Pläne in Berlin - Sparen in der Erziehungshilfe – zu welchem Preis?

Do 10.04.25 | 09:36 Uhr | Von Ute Schuhmacher und Jonas Wintermantel
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Zwei junge Menschen sitzen auf einem Zaun an einer Parkanlage in Schöneberg. (Foto: dpa/Wolfram Steinberg)
Video: rbb24 Abendschau | 10.04.2025 | Jonas Wintermantel | Bild: picture alliance/Wolfram Steinberg

Kinder und Jugendliche, die das Leben aus der Bahn geworfen hat, sollen mit Erziehungshilfe stabilisiert werden. Weil die Kosten explodierten, will der Senat die Standards senken - Praktiker warnen. Von U. Schuhmacher und J. Wintermantel

Annabell ist 16, lebt in Berlin im betreuten Einzelwohnen und macht gerade eine Ausbildung zur Malerin und Lackiererin in der Jugendberufshilfe. Dass sie so weit gekommen ist, sei keine Selbstverständlichkeit, sagt sie. Als sie klein war, wollte sie Psychologie studieren. Aber zuhause lief einiges schief. Es gab viel Streit und keine Regeln.

"Ich habe dann angefangen zu schwänzen, falsche Freunde, Drogen." Irgendwann ging sie gar nicht mehr zur Schule, da war sie zwölf. Annabell lief von zu Hause weg, wohnte ein Jahr bei einer Freundin, die kaum älter war als sie, landete im Heim, lief wieder weg.

Schließlich brachte sie das Jugendamt in eine betreute Jugend-WG. "Auf einmal ging alles", sagt Annabell. "Ich habe gecheckt, du musst jetzt, sonst wird das nichts. Und ich hatte auch viel Unterstützung von den Betreuern." Die hätten ihr geholfen, ihr Leben zu gestalten.

Unterstützung muss genau passen

Annabell ist für Cornelia Kalk, die Geschäftsführerin des freien Trägers "Neues Wohnen im Kiez", ein Paradebeispiel für die Entwicklung, die Kinder und Jugendliche aus schwierigen Lebenslagen nehmen können, wenn sie entsprechend unterstützt werden. Das A und O ist aus ihrer Sicht, dass die Unterstützung genau passt, damit sie wirkt. Auch deshalb alarmiert sie die aktuelle Entwicklung im Bezirk Lichtenberg.

Der Bezirk will junge Volljährige nicht mehr im betreuten Wohnen unterbringen, wenn sie auch ambulant betreut werden könnten. Das sei natürlich billiger, aber die jungen Menschen fänden in Berlin meist keine Wohnung, sagt Kalk. Sie erzählt von einem 20-Jährigen aus Lichtenberg, dem gerade gesagt worden sei, dass er ab Mai nicht mehr im betreuten Einzelwohnen wohnen kann.

Der brauche aber noch ein bisschen Unterstützung, um ein selbstständiges Leben führen zu können, sagt Kalk. "Wenn das jetzt passiert, dass das abgebrochen wird, ist die Wahrscheinlichkeit leider groß, dass alles, was vorher erarbeitet wurde, wieder hinfällig werden könnte."

Heute bringen viele junge Menschen psychische Probleme mit. Wir brauchen verschiedene Fachkräfte - Therapeuten, Sozialpädagogen, Erzieherinnen. Mehr Fachkräfte bedeuten mehr Kosten.

Cornelia Kalk, Geschäftsführerin von "Neues Wohnen im Kiez"

Kosten haben sich seit 2015 fast verdoppelt

Seit 2015 haben sich die Ausgaben für Hilfen zur Erziehung in Berlin fast verdoppelt - von rund 490 Millionen Euro auf über 850 Millionen Euro im Haushalt 2024. Deshalb kündigte Berlins Finanzsenator Stefan Evers (CDU) an, die Standards für diese Hilfen absenken zu wollen, um Geld zu sparen. Gründe für die Kostenentwicklung sind allgemeine Kostensteigerungen, höhere Personalkosten und vor allem die zunehmende Komplexität der Fälle.

