Interview | Künstlerin aus Belarus - "Das sind auch Menschen aus Belarus, die jetzt zum zweiten Mal fliehen"

Russland stationiert Truppen in Belarus und greift von dort die Ukraine an. Die in Berlin lebende Künstlerin Marina Naprushkina schildert im Interview, wie ihr Land für den Krieg instrumentalisiert und der Protest kleingehalten wird.
rbb|24: Frau Naprushkina, der Krieg gegen die Ukraine wird auch aus Belarus geführt. Welche Gefühle ruft das in Ihnen hervor?
Marina Naprushkina: Scham, Wut, Angst - die russischen Raketen fliegen von belarusischem Boden. Lukaschenko (Belarusischer Machthaber, Anm. der Red.) scheint nicht mal darüber informiert zu werden.
Belarus wird in den Krieg hineingezogen. Das ist eine Situation, mit der die Bevölkerung niemals zurecht kommen kann. Die Familien leben auf beiden Seiten. Jede:r in Belarus hat Freunde oder Angehörige in der Ukraine. Das ist eine unvorstellbare Situation, die die Menschen nicht verkraften können.
Mit dem Referendum vom vergangenen Sonntag in Belarus [tagesschau.de] ist eine dauerhafte Stationierung russischer Truppen und Atomwaffen im Land möglich. Wie ist die Stimmung bei der Bevölkerung?
Die Menschen haben Angst. Belarus ist das Land, das am meisten unter der Tschernobyl-Katastrophe 1986 gelitten hat. Die Leute wissen ganz genau, was das jetzt bedeutet.
Auf der Demonstration am Sonntag in Berlin waren viele weiß-rote Fahnen der belarusischen Opposition zu sehen. Wie sind die Verbindungen zwischen der ukrainischen, der belarusischen und der russischen Community hier in Berlin und Brandenburg?
Die belarusische Diaspora hat sich im Sommer 2020 während der Widerstandsbewegung sehr stark organisiert. Es gibt den Verein Razam, der sich deutschlandweit für die Demokratie in Belarus einsetzt und den Geflüchteten aus Belarus hilft. Mehr als 400.000 Menschen haben seit dem Sommer 2020 das Land verlassen oder mussten das Land verlassen. Jetzt organisiert die belarusische Diaspora Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine. Das sind ja teilweise auch Belarus:innen, die damals in die Ukraine geflüchtet sind und die jetzt zum zweiten Mal fliehen müssen.
Die Verbindungen sind also da. Besonders in der Kulturszene arbeitet man auch viel zusammen. Dennoch wünsche ich mir mehr Unterstützung von größeren deutschen Kultur-Institutionen. Diese haben die notwendige Strahlkraft und die Ressourcen. Das würde dazu beitragen, dass man die kritischen Stimmen hört, dass man eine Präsenz schafft, dass man Zusammenhalt schafft.
Von Putin ist es ja gewünscht, dass Menschen aus der Ukraine, aus Belarus und aus Russland ihre Zukunft nicht frei und gemeinsam denken. Dass die Länder voneinander getrennt gegeneinander ausgespielt werden und dieser Nationalhass anfängt untereinander, das wird gewünscht und kommt jetzt durch den Krieg. Es ist ganz wichtig, dagegen zu wirken, dem gegenüberzustehen und Menschen die Möglichkeit zu geben, zusammenzuarbeiten.
Die Proteste in Belarus im Sommer 2020 wurden von Lukaschenko mit Gewalt niedergeschlagen. Tausende politische Gefangene sitzen immer noch in den Gefängnissen. Hat die Bevölkerung in Belarus überhaupt eine Chance dagegen zu protestieren, dass Lukaschenko Putins Angriff auf die Ukraine unterstützt?
Die Menschen tun das. Am Sonntag, nach dem Referendum, haben die Menschen protestiert. Auf allen Straßen in allen Städten wurden über 1.000 Menschen festgenommen. Heute kamen die ersten Gerichtsentscheide - hohe Geldstrafen, Haftstrafen bis zu 15 Tage. Was natürlich auch nicht bedeutet, dass die Menschen danach freigelassen werden. Die Regierung setzt die Repressionen fort. Wir wissen, dass das Land 2020 eine massive Widerstandsbewegung hatte. Und ich glaube, Belarus war kurz davor, den Diktator zu stürzen und es hat wenig Hilfe gegeben von der internationalen Gemeinschaft.
Da sitzt auch jetzt wieder der Fehler. Russische Truppe konnten einfach so nach Belarus einmarschieren. Das Land hat dadurch seine Souveränität verloren. Die Regierung wehrt sich nicht. Und die Zivilbevölkerung hat in den letzten zwei Jahren härteste Repressionen erlebt. Wir haben immer noch über 1.000 politische Gefangene in Belarus. Alle NGOs und unabhängige Kulturinstitutionen wurden geschlossen. Das macht es schwer, jetzt noch mal eine Protestwelle zu starten, dennoch machen das Menschen, weil sie einfach sehr wütend sind. Sie versuchen noch Widerstand zu leisten.
Menschen aus den Nachbarländern machen sich auf in die Ukraine, um zu kämpfen, auch aus Belarus. Wie erleben Sie das?
Ich habe sehr viele Freunde in der Ukraine, die entschieden haben, dort zu bleiben - mit Familie und ohne Familien. Viele, die in Berlin wohnen, sind zurück gereist und unterstützen ihre Angehörigen, unterstützen ihr Land. Ich bin aufgewachsen mit dem Bild: Es gibt nie wieder Krieg. Es ist schwierig, das jetzt zu sehen. Es kämpfen alle. Ich glaube, jede:r versucht in der Position, in der er oder sie ist, aktiv zu werden.
Es ist schwierig, Entscheidungen zu treffen, es gibt keine guten Entscheidungen. Vorher hätte man mehr tun müssen. Der Krieg in der Ukraine wird seit 2014 geführt. Er hat nie aufgehört. Die Situation in Belarus hat dazu beigetragen, dass Putin diesen Krieg jetzt fortgesetzt hat. Aber die Leute widerstehen, wehren sich. Es gibt pensionierte Offiziere in Belarus, die das belarusische Militär dazu aufrufen, den Befehlen nicht zu folgen. Es gibt sehr viel Widerstand, und die Leute probieren alles.
Sie verwandeln politische Stimmungen in Kunst. Hilft Ihnen Kunst, die derzeitigen Erlebnisse zu verarbeiten?
Im Krieg kann man keine Kunst machen, Kunst wird schnell zu Propaganda. Das Grauen hat keine Metaebene. Es ist schwierig in dieser Situation, zu arbeiten, sich zu fokussieren, klar zu denken. Wir kriegen durch soziale Medien sehr viele Informationen, sehr viele Bilder und Nachrichten. Das ist neu. Das ist ein hybrider Krieg, weil er nicht nur auf ukrainischem Boden, sondern auch im digitalen Raum geführt wird. Da ist viel Information, die wir verkraften müssen. Da hilft es oft, literarische Texte zu lesen oder künstlerische Arbeiten anzuschauen, um mit der Situation zurecht zu kommen, um nicht innerlich auszubrennen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Anna Bordel, rbb|24.