Debatte über Privatisierungsverbot - Zukunft der kommunalen Wohnungen in Berlin ist nicht gesichert

In den vergangenen Jahren hat das Land Berlin über 40.000 Wohnungen aufgekauft. Dass sie dauerhaft im Landesbesitz bleiben, ist bisher am Widerstand von CDU, FDP und AfD gescheitert. Eine gesetzliche Regelung fehlt, was vielen Mietern Sorge bereitet. Von Jana Göbel und Ute Barthel
Die Kinder sind aus dem Haus, der Mann lebt nicht mehr - jetzt wohnt sie allein in ihrer Wohnung in der Rollbergesiedlung in Reinickendorf, zwischen Tegel und Lübars. Die Rentnerin Elke S. schätzt die seit 37 Jahren gewachsenen Verbindungen mit den Nachbarn, die Nähe zu S- und U-Bahn, die guten Einkaufsmöglichkeiten und die günstige Miete von nicht mal sechs Euro kalt je Quadratmeter.
Was sie nicht schätzt: Die Siedlung wurde immer wieder verkauft. GSW, Deutsche Wohnen, Ado - kein Eigentümer war lange genug vor Ort, um in den Bestand zu investieren. Fahrstühle fallen immer wieder aus, die Rohre sind marode, deshalb gibt es Wasserschäden und Schimmel. Fassaden reißen, Fenster sind undicht.
Gewobag will bald modernisieren
Seit 2019 gehört die Siedlung nun der landeseigenen Gewobag, sie wurde rekommunalisiert. Mieterin Elke S. hofft, dass nun endlich etwas passiert. Die Gewobag jedenfalls will handeln, heißt es auf Anfrage von rbb24 Recherche. Im nächsten Jahr würde das Unternehmen mit der Modernisierung und Instandsetzung von 283 Wohnungen beginnen. Balkone würden in Ordnung gebracht und ab 2024 Aufzüge modernisiert.
Elke S. wünscht sich, dass die Siedlung nun im Besitz der Gewobag bleibt, damit die dringend nötigen Arbeiten endlich in Angriff genommen werden. Der Gedanke, dass die Siedlung eines Tages wieder verkauft werden könnte, erfüllt sie mit Angst. "Wir brauchen endlich einen verlässlichen langfristigen Vermieter", sagt sie.
Keine Garantie für kommunale Wohnungsbestände
Doch dass die Bestände wirklich dauerhaft in kommunaler Hand bleiben, ist nicht sicher. Wechseln die Farben der Berliner Landesregierung, besteht theoretisch die Möglichkeit, dass Wohnungen wieder privatisiert werden. Denn der dauerhafte Erhalt der Bestände in den landeseigenen Wohnungsgesellschaften ist gesetzlich nicht festgeschrieben.
Rot-Rot-Grün hatte zwar vor, den Erhalt der Bestände abzusichern – in dem Punkt waren sich alle drei Koalitionspartner einig - doch dafür wäre eine zwei Drittel Mehrheit zur Änderung der Landesverfassung erforderlich gewesen. Diese scheiterte jedoch an der fehlenden Zustimmung der Opposition im Abgeordnetenhaus.
Bis vor wenigen Wochen sah die Bilanz wie folgt aus: Seit 2016 haben die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften 26.417 Wohnungen für, so schätzen Experten, mindestens 4 Milliarden Euro angekauft. Dazu kommt noch der aktuelle Vonovia-Deutsche Wohnen-Deal mit 14 750 Wohnungen für geschätzt 2,4 Milliarden Euro.
Opposition schließt Wohnungsverkäufe nicht aus
Ob die wachsenden Wohnungsbestände, die weit über sechs Milliarden Euro gekostet haben, auch dauerhaft in kommunalem Eigentum bleiben, ist also nicht sicher. SPD, Linke und Grüne wollen weiterhin per Verfassungsänderung zukünftige Privatisierungen verhindern.
