Hintergrund - Jahrelanger Streit um die Autobahn 100

Mi 10.10.12 | 12:19 Uhr

Der Berliner Senat will die Stadtautobahn verlängern. Vom Dreieck Neukölln bis nach Treptow soll das 3,2 Kilometer lange Autobahnstück gebaut werden, Baubeginn ab 2013. Politischer Streit und Anwohnerproteste haben das Großprojekt seit Jahren verzögert.

Die Autobahn 100 in Berlin ist die am stärksten befahrene Autobahn in Deutschland - Spitzenreiter ist laut Verkehrszählung der Bundesanstalt für Straßenwesen der Abschnitt zwischen Dreieck Funkturm und Kurfürstendamm. 186.000 Fahrzeugen pro Tag fahren hier entlang.

Da verwundert es nicht, dass die Autobahn und ihr Ausbau für die Landespolitik von großer Bedeutung sind. Dabei richtet sich ihr Blick seit einiger Zeit auf den südöstlichen Teil Berlins. Der rot-schwarze Senat hat 2011 in seiner Koalitionsvereinbarung vereinbart, dass die A 100 vom Dreieck Neukölln bis nach Treptow verlängert werden soll. SPD und CDU halten den Ausbau für eines der wichtigsten Verkehrsprojekte - und für notwendig, um die östlichen Bezirke und die dortigen Wirtschaftsunternehmen besser an die Stadtautobahn anzubinden.

Konkret soll das 3,2 Kilometer lange Autobahnstück vom Autobahndreieck Neukölln bis zur Anschlussstelle Am Treptower Park verlaufen. Die drei neuen Anschlussstellen Grenzallee, Sonnenallee und Am Treptower Park sollen den Verkehr vom Stadtgebiet auf die Autobahn leiten. Damit würde auch die Bundesstraße 96, die nach Adlershof und Richtung Flughafen Berlin-Brandenburg führt, an die Stadtautobahn angeschlossen werden, so die Senatsverwaltung für Bau und Stadtentwicklung.

Berliner Wirtschaft für den Ausbau, Anwohner dagegen

Vor allem die Berliner Industrie machte sich für die A 100-Verlängerung stark. Die Industrie- und Handelskammer Berlin sagte dem Senat von Anfang an die volle Unterstützung zu. Die Verlängerung der A 100 sei ein wichtiges Infrastruktur-Projekt, betonte IHK-Sprecher Bernhard Schodrowski im Februar 2012. "Natürlich müssen alle juristischen Fragen geklärt werden, aber das Projekt darf dadurch nicht in Gefahr geraten", sagte er.

Doch die Anwohner in den vom Autobahnausbau betroffenen Bezirken sahen das anders. Die Lärm- und Luftbelastung sei für direkt Betroffene und auch für Anwohner der Anschlussstellen eine Gesundheitsgefährdung, argumentierten sie. Zudem müssten Wohnhäuser und Gewerbebetriebe für den Ausbau der Autobahn abgerissen werden.

Gericht entscheidet für Autobahn-Bau

Deshalb hatte sich Anfang 2012 ein Bündnis aus Anwohnern, der Naturschutzorganisation BUND und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zusammengetan und Klage beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht. Das Bündnis befürchtete, dass der LKW-Verkehr durch die Autobahnverlängerung massiv zunimmt. Dieser führe zu mehr Staus, mehr Lärm und mehr Feinstaubbelastung. Auch benachbarte Stadtteile wie Friedrichshain und Kreuzberg wären davon betroffen, so die Kläger.

Doch das Bundesverwaltungsgericht hat die Klagen am Mittwoch abgewiesen und entschieden, dass die Stadtautobahn von Neukölln nach Treptow gebaut werden kann. Allerdings gaben die Bundesrichter dem Berliner Senat kleinere Nachbesserungen beim Lärmschutz auf.
Ein Abrissbagger räumt am Mittwoch (08.02.2012) in Berlin-Neukölln das geplante Erweiterungsgelände der Stadtautobahn A100 (Foto: dpa)
Seit Februar 2012 ruhten die Bagger.

