Engpässe auf Intensivstationen - Charité verschiebt wegen Corona erneut Eingriffe

Fr 09.10.20 | 17:12 Uhr
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08.10.2020, Berlin: Ein Arzthelfer informiert Patienten in einer langen Schlange vor einer Arztpraxis im Bezirk Neukölln über den Corona-Test (Quelle: dpa/Kay Nietfeld)
Audio: rbb | 09.10.2020 | Statement Charité-Vorstand Ulrich Frei | Bild: dpa/Kay Nietfeld

Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Berlin sind in den vergangenen Tagen stark angestiegen. Experten erwarten, dass wieder mehr Covid-Patienten in Kliniken behandelt werden müssen. Gemeinsam mit Berlins Regierendem warnen sie am Freitag vor Engpässen.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat am Freitag gemeinsam mit Wissenschaftlern vor Engpässen bei der Betreuung von Corona-Patienten gewarnt. Müller schloss dabei nicht aus, dass Berlin seine medizinischen Notfall-Plätze noch erweitern könnte.

Engpässe auf Intensivstationen der Charité

In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Müller sagte Charité-Vorstand Ulrich Frei: "Wir haben den Ansatz eines exponentiellen Wachstums". Mit "großer Sicherheit" werde die Zahl der Covid19-Patienten in den Kliniken mit einer zeitlichen Verzögerung steigen. Zurzeit aber seien die Intensivstationen voll, auch weil Behandlungen aus der Frühphase der Pandemie nachgezogen würden.

Es gebe zwar viele Intensivbetten, sagte Frei - es fehlten aber Pflegekräfte. "Wir haben einen absoluten Mangel an Intensivpflegekräften", sagte Frei. Die Lage werde zurzeit dadurch verschärft, dass die Zahl der Infektionen unter den oft jungen Pflegekräften stiegen - danach würden weitere als Kontaktpersonen an den Kliniken ausfallen. "Dies führt dazu, dass wir erneut (...) die planbaren Eingriffe oder Untersuchungen verschieben oder aussetzen müssen. Und wir müssen versuchen, die Intensivstationen für Covid-Patienten freizubekommen." Das sei schwierig, denn die Patienten seien ja schwer krank.

Frei zufolge sollte jetzt über Änderungen bei den Behandlungsauflagen diskutiert werden. "Und wir müssen auf eine Diskussion führen, wie wir mit den anderen Patienten, die auf ihre Operation warten, die herzkrank oder tumorkrank sind etc. - wie wir mit denen umgehen. Das ist durchaus eine schwierige ethische Frage."

Der Vorstandsvorsitzende der Berliner Charité, Heyo Kroemer, zeigte sich überzeugt, dass die Zahlen der Patienten, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, mit zeitlicher Verzögerung steige. Um die Pandemie einzudämmen sei jetzt - "bei allem Respekt für Föderalismus" - ein gemeinsames Vorgehen der Bundesländer vonnöten.

Die Vivantes-Kliniken teilten rbb|24 auf Anfrage mit, dass mit Stand Freitag 13 Covid-Patienten auf der Intensivstation lägen, 16 weitere Intensivbetten seien noch frei. Seit einem knappen Monat würden sich die steigenden Infektionszahlen auch in der stärkeren Auslastung der Intensivkapazität von Vivantes zeigen.

Drosten unterstreicht hohe Sterblichkeitsrate

Der Berliner Virologe Christian Drosten bekräftigte seine Einschätzung einer in Deutschland höheren Sterblichkeit durch das Coronavirus, wegen des vergleichsweise hohen Alters der Bevölkerung. Die Infektionssterblichkeit liege bei "einem Prozent oder etwas mehr" in Deutschland. Das wäre eine etwa 20 Mal höhere Sterblichkeit als bei der Grippe.

Noch sei Deutschland in einer besseren Situation als andere Länder, "weil wir frühzeitig auf die Bremse gegangen sind im Frühjahr", so Drosten. "Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir den Kredit, den man damals gewonnen hat, nicht verspielt."

Inzwischen gebe es aber deutlich mehr Informationen über das Virus als zu Beginn der Pandemie. Daher könnte gezielt reagiert werden. "Viele Dinge haben sich eher geschärft als geändert in wissenschaftlicher Betrachtung." Als sehr wichtig habe sich beispielsweise das Maskentragen herausgestellt. Drosten äußerte sich zuversichtlich, dass durch gezielte Aktionen ein erneuter Lockdown vermieden werden könne. Müller ergänzte, dieser werde aber natürlich "mitgedacht".