CDU, AfD und FDP indes verweigern sich. Das schaffe keine einzige neue Wohnung, schreibt der wohnungspolitische Sprecher der CDU Christian Gräff an rbb24 Recherche. Den Mietern würde man damit nicht nützen. Aus der AfD heißt es, große Bestandsverkäufe "en Block" wie 2004 mit der GSW dürfe es nicht mehr geben. Jegliche Verkäufe durch Verfassungsrang auszuschließen, lehnt die Partei laut ihrem wohnungspolitischen Sprecher Harald Laatsch aber ab.
Und auch die Berliner FDP ist dagegen, Verkäufe landeseigener Wohnungen generell auszuschließen. Denn die Wohnungsbaugesellschaften sollten mehr Eigenverantwortung haben, erklärt Sibylle Meister - sowohl beim Kauf als auch beim Verkauf von Wohnungen.
Alternativen zum Privatisierungsverbot
Alternativ zur Bestandssicherung wollen sich Linkspartei, SPD und Grüne auf Bundesebene für soziale Mietengesetze einsetzen. Außerdem fordert die Linke ein Bodensicherungsgesetz, das den Verkauf von landeseigenen Flächen untersagt.
Die SPD möchte indes eine erweiterte Kooperation für bezahlbaren Wohnraum eingehen. Mit den Landeseigenen Gesellschaften gibt es das schon, jetzt sollen auch Genossenschaften und private Vermieter einbezogen werden. Und die Grünen wollen die Kontrolle der landeseigenen Unternehmen durch Parlament und Mieterbeiräte verstärken.
CDU, AfD und FDP setzen dagegen vor allem auf den Bau von mehr Wohnungen sowie die Stärkung der Genossenschaften. Während die CDU außerdem vorschlägt, mit den Wohnungsunternehmen soziale Zweckbindungen vertraglich zu vereinbaren, sprechen sich AfD und FDP für mehr Unterstützung zum privaten Wohnungserwerb durch die Mieter aus – auch aus landeseigenen Beständen.
Kraftanstrengung für kommunale Wohnungsgesellschaften
Fast 200.000 Wohnungen haben die landeseigenen Gesellschaften von der Wende bis zum Jahr 2004 verkauft. Nun geht es wieder in die andere Richtung, und das kostet. Bei Rückkauf-Quartieren wie der Rollbergesiedlung, dem Kosmosviertel und jetzt aktuell den Vonovia-Beständen besteht ein hoher Sanierungsbedarf. In den nächsten zehn Jahren ist nach Expertenschätzung für die gerade erworbenen 14.750 Wohnungen mit etwa einer Milliarde Euro für Instandsetzung und Modernisierung zu rechnen. Entsprechend steigen die Ausgaben und damit auch die Schulden der landeseigenen Wohnungsgesellschaften.
2015 betrug die Summe der Kredite 8,13 Milliarden Euro. Ende 2020 waren es für alle sechs Landeseigenen zusammen 14,2 Milliarden Euro. Wie der aktuelle Ankauf finanziert wurde, ist noch nicht ganz klar. Sollte er kreditfinanziert sein, dann lasten jetzt mehr als 16 Milliarden auf den Gesellschaften.
Zwar ist auch der Wohnungsbestand stetig gestiegen. Doch ein Blick auf die Schulden je Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche zeigt, dass die finanzielle Belastung von Jahr zu Jahr zunimmt, vor allem bei Gewobag und "Stadt und Land".
Wohnungsmarktexperte Konstatin A. Kholodilin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hält die Schuldenlast noch für vertretbar. Die Einnahmen seien hoch genug, um die Kredite abzuzahlen und danach Gewinne zu erlösen. Er warnt aber davor, den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften zu viel aufzubürden und befürchtet Verschiebungen bei nötigen Sanierungsausgaben. Für Elke S. und die anderen Mieter und Mieterinnen in der Rollbergesiedlung wäre das fatal.