Berliner Geschichte - Der Späti ist ein Kind des Ostens

Fr 08.11.19 | 08:05 Uhr | Von Fabian Wallmeier
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Archivbild: Ein "Konsum" in der Altstadt von Wittstock, Prignitz am 01.01.1991 (Bild: dpa/Paul Glaser)
Bild: ZB

Spätis sind Berliner Kulturgut. Doch was heute viele nicht mehr wissen: Die Läden, die ihre Nachbarn rund um die Uhr mit Flaschenbier versorgen, haben ihren Ursprung im sozialistischen Osten - in den Spätverkaufsstellen für Schichtarbeiter. Von Fabian Wallmeier

Vom Streit um die Sonntagsöffnung einmal abgesehen: Wer in Berlin ein gekühltes Flaschenbier kaufen will, den muss es zu keiner Tages- oder Nachtzeit lange dürsten. Denn der Späti um die Ecke hat beinah immer auf und verkauft neben dem Bier auch Chips, Zigaretten, Milch, Schokolade und was man sonst noch so braucht.

Der Späti gehört zur Stadt wie die Reeperbahn zu Hamburg und der Karneval zu Köln. Nun könnte man annehmen: Was so etabliert ist im Alltag der Berlinerinnen und Berliner, muss es eigentlich schon immer gegeben haben. Doch das stimmt nicht – zumindest für den West-Teil der Stadt. Denn der Späti ist eine Erfindung der DDR – und wurde erst nach der Wiedervereinigung ein berlin- (und längst bundes-)weites Phänomen.

Archivbild: Eine Zigaretten- und Spirituosen-Verkaufsstelle der Handelsorganisation (HO) 1991 in Wismar, Mecklenburg-Vorpommern. (Bild: dpa/Siegfried Wittenburg)
Spätverkaufstellen wurden durch normale Lebensmittelläden organisiert - wie hier von der Handelsorganisation (HO).Bild: dpa/Siegfried Wittenburg

H-Milch nach Schichtende

Spätverkaufsstellen hießen zu DDR-Zeiten Läden, in denen auch außerhalb der üblichen Öffnungszeiten eingekauft werden konnte. Sie waren für Menschen gedacht, die im Schichtdienst arbeiten. "Sie sollten garantieren, dass Schichtarbeiter Artikel, die Mangelware waren, noch nach ihrer Arbeit kaufen konnten", sagt Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg. "H-Milch etwa war morgens oft schnell ausverkauft."

In den Spätverkaufsstellen konnte nicht nur einkaufen, wer gerade von der Schicht kam, sondern sie waren prinzipiell allen Bürgern offen. Überrannt wurden sie in Busch-Petersens Erinnerung trotzdem nicht – aus einem naheliegenden Grund: "Sie lagen meist nicht an den Hauptlaufwegen", sagt er.

Wurst im Glas statt gekühltem Flaschenbier

Überhaupt hat man sich die Spätverkaufsstellen als etwas ganz anderes vorzustellen als die Spätis von heute. Sie waren meist größer als die heutigen, aber nicht so groß wie Supermärkte.  Nach einem Zeitungsbericht, den Stefan Wolle, wissenschaftlicher Leiter des Berline DDR-Museums, in seinem Archiv gefunden hat, waren 1988 im Angebot der Spätverkaufsstellen: "Milch, Butter, Eier, Nudeln, Kaffee, Tee, Käse, Quark, Brot, Gemüse in Gläsern, Wurst frisch und in Gläsern, Apfelsaft".

Einen entscheidenden Unterschied zu heute benennt Nils Busch-Petersen: Das gekühlte Weg-Bier oder Fuß-Pils, mit dem die heutigen Spätis einen erheblichen Teil ihres Umsatzes machen, hat damals keine Rolle gespielt. Überhaupt sei es damals viel unüblicher gewesen als heute, mit einer Bierflasche in der Hand durch die Stadt zu laufen.

Klar ist: Die Spätverkaufsstellen hatten für die Ost-Berliner keinen vergleichbaren Stellenwert wie heute die Spätis. Es ging schlicht um die amtliche Sicherstellung der Versorgung. "Mit der heutigen Späti-Kultur mit dem Stück Berliner Lebenskultur, den sie heute haben, hatten sie nichts zu tun", sagt Nils Busch-Petersen.

