Luftverschmutzung in Berlin - Stickstoffdioxid-Grenzwert an sechs Messorten überschritten

Do 17.01.19 | 19:27 Uhr | Von Dominik Wurnig
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Eine Feinstaubmessstellt in derSilbersteinstraße/Ecke Karl-Marx-Straße. (Bild: imago/Bernd Friedel)
Video: rbb|24 | 16.01.2019 | Nolte/Westphal | Bild: imago-Archivbild/Bernd Friedel

Die NO2-Belastung lag 2018 an sechs Berliner Messstellen über dem gesetzlichen Grenzwert. An der Leipziger Straße steht jetzt der Sinn der Tempo-30-Zone in Frage. Mit dem neuen rbb|24-Stickstoffdioxid-Monitor kann jetzt jeder jederzeit seine Luftqualität checken. Von Dominik Wurnig

Berlin bekommt sein Luftproblem nicht in den Griff: An sechs Messstellen im Stadtgebiet wurde im vergangenen Jahr der Jahresgrenzwert von 40 Mikrogramm überschritten. Das zeigt eine Auswertung der vorläufigen stündlichen Messdaten der Berliner Umweltsenatsverwaltung, die das Umweltbundesamt veröffentlicht hat.

Einmal mehr gibt es die schlechteste Luft an der Neuköllner Silbersteinstraße: 49 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft wurden dort im Jahresmittel 2018 gemessen. "Die Messstellen weisen vorläufige Daten aus – insofern lassen sich die Ergebnisse noch nicht valide kommentieren", sagt Jan Thomsen, der Sprecher der Umweltsenatorin. Seit der Einführung des gesetzlichen Stickstoffdioxid-Grenzwerts im Jahr 2010 wurde dieser noch jedes Jahr in Berlin überschritten. Die viel befahrene Neuköllner Silbersteinstraße gehörte bislang nicht zu den mehr als 100 Straßenabschnitten, an denen ein Fahrverbot geprüft wird. "Wir haben die Situation an der Silbersteinstraße im Blick. Sie wird noch einmal gesondert analysiert, was die hohen Stickoxidwerte betrifft", sagt Thomsen nun.  

Der zweitschlechteste Wert wurde in der Leipziger Straße mit 48 Mikrogramm gemessen. Dort hatte die Umweltsenatsverwaltung bereits im April 2018 Tempo 30 angeordnet. Doch trotz der gedrosselten Geschwindigkeit ist die Luftverschmutzung auf der mehrspurigen Trasse immer noch zu hoch.

Bisher zeigt Tempo 30 keine Wirkung

Wir erinnern uns: "Tempo 30" war eine der Maßnahmen der Senatsverwaltung, um die Luftqualität zu verbessern. Vor dem Verwaltungsgericht hatte die Behörde mit einer Reduktion um fünf bis sieben Mikrogramm für die Geschwindigkeitsbeschränkung argumentiert. Bisher ist dieser Effekt allerdings nicht erkennbar.

Von Jahresanfang bis zum 8. April 2018 - am Tag danach wurde Tempo 30 auf der Leipziger Straße eingeführt - lag die Belastung dort bei 53 Mikrogramm pro Kubikmeter. Im Rest des Jahres sank die Belastung und lag im Mittel bei 47 Mikrogramm. Auf den ersten Blick wirkt es so, als ob die Maßnahme Tempo 30 ein durchschlagender Erfolg wäre. Doch vergleicht man die Leipziger Straße mit den anderen verkehrsnahen Messstellen in der Stadt zeigt sich ein anderes Bild.

An allen 17 Berliner Messstellen hat sich nämlich die Luftqualität nach dem 8. April verbessert - obwohl nicht überall Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeführt wurden. Das deutet klar daraufhin, dass bislang durch Tempo 30 keine Auswirkung auf die Luftqualität erkennbar wird. rbb|24 hat zur Einordnung drei Experten befragt:

Auf der einen Seite steht Axel Friedrich, Mitaufdecker des Dieselskandals und heute unter anderem als Luftschadstoffexperte für die Deutsche Umwelthilfe tätig: "Nach den Angaben der Senatsverwaltung hätte man eine Minderung von 5 Mikrogramm finden müssen, doch die ist nicht zu erkennen. Das was ich jetzt sehe, habe ich erwartet. Es gibt eine leichte Minderung aber die ist innerhalb der Schwankungsbreite."

