Exklusiv: Organisierte Kriminalität - Der Clan der falschen Polizisten

Es ist einer der größten Schläge gegen Clankriminalität überhaupt: Mithilfe des Berliner LKA werden Banden von Telefonbetrügern ausgehoben, die von der Türkei aus ältere Menschen in Deutschland abzocken. Von report München und rbb24 Recherche: F. Mader (BR), O. Sundermeyer und L. Wreschniok (BR)
In Izmir findet man viele von denen, die in Deutschland gesucht werden oder als Schwerkriminelle bekannt sind. Ob auf der Anklagebank eines türkischen Gerichts, wo sich einige Mitglieder des Miri-Clans als Hinterleute einer Bande von Telefonbetrügern verantworten müssen. Oder abends in einem Restaurant um die Ecke, wo einer der Haupttäter des spektakulären Berliner Pokerraubs vom erfolgreichen kriminellen Leben in Izmir prahlt.
Immer wieder tauchten in den vergangenen Jahren Kriminelle aus Berlin in der Türkei ab, dabei erwies Izmir sich als besonders beliebte Destination. Beim Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) galt das Land bislang wegen der eingeschränkten Rechtshilfe als ein sicheres Exil für Straftäter aus Deutschland, zumal für jene mit einem türkischen Pass.
Türkei war lange Rückzugsort für Straftäter
Gemeint sind Männer wie der 33-jährige Amar S. aus Bremen. Der lange vergeblich in Deutschland per Haftbefehl gesuchte Mehrfachtäter aus dem bundesweit bekannten Miri-Clan soll der Kopf der Bande sein, die von Izmir aus ältere Menschen in Deutschland um Millionen abgezockt haben soll. Vor zehn Jahren war Amar S. vor einem Prozess wegen Einbruchdiebstahls aus dem Haftraum des Bremer Landgerichts in die Türkei geflohen war. Nun sitzt er in Izmir vor Gericht.
Den Angeklagten wird die "Gründung einer Organisation zur Begehung von Verbrechen, Betrug, Geldwäsche von Vermögenswerten aus Straftaten" vorgeworfen. Es geht um organisierten Telefonbetrug nach der Masche der so genannten "falschen Polizisten", mit der aus Callcentern in Izmir – zumeist ältere – Menschen in Deutschland um ihr Vermögen gebracht worden sein sollen.
Dabei geben sich Callcenterbetrüger am Telefon fälschlicherweise als Polizisten aus, und berichten etwa von Einbrüchen in der Nachbarschaft. So bringen sie Menschen dazu, ihnen ihr Vermögen zu übergeben, um es angeblich in Sicherheit zu bringen. Dabei nutzten sie das sogenannte "Call ID Spoofing". Mit dieser Vorgehensweise erscheint bei dem Angerufenen eine vorgetäuschte Rufnummer im Display. Oliver Huth, Bundesvorstandsmitglied beim Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), sieht in dem Prozess in Izmir einen Durchbruch bei der bislang schwierigen Polizeizusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei.
Schaden in Berlin mehr als 20 Millionen Euro
Die Anklageschrift, die dem ARD-Politikmagazin report München und rbb24 Recherche vorliegt, weist 24 Betrugsfälle aus, bei denen durch die Münchner Kriminalpolizei der Weg der Beute von den Opfern in Deutschland bis nach Izmir nachverfolgt werden konnte, insgesamt geht es um 5,4 Millionen Euro.
Neben der Kriminalpolizei in München, bei der die Ermittlungen zusammengelaufen sind, war auch das Berliner Landeskriminalamt an dem Verfahren beteiligt. Dort gilt der Schlag gegen den "Izmir-Clan" nur als Ausschnitt eines umfangreichen Tatkomplexes mit einem noch größeren Netzwerk an Clankriminellen und Mittätern, die aus Izmir und weiteren Städten in der Türkei agieren. Zwischen 2018 und 2021 haben kriminelle Banden mit der Betrugsmasche "Falsche Polizisten" in Berlin mindestens 20,3 Millionen Euro erbeutet. In Brandenburg liegt die Schadenssumme bei knapp 1,6 Millionen Euro, allerdings liegen für 2021 in Brandenburg noch keine Zahlen vor.
Deutschlandweit haben die Banden seit 2018 einen Schaden von mindestens 120 Millionen Euro verursacht, wie eine Umfrage von report München und rbb24 Recherche ergab. Demnach wurden in dem Zeitraum mehr als 154.000 Fälle registriert, davon waren die Täter in gut 10.500 Fällen erfolgreich. Fachleute gehen davon aus, dass der Schaden und die Zahl der Opfer noch wesentlich höher sind: Zahlreiche Betroffene dieser Masche würden den Betrug aus Scham nicht zur Anzeige bringen.
