Kommentar | Sondersitzung zu Corona-Maßnahmen - Das Virus ist im Abgeordnetenhaus angekommen

So 01.11.20 | 15:18 Uhr | Von Jan Menzel
  22
01.11.2020, Berlin: Sondersitzung im Abgeordnetenhaus Berlin (Quelle: dpa/Fabian Sommer)
Bild: dpa

Der Senat operiere in Corona-Zeiten am Parlament vorbei, und das obwohl Grundrechte eingeschränkt werden, kritisiert die Opposition. Nun wurde diese Debatte nachgeholt. Gut so, denn sie ist so alternativlos wie konsequente Maßnahmen, kommentiert Jan Menzel.

Viel zu spät ist diese Debatte angesetzt worden, viel früher hätten die gewählten Volksvertreter zu Wort kommen müssen. Deshalb haftet der AGH-Sondersitzung vom Sonntag auch ein fader Beigeschmack an. Nur weil Gerichte das Durchregieren per Rechtsverordnung gestoppt haben, entdeckt der Senat das Parlament plötzlich wieder. Könnten doch die Abgeordneten mit einem ordentlichen Gesetz für Legitimation der harten Einschränkungen sorgen, gar die beklagte Sperrstunde in Bars und Kneipen retten.

Aber nicht nur deshalb ist das Abgeordnetenhaus nach einem Dreiviertel (!) Jahr Pandemie nun wieder am Zuge und im Zentrum: Im Parlament schlägt das Herz der Demokratie. Das Parlament sind wir alle. Und das gilt umso mehr, je länger wir nicht wissen, wie lange die Welt im Corona-Ausnahmezustand bleibt. Weder eine Ministerpräsidenten-Konferenz, noch ein Senats-Kollegium oder die sozialen Medien können die Orte sein, an denen schwerwiegende Entscheidungen wie ein Lockdown getroffen werden.

Zwischenrufe, Gebrüll und Schmähungen

Alternativlos – das hat diese Parlamentsdebatte aufs Eindringlichste dokumentiert - ist dabei gar nichts. Die AfD demonstrierte mit Zwischenrufen, Gebrüll und Schmähungen, was sie unter einem ernsthaften Abwägen von Argumenten und einem Ringen um den besten Weg versteht. Die Partei zeigt auch in dieser Krise ihre zynische und menschenverachtende Haltung: Wer Pandemie mit der Grippe gleichsetzt, wer "rationale" Politik fordert, aber die Antwort verweigert, wie wir überfüllte Intensivstationen vermeiden, spielt mit Menschenleben. Aber das ist nichts Neues in der Partei Alexander Gaulands, der achselzuckend Corona-Tote mit Unfall-Opfern im Straßenverkehr gleichsetzt.

Rational reagieren und rational regieren kann doch nur heißen: Die nüchternen Zahlen ernst nehmen. Das sind die 19.000 Neuinfektionen, die die Bundeskanzlerin noch vor Kurzem erst für Weihnachten in Aussicht gestellt hatte. Das sind die Alarmmeldungen aus dem Südwesten Deutschlands, dass die Intensivstationen bald voll belegt sind. Und das sind die Todeszahlen, die wieder steil nach oben gehen.

Parlament muss die ganze Stadt im Blick haben

Ein Parlament, das nun hoffentlich wieder stärker übernimmt und die Einschränkungen des öffentlichen Lebens hinterfragt und auf ihre Verhältnismäßigkeit abklopft, darf aber nicht im kleinen Karo bleiben. Wenn etwa Kultursenator Klaus Lederer gerne Ausnahmen für Theater und Opern hätte, trotzdem aber schweren Herzen den Teil-Lockdown mitträgt, kann man nur sagen: Gut gebrüllt, Löwe. Dem Virus ist das aber herzlich egal.

Das Parlament muss die ganze Stadt im Blick haben und kann sich nicht auf einzelne Bereiche, Branchen oder Interessen beschränken. Mir tut dabei jeder Restaurantbesitzer aufrichtig leid, der sich vor dem wirtschaftlichen Aus fürchtet. Ich verstehe die Wut von Theatermachern, die umfangreiche Hygiene-Konzepte umgesetzt haben und nun doch wieder nicht vor Publikum spielen dürfen und ich kann die Fassungslosigkeit der Besitzerin des Nagelstudios nachempfinden, die ihr Geschäft schließen muss, während nebenan der Frisör offen bleibt.

Keine klassische Suche nach dem Kompromiss

Doch in der Pandemie kann Politik nicht wie in normalen Zeiten funktionieren. Die klassische Suche nach dem Kompromiss - dem einen etwas geben, dem anderen etwas nehmen - funktioniert nicht bei diesem Wettlauf mit der Zeit. Ausnahmen hier, Verwässerungen dort werden die Virus-Verbreitung nicht eindämmen. Die Grundidee des Teil-Lockdowns ist die gleiche wie beim Herunterfahren im Frühjahr: Um fast jeden Preis soziale Kontakte und Begegnungen reduzieren.

