Vor dem Landesparteitag - Berliner SPD stellt die Führungsfrage

Fr 26.05.23 | 06:18 Uhr | Von Jan Menzel
  25
Archivbild: Raed Saleh, co Vorsitzender der Berliner SPD und Fraktionsvorsitzender der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, und Franziska Giffey, Vorsitzender der Berliner SPD und Regierende Buergermeisterin von Berlin links, auf dem Landesparteitag der Berliner SPD in Berlin am 19.06.2022. (Quelle: Imago Images)
Audio: rbb|24 Inforadio | 26.05.2023 | Jasmin Becker/Jan Menzel | Bild: Imago Images

Bei Wahlen im Sinkflug, die Mitglieder gespalten und das Rote Rathaus verloren: In der Berliner SPD brodelt es wie lange nicht. Viele finden die schwarz-rote Koalition falsch. Auf dem Parteitag am Freitag müssen sich die Landesvorsitzenden warm anziehen. Von Jan Menzel

  • Landeschefin Franziska Giffey erwartet "kontroversen" Parteitag
  • Jusos fordern per Antrag Neuaufstellung
  • Kritik gibt es auch auf Bezirksebene
  • Kommission soll Lage der Berliner SPD analysieren
  • Neuwahlen erst im nächsten Jahr

Mit einer "knackigen Aussprache" rechnet der Reinickendorfer SPD-Kreisvorsitzende Jörg Stroedter. Der Abgeordnete Mathias Schulz aus Mitte stellt nüchtern fest: "Der Unmut ist sehr groß." Und die Landesvorsitzende Franziska Giffey sagt unumwunden: "Natürlich wird es kontrovers." Zumindest in der Erwartungshaltung, was die Stimmung auf ihrem Parteitag betrifft, sind sich die Berliner Sozialdemokraten weitgehend einig.

Bei dem Treffen der Delegierten in einem Hotel in Friedrichshain steht nicht nur eine einfache Wahlanalyse auf der Tagesordnung. Die einst große Volkspartei SPD ist von den Wählern geschrumpft worden. Die Koalition mit der CDU erscheint den einen als letzter Rettungsanker. Andere können darin nur den Weg in eine Sackgasse erkennen. Und nicht wenige treibt die Frage um, ob die beiden Landesvorsitzenden Raed Saleh und Franziska Giffey noch die richtigen an der Parteispitze sind. Nicht auszuschließen ist, dass es sogar Rücktrittsforderungen gibt.

Jusos fordern Neuaufstellung

Der Parteinachwuchs Jusos hatte schon mit einer NoGroKo-Kampagne im Rahmen des Mitgliedervotums versucht, die schwarz-rote Koalition zu stoppen. Vier Wochen nach der Wahl des Regierenden Bürgermeisters legen die Jusos mit einem Antrag nach, der es in sich hat. Die SPD habe es in den vergangenen Jahren versäumt, ihre miserablen Wahlergebnisse ehrlich zu analysieren, heißt es darin. Nach den Koalitionsverhandlungen mit der CDU und dem knappen Mitgliederentscheid sei die Partei "in etwa zwei gleich große, sich gegenüberstehende Teile gespalten". Die notwendige Konsequenz ist für die Juso-Landesvorsitzende Sinem Tasan-Funke, dass die SPD "relativ schnell zu einer Neuaufstellung" kommen müsse.

Was die Jusos darunter genau verstehen, ist in dem Antrag eigens aufgeführt: Senatorinnen und Senatoren, Staatssekretärinnen und Sekretäre sowie Fraktionsvorsitzende sollen künftig nicht mehr in Doppelfunktion auch Landesvorsitzende sein bzw. dem geschäftsführenden Landesvorstand angehören. Würde dieser Antrag tatsächlich den Weg in die Statuten finden, müssten unter anderem Wirtschaftssenatorin Giffey und Fraktionschef Saleh den Parteivorsitz abgeben.

Mit diesem Ansinnen steht der Parteinachwuchs keinesfalls alleine da. Am deutlichsten wird der SPD-Kreisvorsitzende in Tempelhof-Schöneberg, Lars Rauchfuß, wenn er sagt: "Es kann personell so nicht weitergehen." Er attestiert der Führungsriege eine "Wagenburg-Mentalität" und kritisiert, dass nicht versucht worden sei, auf die Gegner der Koalition mit der CDU einzugehen und sie einzubinden.