Auch Umweltchemiker Wolfgang Frenzel von TU Berlin ist skeptisch: "Die Auswertung zeigt doch ziemlich eindeutig, dass die Tempo-30-Einrichtung in der Leipziger Straße nicht zu einer signifikanten - wenn überhaupt - Minderung der NO2-Belastung geführt hat. Ich hatte das wegen der besonderen Verkehrssituation dort von Anfang an vermutet bzw. befürchtet. Es könnte an den anderen neu eingerichteten Tempo-30-Bereichen anders aussehen, da dort der Verkehr insgesamt flüssiger ist. Das ist aber vermutlich erst in drei bis sechs Monaten zu beurteilen."

Die dritte befragte Expertin, Ute Dauert vom Umweltbundesamt, hält sich noch zurück: "Ein belastbares Resümee, lässt sich erst dann ziehen, wenn die Daten für ein volles Jahr vorliegen."

Auch die Umweltsenatsverwaltung will die Ergebnisse noch nicht bewerten. "Der Pilotversuch in der Leipziger läuft noch bis Ende März", sagt Pressesprecher Thomsen. "Er ist auf ein Jahr angelegt, weil erst nach einem Jahr Daten validiert werden können."

Neu: Stickstoffdioxid-Monitor des rbb

Auch 2019 wird Berliner und Brandenburger das Thema Stickstoffdioxid nicht los lassen. Nach dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts in Berlin muss der Senat Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge anordnen. An mindesten acht Straßen muss der Verkehr beschränkt werden, an 60 weiteren Straßen prüft die Verwaltung noch. Spätestens Ende März soll die Liste feststehen, ab Mitte des Jahres die Fahrverbote gelten. Auch weitere Maßnahmen wie Tempo-30-Beschränkungen und technische Nachrüstungen sind wahrscheinlich.

Deshalb startet der rbb ab heute den Stickstoffdioxid-Monitor. Mit dieser Mini-Anwendungen können sich alle schnell, unkompliziert und einfach über die aktuelle Stickstoffdioxid-Belastung informieren. Stündlich aktualisiert sich der Stickstoffdioxid-Monitor mit den Live-Daten aller Messstellen in Berlin und Brandenburg.

Sollte der Stickstoffdioxid-Monitor in der App nicht angezeigt werden, finden Sie ihn auch hier. Außerdem finden Sie den Stickstoffdioxid-Monitor ab heute auch auf unserer Startseite
www.rbb24.de/ bei den Verkehrs- und Wetterinformationen.

Leichte Verbesserung

Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich die NO2-Belastung in Berlin trotz Grenzwertüberschreitung abermals leicht verbessert. Die Messstelle in der Friedrichshainer Frankfurter Allee kann erstmals mit 37 Mikrogramm den Grenzwert einhalten. Am Hardenbergplatz, wo besonders viele BVG-Busse passieren, zeigen Nachrüstungen Wirkung.

Obwohl der Trend positiv ist, sind Fahrverbote in Berlin ausweichlich: Die Verbesserung geht zu langsam, schon zu lange wird der seit 2010 geltende Grenzwert überschritten. Das haben auch die Richter am Verwaltungsgericht so bestätigt. Bis Ende März muss die Umweltverwaltung die genauen Straßen nennen, die gesperrt werden sollen. Vermutlich ab Jahresmitte 2019 treten die Fahrverbote für Dieselautos mit Abgasklasse Euro 5 und niedriger in Kraft.

Brandenburg: Alle Messstellen unter dem Grenzwert

So wie 2017 wurde auch im Jahr 2018 in Brandenburg an jeder Messstelle des Umweltministeriums der Jahresgrenzwert (40 µg/m³) eingehalten. Die höchste Belastung gab es an der Potsdamer Zeppelinstraße mit 36,2 Mikrogramm im Jahresmittel. Beunruhigend ist, dass - gegen den Trend der immer sauber werdenden Fahrzeuge - die Belastung in der Zepplinstraße 2018 um 2 Mikrogramm höher lag als im Vorjahr.

In der Neuendorfer Straße in Brandenburg an der Havel wurde 2018 auch eine überdurchschnittliche Feinstaubbelastung festgestellt. An insgesamt 22 Tagen lag dort die Tagesbelastung durch Feinstaub über 50 Mikrogramm. Damit gehört die Messstelle zu den zehn am stärksten Feinstaub-belasteten Orten Deutschlands.  

