#abgasalarm-Messreihe von rbb und TU Berlin - So könnten Diesel-Fahrverbote vermieden werden

Do 14.12.17 | 06:30 Uhr | Von Robin Avram
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Autofahrer und Radfahrer am Kottbusser Tor (Quelle: dpa/Wolfram Steinberg)
Bild: dpa/Wolfram Steinberg

Eine rbb-Messreihe hat gezeigt: Stickoxid-Werte werden in Berlin flächendeckender und stärker überschritten als bislang bekannt. Politiker sind sich uneins darüber, ob nun Fahrverbote unausweichlich sind. rbb|24 macht den Faktencheck. Von Robin Avram

Die #abgasalarm-Messreihe von rbb|24 und TU Berlin hat die Debatte um ein Diesel-Fahrverbot in Berlin neu entfacht.

"Fahrverbote sind damit leider auch für Berlin wahrscheinlicher geworden", kommentierte der umweltpolitische Sprecher der SPD, Daniel Buchholz, die Ergebnisse. "Ich glaube, dass der Grenzwert von 40 Mikrogramm auch gut erreichbar ist, auch ohne dass man Fahrverbote verhängt," meint hingegen Henner Schmidt, der verkehrspolitische Sprecher der FDP.

Doch was muss getan werden, um einen Spitzenwert von rund 70 Mikrogramm, der von rbb|24 und TU Berlin an vier Straßen gemessen wurde, auf unter 40 Mikrogramm zu drücken? rbb|24 erläutert, welche Maßnahme was bringt.

1. Was bringt die Nachrüstung von kommunalen Fahrzeugen?

Der Berliner Senat hat im September angekündigt, vor allem bei Fahrzeugen, die viel in der Innenstadt unterwegs sind, die Stickoxid-Werte zu verbessern. So soll die BVG alle ihre 1.400 Busse mit Stickoxid-Filtern nachrüsten. Auch Taxibetriebe, die auf Elekro-Autos umsteigen, sollen finanziell gefördert werden.

Laut Deutscher Umwelthilfe (DUH) bringen diese Maßnahmen eine Reduzierung der Stickoxid-Belastung um fünf bis zehn Prozent. Mit diesen Zahlen konfrontiert, sagte Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos) am Dienstag in der rbb-Abendschau: "Das muss man eben sehen". Aus ihrer Behörde ist zu hören, dass die Angaben der DUH realistisch sind. Denn Busse und Lkw machen eben nur einen kleineren Teil der Stickoxid-Emissionen aus. Wesentlich mehr Stickoxid pusten laut Umweltbundesamt die Diesel-Autos in die Luft. (siehe Grafik)

Effekt der Maßnahme: Der Stickoxid-Wert an unserer Beispielstraße von 70 Mikrogramm verringert sich - gutwillig gerechnet - auf 63 Mikrogramm.

Diesel-Autos stoßen das meiste NO2 aus (Quelle: Umweltbundesamt)Busse haben lediglich einen Anteil von vier Prozent an den Emissionen, LKW machen dagegen 19 Prozent aus.

2. Was bringen Software-Updates für Diesel-Autos?

Auf dem Diesel-Gipfel im August erklärten sich die Autohersteller bereit, den Käufern der manipulierten Diesel-Pkw ein Software-Update zu bezahlen. In Berlin haben rund 130.000 Besitzer von Diesel-Autos der Schadstoffklassen Euro 5 und Euro 6 einen Anspruch darauf, viele haben das Update schon in einer Werkstatt durchführen lassen.

Folgt man Berechnungen, die das Potsdamer Forschungsinstituts IASS angestellt hat, sinken die Stickoxid-Emissionen dadurch an besonders belasteten Straßen um geschätzt zehn Prozent. Die Software-Updates können nämlich den Stickoxid-Ausstoß der Diesel-Pkw nur um rund ein Viertel reduzieren. Moderne Diesel-Autos stoßen nach Berechnungen des Umweltbundesamtes auf der Straße jedoch ein Vielfaches mehr aus, als eigentlich erlaubt ist. (siehe Grafik)

Die Belastung an unserer Beispiel-Straße verringt sich demnach durch die Software-Updates deshalb lediglich von 63 auf 56 Mikrogramm - wahrscheinlich aber weniger, weil man alte Diesel-Autos nicht nachrüsten kann.

