ARD-Mittagsmagazin - Studie belegt höheres Corona-Risiko für Ärmere

Mo 15.06.20 | 13:21 Uhr
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Symbolbbild - Ein Rettungswagen steht in der Zufahrt zur zentralen Notaufnahme des Campus Charite Mitte. (Bild: imago-images/Andreas Gora)
Bild: imago-images/Andreas Gora

Sozial Benachteiligte wie Langzeitarbeitslose haben in Deutschland ein deutlich erhöhtes Risiko, mit einer Corona-Erkrankung ins Krankenhaus zu kommen. Das zeigt eine bislang unveröffentlichte Studie, über die das ARD-Mittagsmagazin berichtet.

ALG II-Empfänger haben ein stark erhöhtes Risiko, mit einer Covid-19-Infektion ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Das zeigt erstmals eine Auswertung von Versichertendaten für das ARD-Mittagsmagazin. Im Vergleich zu Erwerbstätigen in regulärer Beschäftigung ist das Risiko für ALG II-Empfänger demnach um 84,1 Prozent erhöht, dass sie wegen COVID-19 ins Krankenhaus kommen. Für ALG I-Empfänger liegt das Risiko um 17,5 Prozent höher.  

Daten von 1,3 Millionen Versicherten ausgewertet

Für die Analyse hat das Institut für Medizinische Soziologie des Uniklinikum Düsseldorf gemeinsam mit der AOK Rheinland/Hamburg die Daten von knapp 1,3 Millionen Versicherten daraufhin untersucht, ob Menschen in Arbeitslosigkeit (ALG I und ALG II) häufiger mit einer Corona-Infektion in einem Krankenhaus behandelt werden mussten als erwerbstätige Versicherte (Untersuchungszeitraum 01. Januar bis 04. Juni 2020). Bisher sei der sozio-ökonomische Hintergrund von Corona-Patienten weltweit kaum so detailliert untersucht worden, so die Forschenden.

"Diese explorative Analyse soll der Auftakt für weiterführende Forschung zur sozialen Dimension der COVID-19 Pandemie sein", sagt der verantwortliche Autor Prof. Nico Dragano von der Uniklinik Düsseldorf. "Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, wäre dies ein weiterer Beleg für ausgeprägte soziale Unterschiede bei Erkrankungen in Deutschland."

"Es braucht einen politischen Plan"

Das Bundesgesundheitsministerium wollte die bisher noch unveröffentlichten Untersuchungsergebnisse auf Anfrage des ARD-Mittagsmagazins nicht kommentieren, erklärte aber: "Generell ist es der Bundesregierung ein Anliegen, alle Bürgerinnen und Bürger vor einer Infektion mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 zu schützen und zugleich dafür zu sorgen, dass Infizierte bestmöglich behandelt werden können." Zudem habe auch das Robert Koch-Institut den Einfluss des sozialen Status auf die Gesundheit und Lebenserwartung im Blick.

Dragano sagt dagegen: "Dieses erhöhte Risiko wurde bisher nicht ausreichend beachtet und es braucht einen politischen Plan damit umzugehen". Um sozial benachteiligte Menschen gezielt vor dem erhöhten Risiko zu schützen, fordert er ein umfassendes Konzept, das neben dem Gesundheitssystem auch die Sozial- und Bildungspolitik miteinschließt.

Ähnliche Ergebnisse aus anderen Ländern

Für Deutschland hatte es bisher keine belastbaren Ergebnisse aus Studien gegeben, die einen Zusammenhang zwischen dem Erkrankungsrisiko sowie dem Verlauf der Erkrankung und sozio-ökonomischen Faktoren belegen könnten.

Untersuchungen aus England und den USA zeigen, dass Menschen mit geringer Bildung und niedrigem Einkommen ein höheres Risiko haben, an Covid-19 zu sterben. So liegt zum Beispiel in England die Todesrate pro hunderttausend Einwohner bei Männern in ärmeren Vierteln bei 76,7 Toten. Das ist mehr als doppelt so hoch wie in besser gestellten Vierteln (35,9).

