Arbeit im Sozialbereich - Nicht jeder "Held" erhält die Heldenprämie

Do 13.08.20 | 08:51 Uhr
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Ein Graffiti zeigt eine Krankenschwester als Heldin (Bild: imago images/Friedrich Stark)
Video: Abendschau | 13.08.2020 | Tobias Schmutzler | Studiogespräch mit Gabriele Schlimper | Bild: imago images/Friedrich Stark

Während des Corona-Lockdowns im Frühjahr wurden sie gefeiert, weil sie den Betrieb am Laufen hielten. Doch jetzt schauen viele Mitarbeiter freier Träger in die Röhre - während ihre Kollegen vom öffentlichen Dienst die Heldenprämie bekommen. Von Nina Amin

Wer ein Suchtproblem hat und sich in Berlin-Friedrichshain in das große Gebäude in der Frankfurter Allee 40 begibt, bleibt in der Regel für längere Zeit: Unter dem Dach des Drogentherapie-Zentrums gibt es eine Entzugsstation, eine Übergangseinrichtung, die Menschen aufnimmt, die auf einen Therapieplatz warten sowie ein betreutes Wohnprojekt für ehemalige Drogenabhängige.

"Um die 15 Klienten leben in der Regel hier," sagt Daniel Nassar, der Leiter des Zentrums. Auch in der Corona-Hochphase in diesem Frühjahr, was für sein Team besonders herausfordernd gewesen sei.

Auch Corona-Verdachtsfälle versorgt

"Wir haben hier sehr viel Kontakt mit den Leuten, sehr viele Gruppengespräche. Die Gruppensitzungen mussten mit Masken gemacht werden," erzählt Nassar. Die Medikamentenausgabe sei mit Plexiglas abgeschirmt. Auch Masken hätte sie an ihre Klienten verteilt. Schließlich waren die gerade am Anfang schwer zu bekommen. Das alles sei ein hoher Extra-Aufwandgewesen, bilanziert der Leiter - vor allem, als es die ersten Corona-Verdachtsfälle in der Einrichtung gab.

"Dann wurden Tests gemacht und wir hatten eine Art Lockdown. Bis das Ergebnis da war, durften die Klienten das Haus nicht verlassen. Wir haben uns alle so verhalten, als wäre jemand infiziert," sagt Nassar. Für die Mitarbeiter sei das sehr belastend gewesen, viele hätten auch Angst um ihre eigene Gesundheit gehabt. Trotzdem seien sie die ganze Zeit für die Suchtkranken da gewesen.

"Das spaltet den sozialen Sektor"

So wie Laslo Pribnow. Der Erzieher ist enttäuscht, dass der Berliner Senat seine Arbeit nicht mit einer Heldenprämie würdigen will. "Durch solche Sachen den sozialen Sektor zu spalten, finde ich das Traurigste an der Sache," sagt Pribnow. "Nach dem Motto: Diejenigen, die für das Land Berlin arbeiten, haben es gut und die anderen müssen sehen, wo sie bleiben. So hört sich das für mich an."

Paritätischer Wohlfahrtsverband: alle haben mehr geleistet

Dass bei der Dankesprämie zwischen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes und denen bei freien Trägern unterschieden wird, ärgert Gabriele Schlimper, die Geschäftsführerin vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Alle hätten mehr geleistet. Rund 16.000 Kräfte würden allein im Bereich der Eingliederungshilfe arbeiten - so wie das Team im Drogentherapie-Zentrum.

Um einzelne Mitarbeiter aus diesem Bereich möglicherweise auch mit einer Heldenprämie zu ehren, habe die Sozialverwaltung eine Abfrage gemacht. Das Auswahlkriterium: Nur Mitarbeitende, die unmittelbaren Kontakt zu Covid-19-Erkrankten hatten, sollen berücksichtigt werden. Für Schlimper ist das der falsche Ansatz.

