Senat legt Einspruch ein - Verwaltungsgericht kippt Berliner Sperrstunde für elf Gastwirte

Fr 16.10.20 | 15:38 Uhr
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Die Gäste trinken in einer Bar (Quelle: dpa/Ramon van Flymen)
Video: rbb|24 | 16.10.2020 | Material: rbb|24, Abendschau | Bild: dpa/Ramon van Flymen

Elf Berliner Gastronomen dürfen ihre Lokale wieder so lange öffnen, wie sie wollen: Das Verwaltungsgericht hat ihrem Eilantrag gegen die Sperrstunde stattgegeben. Der Senat wird Einspruch einlegen. Das Alkoholverbot nach 23 Uhr gilt vorerst weiter.

Nach nur einer Woche ist die Sperrstunde in Berlin womöglich wieder Geschichte. Das Verwaltungsgericht der Hauptstadt erklärte am Freitag, die Sperrstunde halte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Elf Gastronomen hatten sich dagegen gewandt und bekamen Recht. Sie dürfen nach dem Beschluss nun auch nach 23 Uhr öffnen, jedoch weiterhin ab diesem Zeitpunkt keinen Alkohol mehr ausschenken, wie ein Gerichtssprecher am Freitag sagte. Ob dies eingehalten wird, müssen nun die Behörden kontrollieren.

Dieses Urteil gelte zunächst nur für die elf Gaststätten. Diese dürfen von nun an schließen, wann sie wollen, sagte deren Anwalt Niko Härting am Freitag bei Radioeins. Nach rbb-Informationen rechnet der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga damit, dass die Sperrstunde de facto für alle Gastronomiebetriebe vom Tisch sei. Es gebe auch Zweifel daran, dass das bestehende Alkoholverbot in Berlin weiter durchgesetzt werden könne, sollte die Sperrstunde endgültig fallen.

Der Senat kündigte am Nachmittag an, die nächste Instanz anzurufen. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) kündigte im rbb an: "Der Berliner Senat wird juristisch gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vorgehen. Wir wissen alle, dass die Lage ernst ist. Die Infektionszahlen gehen dynamisch nach oben, bundesweit, auch in Berlin. Wir müssen handeln. Nicht umsonst hat die Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und -chefs beschlossen, Maßnahmen einzuleiten. Und unter diesem Maßnahmenbündel war das Thema Sperrstunde auch eine der wichtigsten Maßnahmen."

Gerichtsbeschluss: Keine Gefahr alkoholbedingter "Enthemmung" nach 23 Uhr

In seiner Urteilsbegründung war das Verwaltungsgericht der Argumentation der Gastronomen gefolgt. Es sei nicht ersichtlich, dass die Sperrstunde für eine nennenswerte Bekämpfung des Infektionsgeschehens erforderlich sei, begründete das Berliner Gericht seinen Beschluss. Es bezog sich auf das Robert-Koch-Institut. Beobachtet worden seien demnach Fallhäufungen bei Feiern im Familien- und Freundeskreis, in Einrichtungen wie etwa Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern und in Verbindung mit religiösen Veranstaltungen sowie Reisen.

"Auch die Gefahr einer alkoholbedingten "Enthemmung" nach 23 Uhr bestehe nicht", zitiert eine Gerichtsmitteilung den Beschluss. Gastwirten könne nicht pauschal unterstellt werden, dass sie die Vorgaben nicht einhielten. "Allein die bessere Kontrollmöglichkeit einer Sperrstunde könne daher hier nicht zur Rechtfertigung der Maßnahme herangezogen werden."

Weil das Infektionsumfeld Gaststätte eine untergeordnete Bedeutung habe, sei die Sperrstunde zudem ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit. Gegen den Beschluss ist eine Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg möglich.

Kalayci: "Alkoholverbot bleibt bestehen"

Gesundheitssenatorin Kalayci sagte direkt nach der Urteilsverkündung: "Mit dem Urteil bleibt das Alkoholverbot bestehen, das ist eine wichtige Botschaft."