Sendung: ARD-Mittagsmagazin, 15.06.2020, 13.00 Uhr

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17 Kommentare

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  1. 17.

    Falsch! Arbeitslosengeld II gibt es nur für erwerbsfähige Personen zwischen 15 und 65 - 67 Jahren! Erwerbsfähig ist, wer mindestens 3 Stunden täglich einer bezahlten Tätigkeit nachgehen kann. Nicht erwerbsfähige Personen (u.a. Kinder oder auch Pflegeheimbewohner) beziehen Sozialgeld, wobei die Leistungen für Kinder im SGB II, für Pflegebedürftige im SGB XII geregelt sind. Personen, die erwerbsgemindet sind (Erwerbsminderungsrentner) oder die Regelaltersrente erreicht haben, erhalten kein Sozialgeld, sondern Grundsicherung im Alter bzw bei Erwerbsminderung.
    Deutsches Recht geht nur kompliziert.

  2. 16.

    Danke! Statt typisch deutsch sofort wieder nach politischen Aktionen zu rufen, sollte man sich die Struktur der betroffenen Gruppe erst mal gegenüber der Vergleichsgruppe anschauen. Schon kann man erkennen, dass des gar keine Möglichkeit gibt, hier politisch oder gesellschaftlich eine Änderung herbei zu führen. Das ist dann aber natürlich nicht so spektakulär und effektheischerisch.

  3. 15.

    ALG2 bezieht (neben Alleinerziehenden)
    z.B. wer im Pflegeheim untergebracht ist und das nicht aus eigener Tasche zahlen kann.

    wer keine Arbeitsstelle hat weil er/sie nicht erwerbsfähig ist, weil gesundheitlich dazu nicht in der Lage - also mit Vorerkrankung,

    wer (auch das gibt es wohl) sich nie um einen Schulabschluss bemüht, nie um einen Ausbildungsabschluss, nie um eine Arbeitsstelle bemüht hat und sich genau so viel um sein Gesundheit (Vorerkrankungen) und um geltende Regeln zur Ansteckungsvermeidung bemüht.

    Ein schwerer Verlauf trifft also die selben Menschen wie die Voraussetzungen zum Bezug von ALG2, aber eben nicht unbedingt auch deshalb. Einfach mal einen Schritt weiter denken statt hier "Skandal" zu rufen.

  4. 13.

    Wurde der Regelbedarf den Pandemie-Erfordernissen irgendwie angepasst?

  5. 12.

    Man sollte das Erwerbsprofil der Demonstranten bei den aktuellen Demonstrationen in die Untersuchung einbeziehen.

  6. 11.

    Unabhängig von den Inhalten der Studie: Wie wäre es, wenn man in Zukunft die Finger von unveröffentlichten Studien lässt und erstmal abwartet, was Expert*innen des jeweiligen Fachgebiets davon halten? Es gab schon mehrfach im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Instrumentalisierungen von unveröffentlichten Studien. Um es ganz deutlich zu sagen: Das ist hochgradig unseriös. Man stünde inhaltlich auch nicht mit einer Korrelation da, die man nicht weiter erklärt. Ticker-Journalismus.

    Abgesehen davon gilt jedoch allgemein, dass Armut ein höheres Risiko für physiche sowie psychische Krankheiten bedeutet. Armut schadet der Gesundheit und man kann auch so weit gehen, zu sagen, dass Armut tötet. Einen willentlichen, überzeugten Plan gegen Armut gibt es weder landesweit noch global. Steuergerechtigkeit bzgl. Steuervermeidung oder Abgeordneten-Transparenz bzgl. Lobbyismus sind hierzulande leider verpöhnt. Das Geld wäre da, niemand - global - müsste arm sein.

  7. 10.

