"Bündnis Sahra Wagenknecht" - Wagenknechts Parteipläne und die Sorgen der Brandenburger Opposition
Sahra Wagenknecht hat in Berlin ihr neues "Bündnis Sahra Wagenknecht" vorgestellt. Der Verein soll die Gründung einer Partei vorbereiten. Sie will bereits zu den Landtagswahlen im nächsten Jahr antreten, auch in Brandenburg. Von Lisa Steger
- Sahra Wagenknecht will im Januar neue Partei gründen
- Kritik an "Öko-Aktivismus" und Corona-Maßnahmen - Verhandlungen mit Putin gefordert
- "Bündnis Sahra Wagenknecht" will auch bei Landtagswahl in Brandenburg antreten
- Linke zuletzt in Umfragen nur noch bei 8 Prozent - Scheitern an Fünf-Prozent-Hürde reale Gefahr
Der Schritt war lange erwartet worden, jetzt ist Sahra Wagenknecht ihn gegangen: Die Bundestagsabgeordnete verlässt die Linke und kündigt für Januar die Gründung ihrer eigenen Partei an.
Sie tut dies mit einer Breitseite gegen die Ampel. "Die Bundesrepublik hat die schlechteste Regierung ihrer Geschichte", sagte Wagenknecht am Montag in Berlin. Diese sei "in Teilen schlicht inkompetent". So dürfe es nicht weitergehen, "sonst werden wir unser Land in zehn Jahren wahrscheinlich nicht wiedererkennen."
Die Industrie drohe abzuwandern, ist Wagenknecht überzeugt, "es droht ein massiver Wohlstandsverlust", die Infrastruktur sei zum Teil marode und das Bildungsniveau zu gering. Das Rentenniveau sei eines der niedrigsten in Europa, der "Meinungskorridor" sei zu schmal, erklärte die promovierte Volkswirtin. "Die Protestwähler müssen eine seriöse Adresse haben", so Wagenknecht. Zu viele Wähler würden inzwischen die AfD favorisieren oder sich von keiner Partei mehr angesprochen fühlen. "Und der Kurs der Linken wird wahrscheinlich dazu führen, dass sie im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten sein wird", sagt sie.
Ziel: die Wahlen im nächsten Jahr
Im Januar soll die neue Partei gegründet werden. Danach, so Wagenknecht, will man Landesverbände aufbauen und bei zur Europawahl im Juni 2024 antreten. Auch die Landtagswahlen hat das neue Bündnis im Blick. Am 1. September wählen die Sachsen und Thüringer neue Landtage, am 22. September die Brandenburger.
Bei der Linken in Brandenburg sorgt die Nachricht aus Berlin für schlechte Laune. Aber auch für Erleichterung. Mit dem Austritt hoffen sie auf ein Ende monatelanger erbitterter parteiinterner Auseinandersetzungen. Ungeklärt ist aber, wie es im Bundestag mit der Linken weitergehen wird. Denn bis zur Gründung wollen Wagenknecht und ihre neun Mitstreiter mit Mandat weiter in der Linken-Bundestagsfraktion bleiben, wie sie deutlich machten.
rbb-Umfrage: hohe Zustimmung bei Wählern der Brandenburger Oppositionsparteien
Dennoch: Die Gründung des "Bündnisses Sahra Wagenknecht" trifft die Brandenburger Linke in schwieriger Lage. Noch im Jahr 2014 erhielt sie bei der Landtagswahl 18,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Fünf Jahre später waren es nur noch 10,7 Prozent. Und Mitte September kündigten bei einer repräsentativen Umfrage im BrandenburgTrend nur noch acht Prozent an, die Linke wählen zu wollen. Diese Umfrage führte infratest dimap im Auftrag von rbb24 Brandenburg aktuell und Antenne Brandenburg durch.
53 Prozent der befragten Linken-Anhänger fanden die Gründung einer Wagenknecht-Partei "eher gut". Das bedeutet: Für die Brandenburger Linken rückt mit dem neuen Bündnis die Fünf-Prozent-Hürde gefährlich nah. Allerdings zeigten sich im Brandenburg-Trend des rbb auch 54 Prozent der Anhänger von BVB/ Freie Wähler und 57 Prozent der AfD-Anhänger offen für eine Wagenknecht-Partei.
