Rassismus gegen asiatisch Aussehende in Berlin - "Dich sollte man mit Sagrotan einsprühen"

Mi 29.04.20 | 07:55 Uhr | Von Jo Goll
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Eine Person kommt aus einem U-Bahnhof (Quelle: rbb/Jo Goll)
Audio: Inforadio | 29.04.2020 | Jan Wiese | Bild: rbb/Jo Goll

Rund 165.000 Menschen mit asiatischen Wurzeln leben in Berlin. In der Corona-Krise sehen sie sich verstärkt Rassismus ausgesetzt: von übertriebenen Distanzierungen über Beleidigungen bis hin zu körperlichen Attacken. Von Jo Goll

Mitte März begegnet Minji Park einer Gruppe junger Männer vor einem Asia-Supermarkt in Charlottenburg. "Sie haben sofort angefangen 'Corona, Corona' zu rufen", erzählt die aus Seoul stammende Südkoreanerin. Dann, so berichtet sie weiter, husten die jungen Männer sie an. Minji Park ist geschockt, geht einfach weiter. "Dann sind sie hinter mir hergelaufen, haben gelacht und Witze über mich gemacht." Sie habe sich richtig drangsaliert gefühlt, erzählt die freie Künstlerin.

Minji Park hat sich bis heute von diesem hässlichen Vorfall nicht erholt. "Ich habe zu Hause viel geweint, das kam alles so plötzlich", sagt sie. "Ich lebe seit 15 Jahren in Deutschland, bin mit einem Deutschen verheiratet. Das ist so verletzend. Ich komme damit nur ganz schwer klar."

Dass ihr so etwas passieren könnte, damit hat Minji Park nicht gerechnet. Schon im Februar wurde sie von jungen Männern mit "Corona, Corona"-Rufen belästigt. Damals hatte sie einfach nur Angst, weil es mitten in der Nacht in der U-Bahn passierte. "Ich habe mir gedacht: Nichts wie weg hier. Gewehrt habe ich mich nicht." Doch genau das will sie eigentlich künftig tun. Sich nicht mehr einfach gefallen lassen, was da gerade über  sie und viele andere hereinbricht. "Ich dachte immer, ich gehöre zu dieser Gesellschaft. Jetzt habe ich das Gefühl, ich gehöre zu einer Minderheit. Das tut weh", sagt sie mit bitterer Miene.

Minji Park (Quelle: rbb/Jo Goll)
Bild: rbb/Jo Goll

Gesucht: Schuldige für die Pandemie

Eine Bekannte, mit der sie in Berlin Kunst studiert hat, erzählte ihr kürzlich, dass auch sie beleidigt wurde. "Ein fremder Mann hat sie ganz in der Nähe ihrer Wohnung auf der Straße angesprochen und zu ihr gesagt: 'Dich sollte man mit Sagrotan einsprühen'", erzählt Minji Park. Ihre Bekannte, sagt sie, sei in Deutschland geboren, ihre Eltern seien vor 40 Jahren aus Japan gekommen. Minji Park schüttelt den Kopf, ihre Abscheu vor so viel Hass und Demütigung ist förmlich spürbar. Sie redet viel mit ihrem Mann über diese schrecklichen Vorfälle. Sie will aktiv werden gegen diese Form des Rassismus, will nicht einfach nur Opfer sein. Aber was tun? Die Polizei holen?

Der Rassismus gegen Menschen, die selbst oder deren Eltern aus Asien stammen, hat in den vergangenen Wochen stark zugenommen. Sie werden als Schuldige für die Pandemie ausgemacht, da das Virus wohl in der chinesischen Stadt Wuhan zuerst auftrat und sich von dort in der Welt ausgebreitet hat. Auch in Berlin meinen nun offenbar immer mehr Menschen, ihrem Drang, jemandem die Schuld an der Ausbreitung des Virus zu geben, freien Lauf lassen zu müssen.

Popo Fan (Quelle: rbb/Jo Goll)
Bild: rbb/Jo Goll

Der junge Dokumentarfilmer Popo Fan stammt aus China, hat an der Pekinger Filmakademie studiert. Auch für den rbb hat er schon Kurzfilme produziert. In seinem jüngsten Streifen setzt er sich mit rassistischen Stereotypen im Corona-Kontext auseinander. Auch er musste bereits erfahren, was es heißt, asiatisch auszusehen und sich dieser Tage in Neukölln und Kreuzberg auf der Straße zu bewegen. "Schon Anfang März", erzählt er, "hat mich eine Gruppe arabisch aussehender Männer in der U-Bahn angemacht. Sie fragten mich völlig unvermittelt, wo ich herkomme. Dann riefen sie mehrmals 'Fuck China' und 'Du bist Corona'", erzählt er. Schon vor Monaten, lange bevor das Virus ausbrach, wurde er am Kottbusser Tor von einem Mann beleidigt, der ihn als "Scheiß Chinesen" bezeichnete und unentwegt über sein Heimatland schimpfte. Popo Fan hat das mit seinem Handy aufgenommen. Als der Mann dies sieht, zeigt er seinen Ausweis in die Kamera.

