"Nicht witzig" - "historischer Tag" - Merz wird erst im zweiten Anlauf Kanzler - überraschte und besorgte Reaktionen

Di. 06.05.25 | 17:41 Uhr
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Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Bundestag nach der gescheiterten Kanzlerwahl. (Quelle: dpa/Kay Nietfeld)
Video: rbb24 Abendschau | 06.05.2025 | Arndt Breitfeld, Sascha Hingst | Bild: dpa/Markus Schreiber

Friedrich Merz ist am Dienstag zum Bundeskanzler gewählt worden - doch der CDU-Chef bekam die nötigen Stimmen erst im zweiten Wahlgang. Politiker aus der Region reagierten überrascht auf den historischen Vorgang.

  • CDU-Chef Friedrich Merz erst im zweiten Durchgang zum Bundeskanzler gewählt
  • Politiker in Berlin und Brandenburg überrascht von Scheitern im ersten Durchgang
  • Berlins Regierender Bürgermeister appellierte an Abgeordnete: müssen sich Verantwortung bewusst sein
  • Oppositionsparteien sehen mangelnden Rückhalt für Merz

CDU-Chef Friedrich Merz ist im zweiten Anlauf im Bundestag zum zehnten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Er erhielt am Dienstag in geheimer Abstimmung 325 Ja-Stimmen. Das waren neun Stimmen mehr als die nötige Mehrheit von 316. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Sitze im Parlament.

Im ersten Wahlgang war Merz noch gescheitert: Er hatte zunächst nur 310 Stimmen und damit sechs weniger als nötig erhalten. Damit scheiterte zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte ein Kanzlerkandidat im ersten Wahlgang.

Politikerinnen und Politiker aus Berlin und Brandenburg haben überrascht auf das Scheitern von Merz im ersten Durchgang reagiert.

Das sei zweifelsohne kein guter Start für diese Koalition, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und weiter: "Es ist keine Zeit für Machtspielchen Einzelner auf Kosten der Stabilität unseres Landes". Der Koalitionsvertrag trage den Titel "Verantwortung für Deutschland" - und genau dieser Verantwortung müssten sich jetzt alle Abgeordneten bewusst sein. Deutschland und Europa bräuchten jetzt Klarheit und Verlässlichkeit, so Wegner: "Die Koalitionsparteien stehen gemeinsam in der Pflicht, ihr Versprechen einzulösen - mit einer stabilen, handlungsfähigen Regierung."

Auch Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) appellierte an die Bundestagsabgeordneten, in einem zweiten Wahlgang für Friedrich Merz als Bundeskanzler zu stimmen. Sie halte es "gerade auch in der Woche des Gedenkens an 80 Jahre Kriegsende für extrem wichtig, dass das Signal gesetzt wird, dass wir aus der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt in der Lage sind, eine handlungsfähige, stabile Bundesregierung aufzustellen." Alle, die daran mitwirkten, müssten sich dieser Verantwortung bewusst sein, so Giffey: "Ich glaube, das wäre nicht nur für Deutschland im Inneren, sondern auch für das, was im internationalen Kontext von uns erwartet wird, sehr wichtig, und ich hoffe, dass wir hier bald Klarheit haben."

Die Berliner Grünen-Abgeordnete Renate Künast sieht einen "massiven Autoritätsverlust" für Merz. "Das hängt ihm am Nacken, das wird er nicht mehr los", sagte sie im Bundestag der ARD. Es spreche einiges dafür, einen weiteren Wahlgang jetzt nicht hinauszuzögern. "Wir wollen wissen, ob Herr Merz eine Mehrheit hat", betonte Künast. Zudem brauche das Land Entscheidungen.

Der brandenburgische CDU-Fraktionschef Jan Redmann sieht eine künftige Bundesregierung von Union und SPD trotz der Niederlage von Friedrich Merz im ersten Versuch nicht beschädigt. "Ich sehe weiterhin, dass diese Koalition gut zusammenarbeiten kann", sagte Redmann in Potsdam. "Das ist etwas, was sicherlich den Tag der Kanzlerwahl auch trübt und ist auch kein guter Start, das ist völlig klar", so Redmann. Aber in den Bundesländern habe es das wie etwa bei der Wahl von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) schon häufiger gegeben. "Das sollte man nicht überbewerten."