Feiern im Fokus - große und kleine

Müller rechtfertigte vor diesem Hintergrund die neuen Corona-Regeln in der Hauptstadt wie die Sperrstunde. In der jetzigen Lage seien schnelle und gezielte Einschränkungen gefordert, um hohe Infektionszahlen und dramatische Einschränkungen des soziales Lebens zu verhindern, sagte er. Die Berliner Sperrstunde sei einfach umsetzbar und gut kontrollierbar.

Die jüngsten Reisebeschränkungen in Deutschland kritisierte Müller dagegen: Die Regelungen seien unnötig kompliziert, würden enorme Personalkapazitäten binden und die Auflage, negative Testergebnisse vorzulegen, blocke wichtige Testkapazitäten.

"Ich weiß, dass wir in Berlin immer unter verschärfter Beobachtung sind", sagte Müller mit Blick auf Kritik von Bundesseite und aus anderen Bundesländern. Der Senat sei aber schon frühzeitig und auch jetzt wieder eingeschritten. Müller betonte, dass die Corona-Infektionen bundesweit ansteigen, auch in anderen Großstädten. Zu möglichen Auslösern für den Anstieg der Infektionszahlen verwies Müller auf "das Feiern in großen Gruppen - egal ob drinnen oder draußen" und kleinere Feiern in Innenräumen, bei denen nicht ausreichend auf Hygiene- und Abstandsregeln geachtet werde. Mit Feiern verbunden seien meist anhaltende, enge Kontakte.

Am Donnerstag hatte es in Berlin erstmals mehr als 50 bestätigte Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen gegeben. Die sogenannte 7-Tage-Inzidenz lag für die Millionenstadt bei 52,8. Damit wurde eine Schwelle überschritten, die mit Konsequenzen für Einwohner verbunden ist. Am Donnerstag war zudem die Zahl der Neuinfektionen so stark angestiegen. Binnen 24 Stunden kamen fast 500 Infektionen dazu - der höchste Wert in der Hauptstadt seit Beginn der Corona-Pandemie.

Treffen der Bürgermeister und Oberbürgermeister

Am Freitag berät zudem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Verantwortlichen der elf größten deutschen Städte über die Lage. An der Videokonferenz beteiligen sich nach Angaben eines Regierungssprechers neben Michael Müller als Regierendem Bürgermeister von Berlin (SPD) auch die Oberbürgermeister und Bürgermeister von Hamburg, Bremen, München, Frankfurt am Main, Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Leipzig und Stuttgart.

Die Corona-Entwicklung gerade in den Großstädten besorgt die Politik zunehmend. Auch in Frankfurt am Main und weiteren Städten wie Bremen hat die sogenannte 7-Tage-Inzidenz den kritischen 50er-Wert überschritten.

Große Städte im Fokus

Städtetagspräsident Burkhard Jung bezeichnete den rasanten Anstieg als Alarmzeichen. "Ob es gelingt, die zweite Corona-Welle zu bremsen, wird sich in den nächsten Wochen in den großen Städten entscheiden", sagte der Leipziger Oberbürgermeister der Deutschen Presse-Agentur. "Denn dort leben viele Menschen auf dichtem Raum."

In Berlin gelten ab Samstag eine nächtliche Sperrstunde und strengere Kontaktverbote für drinnen und draußen. Die meisten Geschäfte sowie alle Restaurants und Bars müssen von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr schließen. Im Freien dürfen sich von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr nur noch fünf Personen oder Menschen aus zwei Haushalten versammeln. An privaten Feiern in geschlossenen Räumen dürfen nur noch maximal 10 statt bisher 25 Personen teilnehmen. Zudem gibt es eine allgemeine Maskenpflicht in Büro- und Verwaltungsgebäuden.

85 Kommentare

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  1. 85.

    welche Wahl haben wir denn ? nur Kontaktbeschränkungen, denn je weniger Menschen sich begegnen , um so geringer ist die Infektionsgefahr . Wie lange kann das eine Volkswirtschaft aushalten ? Und selbst wenn, das Virus wird dann immer noch präsent sein und bei nächster Gelegenheit wieder zuschlagen

  2. 84.

