Serie: 30 Jahre Mauerfall | Berlin, du bist dufte - "Der Duft des Westens hat DDR-Bürger zur Flucht gelockt"

Mi 16.10.19 | 16:04 Uhr
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Die Schönhauser Allee im Prenzlauer Berg im Jahr 1983. (Quelle: Frank Döring)
Bild: Frank Döring

Gerüche sind nicht nur wichtig für Parfumeure, sondern auch für Historiker. Der Berliner Bodo Mrozek forscht zur Geruchsgeschichte der deutschen Teilung und weiß: Die Klischees vom stinkenden Osten und wohlriechenden Westen stimmen nicht. Von Anne Kohlick

rbb|24: Herr Mrozek, Sie forschen zur Geschichte der deutschen Teilung anhand von Gerüchen. Wie groß waren denn die Unterschiede zwischen Ost und West, die man riechen konnte?

Bodo Mrozek: Ich bin auf einen Artikel aus dem "Stern" gestoßen aus den frühen 1970er Jahren, in dem ein westdeutscher Journalist schreibt: Man dürfe nicht fragen, wie die DDR sei - man müsse es selbst sehen, schmecken, riechen. Er stellt also eine sensorische Differenz zwischen den beiden deutschen Staaten fest. Ende der 1970er wird das noch deutlicher: Da stellt die DDR die Heizungssysteme auf Braunkohle um, weil es Lieferengpässe gibt beim Öl aus der Sowjetunion. Dieser Geruch der Braunkohle-Verbrennung wird noch heute als typischer DDR-Duft beschrieben – obwohl auch in West-Berlin viel mit Braunkohle geheizt wurde.

Mit was für Quellen arbeiten Sie als Geruchshistoriker?

Es gibt durchaus Osmotheken, also Duftarchive – zum Beispiel eine Sammlung von DDR-Parfums oder die berühmte Sammlung von Menschen-Gerüchen, die die Stasi angelegt hat, um Regimegegner mit Hunden aufspüren zu können. Aber es nützt mir als Historiker eher wenig, wenn ich mit meiner Nase von heute an einem russischen Parfum von 1975 rieche und das als unattraktiv empfinde. Das entspricht nicht dem zeitgenössischen Empfinden. Deshalb muss ich mit historischen Texten arbeiten, in denen Menschen ihre Geruchsempfindungen beschreiben. Und ich führe systematisch Interviews mit Zeitzeugen, die sich an die Gerüche in Ost und West erinnern.

Was ist ein typischer Geruch, der da häufig genannt wird?

Westdeutsche, die zu Besuch in der DDR waren, erinnern sich an einen Geruch in den öffentlichen Gebäuden im Osten, der zum Beispiel über den Behördenfluren hing. Der kam vom Desinfektionsmittel Wofasept, das in Bitterfeld hergestellt wurde. Er wird als aggressiv und dominant beschrieben etwa von einem westdeutschen Journalisten, der sich gleich nach der Wende auf die Suche machte nach dem "Geruch der DDR". Schon 1990 stellte er fest, dass dieser Duft zu verschwinden begann.

Und an welche Düfte erinnern sich die Ostdeutschen?

Zum Beispiel an den Geruch der Westpakete. Den beschreiben viele Zeitzeugen als sehr angenehm. Heute können wir das nicht mehr nachempfinden, weil wir von den damals exklusiven Westprodukten – die viel stärker aromatisiert und parfümiert waren als die Konsumgüter im Osten – ja mittlerweile permanent umgeben sind. Aber damals war dieser Duft eine Verheißung, die Menschen sogar zur Flucht aus der DDR angeregt hat. Ich bin auf eine Zeitzeugin gestoßen, die mit 16 Jahren im Kofferraum eines Amerikaners aus Ost-Berlin geflüchtet ist. Sie erzählt, sie habe als Kind in einem Westpaket Bonbons gerochen und damit sei ihr klar gewesen: Ich will später einmal dahin, wo es so riecht.

Der duftende Westen, der stinkende Osten – diese Klischees kennt man. Bestätigt sich das in Ihrer Forschung?