"Wir haben als BVB/Freie Wähler einen ganz starken brandenburgspezifischen Fokus", zeigt sich der märkische Partei- und Fraktionschef Péter Vida selbstbewusst. "Beispiele sind die Altanschließer-Beiträge, der öffentliche Personennahverkehr und die medizinische Versorgung im ländlichen Raum." Man betreibe "keine Weltpolitik", sondern Politik vor Ort "mit bekannten und respektierten Gesichtern." Das Image der Protestpartei weist er zurück. "Wir wollen Lösungen für konkrete Probleme anbieten, keine Politik nach dem Motto, wir sind gegen alles."
Alternative für Deutschland warnt vor Wagenknecht-Partei
Für die AfD sprachen sich im Brandenburg-Trend Mitte September 32 Prozent aus. Sie wurde damit stärkste Kraft. Das werde sie auch bleiben, ist Landeschefin Birgit Bessin zuversichtlich. "Das Bündnis muss es erstmal schaffen, Landesverbände aufzubauen", sagt sie im rbb-Interview. "Sahra Wagenknecht hat erkannt, dass die Tage der Linken im Bundestag gezählt sind, jetzt will sie den Wiedereinzug des linken Potentials sichern", ist sie überzeugt. Nur deshalb sei das Bündnis entstanden, so Bessin.
Wer allerdings die Pressekonferenz mit Sahra Wagenknecht gesehen hat und ihre Agenda sieht, entdeckt viele Themen, die auch die AfD besetzt. So wendet sie sich gegen einen "Öko-Aktivismus", kritisiert die Corona-Maßnahmen als überzogen und forderte "Diplomatie und eine Verhandlungslösung", um Putin von seinem Angriff auf die Ukraine abzubringen. Wie die allerdings aussehen soll, hat sie nie erkennen lassen.
Der Europäischen Union immer mehr Befugnisse zu übertragen, lehne sie ab, zur Migration sagt sie: "Die unkontrollierte Zuwanderung musss auf jeden Fall gestoppt werden, weil sie unser Land überfordert." Begründung: "Es fehlen 700.000 Lehrer, dazu zehntausende Lehrer und Kita-Plätze." Fazit: "Weiterzumachen, wäre unverantwortlich." Konkrete Lösungen nennt sie nicht.
Auch Birgit Bessin habe die Pressekonferenz von Wagenknecht und vier Mitstreitern verfolgt, sagt jedoch: "Sie hat manches bei uns kopiert. Aber die AfD hat einen deutlicheren Politikansatz." Die schriftliche Pressemitteilung, die Bessin kurz nach dem Interview verschickte, klingt nicht ganz so entspannt. Darin warnt sie vor einer "Spaltung der Opposition", weil Wagenknecht eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hat. Sie wolle "der AfD möglichst viele Wähler abluchsen" und plane "halbherzige neo-kommunistische Experimente". Die AfD hingegen biete die Chance auf einen Politikwechsel im nächsten Jahr.
Offene Fragen bleiben
Ganz eindeutig rechts oder links ist das neue Bündnis nicht. Die Positionen zur Migration sind eher konservativ. Zum Nahost-Konflikt aber stellt sie in Berlin fest: "Gaza ist ein Freiluftgefängnis", aus dem man nicht herauskomme. Die Frage eines Journalisten, wer der Gefängniswärter sei, beantwortet sie nicht. Wagenknecht verspricht mehr Geld für Bildung, Arme und Infrastruktur. Finanzieren wolle sie das über Steuererhöhungen für Besitzer von "Hunderten Millionen oder gar Milliarden".
Wagenknechts 2021 erschienenes Buch "Die Selbstgerechten" bietet Einblick in die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Politikerin. Für die Lebensmittelbranche fordert sie in dem Buch eine "Entflechtung der heutigen Marktbeherrscher", um die Entstehung großer Vermögen zu verhindern. Krankenhäuser sollten nicht von Privaten betrieben werden, Unternehmen in Privatbesitz müssten Kontrollgremien bekommen und Wohnraum solle "öffentlich bereitgestellt werden". Die Staatsschulden im europäischen Raum sollten nach den Vorstellungen Wagenknechts "teilweise gestrichen" werden. Mithin Vorstellungen, die auf mehr Staatseingriff hinauslaufen und sich ebenso im Programm der Linken finden können.
Das "Bündnis Sahra Wagenknecht" hat nun erstmals skizziert, wofür es steht und wofür nicht. Allerdings: Viele Fragen sind dabei offen geblieben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 23.10.2023, 17:40 Uhr