"Viele Einrichtungen sagen, zum Glück hatten wir beispielsweise in unserem betreuten Wohnen für Menschen mit Behinderungen keine Fälle zu melden," erzählt Schlimper. Bedeute das aber auch, dass es keine "Helden" zu melden gebe?

Durch ihren besonderen Einsatz hätten diese Mitarbeiter eben auch Corona-Erkrankungen verhindert, meint Schlimper. So wie Daniel Nassar und sein Team. Hätte das Therapiezentrum - wie viele andere Anlaufstellen - während der Corona-Hochphase im Frühjahr die Tore geschlossen, wären seine Klienten - da ist sich der Leiter sicher - einem wesentlich höherem Ansteckungsrisiko ausgesetzt gewesen.

Sendung: Inforadio, 13.08.2020, 8.00 Uhr

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25 Kommentare

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  1. 25.

    Es ist und bleibt ungerecht. Meine Kolleg_innen als auch ich, die in der Eingliederungshilfe oder Jugendhilfe oder in jeder anderen betreuten Wohnform gearbeitet haben, waren täglich trotz Corona vor Ort. Nicht ein Tag Homeoffice. Und nur weil es ein glücklicher Zufall war sich in der Zeit nicht angesteckt zu haben, gibt es keine Prämie? Trotzdem waren alle dem Risiko ausgesetzt, dass es jederzeit passieren könnte.
    Klar sind es freie Träger, aber die bekommen doch die Zuteilung der Klient_innen vom Senat. Die ihre Büros im Jugendamt, Sozialamt, Gesundheitsamt etc für Publikumsverkehr aufgrund der Pandemie schnell geschlossen haben.. In dem Sinne arbeitet jeder Träger für die Stadt Berlin in der ausführenden Arbeit in Betreuung der Menschen. Jede_r Sozialpädagog_in / Therapeut_in/ Erzieher_in hätte die Prämie verdient.

  2. 24.

    Die meisten suchen ja immer nach Gelegenheiten, andere auszupluendern. Wenn der Staat nicht parrieert, wird er in der Krise mit Streikdrohungen konfrontiert. Die Hauptsache, Behinderte, Flüchtlinge und Arbeitslose, die klassischen Suendenboecke, werden unten gehalten. Dann können sich Gewerkschafter mit Parolen wie "Wir sind es wert" (Verdi) wie Herrenmenschen fühlen.

    Als freiwilliger Hochwasserhelfer, der unter anderem auf dem Muldestausee bei der Sandsackarbeit gegen eine drohende Umweltkatastropfe wegen der nahen chemischen Grossindustrie sein Leben bei einem Deichbruch riskiert hat und das klatschnass von Schweiß, wäre es mir im Traum nicht eingefallen, eine Heldenpraemie zu fordern.

  3. 23.

    Vielleicht gehen Sie einfach Schritt für Schritt vor.
    1. Dafür sorgen, dass der Pflegebereich endlich der Stellenwert zukommen, der ihm gebührt. Bislang steht ja alles Technische sowie alle PR über die Beziehung zwischen Menschen und Menschen. Hier geht es um eine Umwertung von Werten, die wir alle erreichen können.
    2. Wenn diese Umwertung erreicht ist, was sich jetzt schon teilweise andeutet, werden dann auch selbstverständlich weitere Prämien gewährt. Nennen wir sie Corona-Prämie oder sonstwie.

  4. 22.

    Das wir KollegInnen der freien Träger bei der Prämie leer ausgehen sollen ist unglaublich ungerecht! Die wenigsten von uns werden nach Tarif bezahlt, was sowieso schon pro Monat mehrere 100 € Unterschied ausmacht! Deshalb kann die Lösung für alle nur sein: Tarifverträge für alle Sozialen Träger und Prämien, für alle, die auch während des Lockdowns gearbeitet haben!

  5. 21.

    Merkwürdigen Vergleich, den Sie da anführen.