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) appellierte am Freitag an die Verantwortung der Gastwirte in der Corona-Krise. Sie forderte die Wirte auf, "weiterhin verantwortungsvoll zu sein und die vorgelegten Hygienekonzepte sehr genau zu beachten".

Die Berliner FDP-Fraktion hatte den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) aufgefordert, eine Regierungserklärung über die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie abzugeben. FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja sagte, die Corona-Pandemie sei eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Menschen in Berlin. "Um ihre Ausbreitung einzudämmen, brauchen wir entschiedene Maßnahmen und deren Durchsetzung", so Czaja.

CDU-Fraktionschef Burkard Dregger forderte, der Senat solle generell mehr Kraft in die Kontrolle bestehender Schutzmaßnahmen investieren als immer neue Vorschriften zu erlassen, die sich schwer überwachen ließen. "Wir dürfen nicht diejenigen zu Leidtragenden machen, die sich an die Regeln halten."

Bar- und Clubbesitzer kritisierten Sperrstunde als unverhältnismäßig

Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinhard Naumann (SPD), kritisiert, dass die Sperrstunde in Berlin gekippt wurde. In allen Innenstadtbezirken seien die Bars zuletzt bis weit in die Nacht voll gewesen, sagte Naumann am Freitag dem rbb. Daher finde er den Beschluss des Verwaltungsgerichts lebensfremd. Naumann betonte im Inforadio des rbb, die Entscheidung sei noch nicht rechtskräftig. Er gehe davon aus, dass der Senat am Oberverwaltungsgericht in Berufung gehen werde.

Nach Angaben von Rechtsanwalt Härting hatten die Bar- und Clubbesitzer in ihren Anträgen die Sperrstunde als unverhältnismäßig kritisiert. Aus ihrer Sicht gab es keine überzeugende Begründung dafür. Die Sperrstunde führe dazu, dass sich junge Menschen dann an anderen Orten träfen, für die keine Hygienekonzepte gelten.

Sperrstunde auch von Bund und Ländern vereinbart

Gegen die Sperrstunde geklagt hatten unter anderen "Das Klo" aus Charlottenburg, die "BettyF"-und die "Aseven"-Bar aus Mitte sowie die "Bar am Ufer" aus Neukölln. Der Senat hatte vor etwa einer Woche vor dem Hintergrund der gestiegenen Corona-Infektionszahlen beschlossen, dass Restaurants, Bars, Kneipen und die meisten Geschäfte zur Eindämmung der Corona-Pandemie zwischen 23 und 6 Uhr geschlossen sein müssen.

Bevor das Verwaltungsgericht die Sperrstunde nun gekippt hat, hatten sich Bund und Länder Berlin vor wenigen Tagen noch zum Vorbild genommen: Sie vereinbarten am Mittwoch, dass es in Corona-Hotspots künftig generell eine Sperrstunde um 23 Uhr in der Gastronomie geben solle. Dies soll ab 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche gelten. In Berlin gilt diese Regelung seit dem 10. Oktober.

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177 Kommentare

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  1. 177.

    Richtig, nämlich spätestens dann, wenn die Intensivbetten überbelegt sind und sich die Ärzte mit dem moralischen Dilemma der Triage konfrontiert sehen. Da helfen dann auch keine noch so spitzfindigen Zahlenspielereien mehr. Doch dann wird das Geschrei groß sein unter denen, die in ihrer Hybris das Virus bisher verharmlost haben.

  2. 176.

    ... Es ist sehr anstrengend, Angst davor zu haben, mich anzustecken.
    Ich hoffe wirklich, dass Corona verschwindet.

  3. 175.

    @Andi: ab welcher Sterberate sollte man Ihrer Meinung handeln?

  4. 174.

    Ja,ich weiß. Das sagt aber auch viel über die bisherige Dunkelziffer,denn gäbe es diese Infizierten nicht,hätten sie auch keinen positiven Test. Viele Infizierte sind symptomlos und nicht alle sind infektiös. Zieht man auch noch die falschen Ergenisse ab,gibt es aber eben immer mehr Fälle,die das Virus weitergeben( können) und manche Leute verhielten und verhalten sich nach jeder Lockerung,als sei Corona vorbei. Im Frühjahr hatten wir die warme Jahreszeit vor uns und hielten uns mehr draußen auf. Jetzt in der kalten Jahreszeit gefährden uns im Innenbereich die Aerosole weit mehr weil wir uns vornehmlich in Räumen aufhalten. Das ist Tatsache und keine Panikmache und soll nur erklären,warum wir jetzt noch mehr aufpassen müssen.