Frau verkauft Haus, um zu helfen
Unter den in Izmir angeklagten Fällen ist auch der einer älteren Frau aus Bayern, die anonym bleiben möchte. Sie war über Monate von den Tätern telefonisch isoliert worden. Ein Mann, der sich "Oberkommissar Stein" nannte, brachte sie schließlich dazu, einem Abholer 300.000 Euro in bar auszuhändigen. Danach habe ihr ein anderer Polizist weis gemacht, dass der Kollege Stein von der Einbrecherbande entführt worden sei und man jetzt ihre Hilfe benötige: "Und damit hat dann das Verhängnis seinen Lauf genommen" erinnert sie sich. "Indem er dann mit dem Vorschlag kam, ob ich nicht mein Haus verkaufen würde. Um daraus dann erstmal Lösegeld für Herrn Stein zu haben." Sie verkauft ihr Haus für drei Millionen Euro, lässt sich dazu überreden, für dieses Geld Diamanten zu kaufen, sowie eine Rolex-Uhr für 250.000 Euro, packt alles in einen Koffer, und stellt diesen auf einen Stromkasten in der Nähe ihres Hauses ab.
Hauptverdächtige tauchen in Rap-Video auf
Für diesen Coup hatte die Bande eigens einen Abholer arrangiert, der aus Berlin angefahren kam. Eine Information, die dem Berliner LKA mittels Telefonüberwachung bekannt war, und die es an die Kripo in München weitergegeben hatte. Janet Gampe aus dem Betrugsdezernat erinnert sich: "Den Zugriff haben die Kollegen in München gemacht. Wir haben sie aber von hier begleitet, um die Sache sozusagen zum Ende zu bringen." Die Diamanten und die Rolex wurden sichergestellt. Der Abholer sitzt in Berlin in Haft.
Schließlich wurde bei einer Razzia in Izmir Ende 2020 unter den Hintermännern der Bande auch der Anrufer festgenommen, der sich in diesem Fall als "Oberkommissar Stein" ausgegeben hatte, Miran S. Zusammen mit Amar S., zwei seiner Brüder und Cousins, durften sich zuvor in einem Hochglanzvideo des Berliner Rappers Mudi noch als Gangster in Izmir inszenieren. Nun sind sie dort alle als Haupttatverdächtige angeklagt. Rap-Musik und die Miris, eine Verbindung mit Tradition. Schon seit Jahren thematisieren einzelne Mitglieder dieses Clans ihre Schwerkriminalität auf diese Weise.
Suizide und schwere Traumata
Die Opferliste der angeklagten Bande weist mindestens zwei Todesfälle auf, die auf den Betrug zurückzuführen sein sollen: In einem Fall geht die Staatsanwaltschaft von Selbstmord als Folge des Vermögensverlusts aus. In einem zweiten Fall hatte der Hausarzt eines der Betroffenen, ein weit über 80-jähriger Mann, bereits bei einem Gerichtsverfahren gegen die Abholer in Deutschland ausgesagt, dass sein Patient aus gesundheitlichen Gründen an den Folgen des Betrugs verstorben sei.
Nach Informationen von Report München und rbb24 Recherche prüfen die Landeskriminalämter in NRW und Bremen derzeit, ob einzelne Mitglieder des Miri-Clans in Deutschland Beute aus diesen Betrugsdelikten gewaschen haben. Etwa über den Erwerb von Immobilien mittels Strohleuten. Die türkische Staatsanwaltschaft weist Amar S. in der Anklageschrift jedenfalls mehrere Immobilien nach, darunter ein Hotel im Badeort Çeşme.
Aktuelle Ermittlungen des Berliner LKA führen in der weiteren Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei in München bald zur nächsten Anklage gegen eine Bande falscher Polizisten aus dem Umfeld des Miri-Clans. Auch sie sollen von der Türkei aus ältere Menschen in Deutschland abgezockt haben.
Das ARD-Politikmagazin report München berichtet in seiner Sendung am 08. Februar 2022 um 21.45 Uhr über die Recherchen. Der Film "Der Izmir Clan - Beutezug durch Deutschland" steht ab 17 Uhr in der ARD-Mediathek bereit.
Sendung: Abendschau, 08.02.2022, 19:30
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