Interview | Anne Helm (Linke) - "Wir haben einfach keine juristische Grundlage für ein Böllerverbot"

Di 08.12.20 | 14:33 Uhr
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Anne Helm während eines Interviews im Juni 2020 (Bild: imago images/TSP/Doris Spiekermann-Klaas)
Audio: Inforadio | 08.12.2020 | Dietmar Ringel | Bild: imago images/TSP/Doris Spiekermann-Klaas

Mit dem Vorstoß, Silvester komplett böllerfrei zu halten, ist Berlin gescheitert. Es fehlt, so Anne Helm von der Linken, die juristische Grundlage. Denn die Regelung müsste auf Bundesebene getroffen werden. Berlin muss also sehen, wie es klarkommt.

rbb: Frau Helm, im vergangenen Jahr gab es in Berlin drei Böllerverbotszonen. Jetzt sollen es – obwohl Corona-bedingt nur sehr eingeschränkt gefeiert werden darf – mit Alexanderplatz und Pallasstraße nur zwei sein. Warum gibt es nur diese zwei Verbotszonen?

Anne Helm (Linke): Die dritte Verbotszone (die Straße des 17. Juni, Anm. der Red.) hatte einen anderen Anknüpfungspunkt, einen privaten, der so juristisch in diesem Jahr nicht wiederherzustellen war. Deswegen hat die Polizei mitgeteilt, dass sie die rechtliche Grundlage nur für die zwei Zonen haben. Und dass es auch sinnvoll ist, diese wieder einzurichten, damit es eine dauerhafte Akzeptanz für diese Verbotszonen gibt. So ist es uns im Innenausschuss am Montag berichtet worden.

Berlin wollte ja sogar ein allgemeines Verkaufsverbot für Pyrotechnik durchsetzen. Damit wäre es schwer geworden, überhaupt zu böllern. Das hat nicht funktioniert. Woran ist das gescheitert?

Das ist eine Regelung, die auf Bundesebene getroffen werden müsste. Da konnten wir uns mit unserer Position nicht durchsetzen. Es waren vor allem die CDU-geführten Länder, die sich darauf nicht einlassen konnten. Ein solches Verbot müsste über den Bundesinnenminister verfügt werden. Das haben wir schon letztes Jahr probiert – und auch dieses Jahr haben wir es im Zuge der Corona-Verhandlungen mit den anderen Ministerpräsidenten darauf insistiert, konnten uns aber leider nicht durchsetzen.

Auf welcher gesetzlichen Grundlage kann man solche Zonen überhaupt einrichten?

Das können wir in Berlin nur über das allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz verfügen – also über das Polizeirecht. Da sind die rechtlichen Anknüpfungspunkte, dass es eine tatsächliche Gefahr und gewalttätige Auseinandersetzung gibt. Das heißt, bei den bestehenden Verbotszonen müssen wir das auch gerichtlich nachweisen können. Dass es Angriffe zu Silvester gegeben hat und dass diese an die Örtlichkeiten geknüpft sind.

Wir haben darüber auch mit der Polizeiführung gesprochen und die Frage analysiert, ob es eher ent- oder belastend ist für die Einsatzkräfte, weitere Verbotszonen einzurichten. Die selbstverständlich dann auch kontrolliert werden müssten. Ingesamt sind bei Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften die Einsatzkräfte extrem belastet. Darum müssen wir überlegen, was am effektivsten ist. Eine bundesweite Regelung hätte da zu einer tatsächlichen Entlastung führen können. Aber diese Möglichkeit haben wir eben nicht.

Berlin muss also sehen, wie es klarkommt. Einerseits belastet es die Einsatzkräfte ja, wenn es an vielen Stellen zu Unfällen und Problemen kommt, andererseits belastet es insbesondere die Polizei auch, etwaige Verbotszonen zu kontrollieren. Aber ist es nicht doch ein Einknicken, wenn man die Leute böllern lässt, weil es noch schwerer fällt, die Kontrolle zu bewahren?

Das sehe ich so nicht. Wir haben einfach keine juristische Grundlage. Ob man böllern darf oder nicht ist im Sprengstoffgesetz hinterlegt und das ist nun mal Bundesrecht. Das heißt, wir haben gar keine Möglichkeit, es zu verbieten. Auch nicht durch die Infektionsschutzverordnung gibt uns da keine Möglichkeiten. Zumindest nicht, wenn wir das rechtssicher machen wollen. Ich persönlich finde das extrem unbefriedigend. Meine Lieblingsvariante wäre gewesen, dass es ein bundesweites Verbot gibt. Dann hätten nur professionelle Feuerwerke, die man auch dezentral von Zuhause aus genießen kann und die weniger gefährlich sind, stattfinden können. Das wäre angebracht gewesen dieses Jahr.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Dietmar Ringel, Inforadio. Die ungekürzte Version finden Sie als Audio hinter dem Headerbild dieses Beitrages (Interview nachhören).