    "Ob es gelingt, die zweite Corona-Welle zu bremsen, wird sich in den nächsten Wochen in den großen Städten entscheiden",

    wohl wahr , Dreutschland macht nichts anderes als die Nachbarländer , also ist zu erwarten, dass die Infektionszahlen auch hier weiter steigen

  3. 83.

    #Berliner, ober bei den Großhochzeiten, den Kirchgänger, den Linksradikalen Aufmärsche - wenn es rechte gegeben hätten, natürlich auch bei denen - u.s.w.

    Aber, Sie müssen nicht alles nachplappern, was Ihnen vorgesetzt wird und wenn Sie nichts wissen oder keine Ahnung haben: einfach einmal die Backen halten oder die Maske aufbehalten.
    Hochachtungsvoll Stoll Karl-Heinz

  4. 82.

    ein sehr guter und praxisnaher Kommentar weil er den Kern der Sache trifft. Der sollte auch in den Medien , auch überreginal , veröffentlich werden. Spahn tönte doch wieder kürzlich, dass Deutschland gut aufgestellt sei, ist es aber nicht Nachdem die Engpässe mit Intensivbetten u. Beatmungsgeräten zunächst teilweise behoben sind fehlen die Kräfte, die die auch bedienen können , also Fachkräfte.

  5. 81.

    Nur gelesen (bis zum Ende?) oder auch verstanden? Dieser Artikel widerspricht ihrer Meinung.

  6. 80.

    Das nennt sich Präventionsparadox. Die Zahlen welche sie nennen sind ein Zeichen das die Vorbeugung - also die Schutzmaßnahmen - gut waren, nicht das sie umsonst waren. Das ist der Sinn der Prävention ;)

  7. 79.

    Super, vielen Dank! Sie sprechen mir und vielen anderen aus der Seele. Bleiben Sie gesund!

  8. 78.

    "Eve: Ein Hinweis für alle sachlichen Leute, Werte liegen weit unter 0,0%. "

    Und für alle logischen Leute: alles unter 0,0% wäre negativ. Ich verstehe zwar was Sie sagen wollten (Kleiner als 0,1%.)Ihr Satz zeigt aber, dass sie für mathematische und damit wissenschaftliche Aussagen überhaupt kein Verstehen haben. Lassen sie die Verurteilung der Wissenschaftler und Politiker besser, wenn sie die Aussagen nicht verstehen!

  9. 77.

    Glücklicherweise gibt es neben den Experten auch noch Dilettanten und Amateure, die in Kommentarspalten Aufklärung betreiben.

  10. 76.

    Alle Achtung, viel Text. Aber ich vermisse trotzdem den Nachweis der Verfassungsmäßigkeit.

  11. 75.

    Ja, da sind wir uns doch vollkommen einig.
    Ich plädiere absolut für wissenschaftlichen Diskurs! Der findet meiner Beobachtung - ich verfolge diese ganze Thematik seit Beginn sehr aufmerksam (mehr, als mir am Ende wohl gut tut) und kritisch allen Seiten gegenüber - nicht oder zumindest stark eingegrenzt statt. Ich bin kein Mediziner, kein Fachmann in diesem Gebiet, das würde ich niemals behaupten und habe ich auch nie behauptet.
    Doch dass bislang nahezu alles, was mit mahnenden Worten um Verhältnismäßigkeit bittet, als gefährliche Verharmlosung und Leugnung dargestellt wurde, eben das lässt sich nicht leugnen! Das passiert sowohl wissenschaftlich als auch politisch, zweites insbesondere. Darum geht es doch. Und diese nun wirklich schräge Maßnahmenparade nimmt der Sache allerhand Glaubwürdigkeit.
    Noch einmal: ich halte Wissenschaft überhaupt nicht für Hokuspokus, im Gegenteil. Aber was da aktuell einseitig zusammengestaucht wird, ist sehr haarsträubend.

  12. 74.

    Tja, nur dass das bislang die Juristen nicht gekratzt hat. Erst jetzt, wo es durch die Dummheit, Arroganz und Dämlichkeit der Leute in vollem Umfang eingesetzt werden muss gibt es Geschrei!
    Ich finde einiges auch ansehenswert - Gott sei Dank leben wir aber (noch?) in einer Demokratie und können uns darauf verlassen dass es nur in Ausnahmefällen angewendet werden muss.

