Landtagseröffnung in Potsdam - Ein Volk entdeckt kein Schloss

So 19.01.14 | 10:10 Uhr | Von Sebastian Schöbel
Brandenburg aktuell | 18.01.2014 | Beiträge von Michael Schon, Thomas Reinke, Dirk Platt und Tina Rohowski

Tausende Brandenburger - und nicht wenige Berliner - sind am Samstag zur Eröffnung des neuen Landtags zu Potsdam gekommen. Die Tickets waren schnell vergriffen, viele Besucher mussten lange vor dem Gebäude auf Einlass warten. Doch es hat sich gelohnt: So friedlich und zufrieden hat man Bürger und Politiker selten auf einem Fleck gesehen. Nur zwei altbekannte Problemfälle belasteten das Klima. Reportage von Sebastian Schöbel

"Klar sind wir sauer", schallt es gleich aus mehreren Kehlen in der Warteschlange. "Saumäßig organisiert, da fühlt man sich veräppelt", schickt eine Besucherin aus Potsdam hinterher. "Wir wurden hier vom Empfangszelt rausgeschickt mit der Maßgabe, dass es weitergeht und jetzt warten wir schon über eine Stunde."

Die Stimmung am Fortunaportal, dem Eingang zum neuen Brandenburger Landtag, ist an diesem Samstagmittag schon ein bisschen unterkühlt, da helfen auch die warmen Snacks der Verpflegungszelte nicht. Zwei lange Schlangen mit hunderten Menschen haben sich gebildet, eine erstreckt sich über die gesamte Länge des Alten Marktes. Rund 2.000 Besucher drängen sich da bereits seit 10 Uhr in den Büros, Fraktionsräumen und Sitzungssälen im neuen Stadtschloss zu Potsdam - das ja kein Schloss sein will, sondern ein Haus des Brandenburger Volkes. Aber dieses Volk ist dann eben auch viel zahlreicher zum Eröffnungswochenende erschienen als erwartet. "Die haben immer nur Karten im Zweierpack vergeben", beschwert sich ein älterer Herr aus Bad Belzig. "Aber was macht man, wenn man wie wir zu dritt ist?"

Friedliche Belagerung

Die ist "ein Ort, wo Geschichte geschrieben wurde und wird", hatte Landtagspräsident Gunter Fritsch den Besuchern bei der Eröffnung am Morgen zugerufen. Vor ihm scharrten da schon mehrere hundert Vertreter aller Landkreise der Mark mit den Hufen. Sie wollten das Gebäude endlich als Erste "in Besitz nehmen", wie Fritsch es ausdrückte. Ein wenig erinnerte die Szene an eine mittelalterliche Burgbelagerung: Überall ragten Wappen der verschiedenen Kreise und Städte aus der Menge, wie Fahnen eines fremden Heeres. Und als Fritsch kurz darauf das große Tor am Fortunaportal aufstieß, marschierten die mit Fotoapparaten bewaffneten Truppen mit fast militärischer Disziplin in Reih und Glied durch den Innenhof und direkt durch das Knobelsdorff-Treppenhaus in den Landtag. Zuvor rammten sie ihre Wappen wie Hoheitszeichen in den Boden – beziehungsweise in bereitgestellte Ständer. Preußisch korrekt, schließlich soll der Rasen keinen Schaden nehmen.

Der Einzelkämpfer aus dem vierten Stock

Den besten Blick auf den Besucheransturm hat der fraktionslose Abgeordnete Gerd-Rüdiger Hoffmann. Ganz oben, im 4. Stock, hat er als einziger Abgeordneter ein Büro. Aus seinem großen Fenster kann er über den Innenhof und hinüber zur Nikolaikirche schauen. Das Stockwerk teilt er sich sonst nur noch mit der Kantine und der Bibliothek. "Hier kommen alle vorbei", sagt er und lacht zufrieden. Ausgegrenzt fühlt er sich nicht. "Als der Vorschlag kam, war ich damit sehr einverstanden." Nur eine Sache findet Hoffmann gewöhnungsbedürftig, den sensorgesteuerten Lichtschalter. "Das ist ein bisschen komisch. Die Bewegung am Rechner reicht schon mal nicht, um das Licht an zu lassen."

Weißer Adler auf weißem Grund

Drei Etagen tiefer, im neuen Plenarsaal, steuert der Besuchertag derweil auf seine erste Krise zu. "Ich bin begeistert", hat eine ältere Dame aus Frankfurt (Oder) gerade ausgerufen, da unterbricht sie ihr Begleiter. "Das Ding da", sagt er und zeigt auf den weißen Adler an der Wand, "das möchte bitte rot sein." "Gut, dass sie es anzeigen. Ich dachte erst, die haben vergessen, den anzumalen." Nein, das Weiß ist Absicht, erklärt der Herr sichtlich pikiert. Die Dame aus Frankfurt (Oder) ist entsetzt. "Dabei passt der in Rot doch so gut zu den schönen roten Stühlen."

