Interview | Künstlerin aus Belarus - "Das sind auch Menschen aus Belarus, die jetzt zum zweiten Mal fliehen"

Mi 02.03.22 | 06:10 Uhr
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Militärische Fahrzeuge an der russische-belarussichen Grenze (Bild: imago images/Henadz Zhinkov)
Bild: imago images/Henadz Zhinkov

Russland stationiert Truppen in Belarus und greift von dort die Ukraine an. Die in Berlin lebende Künstlerin Marina Naprushkina schildert im Interview, wie ihr Land für den Krieg instrumentalisiert und der Protest kleingehalten wird.

rbb|24: Frau Naprushkina, der Krieg gegen die Ukraine wird auch aus Belarus geführt. Welche Gefühle ruft das in Ihnen hervor?

Marina Naprushkina: Scham, Wut, Angst - die russischen Raketen fliegen von belarusischem Boden. Lukaschenko (Belarusischer Machthaber, