Reaktionen auf Berliner Diesel-Urteil - Vom "ausgewogenen Urteil" bis hin zur "Ohrfeige"

Di 09.10.18 | 23:03 Uhr
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Berlins Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos) (Bild: dpa)
Video: Abendschau | 09.10.2018 | Timo Fabian Nicolas | Studiogespräch mit Regine Günther | Bild: dpa

Durch einige Berliner Straßen dürfen ältere Diesel künftig nicht mehr fahren, das hat das Verwaltungsgericht entschieden. Die Verkehrssenatorin will nun Ausnahmen bei Dieselfahrverboten für bestimmte Branchen prüfen.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat nach dem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten auf mehreren Straßen von einem "guten Tag für saubere Luft" gesprochen. Geschäftsführer Jürgen Resch sagte am Dienstag, die Verbote müssten nun vom Berliner Senat schnell umgesetzt werden. Die Bürger bräuchten Planungssicherheit.

Die DUH hatte vor Gericht für Fahrverbote geklagt. Resch bedauerte aber, dass es nicht gelungen sei, Sperrungen für die gesamte Umweltzone zu erreichen - diese umfasst die Berliner Innenstadt. Die Umwelthilfe hatte bei streckenbezogenen Fahrverboten vor Ausweichverkehren gewarnt.

Resch kritisierte auch, die Bundesregierung sei mit ihrem Diesel-Kompromiss gescheitert. Die große Koalition hatte sich für 14 besonders belastete Städte auf Maßnahmen wie Kaufanreize für neue Autos geeinigt - Berlin ist in dieser Liste zum Beispiel aber nicht enthalten. Resch forderte einen erneuten "Dieselgipfel" der Bundesregierung, bei dem auch Umweltverbände mit am Tisch sitzen müssten.

Der Anwalt des Berliner Senats, Frank Fellenberg, bezeichnete die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten als "ausgewogenes Urteil". Fellenberg sagte am Dienstag, die DUH habe ein flächendeckendes Fahrverbot im gesamten Innenstadtbereich verlangt, das Gericht habe aber Sperrungen nur für einzelne Straßenabschnitte verhängt. Es habe außerdem den Zeitplan des Landes akzeptiert. Berlin hatte bereits zuvor angekündigt, bis zum März 2019 einen neuen Luftreinhalteplan beschließen zu wollen.

Berlins Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos/für Grüne) sagte in der rbb-Abendschau, ihre Verwaltung habe bereits geprüft, inwiefern durch Fahrverbote für bestimmte Straßen Ausweichstrecken belastet werden. Man werde auch weiter versuchen, durch Maßnahmen wie Tempo-30-Zonen und eine Umrüstung der Fahrzeuge von BVG und BSR die Abgaswerte zu senken, um weitergehende Fahrverbote zu vermeiden. Und fügte hinzu, wen sie dafür verantwortlich macht: "Fahrverbote haben wir, weil die Regierung und die Autoindustrie nicht gehandelt haben."

"Es wäre Sache der Automobilindustrie, mit einer Hardwarenachrüstung der Dieselfahrzeuge für wirksamen Gesundheitsschutz zu sorgen und Fahrverbote zu verhindern", so Günther.

Am Abend sagte sie im rbb, sie wolle Ausnahmen bei Diesel-Fahrverbote für bestimmte Branchen prüfen. Das betreffe vor allem Handwerker und Taxifahrer.

Diese Straßen sind voraussichtlich von Fahrverboten betroffen:

Ähnlich wie Regine Günther äußerte sich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Er sieht weiterhin vor allem die Bundesregierung in der Pflicht, die Autoindustrie zu Lösungen für abgas- und schadstoffarme Fahrzeuge zu verpflichten. Pendler dürften auf keinen Fall gezwungen werden, sich ein neues, teures Auto anzuschaffen, weil die Industrie eine umweltgerechte Umrüstung nicht tragen will. Die Autokonzerne seien verantwortlich, nicht die Autokäufer.

Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher, und Christian Gräff, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion Berlin, sprachen von einer "Ohrfeige für den Senat". Dieser habe nicht rechtzeitig auf Maßnahmen wie die Grüne Welle, die Förderung von Elektrofahrzeugen und den Ausbau von Lademöglichkeiten gesetzt. "Leidtragende dieser Ignoranz sind einmal mehr die Berliner und die Unternehmen der Stadt."

