DDR-Kommunalwahlen 1989 - "Ich hab auch die Fresse aufgemacht!"

Di 06.05.14 | 17:18 Uhr | Von Dörthe Nath, Inforadio
Foto: Dirk Vogel

Dass Wahlen in der DDR gefälscht wurden, hatten viele schon lange vermutet - angesichts Beteiligungsquoten und Zustimmung von über 99 Prozent. 1989 kippte die Stimmung: Der DDR-Oppositionelle Mario Schatta gehörte zu denen, die bei der Kommunalwahl am 7. Mai vor 25 Jahren darüber gewacht haben, dass die Stimmen diesmal korrekt ausgezählt werden. Von Dörthe Nath

Das Gebäude auf dem weitläufigen Gelände der evangelischen Stephanus-Stiftung, in dem Mario Schatta und seine Mitstreiter vom Friedenskreis Weißensee den Tag der Kommunalwahl in der DDR verbracht haben, ist längst abgerissen worden. Dort ist jetzt ein Spielplatz, auf dem jemand frischen Rindenmulch verteilt hat.

Mario Schatta ist zu Fuß aus seiner Praxis für Psychotherapie und Supervision gekommen. Am 7. Mai 1989 war er Diakon bei der Stephanus-Stiftung. Von hier aus hat er mit den anderen Mitgliedern des Friedenskreises die Kontrolleure in die Wahllokale geschickt und später deren Ergebnisse zusammengezählt. Er selbst kontrollierte nicht – aus Angst, dass die Stasi ihn festnehmen könnte. Auch die Auszählung wollten er und seine Mitstreiter auf keinen in einer Privatwohnung machen: "Wir haben kirchlichen Boden betreten, weil uns klar war, dass die Stasi nicht so schnell auf kirchliches Gelände kommen würde. Ein bisschen mussten wir auch schmunzeln bei diesem Gedanken“, erinnert sich Schatta. "Aber wir waren natürlich auch unter einer unheimlichen Anspannung. Die Frage war: Lässt die Stasi die Leute, die bei der Auszählung mitmachen wollen, überhaupt auf das Gelände? Oder machen sie hier einfach dicht?"

Noch heute kribbelt es ihm bei dem Gedanken an damals

Mario Schatta trägt ein weißes Hemd, blaue Jeans und einen grau-gestreiften Wollpullover um seine Schultern. Die Füße stecken in Gesundheitssandalen. Als er 1983 mit 19 für die Diakon-Ausbildung zur Stephanus-Stiftung kam, hatte er die Grenzen der Toleranz in der DDR bereits zu spüren bekommen: Der gelernte Tischler hatte den Wehrdienst verweigert, sympathisierte mit der Friedensaktion "Schwerter zu Pflugscharen" und saß deswegen auch schon in Haft. Mit den anderen angehenden Diakonen gründete er den Friedenskreis Weißensee.

letzte DDR-Kommunalwahlen am 07.05.1989: eine Frau gibt in einem Wahllokal in Ost-Berlin ihre Stimme ab[Bild: Picture-Alliance]
Bei der DDR-Kommunalwahl konnte man nur die Einheitsliste wählen | Bild: Picture-Alliance GmbH

Dass die Kommunalwahl 1989 kontrolliert werden sollten, hatten die Bürgerrechtsgruppen der DDR bereits im Jahr davor festgelegt. Auf öffentlichen Versammlungen warb der Friedenskreis Weißensee für die Aktion: Man brauchte zwischen 120 und 180 Menschen, um die Stimmenauszählung im Bezirk zu überprüfen. Und offiziell erlaubte das DDR-Wahlrecht diese Kontrolle sogar, erzählt Mario Schatta: "Und als das dann alles geklappt hat - dass wir die Wahllokale hatten, dass wir nicht eingesperrt wurden - das war schon ein tolles Gefühl! Ein bisschen wie kribbeln." Schatta muss lachen. "Jetzt kribbelt´s gleich wieder bei mir!" Gegen 19:30 Uhr seien seine Mitstreiter aus den Wahllokalen gekommen, und da wusste er: "Schacka! Wir haben es geschafft!"

"Egon, du lügst wie gedruckt"!

