Der Landtag zieht bald aus - Abschied von der Parlaments-Bruchbude

Do 10.10.13 | 09:14 Uhr | Von Sebastian Schöbel

Im alten Potsdamer Landtag auf dem Brauhausberg wird es allmählich ernst - der Umzug in das neu entstandene Schloss im Stadtzentrum steht bevor. An diesem Donnerstag erhält Landtagspräsident Gunter Fritsch symbolisch schon mal den Schlüssel für den Neubau. Für den brandenburgischen "Kreml" bricht damit eine neue Episode an. Von Sebastian Schöbel

Das Kaufen und Aufmöbeln von historischen Gebäuden ist zum neuen Trend-Hobby geworden. Als Ende September alte Brandenburger Bahnhöfe der Deutschen Bahn unter den Hammer kamen, griffen Liebhaber beherzt zu: Der alte Kyritzer Bahnhof ging für 57.000 Euro weg, der in Rheinsberg sogar für 72.000 Euro. Selbst das ziemlich heruntergekommene Schrankenwärterhäuschen neben den Gleisen bei Schönow fand einen neuen Besitzer: 320 Quadratmeter für 1.900 Euro, immerhin.

Da bekommt der ein oder andere Freizeitrestaurateur beim Anblick des alten Landtags in Potsdam bestimmt feuchte Hände vor lauter Freude: 111 Jahre alt, gebaut im Historismus-Stil der Kaiserzeit, gesegnet mit einer herrlichen Aussicht auf Potsdam und auf 5.600 Quadratmeter Nutzfläche vollgestopft mit überholungsbedürftigem Gemäuer. Und das Beste: Die bisherigen Mieter, Brandenburgs Volksvertreter, ziehen demnächst um in den schicken Neubau am Alten Markt.

Vom Kaiser gebaut, zum "Kreml" gemacht

Aber selbstverständlich wird der Besitzer, das Land Brandenburg, das unter Denkmalschutz stehende Gebäude nicht an handwerklich begabte Bürger der Mark übergeben. Stellt sich also die Frage: Was wird aus dem alten Landtag?
Schließlich hat der im Volksmund "Kreml" genannte Bau eine bewegte Geschichte zu erzählen. Kaiser Wilhelm II. persönlich wählt Ende des 19. Jahrhunderts den Brauhausberg aus, als Standort für seine neue "Reichskriegsschule". Bauherr wird der Kölner Architekt Franz Schwechten, bekannt für die Gedächtniskirche in Berlin. 1902, nach nur drei Jahren Bauzeit, übergibt der tüchtige Rheinländer das Gebäude an die preußische Armee, die hier fortan die Offiziersanwärter seiner Majestät ausbildet.

Von Versaille entmannt, von der RAF zerbombt, von der SED verschmutzt

Nach dem Ersten Weltkrieg wird die Reichskriegsschule erst zum Archiv umfunktioniert, ein Resultat der harten Auflagen des Versailler Vertrages. Und weil das als Denkzettel offenbar nicht reicht, wird auch noch der stolze Turm gestutzt, von 64 auf 50 Meter. Die Bomberpiloten der britischen Luftwaffe können den Stummel im Zweiten Weltkrieg trotzdem noch ganz gut anvisieren und beschädigen das Gebäude zum Teil schwer.

Trotzdem reißt sich 1949 die SED das Grundstück Am Havelblick 8 unter den Nagel, lässt es aus Ruinen auferstehen und nutzt es bis zur Wende als Parteizentrale. Dessen Reste haben den Sozialismus überdauert und kleben bis heute an der Fassade.
1991 zieht schließlich das neue Brandenburger Parlament auf den Brauhausberg – obwohl Experten schon damals "eine dauerhafte Nutzung nicht empfohlen", heißt es heute auf der Landtagswebseite. Millionen werden in die Sanierung gesteckt, 33.000 Meter Kabel verlegt und 9,5 Tonnen Farbe verbraucht.

Warmwasser als Privileg

Doch Beschwerden über den Zustand der Reichskriegsschule ziehen sich wie ein roter Faden durch die Brandenburger Nachwendegeschichte – und zwar parteiübergreifend. 1998 fragt der CDU-Abgeordnete Dierk Homeyer im Parlament noch recht freundlich nach, ob denn für die geplanten neuen Sanitäranlagen im Landtagsgebäude wirklich nur kaltes Wasser vorgesehen sei. Die SPD-geführte Landesregierung antwortet merklich pikiert: "Die hygienischen Anforderungen werden nicht durch die Wassertemperatur bestimmt." Die Damen und Herren Volksvertreter sollen sich mal nicht so anstellen, heißt das wohl. "Warmwasseranschlüsse werden bei spezifischen tätigkeitsbezogenen Anforderungen bereitgestellt, etwa in Arztbehandlungsräumen oder in den Putzräumen der Reinigungskräfte." Den angedeuteten Vorwurf, nicht genug für die Instandsetzung zu tun, schmettert die Regierung umgehend ab: Man habe seit 1990 fast 14 Millionen DM in die Renovierung  des Gebäudes gesteckt, "das entspricht einem Kostenansatz von DM 2.120,- pro m2 Nutzfläche."
Dann aber meldet sich der Landesvater zu Wort.