Der Architekt lobt die Leere des Raums

Der weiße Adler im Plenarsaal: Landtagspräsident Fritsch ahnt früh, dass ihn das Thema heute wieder einholen würde. "Wenn die alle drin sind, frag ich mal, ob ihnen der Vogel gefällt", raunt er einem Pressevertreter zu, bevor Architekt Peter Kulka den gestalterischen Minimalismus des Landtags in einem emotionalen Vortrag verteidigt. "Ich stehe hinter dieser Leere. Architektur kann Demokratie nicht verkörpern", fährt er fort, während sich die ersten Besucher fragend anschauen. Die kleinen Dorfkirchen in Sachsen seien sein Vorbild gewesen, sagt der gebürtige Dresdner, und überhaupt müsse man sich "leer machen, um neu sehen zu können". Ein wenig esoterisch, aber durchaus leidenschaftlich verteidigt Kulka dann auch den weißen Adler, der zwar laut Verfassung rot sein müsste, aber in rot eben auch "gegen das Prinzip des Raumes", gewesen wäre. Außerdem prange unter seinem Adler ja noch "dieses schreckliche Notausgangsschild", beschwert sich Kulka, was seine Zuhörer erstmals zum Lachen bringt. "Ich kämpfe noch, das weg zu bekommen."

"Und wenn sie ihn unbedingt rot streichen wollen, machen sie das Experiment." Da wird erstmals laut geklatscht.

Der Präsident sieht rot

Kurz darauf steht Landtagspräsident Fritsch im vierten Stock auf der Terrasse und zieht genüsslich an einer Zigarette. Was wird denn nun mit dem weißen Adler, möchte man wissen. "Mich wird nicht nur die Geschichte begleiten, sondern auch der Adler", erwidert Fritsch und grinst hintersinnig. "Der hängt nämlich in meinem Büro." Gemeint ist der aus dem alten Plenarsaal auf dem Brauhausberg, den er "eigenhändig abgehängt und mit runter genommen" habe. Er ist übrigens rot, der Alt-Adler. Der weiße Nachfolger habe ja auch gar nicht die richtigen Konturen, fügt Fritsch hinzu. "Da muss der Richtige hin." In welcher Farbe, das sagt er nicht.

Diktatoren im ersten Stock

Der Blick von Gerd Müller aus Geltow ist derweil an einem anderen Landtags-Aufreger hängengeblieben. "Lässt sich drüber streiten", sagt er und mustert das umstrittene Porträt von Adolf Hitler aus der Ausstellung des Künstlers Lutz Friedel. "Dit is nich Hitler, sondern Helge Schneider als Hitler", erklärt ein Mann im Hintergrund seiner Frau. Müller ist das egal. "Ihn hier so auszustellen ist sicher nicht so das Richtige." Auch ein Berliner Besucher, der seinen Namen lieber nicht sagen will, nennt die Ausstellung "völlig daneben", auch weil Porträts von Stalin und Goebbels gezeigt werden. "Kunst muss auch Grenzen einhalten. Das hat einen faden Beigeschmack."

Audienz beim Deichgrafen

Die größte Attraktion im ersten Stock an diesem Tag hängt jedoch nicht an der Wand,  sondern sitzt in Büro Nummer 1017: Matthias Platzeck, Ministerpräsident a.D., signiert Fotos von sich und schüttelt Hände. Dutzende Besucher warten geduldig, um den scheidenden Abgeordneten persönlich zu treffen. An der Wand hängt eine Karte der Uckermark, am Fensterknauf ein Paar Boxhandschuhe. "Herr Platzeck, wir bedanken uns", begrüßt ihn ein älterer Herr. "Ach Mensch, hör'n Sie auf, ich werde ja noch rot", erwidert der Geehrte.

Als Oberbürgermeister von Potsdam hatte Platzeck den Wiederaufbau des Stadtschlosses einst angestoßen. Am Ende wird er in diesen Räumen weniger als ein Jahr verbringen. Im September wird in Brandenburg gewählt, Platzeck geht dann in den Ruhestand. Er sei "froh, das noch zu erleben", sagt er.

Helmut Brandt sieht das ganz ähnlich. Er wartet schon über eine Stunde lang vor dem Eingang, hält sich aber mit schönen Erinnerungen warm. "Ich bin hier um die Ecke in der Schwertfegerstraße geboren worden", sagt Brandt und zeigt Richtung Neuer Markt und Friedrich-Ebert-Straße. Als er 1953 in die BRD ging, stand die ausgebombte Ruine des alten Stadtschlosses noch. Den Abriss durch die DDR-Führung sieben Jahre später verfolgte er mit viel Wehmut. "Schade, es stand doch noch eine Menge." Den Wiederaufbau habe er dann mit seiner Frau Edeltraud von Anfang an verfolgt. Heute mit ihr hier zu sein, bei der Eröffnung, "das ist wunderschön, wie ein Traum. Ich hätte es nicht für möglich gehalten."

Besucher strömen in den Potsdamer Landtag

Beitrag von Sebastian Schöbel

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