    Weder ist es so, dass diejenigen, die eine Corona-Prämie aufgrund unmittelbaren Kontakts bekommen haben, pauschal in Risikogegenden fahren würden, noch ist es umgekehrt, dass diejenigen, die nicht dorthin fahren, einfach deshalb eine Prämie verdient hätten.



  6. 20.

    Stempelkarten für systemrelevante Fachkräfte wären im Prinzip besser gewesen, dann würden sich die Homeoffice-Rückkehrer sich die Zuwendungen sich nicht selbst unter den Nagel reißen und so tun als hätten die lebensgefährlich gearbeitet.

  7. 19.

    Ich kann dieses ganze Gejammer nicht mehr hören, vor allem finde ich so etwas ungerecht allen anderen Arbeitnehmern gegenüber.
    In meinen Augen hat jeder Job Respekt verdient und ist auch selbstverständlich systemrelevant, ich möchte mal wissen was die ganzen Leute z.b. ohne Strom Internet und Wasser gemacht hätten.

  8. 18.

    Die Pandemie-Urlauber sind auf der "Arbeit" zurück teilen sich die selber die Prämie zu, während die die seit März konstant geackert haben nichts sehen. Das ist so typisch.

  9. 17.

    Das ist unfair aber auch nichts Neues im Sozialenbereich. Tarifanpassungen können z. B. oft nicht vorgenommen werden, weil die Senatsverwaltung, bei vielen Projekten, das Budget für freie Träger nicht erhöht, um diese Anpassungen bezahlen zu können. Somit arbeiten viele mit eingefrohrenen Tarifen von 2017 oder noch schlimmer. Da wird dann schnell mal behauptet, dass Menschen im Sozialenbereich nicht wegen des Geldes arbeiten, sondern aus Überzeugung. Aber mit einem "Mutter Theresa Orden" an der Brust kann wahrlich keine Miete bezahlt werden. -Davon gibt es 1000ende Held*innen in dieser Stadt, Corona hin oder her!

  10. 16.

    Meinen Sie mit "Populisten" die AfD? Schon seltsam, wie man als Polizeibeamter gleich in eine "rechte Ecke" geschoben wird, nur weil man nicht SPD, Linke oder Grüne gewählt hat... Irgendwie rassistisch lieber Nico ;-) Aber keine Angst, die von Ihnen wohl gemeinte AfD hat bei mir keine Chance!!!

  11. 15.

    Finde den Unterschied? Freie Träger sind oft bessere Arbeitgeber als öffentliche Dienst. Aber ehrlich an schwammige Zusagen und große hohle Worte, haben die Berliner sich schon gewöhnt. Es ist nicht neu, aber in diesem Kontext wirklich inakzeptabel.

  12. 14.

    Nein, das klingt nicht gerecht. Wählen Sie bitte trotzdem nicht die Populisten, unter denen wird es nicht gerechter.

  13. 13.

    Es hilft nicht viel: aber ich danke Ihnen! Und hoffe, dass Sie und andere weiterhin Kraft und Engagement aufbringen können.

  14. 12.

    Wer in Bereichen arbeitet wie bier beschrieben, hat wohl auch ohne Corona anspruchsvolle Aufgaben. Und wird nicht wegen Aussicht auf Prämie auch während Corona tätig gewesen sein. Gefühlte und reale Ungleichbehandlung sind natürlich bitter. Aber ist hier nicht der jeweilige Arbeitgeber gefragt? Ggf. könnten die Mehrausgaben öffentlich gefördert werden?

  15. 11.

    Beim "nächsten" mal wissen dann die Mitarbeiter bescheid, was sie zu tun bzw. nicht zu tun haben.

  16. 10.