Keine fremdenfeindliche Gesinnung?

Popo Fan hat nun den Namen des Täters und zeigt den Vorfall bei der Polizei an. Zunächst, so der junge Chinese, hätten die Beamten kein großes Interesse an seinem Fall gezeigt, dann aber doch eine Anzeige aufgenommen. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt. In der Einstellungsverfügung, die rbb24 Recherche vorliegt, heißt es: "Der Vorfall hat weder nach seinen Umständen noch nach der Bedeutung der Folgen zu einer über den Lebenskreis der Beteiligten hinausgehenden Störung des Rechtsfriedens geführt. Die Strafverfolgung ist kein Anliegen der Allgemeinheit." Zudem sei eine fremdenfeindliche Gesinnung nicht nachzuweisen. Ein Freibrief für Rassisten.

 

Kimiko Suda (Quelle: rbb/Jo Goll)

Kimiko Suda vom Verein "Korientation", der inzwischen gemeinsam mit anderen Initiativen rassistische Attacken gegen asiatisch aussehende Menschen dokumentiert, findet die Vorgehensweise der Justiz falsch. Hier müsse ein Zeichen gesetzt werden, sagt die gebürtige Hamburgerin. "Ich empfinde es als ein systematisches Problem, dass Rassismus nicht ernst genommen wird. Offenbar werden hier Bürger und Bürgerinnen mit asiatischem Aussehen nicht ernst genommen." Täglich notiert "Korientation" bundesweit neue Vorfälle von Attacken und Beleidigungen gegen asiatisch aussehende Menschen - es sind bereits viele Dutzend.

Popo Fan will seinen Fall so nicht stehen lassen. Er sucht sich inzwischen Rat und Unterstützung bei "Reach Out", einer Berliner Opferinitiative.

Hye Seon Choi (Quelle: rbb/Jo Goll)
Bild: rbb/Jo Goll

"Was habe ich falsch gemacht?"

Auch die Übersetzerin Hye Seon Choi aus Neukölln fragt sich seit Tagen, wie sie sich gegen diesen nahezu täglichen Alltagsrassismus wehren soll. In der Schlange an der Supermarktkasse werde seit Wochen immer wieder hinter ihr getuschelt und gelacht, berichtet sie. "Dann wechseln manche Leute in eine andere Schlange, obwohl die viel länger ist."

Hye Seon ist erst seit dem vergangenen Dezember in Berlin, fand einen Job als Übersetzerin. Sie lebte zuvor in Budapest, freute sich auf ihr neues Leben in Berlin. Doch jetzt ist alles anders. Sie verlasse derzeit nur selten das Haus, aber fast immer wenn sie draußen sei, passierten seltsame Dinge, erzählt sie. "Es sind oft junge Leute. Sie lachen über mich, rufen 'Corona, Corona'. Oder Menschen gehen an mir vorbei und holen demonstrativ tief Luft, atmen erst wieder aus, wenn sie an mir vorbei gegangen sind. Und dann lachen sie. Für die ist das ein Spaß, aber ich bin das Opfer für ihren Spott."

Hye Seon ist tief getroffen von diesen Vorfällen. Wenn sie zu Hause ist, gerät sie immer häufiger ins Grübeln. "Ich frage mich: Was habe ich falsch gemacht? Habe ich jemals etwas getan, womit ich das verdient habe? Manchmal möchte ich dahin zurück, wo ich herkomme."

Die Südkoreanerin stammt aus Seoul und hatte immer ein sehr gutes Bild von Deutschland. Besonders die rationale Art der Deutschen habe sie immer sehr beeindruckt, sagt sie. "Mein Bild von diesem Land hat sich definitiv verändert. Ich frage mich jetzt, ob ich hier jemals ein normales Leben führen kann, denn vielleicht wird es noch eine weitere Pandemie mit einem anderen Virus geben." Als sie diesen Satz beendet hat, geht ihr Blick ins Leere.

