Regierungsbildung - Brandenburger Wirtschaftsminister Steinbach kündigt Rückzug an

Do 21.11.24 | 13:44 Uhr
  82
Archiv: Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) nimmt am Ostdeutschen Wirtschaftsforum (OWF) teil. (Foto: dpa)
Video: rbb24 Abendschau | 21.11.2024 | Nachrichten | Bild: dpa

Die Koalitionsverhandlungen von SPD und BSW in Brandenburg gehen in die entscheidende Phase. Der amtierende Wirtschaftsminister Jörg Steinbach will in einer neuen Regierung nicht dabei sein - wegen Differenzen mit dem BSW.

Der Brandenburger Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) steht nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung. Grund ist die voraussichtliche Zusammenarbeit mit dem BSW in einer zukünftigen Koalition, wie es in einer Mitteilung des Ministeriums vom Donnnerstag hieß.

"Für mich persönlich sehe ich (...), unabhängig von einem möglichen Ergebnis der Koalitionsverhandlungen mit dem BSW, insbesondere wegen der von der Parteispitze vertretenen Positionen keine Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit", wird Steinbach in der Mitteilung zitiert. Er beende daher seine aktive Amtszeit.

Mit pro-russischen Positionen nicht einverstanden

Im Gespräch mit dem rbb erläuterte Steinbach: "Das ist eine Entscheidung gegen die bundespolitische Partei Bündnis Sahra Wagenknecht, mit ihrer Chefin und ihrer Einstellung: Austritt aus der NATO, einer deutlichen Position gegen amerikanische Unternehmen, die völlig andere Interpretation der russischen Haltung und des russischen Angriffskrieges bis hin zu der Forderung, die gesamte Embargo-Politik wieder umzudrehen und wieder russisches Gas und russisches Öl zu beschaffen."

Mit dieser Partei sei er "nicht kompatibel", so Steinbach. Ausschlaggebend sei auch seine Sozialisation als West-Berliner mit einer hohen Amerika-Affinität und einer großen Identifikation mit Europa, so der 68-Jährige. "Mich hätte es eine ständige psychische Belastung gekostet, in einer solchen Konstellation mitzuarbeiten."

Woidke seit Wochen über Schritt informiert

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) teilte mit: "Jörg Steinbach hat mir vor mehreren Wochen mitgeteilt, dass er der neuen Landesregierung nicht mehr angehören möchte." Er bedaure die Entscheidung sehr, könne aber nachvollziehen, wenn Steinbach jetzt mit fast 70 Jahren andere Prioritäten setzen möchte, sagte Woidke.

Der Ministerpräsident betonte, dass Steinbach ein "sehr guter und erfolgreicher Wirtschaftsminister für Brandenburg" gewesen sei. "Er hat für seine engagierte Arbeit für unser Land Dank und Anerkennung verdient. [...] Ich wünsche Jörg Steinbach für die Zukunft alles Gute", so Woidke weiter.

Steinbach sagte, ihm sei die Entscheidung nicht leicht gefallen. Für ihn fange nun aber eine neue Lebensphase an. "Ich freue mich auch auf andere Aktivitäten." Er bleibt noch bis zur Neubildung der Regierung geschäftsführend im Amt.

BSW: Viele Unternehmen leiden unter Wirtschaftssanktionen

Das BSW in Brandenburg ging auf die Kritik Steinbachs nicht direkt ein. BSW-Landesgeschäftsführer Stefan Roth sagte, wer auf der Position des Wirtschaftsministers nachfolge, müsse ein besonderes Augenmerk auf die Sicherung von Arbeitsplätzen und den Erhalt der Produktionsstätten von Industriebetrieben im Land legen. "Viele dieser Unternehmen sind abhängig von Energiepreisen und leiden unter den Wirtschaftssanktionen. Sie brauchen die besondere Unterstützung des Landes."

Koalitionsverhandlungen von SPD und BSW in Endphase

Knapp zwei Monate nach der Landtagswahl steuern SPD und BSW derzeit auf den Endspurt ihrer Koalitionsverhandlungen zu. "Ich gehe davon aus, dass wir in der nächsten Woche fertig werden", sagte BSW-Landeschef Robert Crumbach der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag. SPD-Generalsekretär David Kolesnyk sagte: "Wir sind gut vorangekommen."

