Gesundheitssenatorin berät mit Bezirken - Zwei der drei Berliner Corona-Ampeln auf Gelb
Berlinweit an der Spitze, bundesweit auf Platz vier: In Friedrichshain-Kreuzberg steigt derzeit die Zahl der Corona-Neuinfektionen besonders rasant. Die Gesundheitssenatorin führt das auf Partys zurück. Inzwischen leuchten zwei der drei Corona-Ampeln gelb.
Das jüngste Infektionsgeschehen in Berlin schlägt sich auch auf das Berliner Frühwarnsystem, die Corona-Ampel, nieder. Erstmals seit der Einführung des Ampelsystems steht der Sprung auf
Doppel-Gelb bevor: Grund ist, dass die sogenannte Reproduktionszahl, kurz R-Wert, auf 1,52 steigt, wie ein Sprecher der Gesundheitsverwaltung am Montag sagte. Der Wert sollte demnach am Montagabend im Lagebericht im Internet [berlin.de] veröffentlicht werden. Damit springe die entsprechende Ampel von Grün auf Gelb. Der R-Wert gibt an, wieviele Menschen im Schnitt ein Infizierter ansteckt.
Gemäß der Ampelsystematik besteht dann laut dem Sprecher Beratungsbedarf, denn eine weitere Ampel zeigt Gelb: die Ampel für die Fallzahlen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen, hier liegt der Wert ab Montagabend bei 21,0. Bis zu einem Wert von 20,0 zeigte die Ampel Grün. Beim dritten Indikator, den Intensivbetten, steht die Ampel laut Gesundheitsverwaltung weiter auf Grün.
Wie der Sprecher ankündigte, hat Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) angesichts der verschärften Lage die Berliner Bezirksbürgermeister für Dienstagnachmittag zu Beratungen eingeladen.
"Das Tempo der Neuinfektionen gewinnt an Fahrt"
Kalayci hatte sich zuvor am Montag im Gesundheitsausschuss im Abgeordnetenhaus bereits besorgt über das jüngste Infektionsgeschehen in Berlin geäußert. "Das Tempo der Neuinfektionen gewinnt an Fahrt", sagte sie.
Besonders die 7-Tage-Inzidenz, also der Wert der Neuinfektionen innerhalb einer Woche pro 100.000 Einwohner, bereite ihr Sorgen. Mit einem Wert von 21 sei Berlin bundesweit Spitzenreiter, sagte Kalayci und ergänzte: "Das ist ein Grund zur Sorge." Laut aktueller Liste des Robert Koch-Instituts [rki.de] liegt Berlin mit dem Wert 20,4 knapp vor Bayern mit einem Wert von 19,5. (Stand 20.09.2020)
Allerdings bezieht sich diese Liste auf die 7-Tage-Inzidenz der Bundesländer. Andere Städte hingegen haben einen teils deutlich höheren Wert als Berlin. So ist die 7-Tage-Inzidenz in München auf über 50 gestiegen, in Köln liegt der Wert laut RKI-Liste bei rund 34.
In Berlin treiben vor allem die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg (Inzidenzwert 48,6) und Mitte (34,7) derzeit die Infektionszahlen in die Höhe. Friedrichhain-Kreuzberg liegt damit berlinweit vorn - und im bundesweiten Ranking laut RKI-Dashboard auf Platz vier: nur hinter dem Landkreis Würzburg (Inzidenz 61), dem Landkreis Cloppenburg (59) und eben der Stadt München (52).
In beiden Berliner Bezirken werde es immer schwerer, die Kontaktketten nachzuverfolgen, sagte Kalayci im Gesundheitsausschuss. Sie führe Gespräche mit den Bezirken, sagte sie weiter. Dass in Friedrichshain-Kreuzberg die Inzidenz so hoch liege, führe sie auch auf das dortige Partygeschehen zurück.
Streuungen treffen letztlich auch ältere Menschen
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch der Bezirk selbst. "Die hohen Infektionszahlen in unserem Bezirk sind vielfach auf junge, feiernde Menschen zurückzuführen", hatte Gesundheitsstadtrat Knut Mildner-Spindler (Linke) bereits am Freitag gesagt. Ansteckungsorte seien demnach "oftmals Clubs, private Feiern und inoffizielle Veranstaltungsorte in Friedrichshain-Kreuzberg", aber auch in anderen Bezirken.
Auch Außenbereiche von Clubs spielten bei der Ansteckung eine Rolle, hieß es. "Weitere Schwerpunkte sind private Feiern und illegale Raves in Außenbezirken." Der Bezirk kündigte verstärkte Kontrollen von Veranstaltungsorten an und will bei Polizei und anderen Bezirken diesbezüglich "für eine gemeinsame Schwerpunktsetzung" werben. Von Infektionen betroffen ist nach Bezirksangaben vor allem die Altersgruppe der 20- bis 35-Jährigen.
Auch Kalayci betonte im Gesundheitsausschuss, bislang seien es vor allem Menschen unter 30 Jahren, die sich infizierten, doch auch die Infektionen bei der älteren Bevölkerung würden wieder leicht steigen. Wie schon in der vergangenen Woche warnte Kalayci auch am Montag im Gesundheitssauschuss vor Streuungen, die letztlich auch Risikogruppen erreichen könnten: "Wenn die Älteren erreicht werden, wird die Zahl der Hospitierten und der Toten leider wieder steigen", sagte Kalayci am Montag. Das zeigten Erfahrungen aus dem Ausland, wie zum Beispiel aus Spanien.
"Pandemie-Zeit ist keine Reisezeit"
Neben Ansteckungen in Privathaushalten und beim Freizeitverhalten habe man in der Stadt viele Neuinfektionen, die nicht auf bestimmte Ausbrüche zurückzuführen seien, so die Senatorin. Sie betonte, jeder könne einen Beitrag leisten, dass die Zahlen nicht aus dem Ruder laufen: indem die Regeln zu Abständen, Hygiene und zum Tragen von Alltagsmasken eingehalten würden.
Mit Blick auf die Herbstferien wiederholte Kalayci ihren Aufruf an die Berliner, auf internationale und nicht notwendige Reisen zu verzichten. Pandemie-Zeit sei angesichts des Einschleppungsrisikos keine Reisezeit, betonte sie. Sehenden Auges in ein Risikoland zu fahren, sei verantwortungslos.
Kalayci schlägt Berliner Ampelsystem für Bund und Länder vor
Die Gesundheitssenatorin hat unterdessen das Berliner Ampelsystem als Modell für den Bund und andere Bundesländer vorgeschlagen. "Mit der Berliner Corona-Ampel liegt ein sensibles Instrument zur Beurteilung der pandemischen Lage vor. Ich fände es sehr hilfreich, wenn Bund und Länder die Berliner Corona-Ampel übernehmen würden", erklärte Kalayci am Montag.
Berlin hatte Mitte Mai eigene Regeln und ein Corona-Ampelsystem beschlossen und war damit von Bund-Länder-Vereinbarungen abgewichen. Hintergrund war laut Senat, dass die von Bund und Ländern festgelegte Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen für eine Großstadt keine praktikable Lösung sei. Der Wert wurde als zu hoch angesehen.
Sendung: Inforadio, 21.09.2020, 12 Uhr