Die Brandenburger SPD-Abgeordnete Maja Wallstein, die seit 2021 für den Wahlkreis Cottbus - Spree-Neiße im Parlament sitzt, sagte dem rbb am Dienstag, die Lage sei "nicht witzig". Es gehe auch um die Außenwirkung und darum, dass die politischen Verhältnisse in Deutschland stabil sein sollten. Sie sei davon ausgegangen, dass Merz im ersten Wahlgang gewählt werde, auch wenn er nicht der Wunschkanzler der SPD sei. Für Politik und Demokratie seien aber Kompromisse wichtig. Wallstein sagte, es habe nicht an den Sozialdemokraten gelegen, dass die Wahl gescheitert sei.

Isabelle Vandré (Linke), die über die Landesliste Brandenburg 2025 in den Bundestag gelangte, sprach von einem historischen Tag. Das Ergebnis des ersten Wahlgangs sei der verfehlten Politik von Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil geschuldet, sagte sie dem rbb. Es sei überraschend, dass Merz nicht einmal in den Fraktionen von Union und SPD genügend Rückhalt habe. Sie erwarte, dass es jetzt eine klare Absage an den Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft gibt. SPD und Union müssten jetzt aus diesem Wahlgang Rückschlüsse ziehen.

Nach Ansicht von René Springer, AfD-Abgeordneter und seit 2024 Vorsitzender der Partei in Brandenburg, ist die CDU/SPD-Koaltion nicht regierungsfähig. "Diese Koalition ist ein Kartenhaus, das bereits beim Aufbau wackelt", sagte er laut einer Mitteilung. Die Regierung sei fragil und werde "mit Sicherheit nichts Gutes" zustande bringen. "Und das ist das eigentliche Drama: Die Bürger erwarten Lösungen für die drängenden Probleme: eine funktionierende Wirtschaft, bezahlbare Energie, sichere Grenzen und soziale Stabilität. Doch mit dieser wackeligen Koalition wird es weiter bergab gehen."

Niels-Olaf Lüders, Landtagsfraktionschef des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Brandenburg, sprach von einer Bundesregierung, die gescheitert sei, bevor sie angefangen habe. "Die Aufrüstungspolitik von Friedrich Merz und eine Bundes-SPD, die sich von sozialdemokratischer Politik verabschiedet hat, haben in den eigenen Reihen offensichtlich keine Mehrheit", sagte Lüders.

Alle Fraktion im Bundestag für schnellen zweiten Wahlgang

Nach dem gescheiterten ersten Wahlgang hatte der Bundestag einen zweiten Wahlgang für die Wahl des Bundeskanzlers noch am Dienstagnachmittag angesetzt.

Einen so schnellen zweiten Wahlgang konnten Union und SPD nicht allein ansetzen, da sie zusammen keine Zweidrittelmehrheit haben. Andernfalls hätte der zweite Wahlgang frühestens am Freitag stattfinden können. Alle Fraktionen stimmten am Dienstagnachmittag für einen entsprechenden Geschäftsordnungsantrag, wie Bundestagspräsidentin Julia Klöckner mitteilte.

Um nicht auf Stimmen der AfD angewiesen zu sein, hatten Merz und der designierte Vizekanzler Lars Klingbeil das Gespräch mit den Grünen und auch mit den Linken gesucht. Mit letzteren hat die Union eigentlich einen Unvereinbarkeitsbeschluss, der "Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit" ausschließt. Letztlich stimmten nicht nur Abgeordnete von Union, SPD, Grünen und Linken dem zweiten Wahlgang zu, sondern auch AfD-Abgeordnete.

Sendung: rbb24, 06.05.2025, 19:30 Uhr

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86 Kommentare

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  1. 86.

    Das ist ja peinlich: jetzt lässt sich Herr Merz von den Kommunisten und den Grünen zum Kanzler wählen.

  2. 85.

    Es war ein kleiner Betriebsunfall. Im nächsten Wahlgang wird Friedrich Merz die erforderliche Mehrheit erreichen.

  3. 84.

    Die Aussicht auf einen zweiten Wahlgang noch am Dienstag zeigt, von wie wenig Kompetenz und Standhaftigkeit der Abgeordneten ausgegangen wird. Wahlberechtigten werden hinter den Kulissen anscheinend irgendwelche geheime windige Zugeständnisse versprochen. So funktioniert Politik.

  4. 83.

    Dass beide Fraktionen jetzt mit Schuldzuweisungen aufeinander losgehen lässt nichts Gutes für die Legislatur ahnen.

    Steht uns eine zweite Ampel bevor? Ich hoffe doch nicht!

  5. 82.

    Das ist doch nur noch Kasperletheater.
    Der Ruf von der politischen Vorgehensweise (s. Ex Innenministerin) in Deutschland und deren Gehabe der Parteien ist ohnehin ruiniert.
    Das geht niemals gut mit der CDU und SPD.