Sendung: Inforadio, 08.12.2020, 07:05 Uhr

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45 Kommentare

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  1. 45.

    Es wird sich noch mehr auf den Straßen abspielen. Und wenn Frau Helm und der Senat überhaupt offen sagen, die Polizei kann das nicht händeln, dann haben wir ein fettes Problem am Hals. Oder meinen Sie wirklich, das wird die üblichen Verdächtigen nicht reizen, um so mehr auf den Putz zu hauen. Ganz abgesehen, von den vielen Leuten, die ihren Frust freien Lauf lassen wollen. Ich sehe schwarz, wenn der Innenminister des Bundes nicht endlich eingreift.
    Auf den Intensivstationen der Charité arbeiten übrigens inzwischen Pflegehelfer, hat der Prof im rbb-Spezial gesagt - Wahnsinn!

  2. 44.

    Sie haben vollkommen Recht. Das Verbot jeglichen Feuerwerks könnte am Ende sogar kontraproduktiv sein, weil im Zweifel sich noch mehr Menschen (verbotenerweise) in Innenräumen treffen könnten, statt draußen zum gemeinsamen Feuerwerk, wo der Abstand aber immer noch groß genug ist, um sich nicht gegenseitig zu infizieren. Diese in Bezug auf Corona sinnfreie Verbotsorgie geht mir gehörig auf den Keks. Die Regierung hat den ganzen Sommer über verschlafen und versucht das jetzt mit hilflosen Verbotsmaßnahmen zu übertünschen. Einfach mal Herrn Palmer in Tübingen fragen, wie es richtig geht.

  3. 43.

    Clubs, Bars, Kneipen und Diskotheken haben ja an Silvester geschlossen, also kann es dieses Jahr ein wenig ruhiger in der Notaufnahme werden. Da die meisten Fälle ja dort Passieren und nicht Zuhause vor der Tür. Böllerverbot sollte doch Bitte nicht auf Corona geschoben werden, die Grünen fordern es schon seit Jahrzehnten.

  4. 42.

    Auch Herr Geisel behauptet, dass es keine Rechtsgrundlage ohne Bund gäbe. Wie macht es dann aber zB. München? Berlin hat hier mal wieder komplett geschlafen und nichts auf die Reihe bekommen (völlig unabhängig von Corona, aber in diesem Jahr wird die Böllerei noch unerträglicher sein, außerdem gibt es keine Möglichkeit zu fliehen. )

  5. 41.

    ... sind in dieser Frage sicher kompetenter und könnten ihren Krefelder Parteifreund*innen nacheifern:
    https://www.wz.de/nrw/krefeld/forderungen-nach-boellerverbot-in-krefeld-kommt-silvester-der-stille_aid-55003165
    Man muss nur wollen und auf die Beine kommen, es wurde schon genug Zeit verschwendet.

  6. 40.

    Googeln Sie einfach mal "Böllerverbot", dann werden Sie sehen, es geht an verschiedensten Orten. Frau Helm scheint sich hier herauszureden. Ist sie Juristin? Ich glaube nicht.

  7. 39.

    Hallo Lara, neben dem Artikel ist ein Kasten zu den Ereignissen des letzten Jahreswechsels in Berlin. Wir sollten hier nix schönreden.

  8. 38.

    Die Idee Silvesterfeuerwerk aufgrund von Corona zu verbieten finde ich sehr merkwürdig. Nur wenige Verletzungen passieren infolge von Feuerwerk und wenn sind sie vorwiegend durch illegales(!)Feuerwerk hervorgerufen. Das ist also kein Grund. Viele Leute stehen beim Zünden zusammen? Eher nicht und zudem passiert es draußen, wo die Übertragung eh geringer ist.
    Problematisch ist doch das Zusammensitzen in engen Räumen und feiern mit Alkohol an Silvester und auch Weihnachten. Wenn man sich die aktuelle Lage anschaut, dann sollte man schauen, was man an alltäglichen Verhalten ändern muss. Da muss etwas passieren.

  9. 37.