Dutzende Vorfälle mit "Covid-19-Bezug"

Opferinitiativen wie "Reach Out" raten den Betroffenen, rassistische Vorfälle in jedem Fall anzuzeigen. Den Tätern müsse klar gemacht werden, dass sie nicht unbeobachtet blieben. Seit 1. Januar 2020 seien dem Polizeilichen Staatsschutzes bis heute rund 50 Vorfälle wegen Beleidigungen und Attacken mit einem "Covid-19-Bezug" bekannt geworden, berichtet die Berliner Polizei auf Anfrage des rbb. "Darunter befinden sich sieben Sachverhalte (Stand: 28. April 2020), in denen Geschädigte mit asiatischem Phänotyp erfasst sind, welche beleidigt beziehungsweise körperlich angegriffen wurden", heißt es weiter.

Die Dunkelziffer ist hoch. Kein Wunder, wenn die Staatsanwaltschaft Verfahren einstellt, obwohl die Täter sogar bei ihren Beleidigungen aufgenommen wurden.

Beitrag von Jo Goll

53 Kommentare

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  1. 53.

    Das wundert mich überhaupt nicht.
    Alltagsrassismus existiert in fast allen Gesellschaften. In Dtl blieben asiatisch aussehende Menschen bisher weitgehend verschont, da sie nicht mit der Flüchtlingskrise oder asozialem Verhalten in Zusammenhang gebracht werden.
    Das ist nun anders. Corona - China - Asiaten - alles Chinesen - ALLE infiziert....so denken Hans und Lieschen Müller egal ob sie 17 oder 70 sind.

  2. 52.

    Ann solchen rassistischen Beleidigungen sieht man, wie sehr es schadet, wenn man was raucht, schnieft oder schluckt, wovon man lieber die Finger lassen sollte. Daß die Kaspervereine Straftaten nicht verfolgen, ist mir nichts neues. Ich war auch schon mal Opfer von Diebstahl, versuchten Mord, versuchten Betrug, Nötigung zu Straftaten uva. Die Kasperverein taten, als ob das gar keine Straftaen sind. Meine Lehre aus diesen geschichten: Nimm die Peuitsche mit, wenn du dort was erreichen willst.

  3. 50.

    Doch, es lässt sich eindeutig an einer Partei festmachen. In der Statistik zu rassistischen Gewalttaten 2018 der Seite statista, steht Brandenburg an erster Stelle, gefolgt von den restlichen ostdeutschen Bundesländern. Also überall da wo die besagte Partei über 20 Prozent hat.

  4. 49.

    Zitat: "kultivierten Rassismus, das ist in DE und weltweit zu beobachten"
    Wieso denn nur in Dessau (DE ist doch das KFZ-Kennzeichen für Dessau-Roßlau), falls Sie Deutschland meinen, dann seien Sie doch bitte nicht so schreibfaul oder nehmen einfach D (wie Düsseldorf) oder BRD als Abk.
    Damit ließen sich Mißverständnisse ganz einfach vermeiden.

  5. 48.

    Ich bin nicht sicher ob es an einer Partei fest machen lässt. Bei uns in Marienfelde habe ich andere Beobachtungen gemacht. Grüße und bleiben sie gesund.

  6. 46.

    Ehrlich gesagt, würden mich Zahlen zu dieser These ziemlich interessieren. Nicht das ich ihre Vermutung von vornherein aussschliessen würde aber In dem Artikel geht es um Fälle aus der Mitte Berlin´s, oder?

  7. 45.

    Merkwürdigerweise sind allerdings die im Beitrag genannten Viertel Charlottenburg, Kreuzberg und Neukölln gerade nicht die Hochburgen der von Ihnen gebetsmühlenartig als rechtsextrem bezeichneten und in altbewährter Springer-Manier in Anführungszeichen gesetzten Partei.

    Ich mein ja nur...

  8. 44.

    Der Bericht und Ihr Beitrag erfüllt mich mit Traurigkeit und Wut. Rassismus gehört im Keim erstickt. Ich arbeite auf dem Bau da zählt nicht woher du kommst, sondern nur was du kannst.
    "Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher. Albert Einstein

  9. 43.

    "Leider wird der Begriff immer sofort impliziert mit dem Deutschen."

    Der "Nazi" ist tatsächlich eine "deutsche Erfindung", wenn sie Faschismus meinen, der ist in der Tat international.

    *klugscheißModusaus*

  10. 42.

    "Wenn Dummheit auf Langeweile trifft...! "

    Oh, wie wahr.

    Wenn aber in manchen Gegenden eine rechtsexteme "Partei" 20 % an Wählerstimmen bekommt, dann sind solche rassistischen Entgleisungen kein Einzelfall.

  11. 41.