Nein, auch im Westen gab es zum Beispiel sehr beißende Innengerüche, etwa in Schulgebäuden. Da wurden in den 1970er Jahren formaldehydhaltige Dichtmittel verbaut. Ich bin in den Archiven auf Fälle gestoßen, in denen Schüler reihenweise toxische Reaktionen darauf gezeigt haben. Eine Lehrerin hat sogar ihr Kind abtreiben dürfen – was damals in der BRD noch genehmigungspflichtig war – weil sie Formaldehyd-Dämpfe eingeatmet hatte und deshalb Missbildungen beim Embryo befürchtet wurden. Solche Fälle haben dazu geführt, dass man im Westen gesetzlich geregelt hat, welche Konzentrationen von Feinstoffen in Räumen sein dürfen.

Prenzlauer Berg 1982 (Quelle: Frank Döring)Wie im Nebel: Häuser im Prenzlauer Berg Anfang der 1980er Jahre

Um bei den Klischees zu bleiben: Die gängige Vorstellung von der "ungesunden" DDR voll Kohlestaub in der Luft und der "gesünderen" BRD stimmt also nicht unbedingt?

Zumindest war der Osten viel weniger parfümiert als der Westen, was Körperpflege-Produkte, aber auch Lebensmittel und Waschmittel betraf. Es ist eine Kollektiverfahrung der Ostdeutschen, dass sie nach der Wende mit den überparfümierten westdeutschen Produktlandschaften durchaus Probleme hatten. Diese Unterschiede, die man primär riechen konnte, haben sich ausgewirkt bis in die Körper hinein: Je länger Menschen in der DDR gelebt haben, desto weniger sind sie anfällig für Allergien. Das haben umweltmedizinische Vergleichsuntersuchungen ergeben.

Spielt der Duft und die Erinnerung an Gerüche von früher auch eine Rolle beim der Wiedereinführung von Retro-Produkten wie dem DDR-Schaumbad Badusan?

Auf jeden Fall. Gerüche können auf ganz intensive Weise Erinnerungen in uns wachrufen. Man nennt das in der Wissenschaft den Proust’schen Effekt – in Anlehnung an Marcel Prousts Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Das Aroma einer Madeleine versetzt den Erzähler in diesem Buch zurück in seine Kindheit. Und so funktioniert unser Gedächtnis tatsächlich: Es verknüpft Gerüche mit Ereignissen oder Personen, die damals den Kontext gebildet haben.

Wenn wir einen Duft wiederriechen, können diese Bilder und Situationen abermals vor unser geistiges Auge treten, oder besser: unsere geistige Nase. Auf diesen Effekt spekulieren solche Retro-Produkte ganz entscheidend. Und die gibt es übrigens auch im Westen, wo zum Beispiel Hautcremes in Retro-Verpackungen aufgelegt werden, die eine gute alte Zeit beschwören. Geruchsnostalgie ist also ein gesamtdeutsches Phänomen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ost- und West-Berlin rochen vor dem Mauerfall unterschiedlich. Viele dieser Gerüche sind heute verschwunden. "Berlin, du bist dufte" sucht nach ihren Spuren und erzählt, wie sich die Düfte der Stadt seit der Wende verändert haben.

34 Kommentare

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  1. 34.

    Sie halten also die verstaubten Begriffe aus der ideologischen Kampfeszeit für eine zuträgliche Beschreibung der Wirklichkeit. Das ist in der Tat phänomenal und braucht nicht weiter erklärt zu werden.

    Mir fallen da nur die Kapriolen ein zur Einführung der Reisezentren bei der damaligen Bundesbahn. Da wurde zwischen Inlands- und Auslandsschaltern unterschieden, Letztere betrafen diejenigen Reisen, bei nicht auf Schienen der Bundesbahnen stattfanden und mithin komplizierter waren.

    In diesem Spagat standen beide deutsche Staaten immer.
    Der eine bezeichnete seine diplomatische Vertretung als "Botschaft", der andere als "ständige Vertretung". Gerade diese Asymmetrie ist geschichtlich aufschlussreich, nicht im Nachhinein die Sache zu glätten.

  2. 33.

    Bei der Existenzdauer der Zone haben sie sich so um die 40 Jahre geirrt. Informieren sie sich doch bitte über offizielle Begriffe Deutschlands wie Zonenrente und Zonenrandförderung. Keine Antwort von ihnen zu 2 einfachen Fragen. Sowas sagt einem doch alles.

  3. 32.

    "Zur Geschichte es gab eben Deutschland und die Zone."

    Das war die Situation vom 23. Mai 1949 bis zum 7. Oktober 1949.
    Dieses nicht anzuerkennen hat zur Siegermentatlität nach 1989 geführt und zum Beitritt nach Art. 23 GG, nicht aber zu einer wirklichen Vereinigung nach Art. 146 GG.