  6. 81.

    Schwarzer Rauch über dem Reichstag

  7. 80.

    Wie könnte der Welt nach der Wahl von Friedrich Merz zum Kanzler im 2.Wahlgang wohl plausibel vermittelt werden, daß deutsche Politik absolut seriös ist, wenn ein Abstimmungsergebnis wenige Stunden und nicht Tage nach einer sehr wichtigen, also sehr gut überlegten, Stimmungabgabe um ganze sechs Stimmen abweichen kann?

  8. 79.

    Sie kennen unser GG offensichtlich nicht. Bitte Art. 63 uff lesen, dann hätten Sie gewusst wieviel Wahlgang notwendig sind um den Bundeskanzler zu wählen.

  9. 78.

    Unheil hat Merz schon vor der Kanzlerschaft angerichtet indem er Klima Neutralität ins GG mit dem a gewählten Bundestag übernommen hat. Dieser Typ ist kein deut besser wie Trump

  10. 77.

    Die angebliche Aussage der Grünen-Politikerin Renate Künast, dass nach Scheitern von Friedrich Merz bei der Kanzlerwahl Sprachlosigkeit in ihrer Bundestagsfraktion herrscht, ist scheinheilig. Ich nehme an, dass ihre gesamte Fraktion gegen Merz gestimmt hat. Damit sind die Grünen mit Schuld am Wahldesaster. Davon unabhängig ich begrüße, dass Herr Merz nicht Bundeskanzler wird. Frau Künast zeigt aber die Diskrepanz von Wort und Tat von Politiker:innen. Ich nehme an, dass sie und viele Grüne gegen Herrn Merz gestimmt haben. Umgekehrt hat die Partei im Vorfeld mit dazu beigetragen, dass Merz den Schuldentopf weiter öffnen darf, um Deutschland kriegstüchtig zu machen. Solche Handlungen sind einfach nur widerlich.

  11. 76.

    War doch voraus zu sehen. Die im Bundestag gewählten Abgeordneten sollten sich mal überlegen was sie da wollen. Im Interesse des Volkes wird nicht gehandelt. Parteipolismus. Die Frau Weidel ist nicht in Deutschland gemeldet.
    Aber schreit nach Neuwahlen.
    Geht's noch.
    Das geht nicht mehr so weiter.
    Neutralität in der Politik und keine Partei Interessen.

  12. 75.

    Das ist ja peinlich: jetzt lässt sich Herr Merz von den Kommunisten und den Grünen zum Kanzler wählen.

  13. 74.

    Stimmt, denn sonst hätten alle Beteiligten dafür gesorgt das sich was tut in diesem Land. Schade das man nie erfährt wer die Abweichler waren.

  14. 73.

    BILD fragt, ob es Verrat war. Die Antwort ist doch klar und BILD ist darauf nicht gekommen. Der Verräter ist der Kanzlerkandidat höchstpersönlich gewesen. Der nach der Wahl das Gegenteil dessen erzähtl, was er vor der Wahl dem Wahlvolk versprochen hat.

  15. 72.

    Diesen Mann kann man ja auch nicht ernst nehmen und schon gar nicht als Bundeskanzler.

  16. 71.

    Ich kann keine "Demokraten" leiden, die offen den Antidemokraten von der AfD in die Karten spielen. Die AfD wird mittlerweile vom eher rechts orientieren Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Ob sich die Maulwürfe von heute schon auf die kommende Diktatur freuen?

  17. 70.

    Nicht, dass die AfD jetzt Merz wählt und damit die Wahl ungültig macht!

  18. 69.

    Ich halte mir schon mal einen Termin im Nächsten Jahr frei für die Neuwahlen, wenn in 75Jahren BRD der Kanzler im ersten Durchgang keine Mehrheit bekommt dann ist die zukünftige Regierung schon zum Scheitern verurteilt.

  19. 68.

    Schadefreude ist hier fehl am Platz. Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung.
    Wer vom Stillstand profitiert, scheint klar.

  20. 67.

    Bei aller Aufregung sollte man die Sache nüchtern betrachten: Es fehlten nicht nur einige Zusatzstimmen, sondern alles in allem 18 mögliche Stimmen der neuen Koalition und sechs Stimmen zur mindestens nötigen Kanzlermehrheit. Es war ein Misstrauensvotum vor Amtsantritt, von dem sich ein Regierungsbündnis eigentlich nicht mehr erholen kann.

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