Auch Henner Schmidt, infrastrukturpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, kritisierte die Belastungen für Pendler. Die Fahrverbote wirkten sich außerdem negativ auf Handwerker, Gewerbetreibende und Menschen mit geringem Einkommen aus, die sich dann neue Fahrzeuge anschaffen müssten. "Die Fahrverbote müssen deshalb so weit wie möglich auf die wenigen 'Hotspots', also einzelne Straßenabschnitte mit hohen Stickoxidwerten, begrenzt werden", forderte Schmidt. Eine Ausweitung von Fahrverboten auf die gesamte Umweltzone, ebenso wie die Einbeziehung neuer Dieselfahrzeuge mit Euro 6, wie es die Regierung angedacht habe, sei "völlig unverhältnismäßig".

Die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus kritisierte nach der Urteilsverkündung die rot-rot-grüne Regierung. Der Senat habe zwei Jahre Zeit gehabt, sich Gedanken zu machen und Maßnahmen zur Luftreinhaltung einzuleiten, teilte Frank Scholtysek, Berliner verkehrspolitischer Sprecher der AfD, mit. "Dieses Urteil war völlig unnötig."

Berliner Verkehrsgesellschaft, Stadtreinigung, Feuerwehr und Polizei, Paketdienste und andere hätten schon längst auf Fahrzeuge mit sauberer Technik zurückgreifen können. Scholtysek nennt auch Elektroschiffe als Alternative zu dieselbetriebenen Schiffen. "Stattdessen wird der Weg des geringsten Widerstandes gegangen, die Berliner sowie zig tausende von Pendlern mit unsinnigen Fahrverboten zu gängeln", so Scholtysek.

Andreas Galau, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Landtag Brandenburg, erklärt zum Berliner Diesel-Urteil: Die Folgen würden massiv die Brandenburger Autofahrer beeinträchtigen: Sie verlören Zeit und Geld, weil sie Umwegen fahren müssten und ihre Diesel-Fahrzeuge entwertet würden.

Für die Berliner Grünen-Fraktion hingegen führt kein Weg an Fahrverboten vorbei. Sprecherin Hannah König erklärte, der Senat ergreife bereits einige Maßnahmen, um gegen die Luftverschmutzung in Berlin vorzugehen: "von Tempo-30-Zonen über den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel bis hin zu mehr Stadtgrün". Dies reiche aber nicht, so lange Diesel-Autos 60 Prozent der Berliner Stickoxide ausstießen.

Brandenburgs Grüne betonten, dass mit Fahrverboten zu rechnen war, dass nun aber Brandenburger Pendler und Gewerbetreibende ausbaden müssten, was die Automobilindustrie angerichtet habe.

Der ADAC sieht das Urteil als einen schweren Schlag für Berliner Dieselfahrer und Brandenburger Pendler. Bisher seien keine ausreichenden Maßnahmen getroffen worden, um den Stickstoffoxid-Grenzwert einzuhalten, teilte Sandra Hass, Sprecherin des ADAC Berlin-Brandenburg, mit. Tempo-30-Zonen seien kein geeignetes Mittel.

Stattdessen müsse die Bundesregierung Hardware-Nachrüstungen für Dieselfahrzeuge verbindlich regeln und auf deren Wirkung hin prüfen. "Alleine den Dieselfahrer zu bestrafen, ist weder verhältnismäßig, noch wird dadurch das eigentliche Problem gelöst", so Hass. Staddessen müssten auch unter anderem die Energiewirtschaft und die Landwirtschaft in den Blick genommen werden.

Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg forderte den Senat auf, Berufung gegen das Urteil einzulegen. Das erklärte Hauptsgeschäftsführer Amsinck in einer Mitteilung. Der Ausweichverkehr werde mehr Staus und Abgase produzieren.

"Lokale Fahrverbote kann die Stadt verkraften, solange der Lieferverkehr gesichert und die Durchfahrtverbote zeitlich begrenzt bleiben", teilte dagegen Berlins IHK-Präsidentin Beatrice Kramm mit. Der Senat müsse prüfen, auf welchen Streckenabschnitten ein Fahrverbot tatsächlich die letzte aller Möglichkeiten sei.