    Es gibt viele Realitätsverkennungen in der kolportierten öffentlichen Meinung. West-Berlin war weder Teil des vorherigen Bundesgebietes, der BRD, noch Ost-Berlin Teil der DDR. Formal wurde allerdings dieser Status der Besatzungszonen Berlins immer anerkannt und zwar dadurch, dass Beschlüsse des Bundestages vom West-Berliner Abgeordnetenhaus und Beschlüsse der Volkskammer von der Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung einzeln bestätigt werden mussten.

    Die PR-Formel der Hauptstadt der DDR wurde dann unter diesen Gegebenheiten hingenommen, die einseitige Ausdehnung Ost-Berlins in Richtung Hönow, um das Wohnungsbauprogramm in Marzahn zu verwirklichen, unter Protest.

  4. 31.

    Lesen Sie bitte meinen Beitrag und sagen mir wo ich sagte sie hätte Ostzone gesagt? Zur Geschichte es gab eben Deutschland und die Zone. Auch viele im Osten sagten und sagen zu Westdeutschland eben Deutschland. Offiziell war es eben so, so finden dies in Zonenrente und Zonenrandförderung. Wenn dies schon nicht verstehen, so lässt das Fragen über Einschätzung von Portugal aufkommen. Wann waren sie den dort?

  5. 30.

    Das Parfüm der Frauen unserer sowjetischen Freunde war eben etwas anders. Es gibt nun eben kulturelle Unterschiede. Sowas hat auch Vorteile. Was wäre unsere Küche ohne Pelmeni, Soljanka , Bœuf Stroganoff und Schaschlik.

  6. 29.

    Ich habe gern den Geruch vom Ausstoß der Dampflokomotiven gerochen.
    Der Duft in der Straßenbahn zwischen Oberschöneweide und Lichtenberg war mir zu DDR-Zeiten zuwider (Parfümgeruch der sowjetischen Besatzungsfrauen).

  7. 28.

    Warum Helmut Krüger ein eigentlich wertfreies Thema zu so negativer Antwort nutzt sagt dies sicher viel über ihn. Sie haben sich leider über Urlaubserinnerungen über die Lage dort täuschen lassen. Genau dies hatte ich vorher thematisiert. Besser erst das nächste Mal alles lesen. Wie miserabel die Lage dort war und ist kann jeder daran nachvollziehen. Nach Schätzungen kommt auf jedem Portugiesen in der Heimat, einer der im Ausland lebt. Noch Fragen?

  8. 27.

    Ich kann Sie beruhigen: Ich war sowohl da als auch dort. Auch im Innern Portugals.
    Lesen Sie bitte meinen Beitrag nochmals, dann werden Sie feststellen, dass er weder eine Beschönigung der Armut (Portugals) enthielt, noch, dass ich DDR-seitig von "Zone" sprach.

    Mein Augenmerk lief vielmehr auf den Unterschied zwischen dem Qualitativen und dem Quantitativen hinaus. Die wirtschaftliche Messlette besagt eben nicht alles, im Grunde genommen sogar recht wenig.

  9. 26.

    Ja ja ,der Duft.
    Heute zieht es sogar über das Mittelmeer.

  10. 25.

    Gerüche oder die Erinnerung daran begleiten einen ein Leben lang, so jedenfalls ergeht mir es. Ist halt auch ein Stück gemeinsame deutsche Zeitgeschichte. Mit der Zeit verblasst diese aber. Und die junge Generation wird daran keine Erinnerung mehr haben, dies nur noch evtl. aus Erzählungen kennen, sofern sie es überhaupt interessiert.

  11. 24.

    Portugal war in den 70-er und 80-er Jahren viel schöner. Ursprünglicher, unverdorbener, authentischer. Ich war jahrelang im Urlaub dort und schwelge in wunderbaren Erinnerungen. Warum muss eigentlich ein eigentlich wertfreies Thema immer so negativ belegt werden? Ich bin auch ein Mensch der 1000 Assoziationen und kann nur bestätigen, was viele User und Hr. Mrotzek beschreiben. Die geteilte Stadt roch, aus bekannten und schlüssigen Gründen, völlig verschieden. D.h. nicht, dass es in West-Berlin überall nur nach Rosenwasser duftete... ;-)

  12. 23.

