Reiseeinschränkungen und Hacker-Angriffe - Wie Russland deutschen Wissenschaftlern die Arbeit erschwert

Zwei Berliner Wissenschafts-Gesellschaften sind von russischen Behörden als "unerwünscht" beziehungsweise "extremistisch" eingestuft worden. Das hat massive Folgen für Wissenschaftler in der Region. Von Torsten Mandalka
- Auswärtiges Amt bittet russischen Botschafter zum Gespräch
- Wissenschaftler verzichten auf Reisen in russlandfreundliche Staaten
- Russische Kooperationspartner und ihre Familien stehen unter besonderem Druck
Mitte vergangenen Jahres fand sich eine schlichte Mitteilung im Internet: Der Oberste Gerichtshof in Moskau hatte die renommierte Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) als "extremistisch" eingestuft. Mitte März traf es dann die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Die russische Generalstaatsanwaltschaft bewertete sie als "unerwünschte Organisation" [epp.genproc.gov.ru].
Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes handelt es sich bei all dem um "ein systematisches Vorgehen Russlands gegen deutsche Institutionen mit Osteuropa-Expertise". Es fordere von der russischen Seite, "die Kriminalisierung und Verfolgung wissenschaftlicher Arbeit einzustellen", teilte das Ministerium auf Anfrage von rbb24 Recherche mit. Der russische Botschafter sei zuletzt am 27. März zu einem "dringenden Gespräch" darüber ins Auswärtige Amt gebeten worden.
Haftstrafen bis zu zwölf Jahren drohen
Die Einstufung "extremistisch" hat massive Folgen für alle, die mit der DGO zusammenarbeiten. Russland bedroht sie mit Haftstrafen von bis zu zwölf Jahren. Deutsche Sicherheitskreise haben zudem Erkenntnisse darüber, dass jede Person, die der Zusammenarbeit mit der DGO bezichtigt wird, finanziell belangt werden kann: Ihr Vermögen kann eingefroren werden, sie darf dann keinerlei finanzielle Transaktionen mehr tätigen. Selbst die Nutzung einer Bankkarte kann verboten werden. Auch die Konten von Verwandten solcher Personen können gesperrt werden. Betroffen sind davon vor allem die russischen Kooperationspartner.
Auch die Brandenburger Forscherin Susan Worschech setzt sich mit der neuen Lage auseinander. Worschech ist Koordinatorin des Kompetenz-Netzwerks Ukraine an der Viadrina in Frankfurt (Oder) und Mitglied im Vorstand der DGO. "Ich würde auf keinen Fall jetzt in Richtung Russland, Belarus, Kasachstan, Georgien oder in andere Länder reisen, bei denen ich damit rechnen muss, dass beispielsweise Auslieferungsabkommen oder eben eine geheimdienstliche Zusammenarbeit mit Russland stattfindet", sagt sie. "Das ist wirklich gefährlich."
Das Auswärtige Amt bestätigt eine solche Gefährdung: "Es wird bewusst eine Atmosphäre der Angst und der Isolation geschaffen", heißt es auf Anfrage.
"Wie in den 30er Jahren unter Stalin"
Konkrete Fälle gibt es bereits: Jan Claas Behrends, ein auf Russland spezialisierter Historiker an der Viadrina, bekam im Dezember eine Morddrohung per Brief. Die Urheber sind bis heute nicht ermittelt. Auch Behrends ist Mitglied der DGO. Für den Historiker haben die aktuellen Maßnahmen der russischen Regierung ein Vorbild: "Das ist im Prinzip eine Situation wie in den 30er Jahren unter Stalin. Wir haben sowas 50, 60 Jahre nicht mehr gehabt."
Sollten jetzt deutsche Wissenschaftler auf Reisen oder russische Kooperationspartner in Schwierigkeiten geraten, gibt es außerhalb der oft wenig aussichtsreichen konsularischen Bemühungen kaum Möglichkeiten zu helfen. "Wir haben es mit einer bestimmten Form skrupelloser hybrider Kriegsführung zu tun", sagt Ruprecht Polenz, ehemaliger CDU-Politiker und derzeitiger Präsident der DGO.