Manja Schreiner, Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau, welche die Interessen der mittelständischen Bauwirtschaft vertritt, appellierte an den Senat, unbürokratische Ausnahmen für das Baugewerbe vorzusehen. Die Bauunternehmen seien erleichtert, dass es keine flächendeckenden Dieselfahrverbote für den gesamten Innenstadtbereich geben wird.

Sendung: Abendschau, 09.10.2018, 19.30 Uhr

23 Kommentare

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  1. 22.

    Ich habe Verständnis für Alle die gegen ein Fahrverbot sind.
    Aber die Argumente helfen nicht das Umweltproblem zu lösen.Es geht um unsere alle Gesundheit. Egoismus muss dann leider hinten an stehen und dem Gemeinwohl weichen. Jeder sollte sein Umweltverhalten prüfen und ggf. anpassen. Denkt an eure Kinder!

  2. 21.

    Ja gehen wir wieder zurück ins 19. Jahrhundert, und führen die Pferdekutschen wieder ein! Aber ob das die Tierschützer mit machen? der Fahrrad verkehr wird ja wohl in Berlin schon mehr als genug gefördert, jede größere hauptstraße wird enger gemacht, damit die radfahrer bequem fahren können, haben eigene Ampeln die sie sowieso ignorieren und die autofahrer stehen im Stau und werden jetzt für alles verantwortlich gemacht. Armes Deutschland, armes Berlin!!

  3. 20.

    @Tobias
    Beschränken Sie sich hier in unterschiedlichen Foren auf das verteilen von Noten oder haben Sie auch eine eigene Meinung?

  4. 19.

    Ist doch alles gut... vielleicht sollte man auch das ach so tolle Feuerwerk zu Sylvester in Deutschland abschaffen, Containerschiffe und Fahrgastschiffe, in Großstädten den Gar ausmachen wenn es hier stets und ständig um die Gesundheitsgefährdung Umweltschutz Tierschutz Luftverschmutzung etc geht... aber nein nur die Autofahrer abschröpfen... was für eine tolle Politik in der Bananenrepublik

  5. 18.

    Wählt nächstes mal ordentliche Parteien, dann kann sowas nicht passieren!

  6. 17.

    das ist doch auch wieder nur augenwischerei und umverteilung schlechterer werte auf andere strassen. wenn die öffentlichen, die transportunternehmen, die handwerksbetriebe und die taxis weiter ihre diesel durch die innenstadtstaus schieben dürfen, und sich dieses ganze verbot nur die paar privatpersonen ausdehnt, die dann nicht mehr zu ihren wohnungen in der innenstadt kommen, halte ich das für quatsch. man stelle sich nur mal vor, was für eine sauerei es ist, sich seinen diesel als vorsorge fürs rentenalter zusammengespart zu haben, keine merkzeichen im schwerbehindertenausweis zu haben, die ein verbot abwenden, stark gesundheitlich eingeschränkt zu sein und nun überlegen zu müssen, wie man denn seine wohnung, ärzte etc. erreicht und sich seine mobilität als alter mensch erhält… das interessiert wieder einmal keinen. Man sollte sich erst gedanken machen, wie es für die bürger wird, ehe man solche tatsachen schafft. Mit 6000€ monatlich könnte ich auch im taxi herumkutschieren.

  7. 16.

    Das würde ich nicht sagen. Es geht schon um die Luftbelastung an besonders belasteten Orten in der Stadt. An weniger befahrenen Straßen ist die Luft einfach sauberer. Außerdem ist Symbolpolitik generell nicht wirkungslos: Es ist definitiv ein Signal an die Autofahrer.

  8. 15.

    Ja,ja, Autofahrer töten die Luft. Schon mal darüber nachgedacht wieviel Schadstoffe Millionen von Fahrrädern hinterlassen? Reifenabrieb, Öl und Fett von Ketten und dergleichen. Milliarden Liter zusätzlich verbrauchte Atemluft.
    Übertrieben?
    Vielleicht.
    Doch pauschal alles an Autos verbieten zu wollen ist genauso übertrieben.
    Für alles was Spaß macht gibt's einen Öko oder Grünen der einem was verbieten will.
    Kein Auto fahren, kein Fleisch essen, Gemüse könnte auch verseucht oder verstrahlt sein, Huhn geht auch nicht, Eier essen schon mal gar nicht, Fisch ach herje, weißes Mehl bloß nicht, Zucker ist der Feind, Zigaretten rotten die Menschen aus.
    Am besten nackt rum rennen, nix essen oder trinken und ganz wichtig -das Atmen einstellen.
    Was wäre das Leben lebenswert.