Wir müssen gemeinsam allein sein, hat der Regierende Bürgermeister Müller gesagt. Ausgerechnet im grauen, tristen Monat November. Das ist nicht schön. Das ist nicht leicht. Aber so lange es keine Medikamente und keinen Impfstoff gibt, muss es so sein. Diese Sondersitzung war auch deshalb so überfällig, weil sie gezeigt hat, dass es für die Millionenstadt Berlin derzeit keine andere Möglichkeit als den Teil-Lockdown gibt, um noch größeres Leid zu verhindern.

Sendung: Abendschau, 01.11.2020, 19:30 Uhr

Was Sie jetzt wissen müssen

Beitrag von Jan Menzel

22 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 22.

    Ich glaub Kurt Tucholsky hat es besser erkannt als Einstein.
    Ein älterer, aber leicht besoffener Herr
    „Die Wahl is der Rummelplatz des kleinen Mannes!“

  2. 21.

    Hätten sich alle anderen auch an die AHA-Regeln gehalten, wäre die jetzige Maßnahme nicht nötig.

  3. 20.

    Schon Albert Einstein wusste: Der Staat ist ist für die Menschen da, nicht die Menschen für den Staat.Also warum passiert alles über unseren Kopf hinweg?

  4. 19.

    Habe mir mal Ausschnitte der Parlamentssitzung angeschaut. Wenn ich mir unseren Bürgermeister anschaue und zuhöre bin ich entsetzt. Die Vergleiche mit den Bilder aus NY, Italien, etc, und die fehlenden ITS Betten in Brüssel als Grundlage seiner Rede aufzubauen, vollkommen verkehrt. Ich brauche keine Vergleiche mit diesen Orten, ich brauche Perspektive in dieser Stadt und kluge Massnahmen und nicht nur immer Verbote und Einschränkungen. Das bedauern von Bund und Ländern diese Massnahmen beschlossen zu haben, sind so unglaubwürdig, was wollen denn die Politiker? Die Pandemie auf den Rücken der Bevölkerung aussitzen? Ich bin auch vom Teil-Lockdown zum Teil mehr betroffen als andere, obwohl ich mich an die AHA Regeln gehalten habe. Was hat es gebracht? Und dann kommen keine überzeugende Argumente oder Perspektiven aus der Politik und einseitigen Beratungsexperten. Alles Gute !

  5. 18.

    Und wenn die Pandemie vorbei ist, greifen wir die Untersuchungsergebnisse der AOK vom Sommer 2020 auf und schließen 25 % aller Krankenhäuser weil sie überflüssig sind. - Die Deutschen sind ja dann unsterblich.

  6. 17.

    Hier wird nach ALTERNATIVEn Vorschlägen gefragt. Aus welchen sozialpolitischen und gesundheitspolitischen Gründen sollte man denn AfD wählen wenn keine Vorschläge vorliegen? Pauschal primitive Fremdenfeindlichkeit reicht nicht allen Wählern.

  7. 16.

    Die Erkenntnisse der letzten Monate differenzierten die Ansteckungsgefahren. Aber trotzdem führte es zu ähnlichen Maßnahmen wie im Frühjahr. Man war nicht in der Lage die Maßnahmen anzupassen. Wie am Beispiel Frisör zu Nagelstudio im Kommentar zu lesen.
    Unverständnis auf vielen Seiten. Und da dieser Lockdown keine langfristige Wirkung haben wird (mit Glück reicht's bis Weihnachten), wird es immer wieder einen Lockdown geben. Wie lange sollen die betroffenen Branchen das mitmachen? Oder gibt es immer wieder Geld vom Staat?
    Ich glaube, so geht Deuschland sicherlich kaputt. Entweder durch den Virus oder durch der Überschuldung folgenden Sparmaßnahmen.

  8. 14.

    Seit wann ist die AFD in der Regierungsverantwortung?!
    Die Punkte, die Sie ansprechen, fallen in die Kompetenz der Regierung.
    Die Missstände in den Krankenhäusern haben SPD, CDU, Grüne und Linke in Berlin zu verantworten, da sich aus diese die Regierungen der letzten Dekaden stellten.

  9. 13.

    Eiskalle. Haben sie die Rede überhaupt gehört?
    Wo war dabei stänkern? Die Rede der Linken war fast Deckungsgleich.
    Hat die Linke auch gestänkert oder nicht nur weil es die Linke war?
    Die AFD wie die FDP und die Linke haben die Maßnahmen in Frage gestellt. Das nennt man Demokratie und nicht stänkern.

  10. 12.

    Wer hat den Parlamenten denn verboten sich mit dem Coronavirus zu befassen? Niemand! Wenn man das Thema dort für wichtig gehalten hätte, hätte man das jederzeit tun können. Ja man hätte sogar die Sommerpause ausfallen lassen können um Maßnahmen gegen die Pandemie zu diskutieren. Wenn die Abgeordneten erst jetzt wach werden sind sie selbst schuld.

  11. 11.

