Russland, Syrien, Corona-Proteste - Berliner AfD auf Radikalkurs

Die Berliner AfD hat sich endgültig für einen radikalen Kurs entschieden. Der neue Landesvorstand sieht die AfD als "parlamentarischen Arm" der Anti-Corona-Proteste. Radikale Funktionäre gewinnen an Einfluss. Von René Althammer und Olaf Sundermeyer
Die Osterferien hat der Berliner AfD-Abgeordnete Gunnar Lindemann in Syrien verbracht. Auf Einladung des Industrieministeriums des Assad-Regimes, das gegen die eigene Bevölkerung einen Bürgerkrieg führt. Der Minister selbst wie alle Regierungsmitglieder steht auf der Sanktionsliste der Europäischen Union (EU).
Diplomatische Beziehungen zwischen Syrien und Deutschland gibt es deshalb nicht. Lindemann wurde mit weiteren Mitgliedern des AfD-nahen Mittelstandsforums nach Syrien gebeten, wo er sich den Kamerateams der Staatsmedien als "Abgeordneter aus Berlin" präsentierte. Man wolle prüfen, welche Möglichkeiten es für deutsche Unternehmen zukünftig gäbe.
Syrien als Vorbild für Deutschland
Gunnar Lindemann ließ seine Berliner Wähler via Twitter an seiner Reise teilhaben. Er schwärmte von Damaskus, wo Geschäfte und Restaurant geöffnet sind. "Es gibt hier keinen lock-down" wie in Deutschland, keine Übersterblichkeit, keine Leichenberge wegen Corona, so Lindemann. Den Umgang des Assad-Regimes mit der Corona-Pandemie könne sich Deutschland zum Vorbild nehmen, so das Mitglied des Berliner AfD-Landesvorstands.
Bei den Wahlen 2016 hatte er berlinweit das beste Ergebnis der AfD eingefahren, Lindemann ist nicht irgendwer in der Partei.
Seine Botschaft aus Syrien reiht sich nahtlos ein in sein Bekenntnis zur Anti-Corona-Protestbewegung, die er seit den ersten so genannten "Hygiene-Demonstrationen" vor einem Jahr vor der Volksbühne begleitet, gemeinsam mit anderen Mitgliedern aus dem offiziell aufgelösten rechtsextremen Parteinetzwerk "Der Flügel". Immer mit dabei: Jeanette Auricht, die bei den jüngsten Vorstandswahlen im März zur stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt wurde.
Der "parlamentarische Arm" der Corona-Proteste
Seit dieser Wahl gewinnen die innerparteilichen Anhänger dieser radikalen Straßenproteste an Einfluss. Über sie wird auch die Verbindung zum AfD-Landesverband in Brandenburg enger, der selbst maßgeblich den Anti-Corona-Protest auf der Straße initiiert.
Auch wenn die Berliner AfD-Mitglieder bei den Anti-Corona-Protesten der "Querdenker" nach Möglichkeit keine Partei-Insignien zur Schau stellen sollen, sagt Gunnar Lindemann, so freue er sich doch, über jedes Mitglied, dass an den Demonstrationen teilnehme, "solange sie im demokratischen Rahmen stattfinden". Die neu gewählte AfD-Landesvorsitzende Kristin Brinker sieht ihre Partei inzwischen als "parlamentarischen Arm" der Straßenproteste.
Eine Linie, die zuletzt auf dem Bundesparteitag der AfD in Dresden gezeichnet wurde, wo sich die AfD zu den Zielen der "Querdenker" bekannt hat. Kristin Brinker, eine auch unter einigen Mitgliedern anderer Fraktionen im Abgeordnetenhaus geachtete Haushaltspolitikerin, hatte sich selbst ein Bild von den "Querdenkern" gemacht. Auf deren Großdemonstration am 29. August vergangenen Jahres in Berlin, die stellenweise durch Reichsbürger und rechtsmotivierte Hooligans eskaliert worden war.
Bekenntnis zur Anti-Corona-Bewegung
Die Einstufung von Teilen dieser Proteste als Verdachtsfall durch die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern ändert nichts an dem Bekenntnis der Berliner AfD zu dieser Bewegung. Im Gegenteil: Die "Delegitimierung staatlicher Institutionen", die der Verfassungsschutz bei den Protesten erkennt, trägt die AfD selbst in die Parlamente, in Brandenburg, in den deutschen Bundestag, und auch ins Berliner Abgeordnetenhaus.
Die Äußerung von Kristin Brinker manifestiert nun die politische Neuausrichtung ihres Landesverbands, die sich mit den Vorstandswahlen im März abgezeichnet hatte. Gab sich die Berliner AfD lange Zeit - im innerparteilichen Vergleich - gemäßigt, solidarisieren sich die Spitzenfunktionäre nun offen mit den beständig radikaler werdenden Anti-Corona-Protesten.