Spätverkaufsstelle, nicht Späti

Harte Zahlen zu den Spätverkaufsstellen zu bekommen, gestaltet sich als schwierig. Weder die Wirtschafts- noch die Arbeitsverwaltung des Senats kann auf Anfrage Genaueres sagen. Auch der Handelsverband hat keine umfassende Datensammlung. Ein Blick in die Archive zeigt aber immerhin die ungefähren Ausmaße: Anfang der 1951 gab es nach Recherchen von Stefan Wolle 20 Konsum-Spätverkaufsstellen in Berlin. Sie und weitere Läden, die im selben Jahr entstanden, hatten größtenteils bis 21, manche bis 22 Uhr geöffnet. In Zeitungsartikeln aus den 1960er Jahren ist die Rede von bis zu 90 Spätverkaufsstellen - für verschiedene Arten von Geschäften.

Die heute gebräuchliche Kurzbezeichnung Späti ist in jedem Fall erst nach der Wende entstanden, da sind sich Busch-Petersen und Wolle einig. Zu DDR-Zeiten hießen sie wie amtlich vorgesehen: Spätverkaufsstellen. Erst als sich die Idee des Späverkaufs nach 1989 über ganz Berlin auszubreiten begann, etablierte sich nach und nach auch der Name Späti.

Archivbild: 1966 steht neben dem Axel Springer Hochhaus eine Shell Tankstelle
Eine Shell-Tankstelle im Westberlin der 1960er Jahre. Bild: www.imago-images.de

West-Berliner hatten die Tanke

Das Modell Spätverkauf wurde von findigen Geschäftsleuten, laut Busch-Petersen waren es oft türkischstämmige Gemüsehändler, aufgegriffen und erweitert. "Sie haben erkannt, dass es da ein Bedürfnis gab", sagt er. So schossen nach und nach die Spätis aus dem Boden – nicht nur im Westen, sondern auch im Osten, denn der staatlich organisierte Spätverkauf von Lebensmitteln war mit dem Ende der DDR Geschichte.

Im alten Vor-Wende-Westen dagegen: keine Spätverkaufsstelle für niemand. Doch woher bekamen die West-Berliner dann nachts ihr Bier? "Wir sind zur Tanke gefahren – die hatten auch immer auf", sagt ein rbb-Kollege, der in den 1980er Jahren nach West-Berlin zog, "oder zum Imbiss - oder in die Kneipe." Von denen habe es damals gefühlt auch noch deutlich mehr gegeben.

Man wusste sich in West-Berlin also zu helfen. Aber den Späti, nicht zuletzt seinen Namen, haben die Berlinerinnen und Berliner von heute nicht der Insel West-Berlin zu verdanken, sondern dem sozialistischen Osten – so anders die Spätverkaufsstellen von damals auch waren.  Darauf ein gekühltes Flaschenbier, frisch vom Späti natürlich!

Beitrag von Fabian Wallmeier

29 Kommentare

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  1. 29.

    Nicht zu vergessen der damals überteuerte Spätkauf Laden auf dem U-Bahnhof Kurfürstendamm. Aber wie ich schon beschrieben habe, gab es in Westberlin in fast jedem Bezirk diese wunderbaren kleinen Tante Emma Läden, wo man auch schon mal Sonntags an der Haustür bedient wurde.

  2. 28.

    OT: Auch Chrome ist keine zulässige Alternative, egal ob unter Windows oder Android

  3. 27.

    Das stimmt leider. Meistens muss auch ich den Kommentar zwei mal absenden. Das Laden der Seiten geht erst beim zweiten Klick schnell und die Videos hängen ständig. Bei nahezu allen privaten Anbietern läuft es reibungslos, selbst in HD. Keine Werbung blieb jemals hängen. Auf Nachfrage beim rbb soll ich den Browser wechseln. Ich nutze Firefox und lehne das Ansinnen strikt ab. Lieber Sender, bitte besser werden!

  4. 26.