    "Wir haben einfach keine juristische Grundlage für ein Böllerverbot"
    Oder besser Geld muss fliessen beim verkauf von Knallkörpern. Der Einzelhandel braucht die Marie und der Staat die Steuereinnahmen. Die Kriegsähnlichen zustände an Sylvester in der Stadt sind egal. Die paar verletzten können ja in Rehakliniken untergebracht werden wo ebenfalls Personalmangel herrscht.
    Unser Gesundheitssystem ist toll. Und juhu, es wir ein neues Jahr gefeiert.

  10. 36.

    Wenns dafür, wie die Frau von den Linken im obigen Interview sagte, landesrechtlich keine Möglichkeit gibt, darf Rheinland-Pfalz das wohl so auch nicht machen, wie Frau Dreyer sich das denkt. - Bei uns in der Gegend jedenfalls läuft das private Feuerwerk immer gesittet ab. Was aber die Beknackten in der Innenstadt da anzetteln, sollte in der Tat verboten werden.
    Aber: Auch bei uns waren letzten Sonntag nachmittag drei Jungs um die 12 damit beschäftigt, Böller zu zünden und ein Buswartehäuschen anzusengen (Das hat jetzt eine große schwarze Stelle.)
    Da frage ich mich, wo sind da die Eltern? Wie kommen die Kinder an Böller ab 18?
    Und in der City passiert das dann geballt. Lebensgefahr. Denke noch mit Gänsehaut an eine XY-Folge von diesem Jahr, wo in Braunschweig an Silvester 18 zwei Leute erblindeten, weil Fremde sie mit Raketen beschossen. Hoffe auf HOHE Polizeipräsenz und hartes Durchgfeifen und auch Konfiszieren von Knallern bei Jugendlichen.

  11. 35.

    Sie meinen die Bundesliga, Formel 1 usw., oder? Für Amateure geht der Sport schon lange nicht weiter.

  12. 34.

    , dass Ihr so spät noch Kommentare freischaltet und dafür, dass der Silvester-Bericht vom letzten Jahr das Interview flankiert.

  13. 33.

    Man kann ja alles verbieten, Hauptsache die Leute gehen arbeiten. Von wegen zu Hause ist die Ansteckung. Was da bei der BVG und beim Einkaufen ist, ist viel schlimmer.
    Na, Hauptsache der Sport geht weiter. Dort wird getestet und bei den Schulen wird die Quarantäne runtergesetzt. Prima, Ansteckung erwünscht.

  14. 31.

    "Alkoholkonsum und -verkauf auf öffentlichen Plätzen und Straßen soll ebenso verboten sein wie Silvesterfeuerwerk. Entsprechende Beschlüsse werde das Kabinett nächste Woche fassen. "
    Quelle: https://www.zeit.de/news/2020-12/08/rheinland-pfalz-nimmt-abstand-von-lockerungen-zum-jahresende
    Die Frage bleibt: warum nicht so in Berlin?

  15. 30.

    Doch! Dadurch, dass der Handel nach Weihnachten wegen Corona schließen muss und nur die Supermärkte geöffnet haben sollen, hat man sich dieses "Problem" einfach entledigt!

  16. 29.

    Es muss erst Tote geben, bis die Politik sich für ein Böllerverbot entscheidet.

  17. 28.

    Nach dem Interview mit dem Professor von der Charité heute Abend im rbb-Spezial, muss doch klar sein, dass stadtweites Privatböllern eine wirkliches Spiel mit dem Feuer ist. Es gibt immer Leute denen privater "Spaß" wichtiger ist, als das Gemeinwohl, von politisch Verantwortlichen ist doch aber zu erwarten, dass sie Erfordernisse erkennen und die Stützen der Gesellschaft - und das ist zur Zeit in vorderster Front das jetzt schon am Limit arbeitende KH-Personal - nicht zum Einsturz bringen. Mir wird Angst und Bange, wenn ich Frau Helms Argumentation folge. Wer hat soviel Anstand und Rückgrat und zieht die Notbremse?

  18. 27.

    Aber ich böller doch gar nicht...aaaaaber ich schaue gerne zu, wenn Leute Feuerwerk in die Luft jagen. Schön.

  19. 26.

    Mein Kommentar sollte auch eher sarkastisch sein. Fakt ist aber auch, die dann noch offenen Märkte haben nur begrenzte Kontingente. Ich lasse mir und meinen Kids den Spaß auch nicht nehmen und weiß nicht, warum ein ordentlicher Umgang mit Feuerwerk das Gesundheitswesen strapazieren soll. Das Problem ist doch die Minderheit der Unvernünftigen und Kriminellen.

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