"Früher ging es oft um Erziehungsfragen", sagt Kalk. "Heute bringen viele junge Menschen psychische Probleme mit. Wir brauchen verschiedene Fachkräfte - Therapeuten, Sozialpädagogen, Erzieherinnen. Mehr Fachkräfte bedeuten mehr Kosten."

Besonders kostenintensiv sind Fälle junger Menschen, die durch massive psychische Belastungen oder Gewaltbereitschaft auffallen - oft als "Systemsprenger" bezeichnet. Sie benötigen individuell zugeschnittene Betreuung. Der Paritätische Wohlfahrtsverband spricht von bis zu acht solcher Fälle pro Bezirk und Jahr.

Sparmaßnahmen könnten zu Obdachlosigkeit führen

Der Verband protestiert gegen die Sparmaßnahmen. Referentin Anna Nikitin warnt: "Junge Menschen, die mitten in Ausbildung oder Schulabschluss stecken, müssen sich plötzlich um Wohnung und Geld kümmern. Das führt zu Existenzängsten, Abbrüchen – im schlimmsten Fall bis hin zur Obdachlosigkeit."

Zudem kritisieren die Träger eine zunehmende Budgetierung der Hilfen: Nicht mehr der individuelle Bedarf entscheide, sondern das verfügbare Geld. Die Senatsfinanzverwaltung widerspricht: Man gebe keine Obergrenzen oder Kontingente für einzelne Fälle vor. Die Entscheidung liege bei den Bezirken.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband besteht darauf, dass die Hilfen zur Erziehung eine Pflichtleistung sind, die nicht aus Spargründen gedeckelt werden können. Diese Einschätzung teilen Senat und Bezirke grundsätzlich. Allerdings verweist Lichtenbergs Jugendstadträtin Camilla Schuler (Linke) auf die Haushaltssperre im Bezirk. Deshalb würden nur noch Leistungen bewilligt, die als "unabweisbar notwendig" gelten - also zwingend rechtlich geboten sind. In der Praxis kann das dazu führen, dass Hilfen, die eigentlich sinnvoll oder fachlich angebracht wären, zurückgestellt oder nicht bewilligt werden - solange sie juristisch nicht eindeutig verpflichtend sind.

Jugendstaatssekretär sucht alternativen Wohnraum

Berlins Jugendstaatssekretär Falco Liecke (CDU) sieht durchaus auch das Problem, dass in Berlin Wohnungen fehlen für junge Erwachsene, die nicht mehr im betreuten Einzelwohnen bleiben können. Man suche nach einer Lösung. Gemeinsam mit den Wohnungsbaugesellschaften planten Senat und Bezirke deshalb momentan "konzeptionell eine Möglichkeit, Wohnraum zu erschließen. Wir wollen bestehende Einrichtungen nutzen, die nicht mehr benötigt werden", so Liecke.

Das könnten beispielsweise Häuser sein, in denen bislang unbegleitete minderjährige Geflüchtete untergebracht waren. Weil weniger Geflüchtete kommen, stehe hier inzwischen Wohnraum leer, sagt der Jugendstaatssekretär dem rbb.

Gespart wird auch im ambulanten Bereich

Auch in anderen Bereichen der Jugendhilfe wird offenbar gespart. Mehrere Träger berichten dem rbb, dass Stundenkontingente immer enger bemessen und auch im ambulanten Bereich zunehmend eingeschränkt werden. "Die Jugendämter vereinbaren mit uns feste Stunden – aber daran wird immer häufiger gerüttelt", sagt Cornelia Kalk. "Offiziell nie aus Kostengründen – aber jeder weiß, dass es so ist."

Auch die Jugendberufshilfe, von der Annabell so profitiert, sieht Kalk in Gefahr. Im Gesetz ist sie nur als sogenannte "Soll-Leistung" verankert und damit anfälliger für Kürzungen.