    Ich wette darauf, dass diejenigen, die hier am lautesten Grundrecht usw. schreien die wären, die der Politik völliges Versagen attestierten wenn wir - durch ein fehlendes Infektionsgesetz - Zahlen wie in US oder GB hätten. Übrigens fanden die meisten "Schreihälse" in den gängigen Foren es richtig, wie Wuhan abgesperrt wurde - für sich kann man noch nicht mal die Variante ultraleicht akzeptieren. Wir hatten wirklich noch keinen richtigen Shutdown. Übrigens Grundrechte kann ich nur als lebende Person in Anspruch nehmen.

  13. 73.

    Hygieneregeln einhalten, Abstand wahren, Maske tragen – mit diesen Maßnahmen versuchen wir das Coronavirus einzudämmen. Das große Ziel ist es, die Infektionskurve abzuflachen. Denn das "exponentielle Wachstum", also die Vervielfachung der Infektionsfälle in kurzer Zeit, ist die große Herausforderung dieser Pandemie. Bei Infektionskrankheiten ist mit einem exponentiellen Wachstum zu rechnen. Das bedeutet: ein dramatischer und rasant wachsender Anstieg infizierter Personen über eine immer kürzere Zeitspanne.

  14. 72.

    Hi Skeptiker, Sie müssen mich nicht anhusten! Allein dass Sie fröhlich ohne Maske bzw. mit Nasenrüssel raushängend mich "anatmen" reicht aus um mich zu infizieren wen ich Pech habe. Vermutlich haben Sie schon Symptome gehabt - aber so leicht, dass Ihnen Ihr Geschmacksverlust o.ä. nicht auffiel.
    Was ist so schwer daran mal EIN bzw. Zwei Jahre ein bischen Abstand zu halten, auf persönliche Hygiene zu achten und wenn es eng wird Maske zu tragen um ANDERE! (z. B. Ihre Lebenspartnerin) zu schützen, aber auch unser Wirtschafts- und Gesundheitssystem? Ich trage Maske auch bei Panikattacken und da bekommt man wirklich nicht so gut Luft.
    Ja, nicht jeder wird schwer krank/stirbt aber wissen Sie das vorher, dass es bei Ihnen so ist? Dass Sie nicht in ein paar an der Dialyse hängen und eine neue Niere brauchen? Ist dann Herr Müller auch schuld, dass Sie nicht auf ihn gehört haben?
    Man diese Ignoranz! Ich möchte jedenfalls kein Kind oder auch älteren Menschen auf dem Gewissen haben.

  15. 71.

    Wissenschaft hat nichts mit Hokuspokus bzw. Zauberei zu tun, sondern mit Wissen, Bildung, Logik und - wenn entsprechende Erfahrungswerte fehlen - mit Hypothesen. Auch das wollen die Leugner und Verharmloser nicht wahrhaben.

  16. 70.

    In der Fachwelt scheint inzwischen der Streik darum zu gehen, ob die Strategie des Testens und Nachverfolgens um jeden Preis überhaupt sinnvoll und zielführend ist, offenbar erscheint manchem Wissenschaftler eine Negativ-Quote von 98-99% aller Tests eine gigantische Resourcen- Geld- und Arbeitsszeitverschwendung, während die Kapazitäten woanders, z.B. in medizinischen Einrichtungen, Alters- und Pflegeheimen oder Kindergärten viel dringender gebraucht würden.

  17. 69.

    Ja, Frank.
    Danken wir den Masken. Zwar kamen diese reichlich spät und können von selbstgebastelt bis teuer gekauft alles mögliche sein, aber...danke für diese Maßnahme.
    Nun ja, wenigstens hinterfragen zunehmend auch sogenannte Leitmedien die Zählerei und sonstigen Hokuspokus darum.

  18. 68.

    Oh, das hab ich. Reden wir hier aneinander vorbei? Schade wär's.

  19. 66.

    "Wurde schon mal drüber gesprochen in den Medien - glaube ich."

    Achtung, Ironie:

    Mensch, Käthe, aber nur in den ferngesteuerten Leitmedien der DDR 2.0! Dann lieber dem Wendler glauben. DER Mann hat Ahnung, endlich sagt's mal einer!!11!!1!1 #the_wendler_for_bundeskanzler #the_wendler_knows_best #in_love_with_the_wendler

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