Feinstaub-Grenzwert doch eingehalten

Anders als rbb|24 ursprünglich berichtete, wurde der Feinstaub-Grenzwert im Jahr 2018 doch an allen Berliner Messstellen eingehalten. Das ergab eine routinemäßige Validierung der Messdaten durch die Umweltsenatsverwaltung, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Laut den ursprünglichen, vorläufigen Messdaten wurde an der Neuköllner Silbersteinstraße an 36 Tagen der Feinstaub-Tagesmittelwert von 50 Mikrogramm überschritten. Nach der gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätssicherung liegt die Zahl der Überschreitungstage nur noch bei 27. Damit wurde der Grenzwert von höchstens 35 Überschreitungstagen eingehalten.

Die Umweltsenatsverwaltung hat bereits das zuständige Umweltbundesamt informiert, so dass die Überschreitungstabelle des Umweltbundesamtes [externer Link] - auf die sich rbb|24 ursprünglich berufen hat - korrigiert wurde.

Beitrag von Dominik Wurnig

37 Kommentare

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  1. 37.

    Je mehr man sich von der Umwelt "bedroht" fühlt und sich verrückt macht, desto eher kann man übrigens sterben. Ist zumindest erwiesen bei Leuten, die extrem auf gesundheitsbewusstes Essen achten. Die machen sich damit verrückt.

  2. 36.

    sie wollen Tote sehen? Widerliche Forderung. Und zu den Fliegern. Liefern Sie mal Zahlen bitte. Vergleich Dieselautos vs. Flugzeuge bezogen auf Berlin. Würde mich echt interessieren.

  3. 35.

    Sehr komplex, wirkt sich beides negativ auf die Gesundheit von Säugetieren (auch Menschen) aus und wird auch durch Verbrennungsmotoren in Autos erzeugt. Sinnvolle Maßnahme: weniger Autofahren, besonders in dicht besiedelten Gebieten - z.B. Städten. Wenn es nicht anders geht, wird es - wie bei den Rauchverboten - erst nach den Fahrverboten zu den notwendigen sozialen Verhaltensänderungen - und erst danach zu den sozialen Einstellungsänderungen bei der verursachenden Minderheit - kommen. Die Mehrheit nutzt längst den ÖPNV, geht zu Fuß, fährt mit Muskelkraft - sonst würden alle im Stau des Verkehrs und den Abgasen ersticken. Fragen sie mal Bekannte, deren Eltern früher im Auto geraucht haben ;) Oder auch die Eltern, die früher mit ihren Kindern im Auto geraucht haben - wie sie dieses Verhalten heute einschätzen.

  4. 34.

    Natürlich werden Grenzwerte überschritten, weil man das so will, der arbeiten Bevölkerung auf den Sack gehen will und die Grenzwerte unterirdisch festlegt, so als wenn man auf einem Dorf leben würde, sch... EU. Besser wäre wenn man die Ökos ins Dorf stecken würde.

  5. 33.

    > Mit dem neuen rbb|24-Stickstoffdioxid-Monitor kann jetzt jeder jederzeit seine Luftqualität checken <

    und darf sich dann sofort gesundheitlich beeinträchtigt fühlen unter Berufung auf diese Angaben bzw. Meßwerte ?

  6. 32.

    > komischerweise gibt es keine Flugverbote < stimmt, der Flugverkehr wird immer ausgeklammert-warum wohl ? - deren Emissionen sind enorm , allein über Mitteleuropa täglich ca. 1500 Flugzeuge am Himmel und deren Abgase sinken langsam nach unten.. interessiert aber den BUH nicht, dessen Protagonist ist ja selber ständig mit dem Flieger unterwegs.
    Flugverbote wären wirtschaftl. kontraproduktiv- also kein Thema- Dieselfahrverbote trefenn den einzelnen Bürger und dann die Autoindustrie, die aber bereitet sich schon auf " Elektro" vor. Dass die dazu erforderliche Gewinnung von Lithium für die Batterie tägl. 125 Millionen liter Grundwasser benötigt in der chilenischen Wüste ! .... geschenkt , das verdunstet dann eben

  7. 31.

    stimmt schon, aber bei allen Grünphasen müssen auch zeitnah andere Straßen " grün" bekommen, dann steht wieder die andere Schlange bei "rot" , und so geht das munter weiter , also mit NOx ist nix ...

  8. 30.

    Kiel hat die " ultimative Lödung " : Kiel soll - zunächst probeweise - eine Anlage bekommen, die Stickoxide aus der Luft filtert und dann saubere Luft wieder ausstößt. ( NDR ) Kosten : 80.000 € für eine Kiste von ca 12 m³ Toll!!!

  9. 29.

