Krawalle vor Reichstagsgebäude - Müller räumt Versäumnisse beim Schutz des Bundestags ein

Di 01.09.20 | 07:53 Uhr
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Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen stehen auf den Stufen zum Reichstagsgebäude, zahlreiche Reichsflaggen sind zu sehen. (Quelle: Achille Abboud/dpa)
Audio: Hart aber fair | 31.08.2020 | Michael Müller | Bild: dpa/Achille Abboud

Die Ereignisse vor dem Reichstagsgebäude hallen auch Tage später nach. Der Regierende Bürgermeister räumt Versäumnisse bei der Kontrolle des Parlaments ein. Gleichzeitig verteidigen er und der Innensenator das später gekippte Verbot der Demonstrationen.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat Versäumnisse beim Polizeieinsatz am Samstag am Berliner Reichstagsgebäude eingeräumt. Mit Blick auf die Besetzung der Treppen vor dem Parlament von Demonstranten und der zunächst geringen Polizeipräsenz dort sagte der SPD-Politiker am Montagabend in der ARD-Sendung "hart, aber fair" [wdr.de]: "Das müssen wir anders koordinieren. Das müssen wir in Zukunft besser sichern".

Die Berliner Polizei ist für den Außenschutz des Bundestages zuständig. Trotz des Demonstrationsgeschehens mit vielen Orten in der Stadt "muss das trotzdem natürlich anders gesichert werden in Zukunft, gar keine Frage", räumte Müller ein.

Geisel: "Der Bundestag war nie ohne Schutz"

Innensenator Andreas Geisel (SPD) bezeichnete die Ereignisse vor dem Reichstagsgebäude in der Abendschau des rbb als "beschämenden Vorgang". Das dürfe nicht wieder passieren, sagte er am Montagabend. "Wir müssen das für die Zukunft ausschließen." Die Polizei habe bei den Protesten gegen die Corona-Politik am gesamten Wochenende in Berlin einen "hervorragenden" Job gemacht. "Der Bundestag war nie ohne Schutz und die Situation war ganz schnell beseitigt. Aber natürlich muss man das einsatztaktisch auswerten."

Demonstranten hatten am Samstagabend zunächst Absperrgitter am Reichstagsgebäude überwunden.
Sie stürmten anschließend die Treppe hoch. Dabei waren die auch von den sogenannten Reichsbürgern verwendeten schwarz-weiß-roten Reichsflaggen zu sehen, aber auch andere Fahnen. An der Aktion waren nach Polizeiangaben etwa 300 bis 400 Menschen beteiligt. Anfangs standen nur drei Polizisten direkt am Westeingang des Reichstagsgebäudes der Menge gegenüber. Nach wenigen Minuten kam Verstärkung und die Polizei drängte die Menschen auch mit Hilfe von Pfefferspray zurück.

Müller und Geisel fühlen sich im Nachhinein bestätigt

Die Berliner Polizei hatte die Berliner Corona-Demonstration zunächst verboten, Gerichte hatten das Verbot aber gekippt. Müller verteidigte das Vorgehen der Politik. "Wir können nicht sorglos alles zulassen", betonte er. Es sei ja das Wesen dieser Demonstrationen, bewusst gegen Auflagen zu verstoßen. Die Politik müsse nicht nur das Demonstrationsrecht garantieren, sondern auch den Gesundheitsschutz durchsetzen.

Auch Innensenator Geisel verteidigte in der Abendschau das Vorgehen der Versammlungsbehörde. Im Nachhinein zeige sich, dass Berlins zuständige Behörden die Sicherheitslage richtig eingeschätzt hätten, so Geisel. Etlichen Demonstranten sei es allein darum gegangen, Gesetze zu brechen und den Infektionsschutz nicht zu befolgen. Darauf habe die Verbotsverfügung der Polizei abgezielt, die dann von Gerichten gekippt wurde.

Roth will keine Abschottung des Bundestags

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) hat sich dagegen ausgesprochen, den Bundestag mit Zäunen zu sichern. Roth sagte am Dienstag im Inforadio des rbb, das Parlament müsse ein offenes Haus bleiben und dürfe nicht wie eine Zitadelle geschützt werden.