Stickoxid reale Abgasemissionen (Quelle: Umweltbundesamt)Das Umweltbundesamt hat mit umfangreichen Messreihen das ganze Ausmaß des Diesel-Skandals in Zahlen gefasst: Euro-5-Diesel-Autos stoßen demnach auf der Straße im Schnitt fünfmal mehr Stickoxid aus als gesetzlich erlaubt. Euro-6-Diesel sind im Schnitt zwar sauberer, stoßen jedoch sogar sechsmal mehr aus als in dieser Schadstoffklasse erlaubt ist.

3. Was bringen Tempo 30-Zonen?

Der Senat testet derzeit an fünf besonders Stickoxid-belasteten Straßen, was Tempo-30-Zonen bringen würden. Studien zeichnen ein unterschiedliches Bild dazu, wieviel Schadstoffe durch diese Maßnahme reduziert werden können.

Grob gesagt kommt es entscheidend darauf an, ob der Verkehr wirklich flüssiger wird. "In Tempo 50-Zonen gibt es sehr viel Stop and Go. Durch das Bremsen und wieder anfahren wird sehr viel Stickoxid freigesetzt", erläuterte Günther im rbb. Die Hoffnung der Umweltverwaltung: Bei Tempo 30 läuft der Verkehr sehr viel gleichmäßiger. Das will man auch dadurch erreichen, das Ampelschaltungen so verändert werden, dass Hauptverkehrsstraßen mehr "grüne Wellen" haben.

Laut Umweltbundesamt beträgt das NO2-Minderungspotential an Hauptstraßen nicht mehr als zehn Prozent. Am Görlitzer Bahnhof - hier hat rbb|24 mit 77 Mikrogramm den allerhöchsten Wert gemessen - gilt übrigens bereits Tempo 30.

Der Stickoxid-Wert würde durch eine Tempo 30-Zone an unserer Beispielstraße von 56 Mikrogramm deshalb bestenfalls auf 50 Mikrogramm sinken - vielleicht aber auch wesentlich weniger.

4. Was bringen Hardware-Nachrüstungen?

Wesentlich mehr als Software-Updates würden Hardware-Updates bringen. Der ADAC hat ein Nachrüst-Set der Firma Baumot getestet und festgestellt, dass sich der NO2-Ausstoß im realen Fahrbetrieb um rund 90 Prozent verringert. Laut Zentralverband des Deutschen Kfz-Gewerbes können für rund 95 Prozent der Diesel-Fahrzeuge solche Nachrüstsets entwickelt werden.

Doch bislang sperren sich die Automobil-Konzerne wegen der Kosten in Milliardenhöhe dagegen, die Nachrüstung auf eigene Rechnung durchführen zu lassen. "Das müssen die Autohersteller zahlen. Sie haben den Verbraucherinnen und Verbraucher etwas verkauft, was nicht das einhält, was sie versprochen haben. Da liegt der Ball bei der Bundesregierung", fordert Berlins Verkehrssenatorin Günther zum Handeln auf. Aus gutem Grund.

Eine Studie des Forschungs-Instituts IASS zeigt nämlich, dass die Hardware-Nachrüstungen fast doppelt so viel bringen würden wie alle anderen Maßnahmen zusammen. "An Hauptverkehrsstraßen wäre eine Reduzierung der Stickoxid-Emissionen um bis zu 40 Prozent möglich", sagt IASS-Forscherin Erika von Schneidemesser rbb|24.

An unserer Beispielstraße würden die Emissionen von 56 auf 34 Mikrogramm sinken,  Bleibt auf der Straße weiterhin Tempo 50 erlaubt, wären es immer noch 37 Mikrogramm. Der gültige Grenzwert wäre also knapp unterschritten.

Unser Fazit: Wenn die Bundesregierung keine Hardware-Nachrüstungen durchsetzt, sind Fahrverbote in Berlin wohl nicht zu vermeiden.

Beitrag von Robin Avram

16 Kommentare

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  1. 16.

    Ich habe einen Diesel Euro 6. Habe dafür viel Geld bezahlen müssen mit der Aussicht, auch trotz des ganzen NO Wahnsinns aus dem Umland noch an meinen Arbeitsplatz in Berlin Mitte fahren zu können. Ich würde auch lieber um die Ecke arbeiten, aber das ist nunmal nicht möglich. Ich kann mir dies nur mit einem Dieselauto leisten, weil Benzin einfach zu teuer ist bei der Fahrstrecke. Ich zahle reichlich Steuern für dieses Auto und Reparaturen für diese ganzen Hardware super Zusätze die den Schadstoffausstoß angeblich mindern. Und was bekomme ich dafür? Die Drohung mein Eigentum nicht nutzen zu dürfen und ich somit meinen Arbeitsplatz nicht erreichen kann. Ich arbeite Schicht. Zu meinen Zeiten ist mit öffentlichen einfach Essig. Vielen Dank auch. Wer in der Stadt wohnt ist naturgemäß Schadstoffen ausgesetzt. Auf dem Land fragt mich auch keiner wie übel im Winter der Smog Dank der ganzen Kaminnutzer ist. Und das ist nun wirklich Luxus und unnötig. Mein Auto aber nunmal nicht.