    Das verstehen die Verkehrsverantwortlichen im Senat aber nicht. Würden sie ihre Arbeit machen, wäre es nicht so desolat im Straßenverkehr.

  10. 28.

    Wenn immer mehr Flächen versiegelt, immer mehr Bäume abgeholzt und nicht zum Ausgleich woanders im Stadtgebiet gepflanzt werden, solange Freiflächen zubetoniert werden, nur um teuren Wohnraum zu schaffen, solange die Natur immer mehr verdrängt wird und dieser Bereich auch noch "Umweltzone" genannt wird, solange kein wirkliches ÖPNV Konzept erstellt wird, um diesen attraktiver für Pendler zu gestalten, solange werden Luft und Temperaturentwicklung immer weiter in Richtung schlecht, bzw heiss weitergehen. Hauptsache der Motor läuft immer, ob geheizt oder gekühlt wird, der Motor muss laufen. Viele Menschen sind scheinbar zu dumm, dies zu verstehen. Und das zieht sich durch alle Schichten. Das ist der Preis für dieses unreflektierte Wachstum der Städte und Berlin. Nehmt es hin oder geht woanders hin, wo die Luft besser ist.

  11. 27.

    Das ständige Beschleunigen und Bremen findet ja wohl ehr bei Tempo 50 statt, als bei 30. Sie wollen persönlich überall auf ihren Strecken Grünphasen haben und die anderen Verkehrsteilnehmer bekommen dann Rotphasen oder wie soll das funktionieren? Die meisten Autofahrer kennen übrigens vorrausschauendes Fahren nicht.

  12. 25.

    Berlin hat so viele Hotspots,wo die Messtationen stehen.Es geht ganz einfach.Nadelöhre verschwinden lassen,die Grünphasen optimieren und Geschwindigkeiten korrigieren.Mit Tempo 30 (falls man erreicht !!!) werden alle Formen Feinstaub und Stickoxyd produziert,bei fließenden Verkehr sogar gesenkt,das ständige Beschleunigen und Bremsen verursachen den Feinstaub.

  13. 24.

    Die Tempo 30 Maßnahme würde vielleicht besser wirken wenn man ein paar Blitzer aufstellen würd. 30 fährt nämlich niemand. Parkraumbewirtschaftung und eine Citymaut wären auch effektive Maßnahmen um die Blechlawine zu verkleinern. Die Einnahmen können dann direkt in die BVG und Radwege investiert werden.

  14. 22.

    Da kann und will ich Ihnen nicht absolut widersprechen. Nur gibt es für Stickoxide keine wissenschaftlich belastbaren Studien, dass eine Konzentration überhaupt körperlich gesundheitliche Wirkungen hat. Damit muss sich der Faktor Gesundheit mit in die anderen Abwägungen einzureihen. Und selbst dann wäre es nur ein, wenn auch besonders wichtiger Grund in der Abwägung. Rein mit Ihrem Argument müssten Sie jegliche Heizungen verbieten, da sie Schadstoffe erzeugen. Dann müssten wir uns halt in dicke Decken hüllen, um nicht zu erfrieren. Kurz gesagt: es stehen sich immer verschiedene Argumente gegenüber, die durchaus unterschiedliches Gewicht haben, jedoch schlägt ein Argument niemals automatisch alle anderen.

  15. 21.

    "Warum muss man z.B. in der Nieder Neuendorfer Str. an fast jeder Ampel anhalten." Das gibt es an vielen Stelle, rote Wellen etc., damit einfach höhere Werte produziert werden. In Berlin wird doch absichtlich darauf hingearbeitet, den flüssigen Verkehr runterzuwürgen, damit man mit dem dann höheren Schadstoffausstoß gegen den Autofahrer vorgehen kann. Aber Silvester darf in einer Nacht 1/5 von der ganzen jährlichen Feinstaubbelastung produziert werden. Das dient ja auch der hier genannten Vorgehensweise, gegen private PKWs vorgehen zu wollen.

  16. 20.

    Die Gesundheit der Menschen ist kein demokratischer Diskussionsbeitrag. Sondern geht vor.

  17. 18.

    Ich halte die ganze Stickoxid-Diskusion an den Haaren herbeigezogen,als erstes möchte ich die Leute sehen die an NOx gestorben sind,alles Fake. Was Berlin betrifft,dort gibt es Flughäfen,jeder Ferienflieger stößt die Tausendfache Menge an NOx als ein kleiner PKW,mir ist diese Schadstoffquelle viel einleuchtender,komischerweise gibt es keine Flugverbote.

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