Überlegungen für bauliche Veränderungen wie Sperren oder Wassergräben oder eine Ausweitung der Bannmeilen-Regelung lehnte Roth ab. Diesen Gefallen sollte man den Rechtsextremen und Demokratiefeinden nicht tun. Es müsse aber das Polizeikonzept überdacht werden, um Situationen wie am Wochenende zu verhindern. Roth warnte davor, die Demonstranten zu verharmlosen. Sie kritisierte Bundesinnenminister Seehofer, der von "Chaoten" und einem "bunten Haufen" gesprochen hatte.

"Corona-Protestbewegung hat ihre Unschuld verloren"

Grundsätzlich nehmen die Warnungen vor einem wachsenden Einfluss von Rechtsextremen auf die Demonstrationen zu. "Seit den ersten Hygiene-Demonstrationen verfestigt sich der Einfluss rechtsextremer Gruppen auf die Corona-Protestbewegung", sagte der GdP-Vizevorsitzende Jörg Radek den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag). "Die Rechten sind dabei, die Bewegung komplett zu kapern."

Seit dem vergangenen Wochenende habe die Corona-Protestbewegung ihre Unschuld endgültig verloren. "Jetzt kann niemand mehr sagen, er sei nur ein Mitläufer. Jeder, der jetzt noch dabei bleibt, muss sich die Frage stellen, ob er sich mit den Rechtsextremisten gemein machen will und seine persönlichen Sorgen in der Corona-Krise mit den demokratiefeindlichen Zielen der Extremisten verbinden will", sagte der Polizeigewerkschafter.

Spahn: "Was ist da los?"

Auch der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich besorgt. "Seit Monaten werden in der Corona-Debatte Verschwörungsmythen mit antisemitischer Grundtendenz bewusst geschürt", sagte Schuster der Bild-Zeitung. Dafür machte er unter anderem "sehr rechte und rechtsextreme Gruppen" verantwortlich, die sich unter die Demonstranten gemischt hätten.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte im ZDF-"heute journal", er erlebe sowohl berechtigte Fragen und die Bereitschaft zum Zuhören, aber auch Hass und Verschwörungstheorien. "Was mich echt beschäftigt, ist, dass die Regenbogenflagge, die Flagge von Freiheit, Recht, Emanzipation der Schwulenbewegung, auf der gleichen Demo wie die Reichsflagge ist und die Nazi-Symbole - da fragt man sich schon, was ist da los?" Spahn mahnte zugleich, die Bilder aus Berlin dürfe man "nicht als Gesamtstimmung im Land nehmen".

Sendung: Inforadio, 01.09.2020, 6:40 Uhr

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44 Kommentare

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  1. 44.

    So human und menschenfreundlich es ist, jedem einzelnen Menschen eine Wandlungsfähigkeit unterstellt, dass er sein bisheriges Verhalten somit auch ändern kann, so abstrus wird dies in der Tat innerhalb von Menschenansammlungen, die sich in der Nicht-Verhaltensänderung auch noch bestätigen.

    Juristen bekommen das mit ihrem Instrumentarium nicht in den Griff. Es ist sozusagen eine Quadratur des Kreises. Können Juristen die Schranke des Rechts überschreiten, in dem sie sich Ermessen zubilligen, ohne dabei nicht angreifbar zu sein gleichfalls von Juristen, die in dieser Ermessensentscheidung blanke Willkür sehen?

  2. 43.

    Die Menschen sind für vernünftige Argumentation nicht mehr zugänglich. Schockierende Bilder. Ausschreitungen in Berlin am Wochenende, ist beängstigen. Demonstrationen ca. 38000 Menschen Corona ohne Abstand, dicht an dicht man trat sich in den Hacken. Schon ein Infizierter kann durch aus ein großes infektionsgeschehen auslösen. Risiko ist nicht gering. Wie sieht es in 2 Wochen aus. Mal sehen wie viel Menschen sich infiziert haben. Wieviel Infizierte sausen durch die Gegend. Wir fahren zur Arbeit Bahn, Bus und fragen uns, war diese Person unter den Demonstranten. Bei wem hat er übernachtet. Hat er oder sie sich angesteckt. In ÖPNV stehen die Fahrgäste dicht nebeneinander. Risiko
    Wie der Herbst wird, weiß noch kein Mensch.

    https://www1.wdr.de/daserste/hartaberfair/

    Wenn Corona vorbei ist, werden wir uns wieder in den Armen liegen und werden sagen, was waren das für verrückte 10 Jahre.





  3. 42.