Keine Scheu im Umgang mit Radikalen
Den Umgang mit Radikalen scheute Lindemann auch in Syrien nicht. Zum offiziellen Besuchsprogramm gehörte, wie er auf Twitter schreibt, der "Besuch der Abschlussklasse der Akademie für Politik und Wirtschaft" in Damaskus. Doch wer genauer hinschaut, stellt fest: Gunnar Lindemann war an keiner "Akademie" sondern an der zentralen Parteischule von Assads Baath-Partei in Damaskus. Ihre Aufgabe, so der Regionalwissenschaftler und Syrien-Experte Hans Goldenbaum, besteht im Kern darin, Kader für das Assad-Regime auszubilden.
Die Einrichtung sei "ein Herzstück in den Strukturen des Regimes", in ihr würden die Kader der Partei auf ihre Rolle bei der "Durchherrschung und Kontrolle der syrischen Bevölkerung" vorbereitet.
Lindemann in Syrien: "Ich sehe da keinen Konflikt"
Für Gunnar Lindemann kein Problem, er versuche auf seinen Reisen immer wieder auch mit Studenten ins Gespräch zu kommen. Selbst ein fröhliches Selfie mit einem Mitglied der berüchtigten Baath-Brigaden, die laut Syrien-Experte Goldenbaum an der Niederschlagung des Aufstands, "willkürlichen Verhaftungen" sowie "Folter bis hin zu Tötungen" beteiligt waren, ist für Lindemann kein Problem: "Ich sehe da keinen Konflikt, wir sprechen mit den jungen Studenten. Ob die Studenten in irgendeiner Partei sind oder nicht in einer Partei sind, das haben wir vorher nicht erfragt und auch vorher nicht durchdiskutiert."
Ein Berliner Abgeordneter zu Gast bei der Kaderschmiede der syrischen Herrschaftselite, die den Bürgerkrieg und die Flüchtlingskrise heraufbeschworen hat? Die Landesvorsitzende Kristin Brinker will den Besuch nicht bewerten, es stehe jedem Abgeordneten und Landesvorstandsmitglied frei zu reisen und zu treffen, wen er will. Auch die AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus verweist in diesem Zusammenhang auf die "Freiheit des Mandats". Lindemanns Reise wird innerhalb der AfD folgenlos bleiben.
Berliner Verfassungsschutz überprüft Landesverband
Natürlich wolle sie mit Lindemann reden und klären, wie man zukünftig mit derartigen Reisen umgehe. Auch in der nächsten Landesvorstandssitzung sollte das Thema angesprochen und geprüft werden, "ob es da eine Regelung geben sollte". Zugleich betont sie aber, weiter "konstruktiv" mit allen zusammenarbeiten zu wollen – unabhängig von den divergierenden Strömungen.
Sowohl die Umstände des Syrien-Besuchs als auch das Verhältnis zur Anti-Corona-Protest-Bewegung werfen Fragen auf, prüft doch der Berliner Verfassungsschutz immer noch, ob der Landesverband ein Verdachtsfall sei. Nachdem im Januar ein vorläufiges Prüfergebnis öffentlich geworden war, hatte Innensenator Geisel (SPD) im rbb-Interview erklärt, dass die Bestandsaufnahme nur bis Anfang Dezember 2020 erfolgt sei. "Alles, was danach lag, nicht mehr. Und auch eine Reihe von Äußerungen, beispielsweise auch die Zusammenarbeit mit Corona-Leugnern, und Aufrufe zu Gewalttaten, alles was so möglich wäre, wurde nicht mit einbezogen", so Geisel. Jetzt liegen neue Tatsachen vor. Wie sie zu bewerten sind, dazu wollte sich die Innenverwaltung nicht äußern.
Droht Landesverband die Überwachung?
Der verfassungsschutzpolitische Sprecher der SPD, Tom Schreiber, sieht die Entwicklung des Berliner AfD-Landesverbands kritisch. Nach den wiederkehrenden Auslandsreisen von Gunnar Lindemann, nicht nur nach Syrien, auch nach Russland, wo er nach eigenem Bekunden die Kontakte nach Damaskus geknüpft hat, stellt Schreiber sich die Frage: "Wieviel Russland steckt in der AfD?" Denn ohne Russland geht nichts in Syrien. Auch die Hinwendung zur "Querdenken"-Bewegung sieht er als Teil einer Entwicklung: "Das macht schon sehr deutlich, wie weit die AfD mehr und mehr abdriftet, sozusagen radikale Kräfte, die Hoheit erlangt haben in dieser Fraktion, aber auch in dieser Partei, und im Grunde genommen die AfD da sehr aufpassen muss, dass sie im Grunde nicht noch weitere Argumente liefert."
Argumente für den Landesverfassungsschutz. Der noch immer prüft, ob er die Berliner AfD wegen ihrer Radikalisierung beobachten muss.
Laut aktuellem Berlin Trend liegt die AfD bei 9 Prozent. Einige Abgeordnete dürften wohl nach der Wahl nicht mehr ins Parlament zurückkehren. Kristin Brinker kündigt unterdessen an, dass die AfD im Wahlkampf auch mit eigenen Straßenprotesten plant.
Sendung: Inforadio, 30.04.2021, 16 Uhr
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