    Bei Chrome unter Win oder Android ist es ähnlich. Am Browser liegt es nicht.

  5. 25.

    Da der heutige Späti nur noch wenig mit dem DDR-Spätkauf zu tun hat, zieht das Argument nicht. Die Gemeinsamkeiten werden ganz banal journalistisch überhöht.

    Ansonsten bin ich als Kind von meiner Oma auch zur Nebgenbude geschickt werden, wenn Sonntags auffiel, dass etwas vergessen worden ist einzukaufen. Das war lange vor der Wende in Hannover.

    Hier in West-Berlin gibt es gefühlt schon immer Ullrich am Zoo als Vollsortimenter mit eher gemäßigten Preisen. Der ist eher eine Geschichte Wert als die Nachfolger der Tanze-Emma-Läden mit Getränken als Sortimentsschwerpunkt.

  6. 24.

    Das muss ja nichts mit Zensur zu tun haben, ich habe den Kommentar von Jörg auch nicht zwingend dahingehend verstanden.
    Ich selbst habe seit vielen Monaten ähnliche Probleme und glaube, dass diese oft technischer Natur sind. Ich habe schon oft in Kommentaren und auch in Mails an den rbb darauf hingewiesen, leider offensichtlich ohne Erfolg. Da ich von anderen Usern auch oft ähnliche HInweise in Beiträgen lese, gehe ich inzwischen davon aus, dass die Software, welche hier für die Kommentarfunktion eingesetzt wird, einfach Schrott ist oder dass sie mit Firefox nicht umgehen kann.
    Es ist aufreibend, sich Gedanken zu machen (im Idealfall), dann etwas zu formulieren und im Anschluss geht der Kommentar verloren, wird warum auch immer nicht veröffentlicht oder man muss viele Male auf "Abschicken" klicken, weil es heißt: "Bei Ihrer Eingabe ist ein Fehler aufgetreten!"
    @rbb: Bittebittebitte da mal rangehen und das verbessern, Danke!

  7. 23.

    Wenn der Kommentar der 4. Anlauf war, müssen die anderen schon ziemlicher Murks gewesen sein. Und komm mir blos nicht mit vermeintlicher Zensur! Zensur wäre, wenn die folgende Aussage nicht veröffentlicht wird:

    Die Bundesregierung macht meiner Ansicht nach vieles falsch.

    Und? Kann jeder hier lesen, oder? Niemand wird diffarmiert, niemand beleidigt. Phantasiewörter wie "Propagandafreunde" oder "Merkelmussweg" sind ziemlich überflüssig. Einfach mal sachlich bleiben! Dann klappt das auch mit der Veröffentlichung.

  8. 22.

    Die Krönung waren, neben den gleichschaltenden Topfzeiten, die Wochenkrippen, in denen die Kinder der Werktätigen zum Zwecke des Aufbaus des Sozialismus über die ganze Woche untergebracht waren.

    Wie krank war dieser Staat?!?

  9. 21.

    Wenn der Späti ein Ostprodukt ist hat man vergessen ihn abzuschaffen. Ein Kulturgut ist er jedenfalls nicht auch wenn Propagandafreunde das so schreiben.

    4ter Kommentarversuch!

  10. 20.

    Ich bin in den Achtzigern im Südwesten der BRD in eine weiterführende Ganztagesschule und ab und zu auch mal in eine Poliklinik gegangen, das war kein Alleinstellungsmerkmal der DDR.
    Dass ein Elternteil im (Süd-)Westen üblicherweise die ersten zwei bis drei Jahre beim Neugeborenen zuhause blieb, finde ich immer noch gut - die ersten Jahre sind prägend, das kann man später nicht mehr nachholen. So kapitalistisch war nicht mal der Westen, dass man seine Kinder schon bald nach der Geburt in eine Verwahrungsstätte geben musste, um dann schnellstmöglich wieder zu malochen und somit auch dem Staat zu dienen. Ich verstehe bis heute nicht, warum man das im Osten im Nachhinein als eine solche Errungenschaft abfeiert...

  11. 19.

