Kritik zur Ausstellung "1945 - Niederlage. Befreiung. Neuanfang" - Die Zeitzeugen bleiben stumm

Do 23.04.15 | 22:11 Uhr | Von Tomas Fitzel

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren Millionen Menschen in Europa unterwegs: Flüchtlinge, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und Befreite. Diesen historischen Moment will das Deutsche Historische Museum in Berlin mit mehr als 500 Exponaten einfangen. Wegweisend will die neue Ausstellung sein. Doch Tomas Fitzel lässt sie ratlos zurück.

"Niederlage. Befreiung. Neuanfang" – der Titel der neuen Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin ist nicht als chronologische Reihung zu verstehen, sondern als Gleichzeitigkeit. Denn all dies fand im Mai 1945 und für manche auch schon etwas früher statt – je nachdem, wo man sich gerade befand und auf welcher Seite man stand. Nachdem das DHM vor zehn Jahren seinen Blick auf die Folgen des Kriegsendes für Deutschland richtete, blickt es nun über die Grenzen hinaus: auf acht Nachbarländer, außerdem auf Norwegen und die beiden Siegermächte Großbritannien und Sowjetunion.

Maja Peers, als Kuratorin für die inhaltliche Gestaltung der Ausstellung zuständig, erklärt: "Es ist die erste Ausstellung zu diesem Zeitraum, die das Kriegsende und die unmittelbare Nachkriegszeit mehrerer Länder Europas zugleich in dieser Form präsentiert. Im Fokus unserer Präsentation steht ausdrücklich nicht alleine Deutschland, das Land, das den bislang verheerendsten Krieg mit einem unermesslichen Leid über Europa gebracht hat."

Will die Ausstellung aktuell sein?

Mit der Befreiung der bis dahin besetzten Nachbarländer stellte sich die Frage nach Schuld und Mitschuld. Wie bestraft man Kriegsverbrecher und Kollaborateure? Welche politischen Konsequenzen zieht man für die Nachkriegsgesellschaft? Die Länderauswahl im DHM, die fälschlicherweise Vollständigkeit suggeriert, überzeugt nicht wirklich: "Es ist völlig klar, dass natürlich auch Italien, Griechenland und Jugoslawien unglaublich interessante Länder wären, um diese Fragestellung zu erweitern", sagt auch Maja Peers.

Gerade bei Griechenland und der Diskussion um die Reparationsleistungen hätte sich sofort ein aktueller Bezug ergeben, warum 1945 heute noch immer an unsere Realität anknüpft. Aber auch darüber hinaus vermisst man eine einleuchtende Idee, warum die Ausstellung ein aktuelles Anliegen hat oder eben nicht. Alleine die Tatsache des Jahrestages reicht dafür nicht aus. "Jetzt ist einer der letzten Momente, wo man noch Zeitzeugen befragen kann. Das haben wir in der Ausstellung getan, und es war für uns ganz wichtig, uns diese Zeit von Menschen, die sie erlebt haben, erklären zu lassen", sagt Peers weiter.

Wo führt der Weg hin?

Der biografische Ansatz der Ausstellung macht neugierig. Jeweils drei exemplarische Biografien wählte man zu jedem Land aus. Sie sollen den Ausstellungsbesucher emotional packen und ihn erzählerisch durch die Ausstellung führen. Die Einzelbiografie, das sind ein Foto, einige wenige Zeilen zur Person und ein Objekt, das zu ihnen gehört. Das ist alles. Nichts führt weiter, diese Zeitzeugen sprechen nicht, sie bleiben stumm – stummer als jeder Wikipedia-Eintrag. Beispielsweise Marie-Claude Vaillant-Couturier, eine französische Journalistin und Widerstandskämpferin. Vaillant-Couturier hat Auschwitz und Ravensbrück überlebt. Sie war eindrucksvolle Zeugin im Nürnberger-Prozess und eine wichtige Politikerin im Nachkriegsfrankreich.

Doch die Ausstellung zeigt sie nur auf dem Titelbild einer Illustrierten bei der Stimmabgabe zur ersten Wahl – mehr fand man offenbar nicht. Im deutschen Bereich hat man in einer Vitrine die Akten des Nürnberger Prozesses aufgestapelt. Da müsste man doch ihre Stimme hören, sie eine sprachmächtige Frau und es gibt Aufnahmen mit ihr. Aber nichts! Und so geht es weiter. Die ausgestellten Objekte wirken wie zufälliges Strandgut. Diese Ausstellung – sie lässt den Besucher so sprach- wie ratlos zurück. Museumsdirektor Alexander Koch nannte sie wegweisend. Wie auch schon die vorigen Jahrestags-Ausstellungen zu 1813, 1914 und nun eben 1945. Wegweisend wohl ja – nur wo führt dieser Weg hin?

Niederlage, Befreiung, Neuanfang - in zwölf Ländern

Beitrag von Tomas Fitzel

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