A 100-Gegner erzielen Teilerfolge

Bereits nach den ersten Verhandlungstagen in der Hauptsache deutete sich an, dass ein Komplettstopp des Bauvorhabens unwahrscheinlich ist. Der Berliner Senat bezweifelte, dass das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg überhaupt als Kläger auftreten darf. Berlin sei eine Einheitsgemeinde, so dass die Planungshoheit bei der Stadt liege. Die Bezirke seien deshalb keine eigenständigen Gemeinden, die Klage führen könnten.

Die A100-Gegner erzielten jedoch Teilerfolge: Das Bundesverwaltungsgericht lehnte den geplanten Abriss zweier Häuser in der Beermannstraße in Treptow ab. Stattdessen muss der Lärmschutz verbessert und die Planung in einigen weiteren Punkten nachgebessert werden.

Nachdem der Berliner Senat im Februar 2012 mit dem Abriss von Gartenanlagen und dem Fällen erster Bäume in Berlin-Neukölln begonnen hatte, war der Protest der Autobahngegner noch erfolgreich. Das Bundesverwaltungsgericht stoppte damals die so genannten bauvorbereitenden Maßnahmen per Eilbeschluss. Das Gericht hatte bereits 2011 entschieden, dass der Planfeststellungsbeschluss für den A-100-Ausbau nicht umgesetzt werden darf, bis es über die Klagen gegen das Projekt entschieden hat. Seither ruhten die Bagger.

A 100 ist schon lange ein Berliner Politikum

Durch die eingereichten Klagen hatte sich der Baubeginn immer wieder verschoben. Auch die Kosten sind gestiegen: Nach den neuesten Berechnungen des Bundesrechnungshofes im April 2012 wird die Autobahnverlängerung gut 50 Millionen Euro teurer als noch vor fünf Jahren angenommen. Statt 420 kommen für Baukosten und Grunderwerb voraussichtlich 475 Millionen Euro auf die Verantwortlichen zu. Laut dem vertraulichen Bericht für den Haushaltsausschuss des Bundestages sind die Planungskosten, die vom Land Berlin übernommen werden, dabei noch nicht eingerechnet.

Doch nicht erst aufgrund der drohenden Mehrkosten ist die A 100 zum Berliner Politikum geworden. Nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011 gingen die Wunschpartner SPD und Grüne in Koalitionsgespräche. Doch weil die Grünen einen Weiterbau der A 100 als "rückwärtsgewandte Betonpolitik" strikt ablehnten, ließ der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die Verhandlungen platzen und entschied sich für die CDU als neuen Koalitionspartner.

Bereits die Vorgängerregierung aus SPD und Linken konnte sich bei der A 100 nicht einigen. Im Jahr 2006 schrieben beide Parteien den Autobahnausbau noch als Ziel in ihren Koalitionsvertrag. Doch die Stimmung schlug um: Zuerst lehnte ein SPD-Parteitag im Mai 2009 das Verkehrsprojekt mehrheitlich ab, dann votierte die Linke im Frühjahr 2010 mit einem klaren Nein. Erst in einem zweiten Anlauf konnten die Befürworter in der SPD eine knappe Mehrheit für einen Parteitagsbeschluss pro Autobahnbau erzielen. Doch im Sommer 2011 entschied die rot-rote Koalition, das Bauprojekt zu vertagen und die Entscheidung der nächsten Landesregierung zu überlassen.

Seit 2011 hat Berlin eine rot-schwarze Landesregierung, die den Weiterbau der A 100 vorantreiben will. Das letzte Wort hat aber am Ende das Bundesverkehrsministerium von CSU-Politiker Peter Ramsauer, das die Baukosten übernehmen müsste. Noch hat sich das Ministerium nicht endgültig zur A 100 geäußert.

Ausbau A100

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