    So schlimm wie sie meinen war die Ostzone nun auch nicht. Überheblich findet sicher so Mancher ihre Meinung über die Armut in Portugal in 70er und 80er. Sie waren vermutlich weder da und später haben sie nur die geschönte Seite verinnerlicht. Schöne Farben dann vermutlich unter der Sonne des Südes. Glauben Sie bei uns in Berlin West war alles bunt?

  13. 22.

    Ein Geruch hat sich auch so lange nach der Wiedervereinigung absolut nicht geändert: der Geruch in der Berliner U-Bahn. Ich bin zur DDR-Zeit oft damit gefahren und war überrascht, dass es in der U-Bahn bei meinem letzten Besuch in Berlin immer noch ganz genauso roch.

  14. 21.

    ...und der Westen hat ihn durch Rollerfahrer-Stinker immer noch.

  15. 20.

    " Geruchsgeschichte der deutschen Teilung " wie absonderlich

    ich kann mich noch gut an die Besuche in Ostberlin erinnern : der dominierende Gerucn kam von den Zweitaktermotoren,
    der überlagerte alles

  16. 19.

    "Ich glaube wir Ossis hätten auch ein Meerschweinchen gewählt um die D-Mark zu bekommen :-/ Traurig."

    Das finde ich herzerfrischend ehrlich, danke.

    "Zu meinem Unverständnis mögen Wessis lieber Nutella als Nudossi."

    Kindheitserlebnisse, wobei Nutella nicht mehr so wie früher schmeckt.

    https://www.stern.de/genuss/essen/neue-nutella-rezeptur--was-ferrero-am-schoko-aufstrich-veraendert-hat-7687102.html

  17. 18.

    Das mit den Gerüchen stimmt. Und wer es nicht erlebt hat, soll nicht sagen es sei Quatsch.Meine halbe Verwandtschaft lebte in der sog. Zone. Wenn ich in der Passierscheinstelle in SPandau war um die Einreise in die DDR zu beantragen, roch es dort genauso wie im Rathhaus Hohenneuendorf oder Oranienburg. War man nämlich länger als 3 Tage zu Besuch, musste man sich dort anmelden. Dass der Geruch von Ofenheizung und Trabbi nicht an der Grenze halt gemacht hat ist bekannt. Umwelt gab es drüben nicht und in West-Berlin habe ich 1981 mein erstes Auto mit Kat gekauft.
    Gerüche wecken aber generell Erinnerungen. Unsere früheren Gastarbeiter rochen früher vornehmlich nach Knofi und Kernseife. Der Bus zur Berufsschule 1975 war von dieser Duftmischung. Neulich kam hier der Opa einer Nachbarsfamilie zu Besuch, wir fuhren gemeinsam mit dem Fahrstuhl hoch und da war er wieder, dieser Geruch von 1975.
    Musik kann aber ebenso Erinnerungen wecken.

  18. 17.

    Genau so etwas meine ich, wenn ich davon schreibe, dass der Geruch "in den Wänden" steckt. Neben vielem anderen. Und ich glaube, es war die unendliche Ansammlung genau dieser Umstände, die die einen abgestumpft und die anderen verdrießlich gemacht hat. "Ich habe mir nie vorstellen können, dass Häuser Farbe tragen können" - ein Ausspruch in einer Mischung aus unterdrückter Wut, Lethargie und hineingefügter Vernunft. Er passte neben der Ästhetik auch zu einschlägig waltenden Gerüchen.

    Nach wirtschaftlichen Kriterien war die DDR Mittelstand, Portugal vglw. arm, sogar unterhalb des Existenzminimums. Weshalb die LebensQUALITÄT in Portugal dennoch höher war, lag und liegt an liebevoll waltender Selbstorganisation großen Stils.

  19. 16.

    Blödsinn. Total paranoid. Alle schildern hier ihre Wahrnehmungen frei von jeglicher Wertung. So ein Quatsch.

  20. 15.

    Wer sich auf eine olfaktorische Zeitreise begeben möchte, der möge auf dem Potsdamer Uni-Campus ins Haus 5 gehen. Abgesehen von original Fußbodenbelag, Fenstern, Fassade und knarzender Bestuhlung im Vorlesungssaal, sind auch die sanitären Einrichtungen in der Zeit stehen geblieben. Das ergibt eine Mischung, die der ostdeutschen Geruchserinnerung sehr nahe kommt.

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