Wenn sich SPD und BSW einigen sollten, könnten Parteitage Ende der ersten Dezember-Woche einen Koalitionsvertrag beschließen, Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) könnte am 11. Dezember im Landtag gewählt und vereidigt werden.

Grüne: Minister-Rückzug schwere Hypothek für SPD/BSW-Koalition

Die Grünen-Landesspitze nannte Steinbach einen "Mann, der Ehre und Rückgrat beweist". Seine Kritik sei aber ein deutliches Signal, dass die Grundlage für eine stabile Zusammenarbeit in der kommenden Regierung fragil sei. "Das ist eine schwere Hypothek für eine mögliche SPD-BSW-Koalition."

Der Wirtschaftsstaatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, der brandenburgische Bundestagsabgeordnete Michael Kellner (Grüne), sagte zu Steinbach: "Er war einer der wenigen Sozialdemokraten in Brandenburg, der eine klare Haltung zur russischen Aggression gegenüber der Ukraine hat. Meine Sorge vor einer Landesregierung, die Pro-Putin-Politik betreibt, steigt damit weiter." Steinbach habe zudem "die Chancen des grünen Wandels für gut bezahlte Arbeitsplätze und Wohlstand" ergriffen, lobte Kellner.

Tesla-Ansiedlung und Zukunft der Ölraffinerie PCK wichtige Projekte

Steinbach war Präsident der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus und übernahm im November 2019 das Wirtschaftsministerium in Brandenburg. Er begleitete unter anderem die Ansiedlung von US-Autobauer Tesla in Grünheide bei Berlin eng und war in einer Taskforce zur Zukunft der Ölraffinerie PCK in Schwedt eingebunden. Die Bundesregierung beschloss jedoch wegen des Ukraine-Kriegs den Verzicht auf russisches Öl. Im August hatte die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht an ihrer Forderung nach einer Rückkehr zu russischem Erdöl für die Raffinerie in Schwedt festgehalten.

Sendung: rbb24 Abendschau, 21.11.2024, 19:30 Uhr

82 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 81.

    Brandenburg gehört zu den Letzten, in den harten belastbaren Kennzahlen, überall da wo es wirklich wichtig ist. Besonders offensichtlich wird dies, wenn man die absoluten Zahlen statt Prozente sich ansieht!
    Das Wachstum ist ein Trend. Besonders leicht zu erreichen wenn das Ausgangsniveau sehr gering ist. Das ist es in Brandenburg.... immer noch. Genauso können Sie sagen, dass Brandenburg innerhalb eines Jahres im Wirtschaftswachstum von 6% auf 2% abgestürzt ist. Ach das stimmt. Sagt nur wenig aus. Der betrachtete Zeitraum und die absoluten Zahlen sind der Grund dafür.

  2. 80.

    Steinbach ist in West-Berlin geboren worden und will sich nicht zu Knecht machen. In der ehem. DDR verstehen das aber viele nicht.

  3. 78.

    Schauen Sie sich erstmals die Vita von Steinbach an. Sie wären mit Sicherheit überrascht, wo der heute 68-Jähre Prof. Dr.-Ing. vor seiner Zeit als Minister gearbeitet und Renten- sowie Pensionsansprüche erworben hat. Danach stellen Sie bitte unter Anrechnung dieser Einkommen Ihre Berechnung neu auf.

  4. 76.

    Das Politbüro des BSW reagiert ähnlich auf Kritik an Wagenknecht wie Sie. Zufall?

  5. 74.

    Wirtschaftswachstum, im Vergleich zu allen Bundesländern in der Legislatur z.B.

    Persönlich schätze ich seine Klar- und Ehrlichkeit....leider mittlerweile ein Alleinstellungsmerkmal.

  6. 72.

    Ich sehe und empfinde mich so gut wie garnicht theoriegeleitet, begreife ich doch jegliche Theorie als (bloßen) Zugang zur Welt. Einen Zugang unter jeweils vielen. Dazu gehört neben vielen anderen auch die Marx´sche Wirtschaftstheorie, die seine späteren Anhänger dann leider zu einer von Wissenschaft durchdrungenen Lehre hochstilisierten, um sie so unangreifbar zu machen.