  5. 173.

    Man kann sich auch alles schönreden. Statistiken hoch und runterschieben und Erklärungen finden für dies und jenes.
    Manches Mal komme ich mir vor, als diskutieren rund um Corona jede Menge Pubertierchen. Die finden auch für alles Ausreden und Erklärungen, dafür, dass dies oder jenes nicht geht oder sie dies oder jenes nicht können. Wenn`s nach meiner Tochter (15) ginge, könnte die nie den Müll runterbringen.

    Wie in der Pubertät können Sie sich aber sicher sein, dass das bald vorbei sein wird.
    Die reine "Erlebniswelt Corona" wird uns bald eines Besseren belehren. Dann hilft auch kein Infragestellen von Statistiken mehr.

  6. 172.

    Na herzlichen Glückwunsch zu Ihrem hohen Reflexionsgrad. Dann setzen Sie sich die ganze Nacht in die Kneipe und die doofen Anderen schicken wir 23.00 Uhr nach Hause.
    Bedenken Sie aber, dass Sie mit Ihrer Logik auch 100 kmh mit dem Auto nachts durch die Stadt fahren können, so lange Sie sich sicher sind, niemanden zu gefährden. Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 oder 50 kmh wäre demnach auch eine starke Pauschalisierung und Freiheitsbeschränkung. Immerhin gibt es Fahrer mit viel und solche mit wenig Talant, Komplexe Situationen zu überblicken.
    Komischerweise hat dagegen noch niemand geklagt.

  7. 171.

    stimme ihnen voll zu! Wenn sich alle an ein paar Spielregeln halten würden bräuchte es das alles nicht. Leider ist dem nicht so, und das ist ein Fakt. Einmal mehr wird ein Versuch (ja, mehr ist es nicht)schlimmeres zu verhindern von Egoisten ausgebremst. Niemand weiß was richtig oder falsch ist, aber viele safteln hier als hätten sie die Lösung. Vielleicht wäre es an der Zeit einfach mal den Ball flach zu halten ...

  8. 170.

    Somit kann auch die Sperrstunde fast komplett geknickt werden.
    "Letztens" in Irland - kurz vor 23.00 Uhr ertönt ein Glöckchen - oft wird auch "Last Order" gerufen. Was bestellt ist, darf noch getrunken werden - oft bis weit nach der Sperrstunde. Ok - an der Türe wird zu 23.00 Uhr dann das Schildchen umgedreht - "Closed". Dazu dann handgemachte irische Folkmusik. Ich muss mal wieder hin.

  9. 169.

    Ja ja, blenden Sie ruhig weiterhin die Realität aus: Alle Menschen sind intelligent und vernünftig und haben stets einen Blick auf ihre Mitmenschen. Und Prost!

  10. 168.

    Oh, ein vernünftiger, gemäßigter Kommentar, dass ich sowas hier noch lesen darf. Danke dafür, Andi! Ich befürchte für einige hier ist das mittlerweile zum Hobby geworden, sich höchstgradig übertrieben über ihre Mitmenschen zu echauffieren. Muss ja Spaß machen, so eine Hysterie und Wut zu schüren...
    Abgesehen vom "Ballungsraum" hier im rbb-Forum, sieht es in der realen Lebenswelt zum Glück anders aus - da ist mir noch niemand mit solch absurden Forderungen, wie man sie hier oftmals lesen kann, untergekommen.

  11. 167.

    Sie machen - wie viele andere auch - den Anfängerfehler, sich nur die Sterberate anzusehen. Doch was ist mit Langzeitschäden? Sind die völlig bedeutungslos? Ist ja schön und gut, wenn ich die Seuche überlebe, bringt mir nur nicht viel, wenn ich infolgedessen nur noch eine funktionierende Niere habe, neurologische Schäden davontrage und mein Herz kaum noch belastet werden darf. Das macht das Leben nicht gerade lebenswerter. Denken Sie mal darüber nach!

