Fehlende Leichensäcke in der Corona-Krise - Wenn Bestatten zum Problem wird

So 29.03.20 | 11:28 Uhr | Von Ansgar Hocke
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Symbolbild: Sargträger, die ihr Gesicht mit Masken gegen das Coronavirus schützen, tragen einen Sarg auf den Friedhof. (Quelle: dpa)
Bild: dpa

Auch deutsche Bestatter leiden unter der Corona-Krise. Die Zahl der Corona-Toten ist noch gering. Die grundsätzlich vorgeschriebenen Leichensäcke aber werden großteils in China produziert. Jetzt geht der Nachschub aus - mit Folgen. Von Ansgar Hocke

Was Sie jetzt wissen müssen

Eigentlich ist Nicole Herzberg eine Geschäftsfrau die anpackt, organisiert und immer einen Ausweg findet, wenn es irgendwo mal hakt. Die 49-Jährige ist Inhaberin des Hennigsdorfer Unternehmens "Verpackungsmittel und Vertrieb". Doch jetzt weiß sie einfach nicht weiter. Während sich alles in der Politik und Wirtschaft um fehlende Schutzanzüge und Atemmasken dreht, hat sie ein ganz anderes Problem: Jeden Tag sterben in Deutschland Menschen, viele haben nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Tödliche Verkehrsunfälle, Herzinfarkte, Altersschwäche – daran hat sich nichts geändert. Für den letzten Weg der Verstorbenen gibt es klare Hygiene- und Seuchenvorschriften. Die Bestatter müssen die Körper der Verstorbenen umhüllen, der Fachbegriff dafür lautet: Hygiene-Leichensäcke.

Kaum jemand will darüber sprechen, gerade in diesen Zeiten. Nicole Herzberg muss darüber sprechen, denn ihr Lager ist leer, notwendige Lieferungen bleiben aus.  Jetzt macht sie sich Sorgen, wie "die helfenden Hände, die am Ende jedes Lebens notwendig sind", geschützt werden können - Klinikpersonal und Bestatter. Auch vor Corona.

Hauptsache Leichensäcke

Auch am Telefon merkt man, wie schwer es der gestandenen Unternehmerin fällt, über das Thema zu reden. Nach dem Infektionsschutzgesetz ist sie verpflichtet, Hygiene-Leichensäcke auf Vorrat zu lagern. Normalerweise sind es 500 bis 1.000 Stück. Doch davon ist nichts mehr übrig. "Im Grunde ist es fast egal, wer die benötigten Leichensäcke bereitstellt", so Nicole Herzberg, "Hauptsache sie werden überhaupt bereitgestellt."

Täglich telefoniert sie mit Einkäufern in Krankenhäusern und mit Bestattern. Es rufen Kliniken aus Italien, der Schweiz und Österreich an, die alle auf der Suche nach Nachschub sind. Sie muss alle vertrösten, doch der Ansturm hält an: Vergangenen Donnerstag gab es deutschlandweit mehr als 6.500 Bestellungen von Gemeinden, Krankenhäusern, Bestattern, Krisenstäben und mehr als 22.000 Anfragen nach "dringender Lieferbarkeit", wie es in der Amtssprache heißt. Auch der Versuch, bei anderen Firmen "beizukaufen" brachte nichts, der Markt ist leer.

Logistische Probleme

Die Corona-Krise zeigt, wie klein die Welt ist, wie abhängig alle voneinander sind. China gehört zu den Hauptproduzenten und der dortige Produktionsausfall über zwei Monate trifft jetzt auch das deutsche und europäische Bestattungsgeschäft. Inzwischen ist die Produktion zwar wieder angelaufen, aber der Transport auf dem Seeweg dauert sechs bis sieben Wochen. Und die Lieferung per Luftfracht verteuert sich fast stündlich. Bis zu sechs Euro je Kilogramm seien es aktuell, so Herzberg, der Preis habe sich nahezu verdreifacht. Aber wer bei den Speditionen nachfragt, der erfährt: Es ist schwierig, überhaupt Platz für die Ware zu finden - trotz gestiegener Preise. Und nicht nur die Luftfracht ist am Limit, selbst Nachschub aus Europa ist ein Problem. Die Spediteure kommen nicht hinterher.

Frank Sachse ist der Vertriebsleiter des Hennigsdorfer Unternehmens. Schon am 19. März wandte er sich Hilfe suchend an den Brandenburger Krisenstab Corona und schrieb: "Wir können die Ware nicht zeitnah transportieren. Wir benötigen dringend Hilfe bei der logistischen Umsetzung." Die Antwort des Brandenburger Koordinierungsstabs: "Ihre Anfrage ist [...] ein rein logistisches Problem aufgrund gestiegener Nachfrage [...]. Eine Unterstützung bei der Auslieferung kann Ihnen nicht gewährt werden."

Vertriebsleiter versteht die Welt nicht mehr

Jetzt sind die Lager leer und der Bedarf kann nicht mehr gedeckt werden. Um allen Bestellungen gerecht zu werden, wären tausende von Säcken erforderlich: "Doch was an Bestellungen und Anfragen reinkommt, kann ich nur weiterhin notieren, aber eben nicht mehr beliefern", erklärt Nicole Herzberg am Telefon.