    @ Nico: "Ich finde Späti passt zu den ganzen Hipstern aus BW und Bayern. Da fällt mir nur der südliche Sprachraum ein: Basti (Sebastian), Hansi (Hans) u.s.w. schrecklich." :-)

  12. 18.

    Nö. Aber dass es im ganzen Land einheitlich auf hohem Niveau war, hatte damals und hätte heute schon seine Vorteile für die Zukunft.
    Bei genauem Lesen haben Sie sicher auch die Anmerkung "...mit plytechnischem Wissen angepasst an heutige Anforderungen..." wahrgenommen oder?

  13. 17.

    Ich komme jetzt mal zu den billigen Mieten aus Kommentar 5. Bei 1100 Mark Lohn auf dem Bau und 41,50 Mark Miete hatte ich ruckzuck das Geld für einen Farbfernseher mit West-Farbe. Mit Luxusgütern wurden nämlich die Dinge des täglichen Bedarfs und die Miete stabil gehalten. Ich finds richtig. Ich gebe zu, es hat nicht funktioniert. Da hat Günter Mittag ziemlichen Mist gebaut. Ein System mit immer mehr Obdachlosen in den Parks finde ich aber auch nicht gerade erstrebenswert. Zumindest können die sich Nachts im Späti mit Stoff versorgen. Ist doch auch was.

  14. 16.

    Also ich bin Ossi und höre davon heute zum ersten Mal.

  15. 15.

    Ehrlich gesagt ist es mir wurscht wo es her stammt. Keiner sagt, dass alles besser ist - heute aber auch nicht. Gleich nach der Öffnung bekamen wir einen neuen "Vorgesetzten". Er besprach als erstes über "Zielsetzung", damit richtig Kohle gescheffelt werden kann. Bei uns hieß es sozialistischer Wettbewerb. Es ist doch egal wie das Kind genannt wird - alles die selbe Soße.

  16. 14.

    Ja, ja! Jetzt kommt die Mär mit dem angeblich besseren Bildungssystem. :-)))

    Standardargument im Bildungsbereich: "Die DDR hatte das gleiche Schulsystem wie Finnland. Und die belegen ja in den Pisa - Studien Spitzenplätze!"

    Dass es in Finnland kleinere Klassen und daraus resultierend auch bessere Bildungschancen gab, wird dabei geflissentlich übersehen.

    Auch wird in Finnland der Schulbesuch nicht durch ideologische Beschränkungen, wie es in der DDR zum Alltag gehörte, "geregelt".

    Ich kenne einige ehemalige DDR Bürger, denen, obwohl hochintelligent, der Zugang zur EOS (gibt es heute wieder, heißt jetzt aber ISS) deshalb verweigert wurde, da ihre Eltern entweder der Intelligenzia oder der Kirche angehörten.

    Alles eine Frage der Zeit, wann uns diese "Errungenschaften" eines nicht mehr existenten Staates einholen.

  17. 12.

    "Vor-Wende-Westen dagegen: keine Spätverkaufsstelle für niemanden"
    Stimmt aber nur fast, denn in den 70er- und 80-er Jahren gab es auf dem U-Bahnhof Schloßstr. (Ausgang Zimmermannstr. oder Deitmerstr. glaube ich) im Zwischengeschoß eine Spätverkaufsstelle, die auch im gewissen Rahmen am Sonntag/Feiertag geöffnet hatte - (ein ganz kleiner EDEKA, nach meiner Erinnerung).
    An 2. und 3. Julia: Wieso gab? Diese Büdchen oder Trinkhallen gibt es - wenn auch leider viel seltener - auch heute noch z.Bsp. in D, DU, DO, BO, KR, GE, etc... pp. Wer das liebt, sollte mal persönlich dort hin - ist klasse.

  18. 11.

    Sehe ich ähnlich...
    Wer im Wedding aufgewachsen ist, der kannte den "Späti" am S-Bhf. Gesundbrunnen im Bahnhofseingang. Ende der 80er anfang 90er konnte man glaube ich bis 21:00 Uhr zu gesalzenen Preisen für seinen täglichen Bedarf einkaufen.

  19. 10.

    Der Ruhrpott gat aber nuchts mit Berlin zu tun. Da ist wohl jemand angepisst?!!!

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