    Sie glauben doch nicht ernsthaft das am 30.11. Schluss ist.
    Süsser Gedanke, aber es wird doch jetzt angekündigt das es nicht sicher ist

  12. 10.

    einverstanden, der Staat sagt....wir müssen Kontakte einschränken....
    aber warum können dann ,,Staatsbetriebe " wie die Deutsche Bahn sagen
    ,bestimmte Fahrkarten verfallen, was können wir dafür! !

    Habe heute diese Unterhaltung in der U Bahn gehört und muss sagen, keine ,, schlechte " Frage.

  13. 9.

    "Debatte nachgeholt. Gut so" Weil der Normalbürger auch Zeit genug dazu hat sich Parlamentsdebatten reinzuziehen. Welch ein Gewinn.

  14. 8.

    Wenn Machtzuwachs und Parteieninteressen im Vordergrund stehen steht der gesunde Menschenverstand hinten an. Wobei der bei der AfD eventuell gar nicht so ausgeprägt sein wird.
    Mit Empathie und gesundem Menschenverstand wären diese Maßnahmen wahrscheinlich gar nicht notwendig geworden. Übrigens nicht nur in Berlin.

  15. 7.

    So unterschiedlich können Menschen sein. Ich finde, wer genügend Empathie und gesunden Menschenverstand besitzt, kann auch die Logik, die sich hinter den Maßnahmen verbirgt, verstehen und einfach mal mittragen.

  16. 6.

    Ich finde den Kommentar eher schlecht.
    Gewagte These übrigens, die AfD spiele mit Menschenleben.
    Auch Teile der Corona-Politik haben schwere Folgen auf Menschen.
    Bei Kriegseinsätzen heißt es auch immer, Deutschland dürfe sich nicht aus der Veranstaltung stehlen.
    Bei Corona wird auf einmal 100% Gesundheitsschutz suggeriert.
    In den vergangenen Jahren wurden immer andere Dinge auf Platz 1 gepackt:
    - Wirtschaftliche Vernunft
    - Schwarze Null / Ausgeglichener Haushalt
    - Freiheitlich demokaratische Grundordnung
    Und was nützen die Krokodilstränen für Opern, Museen und Gastronomen, wenn am Ende doch alles durchgewunken wird.

  17. 5.

    Konsequente Maßnahmen nützen nichts, wenn sie nichts bewirken oder besser ausgedrückt die falschen Maßnahmen sind. So wie z.B. die Maskepflicht im öffentl.Raum für die es nicht mal im Ansatz eine Begründung gibt. Eine Sperrstunde oder mancherorts schon angedachte Ausgangssperre (natürlich erst nach Feierabend) ,genausoso ein Unfug. Alle dürfen sich am Arbeitsplatz und in der Schule und ggf. im ÖPNV drängeln.Dort kann sich das Virus munter verbreiten - wenn man wirklich konsquent sein wollte, müsste man all diese Bereiche dicht machen.

  18. 4.

    Schöner Kommentar und leider wie so oft heutzutage ohne faktenbasierte Begründung der einzelnen Maßnahmen. So kann keine breite Akzeptanz entstehen. 70% der verfolgten Infektionen geschehen auch nach rki Berichten im Privaten und überhaupt nur 30% können nachverfolgt werden. Da ist es für mich unlogisch die Menschen aus Restaurants und Fitnessstudios mit funktionierenden Hygienekonzepten in den privaten Bereich zu drücken oder in Shoppingcenter... Hoffen wir, dass die Zahlen langsamer steigen, aber begründete Hoffnung habe ich nicht.

  19. 3.

    Lieber jetzt als wenn wir alle Weinachten alleine zu Hause sitzen müssen. Zur AfD für mich keine Partei sondern ein Stänkerhaufen der völlig Weltfremd ist und die Lage völlig verkennt.

  20. 2.

    Von der Bundeskanzlerin, zahlreichen Ministerpräsidenten und anderen bekannten politischen Persönlichkeiten sowie politischen Gesundheitsexperten werden die drastischen Einschränkungen der Grundrechte und faktischen Berufsverbote mit der Rettung von Menschleben, der Vermeidung der Überlastung des Gesundheitswesens bzw. der Krankenhäuser begründet. Es wäre somit auch zwingend geboten sofort die Ökonomisierung des Gesundheitswesens zu beenden und für mehr medizinisches Personal um jeden Preis zu sorgen. Ansonsten sind alle Aussagen und Anordnungen unglaubwürdig und diktatorisch.
    Wo sind Vorschläge der AfD um die Ökonomisierung des Gesundheitswesens zu beenden? Wie lauten die Vorschläge der AfD zur Stärkung der gesetzlichen Krankenversicherung? Wo sind die konkreten Gesetzesvorschläge?

  21. 1.

    Wohl war, wohl war! Jetzt hat man es gemerkt, aber welcher Virus das ist, hat man noch nicht rausbekommen, jedenfalls ist dieser nicht dem Volke dienlich und muss aber schon im Februar dort gewesen sein.

Das könnte Sie auch interessieren