"Wir brauchen das", sagt die 16-Jährige in ihrer Ausbildungswerkstatt. "Ich könnte die Ausbildung in einem normalen Betrieb nicht machen. Ich könnte auch nicht zur Schule gehen, weil mir ja vier Jahre fehlen. Die Jugendhilfe hat mir da schon sehr geholfen." Ob andere junge Menschen diese Chance auch bekommen, entscheidet sich nicht nur am Bedarf, sondern offenbar immer mehr auch am Budget.

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.04.2025, 06.00 Uhr

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Beitrag von Ute Schuhmacher und Jonas Wintermantel

52 Kommentare

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  1. 52.

    Also, die Schulpflicht gehört hiezualande ncht in den Bereich "Jugendarbeit", das mag in Ländern außerhalb dieses Kontinens so sein.

  2. 51.

    Ihre schulmeisterische Attitüde ist schwer zu ertragen. Sie haben viel "Meinung" aber nicht die geringste Ahnung von Jugendarbeit.

  3. 49.

    Wissen Sie, was Sie da schreiben? Wandern Sie doch aus, wenn es Ihnen nicht gefällt, mir gefällt es hier nämlich richtig gut. Niemand zwingt Sie, in dem Land zu leben, um das uns alle beneiden, 2% aller Menschen dieser Erde leben so gut wie wir. Ein Glück, dass es wir dazu gehören, aber wem es nicht zu gefallen scheint, der kann doch gehen, oder?

  4. 48.

    Kindergeld bedeutet viel zu tun? Was hat das Kindergeld mit Eltern zu tun, die nicht fähig sind, dieser Aufgabe gerecht zu werden, weil sie beispielsweise depressiv sind, oder irgendeiner Sucht erlegen sind? Oder Eltern sind körperlich krank, alleinerziehend oder haben andere Einschränkungen? Wir schauen all zu oft zu oberflächlich, weil wir nicht betroffen zu sein scheinen, aber wie filigran ist der Bruch, der alle von uns vielleicht auch in eine ähnliche Lage bringen kann, unsere Kinder oder Enkel? Kindergeld ist Geld, keine Unterstützung durch eine Bezugsperson, keine Hilfe, kein Ersatz für Eltern.

  5. 47.

    Wovon reden Sie?
    Netter Versuch, aber was soll das? Worauf bezieht sich diese Aussage? Welche Quellen nutzen Sie und was haben Sie gegen arbeitende Frauen? Wirr. Unerklärlich.

  6. 46.

    Liebe Annabell, du antwortest erwachsener als viele Foristi. Meist sind Jugendliche wie du viel reifer und erwachsener, weil sie im Überlebensmodus sind und nicht du trägst die Schuld für deine Situation, sondern diejenigen. die erwachsen sind, dir nahe stehen und eben nicht funktionieren, wie man es von Eltern erwarten sollte. Du hast vollkommen recht, viele Menschen wollen gar nicht wissen, warum man in dieser Lage ist, weil zu unbequem. Vorurteile und Abwertung, obwohl du die Minderjährige bist und man eigentlich ein anderes Verhalten dir gegenüber als Erwachsener voraussetzen sollte. Du bist vollkommen in Ordnung, ich wünsche Dir Glück und Halt und viel Hilfe und dass du dort im Leben ankommen kannst, wo du gern sein möchtest. LG.

  7. 45.

    Na egal, falls Du es bist: du kannst stolz auf Dich sein, die Kurve bekommen zu haben. Geh einfach weiter Deinen Weg, Du bist jung genug, um noch alles machen und schaffen zu können. Und lass Dich von dem Unsinn hier nicht beirren. (Mein Vater ist übrigens auch Maler und verdient als selbstständiger Handwerker gutes Geld!) Alles Gute!

  8. 43.

    Mein handy war ganz sicherlich nicht das Problem das ich Eltern hatte den ich egal war, und früh lernen musste selbstständig zu sein, ich bin zudem erst 16 Jahre jung und nicht erwachsen und konnte bestimmt nicht als 12 jährige klare Entscheidung treffen.

  9. 42.