  2. 15.

    Das mit den Hardware-Nachrüstungen hört sich gut an. Allerdings funktionieren die auch nicht richtig. Laut Messungen vom Forschungszentrum Jülich stoßen Diesel mit Harnstoff-Katalysator (addBlue) große Mengen Ammoniak (giftig, Überdüngung, Feinstaub) und Isocyansäure (HNCO) (giftig) aus. Das wird noch nicht öffentlich diskutiert. Fragen Sie mal dort nach.

  3. 14.

    Die von uns ermittelten Werte lassen sich unseres Erachtens nach sehr wohl mit Jahreswerten vergleichen. Das zeigt ein Blick auf die Senatsmessergebnisse der Vorjahre. An den sechs verkehrsreichen Straßen, an denen der Senat - so wie wir - mit Passivsammlern misst, wichen die Monatswerte unseres Untersuchungszeitraumes (24.20. - 26.11) in den Jahren 2014, 2015 und 2016 im Schnitt um knapp 6 Prozent von den Jahreswerten ab. Knapp die Hälfte der Monatswerte war dabei niedriger, die Hälfte höher als der jeweilige Jahreswert.

    Das bedeutet: An unseren 110 Messtellen hätte wir mit hoher Sicherheit auch bei einer Jahresmessung an vergleichbar vielen Standorten Messwerte über dem Grenzwert festfestellt.

  4. 13.

    Ihre Idee ist nicht neu aber gut.Vor ein paar Jahren gab es schon einen Antrag Wassertaxis i.der Stadt einzuführen,was auf taube Ohren stieß,da sich die Taxi Innung benachteiligt fühlte.Der Senat ganz schnell diese Angelegenheit vom Tisch fegte.

  5. 12.

    In Berlin gibt es mehr Wasserstraße als in vielen anderen Städten. Da wird ein Stadtschloss, ein Pergamonmuseum und viele Wohn- und Bürohäuser gerade direkt an der Spree gebaut und nicht ein Sack Zement, nicht ein Mauerstein wird auf diesem Weg transportiert. Die Schiffe sind zwar auch Dreckschläudern, verbrauchen aber lange nicht so viel Sprit wie die LKW, welche analog fahren würden. Die Straßen würden geschont und die Luft wäre besser.
    Da sollte man mal drüber berichten...

  6. 11.

    Jawoll Dieter, alles halb so schlimm, kein Grund zu übertriebener Hast! Ein bisschen Luft ist ja noch nach oben.

  7. 10.

    "Am Görlitzer Bahnhof ... gilt übrigens bereits Tempo 30." Da helfen wohl nur stationäre Blitzer, denn an Tempo 30 halten sich da die wenigsten. Das gleiche gilt für die Oranienstraße und die Adalbertstraße; dort würden Busspuren mit temporären Ladezonen helfen, wenn die Ladezonen nur in verkehrsarmen Zeiten (z.B. 6-6:30 und 11-12:30 und 20.30-21.30 Uhr) genutzt werden dürfen. Warum auf einer Metrobuslinie (hier M29) hundert Parkplätze wichtiger sind als die schnelle Beförderung von zigtausenden Fahrgästen? @rbb Was sagen BVG, Verkehrslenkungsbehörde, Bezirksregierung und Senat dazu?

  8. 9.

    Eine Definition findet sich z.B. in § 14a 17. BImSchV – Ermittlung der Jahresmittelwerte: "Die Jahresmittelwerte werden auf der Grundlage der gemäß der Genehmigung der Anlage zu ermittelnden jeweiligen Tagesmittelwerte berechnet; hierzu sind die Tagesmittelwerte eines Kalenderjahres zusammenzuzählen und durch die Anzahl der Tagesmittelwerte zu teilen."
    Der Chemiebaukastentest des rbb wurde hingegen einfach nur mal ein paar Wochen in die Luft gehängt, und das auch noch im Winter. Noch einmal: Es wurden KEINE Grenzwerte gerissen! Schlichtweg, weil diese nicht ermittelt wurden!

  9. 8.

    Sie haben sich ihre Frage, wenn es denn eine war, selbst beantwortet: "freiwillig".