  12. 166.

    Denken Sie an Ihre Feststelltaste - die würde das Lesen angenehmer machen. So ist es eine reine Zumutung! Denken Sie an den von mir vorgeschlagenen VHS-Kurs. Ist lieb gemeint! :-)

    Aber zum Thema: "debile[r] denkfehler", "hysterikern" - Das ist das Vokabular von rücksichts- und verantwortungslosen Corona-Verharmlosern und Hedonisten! Sie wollen die Wahrheit nicht anerkennen und pfeifen auf Ihre Mitmenschen, eben typisch verrohte, emotionslose Jugend!

  13. 165.

    Eine Frechheit ...
    Diese unverantwortlichen Richter sollte man mit todkranken Corona-Patienten ohne Mundschutz eine Woche lang zusammen einschließen.
    Was geht bloß in diesen Köpfen vor? Erschreckend!
    Die Sperrstunde von 23-6 Uhr ist mehr als richtig und lebensnotwendig.
    Deutschlands beliebteste Droge Alkohol kann auch zu Hause verzehrt werden!

  14. 164.

    Ich find es total witzig das viele Foristen hier sich besser mit den Gesetzen auskennen als die Juristen die jahrelang Gesetze studiert haben.

  15. 163.

    Ich denke, umgekehrt wird ein Schuh draus. Realitätsfern und lebensfremd ist die Erwartung, dass die Sperrstunde irgendwas eindämmt. Das englische Beispiel (bis 2005) hat gezeigt, dass eine Sperrstunde nur zu Kampftrinken vor 23 Uhr führt, und dazu, dass vor Mitternacht große Mengen heftig Betrunkener durch die Straßen wanken.

    Außerdem wird das gemeinsame Trinken dadurch in Privaträume verlagert, wo es im Gegensatz zu Kneipen und Bars keine Hygienekonzepte gibt.

    Das Gericht hat m.E. also nicht nur im Sinne der Freiheitsrechte geurteilt, sondern auch im Sinne einer maßvollen und ausgewogenen Infektionsbekämpfung. Freilich müsste auch das Alkoholausschankverbot noch fallen.

  16. 162.

    Was am erschreckendsten ist, fast noch erschreckender als Corona, ist die Überheblichkeit der Ignoranten, die in ihrer geistigen Einfältigkeit gefangen sind und denken, sie seien unheimlich clever. Bitte melden Sie Ihren Internetanschluss ab und hören auf, Stuss in Kommentarspalten zu schreiben.

  17. 161.

    Sie wünschen sich also, dass Gerichte nach Ihren persöhnlichen Maßstäben entscheiden und wenn die aktuellen Gesetze das nicht hergeben, sich selbst neue schreiben?
    Mit Verlaub, aber genau das ist in meinen Augen eine mindestens merkwürdige Weltsicht, die so nicht funktionieren kann.

    Beste Grüße

  18. 160.

    Zum Glück wohne ich in Brandenburg... und bitte ihr Berliner bleibt in eurer Stadt wenn ihr nicht unbedingt hier her müsst.
    Geht in eure Geschäfte und Supermärkte ohne Maske einkaufen!!
    Und danach schön in den Späti.

  19. 159.

    Ich wäre dafür, den motorisierten Verkehr komplett zu verbieten, da sich viele nicht an Regeln halten und es viele Tote und Verletzte gibt.... Satire aus.
    Leute, kommt runter von eurer Hysterie.
    Maßgebend für irgendwelche Einschränkungen sollte die Sterberate sein, so die alte Pandemiedefinition der WHO. Warum diese Definition geändert wurde? Bitte selbst beantworten oder recherchieren, statt immer gleich auf die bösen undisziplinierten Mitmenschen loszugehen.

  20. 158.

    Es sollte 400 Leute heißen, sorry.

    Obwohl.... Wenn die 4 Personen aus drei Haushalten stammen.... Ist es ja auch schon wieder falsch oder?

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