  9. 14.

    Wir haben seit Jahren einen rot-rot-grünen Senat und das einzige, was die hervorbringen, ist die Verantwortung auf die Autoindustrie abzuwälzen anstatt selber aktiv zu werden und in der sogannten "Umweltzone", die den Namen nicht wert ist, alle Dieselautos zu verbieten! Was bewirken denn einzelne Straßensperrungen für wenige Dieselautos (denn viele werden von doch der Ausnahmeregelung Gebrauch machen), wenn sie dann auf Nebenstraßen ausweichen? Das ist alles Augenwischerei und mit der Maßnahme, Fahrverbote in einzelnen Straßen zu bewirken, will man nur die EU-Kommission beschwichtigen und zeigen, dann man in besodners belatesten Gegenden die Grenzwerte einzuhalten gedenkt. Dass die DHU mit diesem Urteil zufrieden ist, macht mich sprachlos....

    Eine wirkliche "Umweltzone" wäre, wenn Radfahren gefördert wird und Autos generell verboten werden.

  10. 12.

    Herr Detlef, ist ja schön, dass ihnen die Menschen in der Stadt egal sind!

  11. 11.

    Kann nur ein Anfang sein. Schlussendlich müssen alle PKW aus der Innenstadt raus. Das Töten und Verpesten der Luft muss ein Ende haben.

    Leider muss die Deutsche Umwelthilfe das durchsetzen, was eigentlich von den Politikern schon längst beschlossen hätte werden müssen.

  12. 10.

    Ich bin für ein generelles Fahrverbot für alle Politiker un Mitarbeitern der Umwelthilfe.
    Vielleicht hilft frische Luft, dass das Denken mal einsetzt.

  13. 9.

    Ich bin für ein komplettes Dieselfahrverbot im Umkreis von 650m um den Friedrich-Ebert-Platz :-) . Einzige Ausnahme: BVG-Busse. Ausdrücklich inbegriffen, Polizei und andere "wichtige" Fahrzeuge.

  14. 8.

    Was ist wenn ich mit meinem Diesel Euro Norm 4 in solch einer Straße wohne, die gesperrt werden soll. Wo soll ich dann mein Auto abstellen?

  15. 7.

    Warum sollte man deswegen die AfD wählen?! Was würde sie denn gegen dieses Urteil machen? Man sieht doch schon an dem dünnen Kommentar verkehrspolititschen Sprechers der AfD, dass da keinerlei Substanz vorhanden ist.

  16. 6.

    Ein Urteil, so sinnlos wie ein Furunkel am Arsch. Sorry, was anderes fällt mir dazu nicht ein, weil lebensfremd, so nah an der eigentliche Realität wie die Erde zum Mond. Diese partiellen Fahrverbotszonen sind absoluter Quatsch, sinnloser Aktionismus ohne echte Entscheidungen, die hilfreich wären und dringend vonnöten sind.

  17. 5.

    " saubereren Baumaschinen(fahrzeugen) "
    gibt es überhaupt saubere Baumaschinenmotore ? ich glaube nicht

  18. 4.

    Stimmt genau! Und die Grünen behaupten "Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel bis hin zu mehr Stadtgrün". Kann ich nicht entdecken in Kreuzberg. Wir warten seit fast 20 Jahren auf die versprochene Straßenbahn und mehr BUSSPUREN. Im Bezirk mit den wenigsten Grünflächen pro Einwohner läßt das Grünflächenamt diese verkommen und es wird immer mehr baulich verdichtet. Wo bitte ist das "mehr Stadtgrün"???
    Die Bauindustrie könnte einen großen Beitrag leisten mit dem Einsatz von saubereren Baumaschinen(fahrzeugen); was da oft für ein (sogar sichtbarer) Dreck rauskommt ist eckelhaft und auch für die Bauarbeiter gesundheitsschädigend.

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