Einschüchterung, Drohung, Abschottung
Dass die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) als "unerwünscht" gelistet wurde, ist für ihre Mitglieder und Kooperationspartner ähnlich gefährlich. Die DGAP stehe damit auf einer wachsende Liste von inzwischen 207 Organisationen, die in Russland "unerwünscht" seien, heißt es in einer Pressemitteilung der Gesellschaft. Aktuell seien 27 deutsche Einrichtungen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft betroffen.
DGAP-Direktor Thomas Kleine-Brockhoff, ein ehemaliger Politikberater und Journalist, wurde bis heute nicht offiziell über die Maßnahme informiert, wie er sagt. "Es ist nicht so, dass man da einen Brief kriegt von der Moskauer Staatsanwaltschaft. Die setzen das einfach in die Welt. Das ist dann so."
Für Kleine-Brockhoff ist die Einstufung vor allem ein Repressionsinstrument nach innen: "Es richtet sich nicht so sehr gegen uns, denn sie haben ja nicht den Zugriff auf uns in der Bundesrepublik, sondern gegen unsere Partner, mit denen wir zusammenarbeiten. Die sollen eingeschüchtert werden. Die müssen nun Repressalien fürchten, wenn sie mit uns zu tun haben." Die russische Gesellschaft werde auf diese Weise von der Außenwelt abgeschottet. Zwar sei man in Russland noch nicht in einer völlig geschlossenen Gesellschaft, "aber die Korridore", so Kleine-Brockhoff, "werden doch sehr eng und sind für russische Staatsbürger noch viel enger".
Im Fokus der russischen Nachrichtendienste
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schätzt ein, dass die kriminalisierten Organisationen inzwischen konkrete Ziele russischer Agenten sind: "Grundsätzlich stehen solche Organisationen auch im Fokus russischer Nachrichtendienste. Dabei ist zum Beispiel mit Phishing-Angriffen, Spionage mit menschlichen Quellen oder Desinformation zu rechnen." Das BfV betont aber auch, dass es nicht nur gelistete Institutionen treffen kann, sondern alle deutschen Stellen, "die zu Fragen tätig sind, die zum Beispiel Machtabsicherung oder Expansionsabsichten des Kremls tangieren".
Die DGO jedenfalls hat in den vergangenen Monaten bereits mit zwei Hacker-Angriffen zu tun gehabt, die nach Aussagen von Experten aus dem "Umfeld russischer Dienste" kamen. "Das sind direkte Versuche, Forschung zu verhindern, die in Russland als missliebig betrachtet wird, weil sie kritisch, weil sie offen, weil sie ehrlich ist, weil sie hinterfragt und auch, weil sie deutlich ist", sagt DGO-Vorstandsmitglied Susann Worschech.
Auswärtiges Amt wichtigster Geldgeber der DGAP
Zur Einstufung der DGO äußert sich die russische Botschaft in Berlin auf Anfrage von rbb24 Recherche nicht. Zur Listung der DGAP als "unerwünscht" verweist sie auf eine Erklärung der russischen Generalstaatsanwaltschaft: "Seit Beginn der militärischen Sonderoperation fordert die Organisation eine Erhöhung des Sanktionsdrucks auf unser Land", heißt es dort, "und versucht, die innenpolitische Situation in Russland zu untergraben". Dass die DGAP die politische Führung in Deutschland berät, findet in der Erklärung explizit Erwähnung.
Die DGAP wird zu 27 Prozent durch Bundeszuschüsse gefördert. Für die DGO ist das Auswärtige Amt der wichtigste Geldgeber. "Nach russischer Gesetzgebung macht sich damit auch das Auswärtige Amt strafbar, indem es uns mitfinanziert", sagt Susann Worschech. "Ich glaube, da braucht es sowohl beim Auswärtigen Amt als auch in der Politik ein Bewusstsein dafür, dass es sich hier nicht nur um Angriffe auf einzelne Organisationen handelt, sondern in letzter Konsequenz um Angriffe gegen die Regierung."
Sendung: rbb24 Inforadiio, 17.04.2025, 6:10 Uhr