Parteispitze setzt auf Kommission

Wie groß die Unzufriedenheit und inzwischen auch der Widerstand gegen den Kurs und die neue Koalition sind, ist der Parteispitze nicht entgangen. Sie hat eine Kommission mit dem Namen "Wahlen-wieder-gewinnen-und-Parteiorganisation" eingesetzt. Sie soll Analysen liefern und die Organisationsstruktur der SPD beleuchten. Der Parteitag ist als Auftakt gedacht, und Raed Saleh, der Partei- und Fraktionsvorsitzende, setzt auf eine Umarmungsstrategie: "Wir wollen den Parteitag nutzen gemeinsam, kritisch und an der Sache orientiert, um das Beste für die SPD und die Stadt zu diskutieren."

Allerdings liegen die Auffassungen, was das Beste ist, recht weit auseinander. "Der Versuch, sich konservativen Kräften anzubiedern, ist klar gescheitert", bilanziert Juso-Chefin Tasan-Funke mit Blick auf die zweimalige Spitzenkandidatin Giffey und die jüngsten Wahlergebnisse. Giffey wiederum stellt fest: "Ich glaube nicht, dass wir Wahlen gewinnen, wenn wir linker als die Linke und grüner als die Grünen sind." Und der Reinickendorfer Jörg Stroedter findet, dass die Aufstellung im Großen und Ganzen gar nicht so schlecht ist: "Arbeitssenatorin Kiziltepe auf der einen Seite, Giffey auf der anderen Seite – da bildet sich ganze inhaltliche Spektrum ab."

Reguläre Wahlen erst in einem Jahr

Kiziltepe wird gemeinhin dem linken Parteiflügel zugeschlagen und gilt manchen schon als kommende Hoffnungsträgerin. Giffey wiederum wird dem rechten Parteiflügel zugeordnet. Kiziltepes Name wird - mit unterschiedlichen Absichten - regelmäßig genannt, wenn es um eine mögliche Neubesetzung an der Parteispitze geht. Doch eine Wahl steht turnusmäßig erst auf den Parteitag im nächsten Frühjahr an. "Wir haben jetzt einen gewählten Landesvorstand", betont daher auch die Landesvorsitzende Giffey.

Sie will zunächst abwarten, welche Erkenntnisse die "Wahlen-wieder-gewinnen-Kommission" zu Tage fördert. Auch die Sprecherin des Parteilinken-Forum DL 21, Ülker Radziwill, findet diese Reihenfolge richtig. Von einer Trennung von Amt und Mandat in einer so "krassen" Form, wie von den Jusos vorgeschlagen, hält sie nichts. Dass es bei der nächsten Wahl aber einige personelle Änderungen im Landesvorstand geben wird, liegt für Radziwill auf der Hand. Wie genau diese aussehen müssen, sagt sie nicht.

Für Mathias Schulz aus Mitte, der zu den Gegnern der großen Koalition gehört, hängt die Lage der SPD unmittelbar mit den handelnden Personen zusammen. "Die Partei braucht Luft zum Atmen, sie muss Ideen-Motor sein”, fordert er. Das Ziel müsse eine "regierungsunabhängige Parteiführung" sein. Auch wenn dieser Parteitag wohl ohne einen personellen Paukenschlag über die Bühne gehen wird, Schulz ist überzeugt: "Der Prozess ist nicht auf dem Parteitag abgeschlossen."

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.05.2023, 05:00 Uhr

Beitrag von Jan Menzel

25 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 25.

    "Nebenbei stimme ich dem Erstkommentar zu, dass der Teasertext des Artikels inkorrekt ist: das Rote Rathaus könnte immer noch in der Hand der sPD sein, wenn es eine ehemalige Doktorin nicht leichtfertig für einen persönlichen, kurzfristigen, vermeintlichen Vorteil hergeschenkt hätte. Die Quittung dafür wird ihre Partei im Herbst 2026 bekommen..."

    Egal wie der Parteitag oder die nächsten Wahlen ausgehen werden. Giffey hat die Berliner sPD tief gespalten und die sPD in die größte Wahlniederlage der Geschichte der Berliner sPD geführt.