    Noch nie ist - da, wo es um menschliche Verhaltensweise ging - irgendein Szenario genauso eingetreten, wie es unter aller Mühe berechnet wurde. Die Begrenztheit des Mathematischen liegt im Gegenständlichen; im Sozialen können sich m. E. alle Modelle letztendlich nur verlieren.

    Menschen - auch solche in Regierungs- und Regentenämtern - verhalten sich nur bedingt rational. Das Winken eines mathematisch berechneten Vorteils erklärt deren Verhalten deshalb nur zu einem gewissen Teil. Die Entspannungspolitik Bundesdeutschlands hängt zusammen mit der Person Willy Brandt und seinen ganz spezifischen Erf.

  7. 71.

    Jaja ihnen kann ich ihre Aufrichtigkeit vollauf bestätigen, da sie sich offen zu der in meinem letzten Kommentar genannten Gruppe von Leuten bekennen. Alle Achtung so mutig sind nicht viele.

  8. 70.

    Mir gehts um Brandenburg und die Ukraine. Ihnen dagegen gehts nur um billiges russisches Gas.

  9. 69.

    Ist im Falle Wagenknechts auch klar abwertend gemeint. Im Falle der Pazifisten nicht. Deren Grundhaltung respektiere ich, aber teile sie nur eingeschränkt.
    Der Kontext bestimmt für mich die Musik oder wissenschaftlich, die Spieltheorie. Und im Falle eines Adolf Hitler oder Wladimir Putin kann sich der Westen nicht den Luxus von Schwäche leisten. Im Gegenteil, diese Hitler-Phänomene können sich nur entfalten, wenn schon im Vorfeld die Player ihre Optionen nicht ordentlich spieletheoretisch ausgespielt haben.
    Die alten Politiker wussten das auch sehr genau. Frieden mit Abrüstung war erst möglich, weil keine Seite mehr einen Freiheitsgrad der Vorteilsnahme hatte, die Optionen waren quasi ausgeschöpft. Das haben offenbar viele Jüngere vergessen oder nie begriffen.

  10. 68.

    Herr Steinbach macht sich grade, das ist vorbildlich. Er hat keinen Bock auf den "russischen Staatscircus" Sarah.

  11. 67.

    Es ist erschreckend, wie das Diffamieren des BSW funktioniert, indem dem Wort „Russlandnähe“ ein negatives Image verpasst wird anschließend dies dem BSW angelastet wird. Die etablierten Partei starteten damit einen Feldzug, um die neue Konkurrenz auszuschalten, die Medien griffen das Schlagwort auf und verbreiten es. Jede Menge Trottel plappern ohne nachzudenken diesen Schwachsinn nach.

  12. 66.

    Auch Misserfolge sind messbar
    ein Nickdieb

  13. 65.

    Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst der Denunziation. Gleich, wer etwas aus welchen Gründen auch sagt, jedes gesprochene und geschriebene Wort wird fein abgewogen, wem es denn nützt und wem es denn schadet. Dies nicht unter gegebenfalls stattgefundener Einbeziehung oder Interaktion mit dem Sprechenden / dem Schreibenden, sondern über dessen Kopf hinweg.

    Das uralte Anliegen "Cui bono?" / "Wem nützt es/ Wem zum Vorteil", was der Polizei Erkenntnisse gibt über Motive bei begangenen Verbrechen, dieses uralte Prinzip wirft sich wie Mehltau auf gesellschaftliche Verhältnisse, dass ein Außenstehender besseres Wissen über einen Ausgemachten behauptet, als der Betreffende von sich selber weiß.

    Die Vergiftung kenne viele Gesichter. Sahra Wagenknecht ist daran allerdings sehr rege beteiligt.

    Sorry. ;-

  14. 64.

    Steinbach hat den Respekt aller verdient, die die pro-russischen Positionen der SPD und des BSW ablehnen. Deshalb am 23.02 aufpassen, dass man nicht eine der Putin-Parteien wählt.

  15. 63.

    Herr Steinbach Entscheidung zeigt Haltung. Das Herr Woidke diese auf das Alter bezieht, zeigt für mich keine Größe.

Nächster Artikel