    Ich bin seit fast 25 Jahren Polizeibeamter, seit Jahren beim Krimnaldauerdienst... Sofortbearbeitung bei Einbrüchen, Raubtaten, Sexualdelikten. Leichensachen etc. Bei jedem Einsatz also mit Bürgerkontakt. Aufgrund der Corona-Krise wurde die Mindeststärke in diesem Arbeitsfeld heruntergesetzt, sodass drei Teams für Charlottenburg-Wilmersdorf, Spandau und zwei neuen Polizeiabschnitten zuständig waren. Prämie? Fehlanzeige. Letzter Stand: nur zwei von 12 Mitarbeitern sollen eine Prämie bekommen. Dafür bekommen Kollegen, die in der gesamten Zeit ihr Büro nicht verlassen haben selbstredend diese Prämie. Gerecht? Natürlich nicht, aber ich habe diesen Senat zum Glück auch nicht gewählt.

  17. 9.

    Der Applaus ist längst verstummt...
    Das selbe Problem gibt's in Brandenburg. In unserer WST für Menschen mit geistiger Behinderungen gab es auch keine Erkrankungen, also haben wir wahrscheinlich auch nicht's besonderes geleistet. Die angefallene Mehrarbeit, weil ja die Mitarbeiter der geschlossenen WfbM nun auch tagsüber betreut werden mussten, leisteten die Kollegen ja - Achtung! Ironie - mit Freude und aufgrund ihres Helfersyndroms.
    Das ganze Sozialleistungssystem ist doch mit dem Wissen aufgebaut, dass die Helfer sowieso mehr für die zu betreuenden Menschen machen, als die Leistungserbringer bezahlt bekommen...
    Mit dem BThG hat sich das noch mal deutlich verschärft.
    Deshalb verwundert mich der obige Artikel auch gar nicht.

  18. 8.

    Ein Held bin ich nicht, habe aber ohne Fehltage die ganze Coronazeit in der ambulanten Fam.hilfe durchgearbeitet, mit fast 60 Jahren. Hätte auch als Risikofall zu Hause bleiben können. Stattdessen Familien besucht, Kinder begleitet, Ämtern hinterher gerannt ... Doch, eine Anerkennung, gerne auch finanziell , wäre schon angemessen! Aber, Polemik; die paar Euro werden woanders in den Sand gesetzt ....

  19. 7.

    WIEDER ein dicker Schlag ins Gesicht der gesamten Politikerbande, gegen die die im Alltag mehr als alles gegeben haben! Nicht nur Müller und Co. sollten sich in Grund und Boden Schämen, sondern auch Frau Merkel und Konsorten im Bundestag. Denn auch aus deren Ecke kam die Ansage nach einer solchen Prämie. Und jaaa, dieses eine Mal habe ich doch tatsächlich gedacht, dass setzen die um. Auch wenn ich damals schon so meine Zweifel hatte, als aber mehrere Hochrangige Politiker das Thema aufgriffen... Nunja, nun wissen wir ja, was das oder die Worte am Ende wert sind. Aber eines werden die Damen und Herren nächstes Jahr sicher nicht vergessen, ihre eigenen Diäten zu erhöhen. Man wünscht ja niemanden etwas böses, aber wenn Herr Müller mal im Altenheim landet, oder in ein Pflegeheim geht, dann hoffe ich sehr, dass er den Pflegenden erklären muss, wieso das Gedächtnis von Politikern sooo oft in gewissen Punkten plötzlich Lücken aufweist.

  20. 6.

    Das Thema "Heldenprämie" zeigt überdeutlich, wie geringschätzig (nicht nur) seitens des Berliner Senats über den sozialen Sektor gedacht wird. Wer hier arbeitet, hat sich gefälligst aufzuopfern, den Mund zu halten und vor allem keine Forderungen zu stellen. Mutter Theresa soll das Vorbild sein, Balkongeklatsche hat als Anerkennung gefälligst zu reichen.

    Wen wundert da noch, dass im sozialen Sektor ein erheblicher Mangel an Fachkräften herrscht ? Ich wage die Prognose, dass sich daran auch zukünftig nichts ändern wird.

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