  2. 24.

    Und Sie meinen, dass mit der CDU diese Probleme gelöst werden? Dann warten wir mal drei Jahre ab, wie sich Wohnungsmieten uns Lebensmittelpreise entwickeln werden.

  3. 23.

    "Für mich als Geringverdiener über Sozialhilfe- und Wohngeldgrenze haben Grüne und Linke nichts anzubieten. "

    Dann haben ihnen die anderen Parteien noch viel weniger anzubieten.

  4. 22.

    Ob die CDU-SPD-Koalition irgendetwas zum Guten wird, mag die Zukunft zeigen.

  5. 21.

    Knapp wären z.B. 50 Stimmen gewesen, wie bei der Frage, ob SPD oder Grüne als zweitstärkste Partei aus der Wiederholungswahl hervorgegangen sind.

  6. 20.

    Heute im Bundestag--Pflegeunterstützungs- und entlastungsgesetz.

    Frau Heike Baehrens, SPD--67 Jahre alt-- antwortet auf den CDU-Abgeordneten Sepp Müller.
    Zitat: "Und jetzt das Letzte: Herr Müller, dass Sie sich nicht entblöden, hier an diesem Pult davon zu sprechen die Beitragsermessungsgrenze zu erhöhen......"

    Die gesamte SPD hat anscheinend einen Spurwechsel vollzogen.
    Ich kann diese abgehobene, arrogante Partei kaum noch ertragen.
    Kein Wunder, dass die Jusos nicht mehr eingefangen werden können.
    Kein Wunder, dass Aktivisten kaum noch Respekt zeigen.

    Die SPD muss aufpassen, dass ihre Rhetorik nicht die der AfD übertrumpft.

    (nachzuhören über Mediathek Bundestag--ab Minute 1.33)

  7. 19.

    Das Beispiel Bremen?
    Ja, und deswegen geht es mit Bremen stetig weiter Berg ab.
    Da Bremen bundesweit eh in allen das Schlusslicht ist, wird es den Bremern vieleicht inzwischen egal sein..
    Es gibt doch den Länderausgleich,

  8. 18.

    Für mich als Geringverdiener über Sozialhilfe- und Wohngeldgrenze haben Grüne und Linke nichts anzubieten.
    Der große Linksgrün-Schwenk in der Bildungspolitik hat uns zunächst mal die desaströsen Ergebnisse geschaffen.
    Weil Ideologie nun mal keine Matheaufgaben löst.
    Und wenn 25% der Viertklässler nicht richtig lesen können, aber Politik die immer gleichen Fehlrezepte in noch intensiverer Form fortsetzen möchte, weil unbelehrbar, dann muss es eben weiter bergab gehen.
    Dazu keine Wohnungen für die kleinen Leute, weil Mangel und unerschwinglich.
    Dazu immer teurere Lebensmittel, was Besserverdienenden mit 10.000€ im Monat natürlich egal sein kann.

  9. 17.

    Giffey kann nicht Kontinuität:
    2010 Stadträtin Neukölln
    2015 Bezirksbürgermeisterin Neukölln
    2018 Bundesfamilienministerin
    2021-2023 regierende Bürgermeisterin
    2023- Wirtschaftssenatorin (für welch' kurze Zeit?)

    Angeblich trauert Giffey dem Amt als regierende Bürgermeisterin nach - Sie hätte RGR/RRG weiterführen können, koaliert lieber mit CDU-Wegner(warum vernünftig wenn es auch irrsinnig geht), während es Bovenschulte in Bremen genau richtig macht und seine bisherige Regierungskoalition fortsetzt.

  10. 16.

    Dem ersten Absatz stimme ich voll zu, den Rest verstehe ich im Kontext nicht. Ist aber auch nicht wichtig.

  11. 15.

    Mehrheit ist Mehrheit, aber das Narrativ von der deutlichen Mehrheit, wie es von der Parteiführung schon am Abend der Entscheidung kolportiert wurde, ist ja nun wirklich albern. Anstatt sich damit auseinanderzusetzen, dass die Mehrheit knapp war. Das ist die Wagenburgmentalität, die Lars Rauchfuß meinte.

  12. 13.