    "Der Innensenator hat alles richtig gemacht, vielmehr müssen sich die Richter der Verwaltungsgerichte fragen wie weit entfernt der Realität und in welche Hemisphäre sie schweben die Vorkommnisse nicht vorauszusehen."

    Exakt!

  4. 41.

    Um Redundanz zu vermeiden, verweise ich auf meine Antwort auf Herrn Kretschmars Kommentar.

  5. 40.

    Nö, keineswegs absurd. Weder Greenpeace noch die Kernkraftgegner ziehen/zogen in Betracht, unser demokratisches System zu stürzen - die Gestalten mit den Reichsflaggen, die bekanntlich ein Ersatz für die verbotenen Hakenkreuzfahnen sind, jedoch schon. Insofern ist die damit verbundene Symbolik wesentlich verheerender!

  6. 39.

    Warum muss der Bundestag abgeschottet sein er gehört dem deutschen Bürger mir kommt es vor wie im Mittelalter wo sich die Obrigkeit (Adel und Klerus ) hinter gewaltigen Mauern und Gebäuden verschanzt haben um ihre Macht zu demonstrieren

  7. 38.

    Diese Meinung dieses Herrn kenne ich auch, teile die aber nur teilweise. Natürlich gibt es zum Teil auch Antisemitismus, der bekämpft werden muss. Es erstaunt mich aber doch manchmal, welche Verdrehungen da noch formuliert werden, um damit
    angeblichen Antisemitismus zu beweisen. Zumal hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Kritik an Israel ist in Ordnung, werden jüdische Einzelpersonen kritisiert, wird das oft als Antisemitismus definiert. Ein Herr Soros wird aber nicht kritisiert, weil er Jude ist, sondern weil er nicht demokratisch legitimierte Strukturen finanziert. Solche nicht vom Wähler mehrheitlich gewählten NGO sind als private Initiativen durchaus wichtig, aber demokratisch eben manchmal problematisch, wenn sie durch Finanzierung mehr Macht erhalten. Diese Kritik muss erlaubt sein.

  8. 37.

    Entschuldigen Sie bitte, nach Ihren neuerlichen Einlassungen hätte ich es natürlich nicht als Frage formulieren dürfen. Was die Mitkommentatorin unter "rechts" versteht, ist jedem klar, der ein bisschen Logik anwendet und Mathematikkenntnisse oberhalb des Levels einer ersten Schulklasse benutzt. Daher kann Ihre Nachfrage nur Trollerei gewesen sein. Danke für diese Klarstellung.

  9. 36.

    Auch wenn ich ihn nicht unbedingt zu den Sympathieträgern im Senat zähle.: Der Innensenator hat alles richtig gemacht, vielmehr müssen sich die Richter der Verwaltungsgerichte fragen wie weit entfernt der Realität und in welche Hemisphäre sie schweben die Vorkommnisse nicht vorauszusehen. Ob hier durch das kippen des Demoverbots schon Beihilfe zur Straftat liegt mag jeder selbst entscheiden. Der Rechtsstaat schafft sich ab, wenn das Recht von Richtern verteidigt werden soll die jeden Blick zur Realität verloren haben. Hier kann kein Senator etwas für kein Polizist, im Gegenteil der Polizei steht Respekt zu alles zu tun, auch wenn Richter versuchen mit allen Mitteln den Rechtsstaat zu besiegen.

  10. 35.

    Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, appellierte an die Bürger, dass sie "wissen müssen, mit wem sie mitlaufen oder wer mit ihnen mitläuft". Den Menschen müsse klar sein, "dass sie die Argumente von Antisemiten indirekt unterstützen, wenn sie sich an solchen Demonstrationen beteiligen", warnte Schuster in der "Bild"-Zeitung.

    Schon seit Monaten würden in der Corona-Debatte "Verschwörungsmythen mit antisemitischer Grundtendenz bewusst geschürt". Zwar seien nicht alle, die in Berlin demonstriert hätten, Rassisten oder Antisemiten: "Aber sie machen sich mit diesen gemein", so der Zentralratspräsident.

  11. 34.

    Geisel: "Der Bundestag war nie ohne Schutz"

    Geisel lügt! Die Rechtsextremen sitzen längst im Bundestag und unterstützen den rechten Pöbel vor dem Bundestag. Das sind nämlich deren Wähler.

  12. 33.

