hat der Egon Bahr gesagt. Aber er hat damit nicht gemeint, dass Demokratie und Menschenrechte keine Rolle spielen.
    Es ist ein Plädoyer für eine emanzipierte Öffentlichkeit. Für Menschen, die die Rethorik von Regierungen durchschauen.
    Die wissen und einen Begriff davon haben - dass es für sie selbst, ihre Nachbarn sehr wohl um Demokratie und Menschenrechte geht. Jeden Tag. In jedem Moment. Überall.
    Sich füreinander interessieren. Nicht für die Rethorik von Macht. Die Macht bleiben will. Dafür Nachbarn zu Feinden macht. Geflüchtete zu Tätern. Den Anderen zum Unberechtigten.
    Deshalb interessiere ich mich (auch) seit mehr als 40 Jahren für meine Nachbarn. Die eigentümlicher Weise einen Präsidenten in der Türkei wählen. Obwohl sie mit /neben mir seit 60 Jahren in Deutschland leben. Was schön ist. Man sollte in keinem Land wählen, in dem man seine Wahl nicht erleben muss.

  8. 19.

    "Grenzregime ist wichtiger als Demokratie und Menschenrechte." Demokratie und Menschenrechte spielen in der internationalen Politik sowieso keine Rolle. Egon Bahr: "In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt."

  9. 18.

    Ich wünsche es Can Dündar, - aber paar Tage warten wäre sicher klug. Verliert Erdogan die Wahl, geht es womöglich knapp aus, weiss man nicht, ob das Ergebnis akzeptiert würde.
    Auch ist nicht klar, ob NATO und EU und wie darauf bestünde, dass Erdogan und AKP ihren Wahlverlust akzeptieren. In dieser Hinsicht verkauft NATO und EU eher mal demokratische Grundsätze. Wie die Menschen in Kurdistan täglich bitter erleben müssen.
    Schweden liefert an die Erdogan-Türkei Kurden aus. Damit es kein Veto gegen ihre Mitgliedschaft einlegt. Grenzregime ist wichtiger als Demokratie und Menschenrechte.
    Schön (wirklich!) wenn Can Dündar da offenbar geschützter durch wohlwollende EU-Öffentlichkeit ist. Das nützt dem Durchschnitt der Verfolgten nur wenig...wenn das faktisch zur Fassade wird...

  10. 17.

    Also, wer in der Türkei wählen darf ist Sache der Türkei. Da haben weder Sie noch Deutschland mitzureden. Was die Doppelte Staatsbürgerschaft anbelangt wurde das schon ausdiskutiert. Die Türkei zB entlässt nicht jeden einfach aus der Staatsbürgerschaft. Und in Deutschland wird es gerne gesehen, dass diejenigen, die hier dauerhaft kleben auch die Deutsche Staatsbürgerschaft annehmen. Was denn nun? Sollen die Türken nur Türken sein oder auch Deutsche? Was wäre Ihnen genehm? Wie gesagt, Wahlrecht hängt an der Türkischen Staatsbürgerschaft

  11. 16.

    Der Name war nur der Aufhänger. Wenn ich nicht Staatsbürger des Landes bin, würde ich mich nicht zu einer Meinung hinreißen lassen, was besser als Wahlergebnis ist. Ich erwarte doch auch von Nicht-Deutschen, daß die mir nicht sagen, was die bessere Wahl hier wäre. Jetzt klarer?

  12. 15.

    Sicher haben sie die Möglichkeit an der Wahl teilzunehmen, sofern sie die Staatsangehörigkeit ihres Herkunftslandes besitzen.

  13. 14.

    Ihr Kommentar ist seltsam. Warum sollte ein Deutscher nicht wissen was in der Türkei abgeht? Mal ganz abgesehen davon kann man doch türkische Freundschaften oder Verwandte haben oder nicht? Dazu braucht man keinen türkischen Namen.

  14. 13.

    Darf ich fragen warum Sie einen Regierungswechsel erhoffen? Nach Ihrem Name zu rechnen haben Sie nicht unbedingt türkische Wurzeln. Ich würde mir als Deutscher nicht herausnehmen zu wissen, was für die Türken und den Staat Türkei besser wäre, da ich doch überhaupt nicht die Details der Lage vor Ort kennen.

  15. 12.

    Danke für die Antwort. Das erklärt zumindest teilweise die Nachricht für Berliner. Aber in Brandenburg spielt das doch eher keine Rolle.

  16. 11.

    Wann haben Sie das letzte Mal mit einem Türken über die Türkei gesprochen? Es gibt auch unter Türken unterschiedliche Meinungen. Und wie sehen Sie die Deutschen? Da gibt es auch unterschiedliche Auffassungen. Warum haben Deutsche diesen Anspruch, es für andere Nationen immer besser zu wissen?

  17. 10.

    „ Natürlich wird es nicht so einfach sein, das Land wieder aufzubauen. Wir müssen das Land reformieren und lernen, wieder zusammenzuleben.“ Das ist eine Aussage, die befremdlich ist. Was will er wieder aufbauen? Wer muss lernen? Ich glaube, er lebt auch in einer Blase und erkennt nicht mal, weshalb Erdogan immer noch beliebt ist und die Wahl knapp wird.

  18. 9.

    Natürlich. Zum Beispiel kann ich als deutscher im Ausland wohnend auch an den Bundestagswahlen teilnehmen. Völlig egal ob eine oder doppelte Staatsbürgerschaft.

  19. 8.

    Schon mal daran gedacht dass Berlin eine große türkische Community hat? Einfach mal mitdenken und nicht nur von zwölf bis mittags.

  20. 7.

    Hoffentlich kommt es zu einem Regierungswechsel !

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