    54% Ja-Stimmen zum Koalitionsvertrag sind für sie eine "deutliche Mehrheit"? Ab welcher Prozentzahl würden Sie denn von einer knappen Mehrheit sprechen?

    Nebenbei stimme ich dem Erstkommentar zu, dass der Teasertext des Artikels inkorrekt ist: das Rote Rathaus könnte immer noch in der Hand der sPD sein, wenn es eine ehemalige Doktorin nicht leichtfertig für einen persönlichen, kurzfristigen, vermeintlichen Vorteil hergeschenkt hätte. Die Quittung dafür wird ihre Partei im Herbst 2026 bekommen...

  13. 12.

    Nun hat man die Chance mit der CDU was gutes zu bewegen in Berlin und für die Berliner und da lässt man sich von Jusos und ewig gestrigen RG-Sympathisanten zerlegen? Nach vorne schauen statt der Vergangenheit nachtrauern.

  14. 11.

    Na, eine doch eher konservative Partei ist aber wohl auch nicht gerade progressiv.

  15. 10.

    LorenzoPrenzlauer BergFreitag, 26.05.2023 | 09:39 Uhr
    "Bitte keine Rückschrittskoalition mehr mit Grünen und Linken."

    Kann nicht erfüllt werden. Keine Ahnung, weshalb Ihnen das keiner sagt dem Sie vertrauen. Müssen Sie mal überlegen. Weshalb Sie da von wem in unerfüllbare Phantasien getrieben werden.

    Was man an RRG, LINKE, GRÜNE völlig Recht als rückschrittlich und Versäumnis kritisieren kann, wird durch Parteien rechts von ihnen nicht fortschrittlich. Das haben die einfach gar nicht im Programm.

    So ist nun mal die Lage. Sie können nur entscheiden, den durch CDU, FDP, die Führung der SPD vertretenen Rückschritt, als Fortschritt umzulabeln. Von der AfD wollen wir gar nicht reden.
    Aber ist in den Sachverhalten natürlich keiner. Wohlgemerkt. In den Sachverhalten.
    Das Rückschrittliche feiert den Sieg des Rückschritts natürlich als Fortschritt.
    Aber das ist nur ein Gefühl. Es hat nichts damit zu tun, dass es in den Sachfragen und Sachverhalten wirklich Fortschritt gäbe.

  16. 9.

    Wir brauchen keine Bunte Regierung. Wir brauchen Recht, Ordnung und Zuverlässigkeit. Alles dies ist mit Grün und Dunkelrot nicht machbar.

  17. 8.

    Bitte keine Rückschrittskoalition mehr mit Grünen und Linken.

  18. 7.

    Die Gespaltenheit der SPD ist im Prinzip schon uralt und sie wird offener ausgetragen als bspw. in der CDU/CSU, wo sich das dann nur entlädt, wenn wirklich kein Halten mehr ist. Auf der einen Seite stehen Menschen, die akademisch gebildet sind, offen für weitergehendere Perspektiven sind, ihnen aber im Zweifelsfall etwas Bodenhaftung fehlt, auf der anderen Seite die ausgesprochenen Pragmatiker, die am Liebsten alles beim Alten lassen wollen, wenn denn nur 10 % mehr Einkommen winkt.

    In vorherigen deutschen Bundesgebiet gab es jz. lang eine faktische Koalition zwischen dem pragmatischen SPD-Flügel und der Mehrheit innerhalb der CDU/CSU: sechs- und achtspurige Autostraßen durchschnitten jh. alte Altstadtareale und machten mehr alte Bausubstanz zunichte als der 2. Weltkrieg; die Landwirtschaft verkam zur Nebenabteilung der Industrie.

    Dann brach es auf. Da drin ist die SPD immer noch befangen, unterlegene CDU-Bewerber haben i. a. R. andere erkleckliche Einkommensquellen.

  19. 6.

    Liebe SPD, dann macht’s doch endlich. Der Wähler hat euer Dauer-Führungspersonal insbesondere die großartige Ex-Bürgermeisterin längst abgewählt.
    Ihr müsst im Vorfeld nicht immer nur sagen was ihr wollt, ihr müsst es einfach mal machen. Und euch mit neuem, frischem Personal neu aufstellen, sonst gehts immer weiter in den Keller.

Nächster Artikel