    Entspannen Sie sich. Und heben Sie sich Fragen dieser Art für Ihr privates Umfeld auf. Und es freut mich, dass Sie für die angesproche Person geantwortet haben, aber meine Frage war, was diese Person unter Rechts versteht, nicht was ihre Interpretation des Begriffes in Bezug auf die politische Landschaft der Altbundesrepublik ist.

  13. 32.

    Die hier kommentieren, sind NICHT diejenigen, die die Beamten abgezogen haben. Und "angewidert" wird mit einfach "i" geschrieben. Das war auch schon zu Omas Zeiten so.

  14. 31.

    Welche Melodramatik! Ich bezweifle doch stark, dass "die Welt" ein bisschen Fahnenschwenken, dessen Symbolik außerhalb Deutschlands den meisten überhaupt erst erklärt werden muss, mit mehr als einem Achselzucken zur Kenntnis nimmt. In amerikanischen Städten z.B. scheinen sie gerade im Rahmen des Vorwahl"kampf"s Probleme ganz anderer Dimension zu haben. Sie nehmen Berlin im Positiven (welches "Ansehen"?) wie im Negativen viel zu wichtig.

  15. 30.

    Stellen Sie sich absichtlich so doof? Das gesamte konservative und liberale Spektrum ist politisch den rechten Positionen zuzuordnen, ohne dass dies extremistisch wäre. Links ist auch nicht nur Linksextremismus. Auch Positionen jenseits der Mitte sind legitim.

  16. 29.

    Weil ich die selben Maßstäbe wie bei jeder anderen Demo auch anwende. Der Zweck der Demo war mit rechtsextremen Positionen überhaupt nicht vereinbar und deren vereinzeltes Mitlaufen damit weder gewünscht noch gefordert. Es lässt sich aber nicht vermeiden, wenn Extreme für ihre perfiden Ziele solche Veranstaltungen missbrauchen. So lange von denen keine Gewalt ausgeht, ist da auch keiner für (mit)verantwortlich zu machen. Bei Demos der linken Szene ist es doch nicht anders. Wieso legen Sie da krampfhaft zweierlei Maß an? Der Großteil der Rechtsradikalen und -extremen hat außerdem eigene Proteste organisiert, die nur zeitlich mit den Corona-Protesten zusammen fallen. Wollen Sie wider besseren Wissens etwas anderes behaupten?
    Und ja, über den Sinn von Einschränkungen darf und muss diskutiert werden, sogar über Masken, die ich persönlich befürworte. Genau so über Großveranstaltungen, Reisen etc. pp.

  17. 28.

    Seit wann hat denn Berlin hohes Ansehen. In Deutschland ganz bestimmt nicht und unter den geborenen und alteingesessenen auch nicht. In Berlin wohnt mitlerweile größtenteils zugezogene. Einzig und allein hat der RRG Berliner Senat schuld an den Ansehensverlust der Stadt.

  18. 27.

    Die Hälfte der Bevölkerung der Altbundesrepublik war rechts? Welches Rechts meinen sie denn? Das von Strauß? Der hätte die heutige Rechte nicht mal mit der Kneifzange angefasst. Dieses krude Völkchen hat sein Dasein in der bedeutungslosen NPD gefristet. Kann es sein, dass ihre politischen Wahrnehmungen nicht in der von ihnen angesprochen Zeit entstanden sind?

  19. 26.

    Schon klar! Aber warum wird das dann so vehement in Zusammenhang mit der davon völlig losgelösten Demo am großen Stern gebracht? Beide Ereignisse lehne ich ab, trotzdem hatten die nichts miteinander zu tun. Aber die aufgeplusterte Reichstagsgeschichte lenkt halt wunderbar von der großen Demo ab, auf der beileibe nicht nur krude Verschwörungstheorien verbreitet wurden, es gab durchaus diskutable Meinungen. Wenn über diese in einer Demokratie aber gar nicht mehr diskutiert wird, egal welches Ergebnis am Ende dabei herauskommt (ich bin für's Maske tragen), dann scheitert diese Demokratie langfristig, weil sie als zunehmend diktatorisch wahrgenommen wird. Das derzeitige, für mich unprofessionelle Vorgehen der Politik, aber auch von Teilen der Presse, bestärkt doch die geäußerten Befürchtungen der Demonstranten erst noch so richtig. Das halte ich für falsch!

  20. 25.

    Und da wundern sich die südlichen Bundesländern über höhere Infektionszahlen.

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