    Wo ist der Unterschied wenn sie sich freiwillig eine Zigarette anzünden oder wenn ich sie in einen 10qm großen Raum einsperre und mit dem Feinstaub produziert von 10 Rauchern vergifte?

  10. 7.

    Wollen sie uns die Taschenspielertricks der Automafia unterjubeln?

    Es reicht wenn dieser Wert an EINEM Tag überschritten wird, sommers wie winters.

  11. 6.

    Seltsam, bei feinstaub und stickoxiden fürchten viele ( zu Recht) um ihre Gesundheit. Aber Tag für Tag inhalieren massenhaft Raucher Unmengen an giftigen Substanzen, und das ganz freiwillig. Da kann ich nur den Kopf schütteln, wenn dann jemand, der raucht, sich über gefahren durch luftverschmutzung mokiert.

  12. 5.

    Na, da scheint die Lösung doch recht einfach:
    Fahrverbote BIS endlich eine Hardware-Nachrüstung erfolgt ist! Woher soll sonst der Druck kommen, damit es überhapt eine gibt? Das ist man den vielen Menschen, die hier unfreiwillig reichlich Stickoxide einatmen müssen doch wohl schuldig. Etwas Unbequemlichkeit kann man dafür auch den Autofahrern zumuten - in Berlin kommt man auch ohne Auto gut durch die Stadt, nur eben nicht ganz so bequem.

  13. 4.

    So könnten Diesel-Fahrverbote vermieden werden. Ach so, Herr Pofalla taucht auf und erklärt den Diesel als ungefährlich, die Kanzlerin nickt ab und die Automobilbranche reibt sich die Fäuste.

  14. 3.

    Irgendwie putzig, dass ständig von einer Grenzwertüberschreitung gesprochen wird, die NICHT STATTGEFUNDEN hat!
    Die 40 Mikrogramm sind ein JAHRES(!)MITTEL(!)WERT. Die Stickoxid-Werte sind im Winter immer höher als im Sommer. Das weiß jeder, der sich auch nur ansatzweise mit dem Thema beschäftigt.
    Solange keine JAHRESmessung durchgeführt wird, bringen uns Ihre Überlegungen nicht weiter, jedenfalls nicht unter der Überschrift der GrenzwertÜBERSCHREITUNG.

  15. 2.

    Es sollte DRINGEND ein Transportkonzept ausgearbeitet werden, welches ein Fahren von LKW innerhalb der Stadt überflüssig macht !

    SUV und andere Großfahrzeuge mit Dieselmotor sollten ebenfalls mit einer extra Steuer belegt werden: Sie brauchen mehr Platz ( = mehr Parkfläche ) sind außerdem Schadstoffreicher und außerdem überflüssig, da reiners Statussymbol. Die Menschen, die sich so eine Kisten anschaffen, können sich außerdem Extrakosten auch leisten. Unfair ? Blödsinn: Wer seine Umwelt hoch belastet, muß auch einen höheren Ausgleich finanzieren.... ganz einfach ! Schliesslich ist dort auch mehr Geld vorhanden, somit ist das Ganze dann auch nur fair gegenüber der Umwelt und den Mitmenschen. Es kann nicht sein, dass sich das Kapital mit seinen Besitzern der Verantwortung dauerhaft entziehen kann, denn das ist egoistisch !

  16. 1.

    Die Einzige praktikable Lösung sind Diesel-Fahrverbote, eine Abwrackprämie, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, vor allem ein Massenhafter Ausbau von Strassenbahnen.
    Was hier im Artikel aufgelistet wird sind mal wieder sinnlose Übungen, deren Wirksamkeit weit überschätzt und übertrieben wird. Eine Hardware-Nachrüstung etwa wollen die Automobil-Konzerne nicht bezahlen und ausserdem stehen keine hunderttausende Werkstätten bereit, die die Nachrüstung ausführen könnten. Mit anderen Worten eine Nachrüstung würde Jahrzehnte dauern. Ausserdem wird auch bei diesen Nachrüst-Sets mit Sicherheit bei den Angaben zu den Emissions-Werten betrogen.
    Tempo 30 Zonen etwa bringen kaum etwas, und betreffen auch die Benziner, deren Stickoxid-Ausstoss nicht so katastrophal ist.
    Die Einzige praktikable Lösung sind Diesel-Fahrverbote, eine Abwrackprämie, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, vor allem ein Massenhafter Ausbau von Strassenbahnen. Das würde auch massenhaft Arbeitsplätze schaffen.

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