    Es geht ja ausschließlich darum, ins KH zu kommen. Nicht zu erkranken, sondern im KH zu landen. Da ist die Frage nach den Ursachen berechtigt. Mal Brainstorming:
    - wenn alle zu Hause sind, steckt man sich in geschlossenen Räumen einfacher an.
    - mangels Geld kann man nicht für die Gesundheit sorgen, also Apotheken-Besuche, Medikamente
    - kostenlos im KH versorgt werden, daheim wäre das kostenlos nicht möglich, fallen so nicht zur Last
    - um H4 nicht zu verlieren, muss man "echt" krank sein, sonst Sanktionen
    - wer bezieht H4? viele Alleinerziehende, die 24/7 parat sein müssen und immense Last auf den Schultern tragen.
    - haben keine Chance, sich daheim zur Genesung zurückzuziehen, Kinder, Haushalt etc.

    Dass es total kontraproduktiv ist, alle auf einer Bude hocken zu lassen zusammen mit Infizierten, hat ja schon Italien bewiesen. Da waren auch alle im KH....

  8. 9.

    Kann mich den bisherigen Kommentaren nur anschließen. Ein möglicher Grund wäre vielleicht, dass die Menschen, die noch Arbeit haben sich nicht trauen zum Arzt zu gehen und mit einer Krankschreibung ihren Arbeitsplatz zu riskieren (z.B. im Homeoffice lieber selbst auskurieren).

  9. 8.

    Solche Zusammenhänge gibt es auch bei anderen Erkrankungen.
    Würde man eine Studie unter den Schreiberlingen hier und im Netz nach Intelligenz, Sinnhaftigkeit und Inhalt der Kommentare auswerten, so wüßte ich welche Schreiberlinge da mehr betroffen wären.
    Bei dem Müll und Unvernunft, welcher da so zu lesen ist müsste Deutschland schon halb ausgestorben sein.

  10. 7.

    bisher wurde nur festgestellt, DASS es ein höheres Risiko gibt.
    Wo bleiben die Untersuchungen, die kausale Zusammenhänge zwischen Hartz-IV-Bezug und erhöhtem Risiko erklären?

  11. 6.

    Zigaretten, Alkohol, ungesundes Essen (zu fett, zu gezuckert, zu unausgewogen, zu viel Fleisch oder schlicht von allem möglichen zu viel), zu wenig Schlaf, zu wenig Bewegung... Die Faktoren sind zahlreich und treffen wohl nicht ausschließlich auf ALG Ii und II Empfänger zu. Bei manchem mangelt es an Intellekt aber ich glaube, dass viele Menschen als Zivilisationskrüppel verlernt haben, sich selbst und ihren Körper zu verstehen.

  12. 4.

    Sehr bitter für ein reiches Land wie Deutschland - aber, wenn sich viele Menschen auf engem Wohnraum drängen müssen, logisch.

  13. 3.

    Die wo die Studie gemacht haben scheinen realitätsfremd zu sein.
    Warum soll ein Hartz IV Empfänger ein größeres Risiko haben?? Ich beziehe selbst Hartz IV und habe gar nichts, woher denn auch?? Meine soziale Kontakte waren ja die ganze Zeit "eingefroren" und wir dazu verdammt das Haus nur dann zu verlassen wenn nicht anders möglich ist. In Brandenburg besteht noch immer die dämliche Maskenpflicht beim Einkaufen.
    Wird endlich Zeit das ihr mit dem Blödsinn aufhört, es gab und gibt viel schlimmere Erkrankungen mit sehr hoher Ansteckungsgefahr und eventuell auch weit mehr Todesfälle, wo aber nicht eine ganze Nation finanziell gegen die Wand gefahren wurde.

  14. 2.

    Da wird die zweite Welle ja nicht lange auf sich warten lassen - wegen der vielen Neuzugänge an Arbeitslosen. Und den Schukdigen haben wir auch schon - die Bundesregierung (wegen ihrer ganzen Verordnungen). IRONIE: OFF

  15. 1.

    Traurig, aber wenn man jeden Tag 2 Schachteln Zigaretten raucht ist man länger tot.

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