    Nur ist es nunmal so, dass Rassismus meist von Menschen innerhalb der Mehrheit einer Gesellschaft gegen bestimmte Minderheiten auftritt und dadurch auch das ein Hauptproblem darstellt. Würde diese in der Größe überwiegende Gruppe geschlossen gegen Rassismus vorgehen und sich dafür einsetzen, dass niemand wegen irgendwelchen lapidaren Unterschieden diskriminiert wird wirkt sich das in der Folge vermutlich auch auf evtl. bestehende Vorurteile von Minderheiten ggü. anderen Gruppen aus - das bedingt sich alles. Und eine Frage noch: Was bitte ist ein “bio“-Deutscher? Diese Unterscheidung zwischen - vermutlich meinen Sie hier geborenen - und “eingebürgerten“ Deutschen lässt die Vermutung zu, dass Sie selbst ein Rassist sind, denn die biologischen Unterschiede im Erbgut der Menschen verschiedener Herkunft sind so geringfügig, dass diese Bezeichnung kaum Bestand hat.

  12. 40.

    Auch das ist ein sehr trauriger Beitrag; es tut mir Leid für Sie. Da sieht man mal wieder, dass diese Feiglinge meist in einer Gruppe auftreten.
    P.S.: Nachträglich noch herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.

  13. 39.

    Zitat:.."Popo Fan hat das mit seinem Handy aufgenommen. Als der Mann dies sieht, zeigt er seinen Ausweis in die Kamera.
    "Der Vorfall hat weder nach seinen Umständen noch nach der Bedeutung der Folgen zu einer über den Lebenskreis der Beteiligten hinausgehenden Störung des Rechtsfriedens geführt. Die Strafverfolgung ist kein Anliegen der Allgemeinheit." Zudem sei eine fremdenfeindliche Gesinnung nicht nachzuweisen. Ein Freibrief für Rassisten."

    Kein Anliegen der Allgemeinheit, geht's noch?
    Da wird sogar der Ausweis in die Kamera gehalten, der Täter scheint noch stolz auf seine Taten zu sein und fühlt sich sicher vor Strafverfolgung.

    Für "Wehret den Anfängen!" ist es bald zu spät, nur wenn jetzt den Angegriffenen Rückhalt und in der Situation Beistand geleistet wird, kann das Elend beim Aufblühen erstickt werden.

  14. 38.

    Wir kommen kein Stück gesellschaftlich weiter, wenn Medien, Politiker und Aktivisten ständig zu tun als sei Rassismus ein vorerst, inherärentes "weißes, biodeutsches" Problem. Auch Minderheiten können sich nicht ständig hinter der Mehrheitsgesellschaft verstecken. Jede Gruppe pflegt ihren eigenen kultivierten Rassismus, das ist in DE und weltweit zu beobachten. Wir lösen das Problem gemeinsam oder gar nicht. Dazu müsste die Grundlage der Aufarbeitung, in einer Einwanderergesellschaft, aber "universell" und nicht rein auf eine deutsche, weiße Mehrheitsgesellschaft fixiert sein.

  15. 37.

    Das sind die gleichen Hohlköpfe, die Christian Drosten mit Morddrohungen überziehen. Er ist seit Wochen überhaupt nicht mehr in die Entscheidungsfindung der Bundesregierung mit einbezogen. Dennoch wird er als derjenige angegriffen, der die Wirtschaft kaputt macht.
    Das Phänomen, in Krisen einen Schuldigen zu brauchen, ist so alt wie die Menschheit. Da hat sich nichts geändert. Und vermutlich wird es dass auch nicht in Zukunft.
    Einstein hatte Recht...

  16. 36.

    ich danke Ihnen, dass endlich einer dieses Thema deutlich zur Sprache gemacht hat.
    Ich habe asiatische Wurzeln, aber bin hier geboren und aufgewachsen. Auch mir ist Ähnliches letzten Monat, am Abend vor meinen Geburtstag, passiert. Es waren eine Gruppe mit südländischem Aussehen. Alle in einem Alter, in welchem man denkt, dass sie doch reif genug sein müssten, um zu wissen, dass das, was sie tun, falsch ist. Man muss sich wehren, schreien und Passanten auf dieses Geschehen aufmerksam machen. Die Gruppe war nämlich sichtlich irritiert. Und Aus Peinlichkeit sind sie weggerannt. Ich habe dennoch an diesem Abend mich in meinen Geburtstag hinein geweint.

  17. 35.

    Dem kann ich nur zustimmen. Vielleicht sollte man sich Fragen ob wir ein Volk von Rassisten sind. Mit mir jedenfalls nicht!!!

  18. 34.

    Ich danke Ihnen sehr, für diesen wunderbaren kleinen Beitrag. Tut gut zu lesen.

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