Auf der kleinen Bank am Spielplatz entrollt Mario Schatta die zusammengehefteten karierten Blätter, die er noch immer in einer Kiste in seiner Praxis aufbewahrt. Mit Bleistift in Tabellen eingetragene Zahlenreihen. Nein-Stimmen, gültige und ungültige Stimmen - zusammengetragen von mehr als 180 Helfern. Mit diesen Zetteln fuhren die Friedenskreismitglieder am Abend des 7. Mai 1989 in die Elisabethkirche in Mitte, wo sich etwa 300 Wahlverweigerer und Aktivisten trafen. Egon Krenz verkündete im Fernsehen das offizielle Ergebnis: 98,85 Prozent für "die Kandidaten der Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik".

Auch Mario Schatta sah damals zu: "Da hat er dann das Ergebnis da vorgelogen und wir konnten genau sagen: So, Egon, du lügst wie gedruckt als Vorsitzender der Wahlkommission! Und im Grunde genommen haben wir uns gefreut, dass er so gelogen hat, weil wir sagen konnten: Guck mal, wir haben hier ganz andere Ergebnisse!"

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Die Bürgerrechtler sammelten ihre Auszählungen, veröffentlichten sie und zeigten die Verantwortlichen an. Auch Mario Schatta stellte eine Strafanzeige gegen Egon Krenz und andere. An jedem 7. eines Monats organisierte der Friedenskreis Weißensee von nun an eine Demonstration – meist auf dem Alexanderplatz. Die Ankündigungen druckten sie mit einer Maschine aus den 20er Jahren und nannten sich "Die Mündigen Bürger". Am 7. Juli wollte die Stasi verhindern, dass Mario Schatta an der Demonstration teilnimmt und erteilte ihm Hausarrest. Doch Friedensaktivist kletterte über das Dach und fuhr mit dem Motorrad vor der Stasi davon. Am Alex angekommen wurde er verprügelt und festgenommen.

Ein bisschen sei da auch die Abenteuerlust dabei gewesen, erzählt Mario Schatta heute. "Aber was uns alle so getrieben hat, war schon auch so ein Gerechtigkeitssinn. Und dann auch zu sagen: Nö - wir lassen uns hier nicht unterkriegen."

Bis zu 15 innoffizielle Mitarbeiter der Stasi waren auf ihn angesetzt. Einer davon war "IM Uwe", der sich in den Friedenskreis einschlich. Mario Schatta ahnte von dessen Stasi-Verbindung nichts, für ihn war das damals einer seiner engsten Freunde. IM Uwe hatte einen Schlüssel zu seiner Wohnung und passte auf die drei Kinder auf, die damals zwischen zwei und vier Jahre alt waren.

Bis zu 15 inoffizielle Mitarbeiter der Stasi waren auf Schatta angesetzt

Vor ein paar Jahren hat Mario Schatta ihn noch einmal getroffen, ganz in der Nähe der Stephanus-Stiftung. Ohne Groll. Vielleicht, weil er sich mit seiner eigenen Geschichte beschäftigt hat. Vielleicht aber auch, weil er es als Psychotherapeut und Supervisor, eine professionale Distanz aufbauen kann.

Damals, 1989, hat die Stasi Mario Schatta immer wieder inhaftiert. Man brach ihm eine Rippe und die Nase. Mehrmals war er im Knast. Am schlimmsten aber fand er es, "wenn meine Frau oder ich die Kinder in den Kindergarten gebracht haben und dann so zwei, drei Stasi-Lümmel hinterher gekommen sind. Weil ich gemerkt hab, da ziehe ich durch meine Aktionen auch meine Kinder mit rein." Trotz allem – nach den Kommunalwahlen im Mai 1989 hatte Schatta das Gefühl: "Das wird was Großes. Das war nicht mehr aufzuhalten."

Heute ist er schon ein bisschen stolz, dass er damals dabei gewesen ist. Vor allem, wenn ihn seine Kinder fragen, was er damals eigentlich gemacht habe. "Und ich muss nicht sagen: ich hab geschwiegen. Oder ich hab resigniert. Ich hab auch die Fresse aufgemacht. Und das erwarte ich von Euch heute auch!"

Beitrag von Dörthe Nath, Inforadio

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