Brandenburgs ehemaliger Ministerpräsident Manfred Stolpe (Quelle: dpa)Manfred Stolpe nannte den alten Brandenburger Landtag "Bruchbude".

Lieber teuer neu bauen als billig sanieren

"Bruchbude", schimpft SPD-Ministerpräsident Manfred Stolpe im Jahre 2001, das Parlament müsse dringend da raus. Die Suche nach einer Alternative läuft bereits, die Speicherstadt am Fuße des Brauhausberges, die Nuthe-Auen und der Alte Markt sind in der engeren Auswahl. 2005 rechnet Finanzminister Rainer Speer (SPD) vor, dass die Komplettsanierung der Reichskriegsschule 80 Millionen Euro kosten würde, der Neubau am inzwischen festgelegten Standort Alter Markt 107 Millionen Euro. Macht nach Adam Riese rund 30 Millionen Euro Unterschied – und nach Logik der Politik nicht genug, um die Handwerker auf den Brauhausberg kommen zu lassen. Der Neubau am Alten Markt steht fest.
Nun also werden die Umzugskartons gepackt, im November findet die letzte Parlamentssitzung im alten Landtag statt, im Dezember rollen die LKW an. Kommt direkt danach die Abrissbirne?

"Ein Höhepunkt der Kulturlandschaft"

Wohl kaum, die alte Reichskriegsschule steht unter Denkmalschutz. "Der Landtag ist einer der städtebaulichen Höhepunkte innerhalb der Kulturlandschaft der Landeshauptstadt Potsdam, also gibt es Sichtbeziehungen zu beachten", sagt Landeskonservator Thomas Drachenberg. Das betrifft laut Drachenberg vor allem Neubauten auf dem Brauhausberg, aber eben auch Veränderungen am Gebäude selbst – Zerstörung inbegriffen.
Laut Landeskonservator müssen die Zeitschichten am Gebäude auf Ihre denkmalrelevante Qualität untersucht werden. Seit den Zeiten der Reichskriegsschule ist dieses Gebäude immer umgenutzt und vor allem im Inneren verändert worden, gibt Drachenberg zu bedenken. Weniger relevant seien hingegen so manche Überreste aus DDR-Zeiten, zum Beispiel die vielen nachträglich eingezogenen Wände zum Abtrennen von Büroräumen, bei denen keine Raumqualität entstanden sei.

Die Heizung muss zittern

Paradox: Die sichtbaren Spuren des SED-Parteisymbols haben hingegen einen historischen Wert, so Drachenberg, und werden in die Diskussion um die Sanierungsplanung ganz sicher einbezogen.

Die alte Heizungsanlage im Gebäude sollte sich derweil keine Hoffnungen machen mitsamt des Hauses erhalten zu bleiben. Sie bezeichnet sogar der oberste Denkmalschützer Brandenburgs als "museumsreif".

Prinzipiell steht der Denkmalschutz einer Nachnutzung nicht im Weg, verspricht Drachenberg. Nun muss sich das Land Brandenburg als Besitzer überlegen, wie es weitergehen soll. "Ein landesseitiger Bedarf zur Weiternutzung des denkmalgeschützten Gebäudes besteht nicht", erklärt die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums Ingrid Mattern auf Nachfrage von rbb online. Stattdessen denke man nun über "attraktive Wohnnutzung" nach, allerdings seien bisher keine konkreten Pläne vorhanden. Es sei nach dem Auszug des Landtages allerdings eine umfassende Sanierung nötig, was wohl Millionen kosten wird.

Zukunft ungewiss

Mattern rechnet damit, dass das Gebäude über kurz oder lang an einen Investor verkauft wird, doch für welchen Preis ist noch völlig offen.

Deutlich konkreter sieht es für die weniger bekannten Gebäude und das Areal im Schatten der ehemaligen Reichskriegsschule aus. Dort ist das Geoforschungsinstitut auf dem Telegrafenberg als neuer Mieter im Gespräch. Und als Bauherr, denn die Wissenschaftler wollen auch gleich noch anbauen, worüber die Stadtverordnetenversammlung von Potsdam noch in diesem Jahr entscheiden könnte.

Der Vorschlag, Flüchtlinge im alten Landtag einzuquartieren, wie das Sozialministerium kürzlich ins Gespräch brachte, ist inzwischen wohl wieder vom Tisch.

Damit wird aus der Ex-Reichskriegsschule, dem Ex-Archiv, der EX- SED-Parteizentrale nun also ein Ex-Landtag – und ab 2014 wohl für längere Zeit ein leerstehendes Gebäude. Für das alte Gemäuer ein neuer Zustand: Das hat es nämlich noch nicht erlebt.

Beitrag von Sebastian Schöbel

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