Kommentar zu "Hygiene-Demos" - Das radikale Ende der Corona-Proteste
Die Protestwelle der "Hygiene-Demos" läuft aus: Lockerungen, hohe Zustimmung zum Regierungshandeln, Gegenproteste - vor allem aber die offensichtliche Instrumentalisierung durch Rechte, Selbstdarsteller und die AfD bedeuten vorerst ihr Ende. Von Olaf Sundermeyer
Der Anfang vom Ende datiert auf den 9. Mai, 16:25 Uhr: Auf dem Berliner Alexanderplatz entreißt ein Mob aus mehreren hundert Menschen der Polizei das Gewaltmonopol - angeführt von dutzenden gewaltbereiter Hooligans, die geplant eskalieren. Es kommt zu Ausschreitungen.
In den Wochen zuvor hatten die Hooligans - im Verbund mit anderen Rechtsextremisten und Aktivisten des "Widerstand2020" - die allgemeine Zurückhaltung der Polizei bei den "Hygiene-Demonstrationen" sehr genau beobachtet. Die meisten Medien und Politiker erkannten nicht, welches Potenzial sich da seit Wochen auf Plätzen im ganzen Land, zwischen Berlin, Leipzig, München, Frankfurt und Stuttgart, versammelte.
Und dann kapitulierte der Staat
An diesem Samstagnachmittag um halb fünf kapituliert der Staat: Infektionsschutzgesetz und Eindämmungsverordnung können nicht mehr durchgesetzt werden. Die Autorität von Wissenschaftlern, Ministern, vor allem auch der Bundeskanzlerin, gilt jetzt und hier nichts. Es regieren die Covidioten.
Über Lautsprecher appelliert die Polizei betont höflich an die Protestierenden, erinnert fast flehentlich an die gesundheitlichen Folgen des entfesselten Massenprotests - und wird dafür verhöhnt, ausgelacht und ausgepfiffen. Diese öffentlichkeitswirksame gewaltsame Selbstermächtigung der organisierten Covidioten verhindert allerdings ihren langfristigen Erfolg: Die Polizei ändert fortan ihre Taktik, ermöglicht angemeldete Kundgebungen mit Abstandsregeln, geht aber konsequent gegen unkontrollierten Protest vor.
Politiker wie der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) warnen davor, gemeinsam mit Rechtsextremisten, gewaltbereiten Hooligans und Verschwörungstheoretikern zu demonstrieren, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) äußert sich ähnlich - und warnt vor einer Unterwanderung der Corona-Proteste durch Rechtsextremisten, wie sie an vielen Städten längst erfolgt ist.
Die Betroffenen wollen sich nicht vereinnahmen lassen
Inzwischen hat an einigen Orten die AfD den Protest gekapert. Vor dem Brandenburger Tor, wo sie ohne Parteilogo protestiert, in Cottbus, wo sich AfD-Funktionäre als Bürgerinitiative tarnen oder zuletzt auch in Stuttgart, das bis zum vergangenen Wochenende als Hauptstadt der Corona-Proteste galt. Bis sich auch dort die AfD mit einer eigenen Kundgebung an die Spitze des Protests setzte, der noch am selben Tag in sich zusammen fiel.
Weil diejenigen, die tatsächlich von den schweren wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Folgen der Corona-Krise betroffen sind, sich nicht vereinnahmen lassen wollen: Sie sind Aktivisten mit ganz anderen politischen Zielen. Weil es nicht glaubwürdig ist, wenn Neonazis Demonstrationen unter dem Motto "Grundrechte schützen" anmelden oder wenn die AfD-Spitze binnen weniger Wochen ihre Position zu Corona um 180 Grad ändert, um von den Protesten zu profitieren. Auch wollen viele Zweifler, Corona-Verlierer oder Unzufriedene offensichtlich nicht als Kulisse für narzisstische Selbstdarsteller dienen, die sich als Ikonen des Protests stilisieren, denen es aber vor allem um eines geht: um sie selbst. All das hat der Protestwelle den Auftrieb genommen.
Regierung bekommt hohe Zustimmungswerte
Am meisten wirkt dieser Welle aber der noch immer hohe Zustimmungswert der Bevölkerung mit dem Krisenmanagement der Regierenden entgegen: Deutschland ist bislang schließlich wesentlich besser durch diese Krise gekommen, als die meisten anderen der durch den Virus betroffenen Länder.
Sendung: Inforadio, 25.05.2020, 6:12 Uhr