    Ich weiß nicht wieso deine Einstellung dazu so ist, aber das Handy ist ganz sicher nicht das Problem für alles! Es gib psychische Hintergründe und weiteres. Ich finde es sehr schade solche Sätze hier zu lesen zudem bin ich erst 16 Jahre jung und nicht erwachsen.

  10. 41.

    Ich weiß nicht wieso deine Einstellung dazu so ist, aber das Handy ist ganz sicher nicht das Problem für alles! Es gib psychische Hintergründe und weiteres. Ich finde es von dir sehr respektlos solche Sätze hier im Internet zu treffen ohne das du überhaupt eine Ahnung hast was alles vor gefallen ist.

  11. 40.

    Ich weiß nicht wieso deine Einstellung dazu so ist, aber das Handy ist ganz sicher nicht das Problem für alles! Es gib psychische Hintergründe und weiteres. Ich finde es von dir sehr respektlos solche Sätze hier im Internet zu treffen ohne das du überhaupt eine Ahnung hast was alles vor gefallen ist.

  12. 39.


    Ich weiß nicht was dein Problem ist, aber das Handy ist ganz sicher nicht das Problem für alles! Es gib psychische Hintergründe und weiteres. Ich finde es von dir sehr respektlos solche Sätze hier im Internet zu treffen ohne das du überhaupt eine Ahnung hast was alles vor gefallen ist.

  13. 38.

    Hallo du unwissender,
    Ich weiß nicht was dein Problem ist, aber das Handy ist ganz sicher nicht das Problem für alles! Es gib psychische Hintergründe und weiteres. Ich finde es von dir sehr respektlos solche Sätze hier im Internet zu treffen ohne das du überhaupt eine Ahnung hast was alles vor gefallen ist.

  14. 37.

    Nur etwas keck gefragt: was hast du denn die ganze Zeit gemacht, das wie deine Eltern?
    Und wichtiger - was war dir WICHTIGER?
    Anscheinend keine Neugier auf Wissen, Lernen und Bildung.
    Handy war aber sicher immer standby.

  15. 36.

    Hallo Annabell, gut gemacht! Wenn du die Ausbildung fertig hast, kennst du dich mit Farben und Materialien aus, vielleicht gibt es nach erfolgreicher Berufsausbildung die Chance ohne Abi in die therapeutische Richtung zu gehen, also zu studieren.
    Ich wünsche dir maximalen Erfolg für dein Leben und immer jemanden an deiner Seite, der dich nicht nur akustisch versteht.

  16. 35.

    Wie das Wort sagt, es gibt die Schulpflicht, und wenn es den Eltern egal ist, dann müssen die Behörden eingreifen.
    Die Kinder, die dürfen in dieser Sache nicht den Eltern ausgeliefert sein, so schreibt es der Gesetzgeber vor!

  17. 34.

    Ja, so ist es und wenn die Eltern aus irgendwelchen Gründen ausfallen, dann hat die Gesellschaft für diese Kinder die Verantwortung zu übernehmen, sie auf ihrem Weg in das Leben zu begleiten und fürsorglich zu behandeln.
    Vielleicht wird eines dieser Kinder irgendwann in einem Seniorenheim arbeiten und Sie pampern. In diesem Fall bleibt zu hoffen, dass es nie erfährt, wie garstig Ihre Ansichten sind.
    Es kann ja sein, dass derartige Probleme nie in Ihrer Familie auftauchten, genau wie in meiner. Dennoch muss doch die Menschheit zumindest dem Vergleich mit Ratten standhalten, denen diese soziale Strategie des Füreinandersorgens das Überleben sichert. Mit der Kälte, die Ihr Kommentar heute ausstrahlt, könnten Sie Fukushima kühlen.

  18. 33.

    Ja, natürlich habe ich ihn gelesen.
    Ja, und die Annabell 16 Jahre alt, die ist im Artikel als das typische Beispiel beschrieben!
    Also, in 10 Jahren Schulpflicht ohne Problem 4 Jahre Fehlzeiten anhäufen, das ist unglaublich verantwortungslos.

    Nun, In Berlin ist die Schule eh kein politisches "Steckenpferd".

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