Ihre Kunden seien verzweifelt, ein Bestatter habe resigniert gesagt: "Dann können wir die eben nicht mehr abholen." Der Vertriebsleiter Sachse sagt, er verstehe die Welt nicht mehr. Er habe die Bilder aus Italien von Militärtransportern in Italien vor Augen, die die Särge mit Corona-Toten darin aus den Städten fahren mussten. Ohne, dass jemand in Ruhe Abschied nehmen konnte.

Beitrag von Ansgar Hocke

10 Kommentare

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  1. 10.

    Irrtum! - Wenn das Leben zum Problem wird.

  2. 9.

    Globalität gab es seit jeher und das war der Zugewinn von Erfahrung & Wissen seitens anderer. Globalisierung unter den bekannten Vorzeichen ist ein Dumping an Kosten und Löhnen, um das Billigste vom Billigsten zu erstehen, bei Eingehen von Abhängigkeit. Das zeigt sich jetzt.

    Chinesen haben uns die wunderbare Kultur fernöstlicher Denkungsart beigebracht und dies bereits vor vielen Jahrhunderten. Die Technik, Leichensäcke zu nähen, ist hier zweifellos vorhanden.

  3. 8.

    Globalität gab es seit jeher und das war der Zugewinn von Erfahrung & Wissen seitens anderer. Globalisierung unter den bekannten Vorzeichen ist ein Dumping an Kosten und Löhnen, um das Billigste vom Billigsten zu erstehen, bei Eingehen von Abhängigkeit. Das zeigt sich jetzt.

    Chinesen haben uns die wunderbare Kultur fernöstlicher Denkungsart beigebracht und dies bereits vor vielen Jahrhunderten. Die Technik, Leichensäcke zu nähen, ist hier zweifellos vorhanden.

  4. 7.

    Schlimme und unnötige Titel Zeile, fördert die Panik nur noch weiter.

  5. 6.

    Dinge, die nur noch billig importiert werden, können auch mal knapp werden... wer hätte das gedacht!!!!!!!111

  6. 5.

    Die Welt ist viel zu abhängig von China. Nur billig bringt ein Nadelöhr. Ich hoffe, es findet langsam ein Umdenken statt, dass nicht ausschließlich Importe den Bedarf decken sondern auch inlands produziert wird.
    In der Not fängt das Volk an zu meckern, wenn es gute Zeiten sind wird wieder die "Geiz ist Geil"-Mentalität ausgepackt. So etwas nennt man Doppelmoral.

  7. 4.

    Was ist in Deutschland überhaupt an Vorsorge geleistet worden?
    Sollte China noch länger als Lieferant absolut notwendiger Artikel ausfallen, was dann?
    Schlimmer ist noch die Abhängigkeit vom Ausland bei medizinisch wichtigen Arzneimitteln. Wie konnte es zu diesen unhaltbaren Zuständen kommen? Totalversagen auf allen Gebieten, selbst bei notwendigem Personal.
    Was läuft falsch in diesem Staat?
    Haben nur noch Banken und das Kapital Priorität?

  8. 3.

    Es ist wirklich merkwürdig, aber man hat bei der Berichterstattung immer wieder den Einfdruck, dass Deutschland auf die Krise in vielerlei Hinsicht völlig unvorbereitet ist. Es scheint ja an wie Masken, Schutzkleidung u.Ä. zu fehlen. Eigentlich geht man davon aus, dass es Krisenpläne gibt, dass Experten alle Scenarien durchgespielt haben und für jede denkbare Entwicklung Pläne in den Schubladen liegen die im Bedarfsfall nur rausgeholt werden müssen. Wie hatten sich denn die Verantwortlichen die Entwicklung einer solchen Krise vorgestellt? E sind jetzt (erst) etwas über 55.000 Infizierte bei über 82 Mio. Bevölkerung, die Krise hat erst vor ca. 2 Wochen in Deutschland an Fahrt gewonnen, und schon gibt es keine Schutzkleidung mehr? Warum gibt es da keine Notfallpläne für die Produktion, keine Bevorratung für solche Fälle? Es scheint fast so als hätte man gedacht man könne einfach alles Nötige bei Amazon bestellen und wenn es schnell gehen muss schließt man halt ein Prime-Abo ab!

  9. 2.

    Es ist schon tragisch, wo sich immer mehr "Mangelware" bemerkbar macht.
    Und immer wieder muss man lesen, dass in China oder einem anderen Billiglohnland produziert wird.
    Ich hoffe, es kommt zu einem Umdenken, dass eben doch verstärkt in Europa oder gar im eigenen Land produziert werden muss. Gleiches gilt neben Dingen wie Schutzausausstattung auch für Medikamente, egal ob lebensnotwendig oder einfach notwendig.

    Ich wünsche mir für alle, dass wir gut durch diese Krise kommen, gesund bleiben/werden und so wenig wie möglich liebe Menschen verlieren.

  10. 1.

    Nun aber wirklich lieber RBB mit diesem Artikel wird das Thema langsam etwas abstrakt! Viele lesen schnell die Überschrift und fallen in Panik! Nun reichen die Leichensäcke nicht mehr?!?!? Sorry das ist echt ein Artikel alla Bild und Co. es hat doch rein weg mit fehlenden Lieferketten zu tun und wenig damit das maßen an Menschen in Deutschland sterben was sich aber rein aus der Überschrift Nicht so schnell ergibt! Traurige peinliche Berichterstattung lieber RBB.

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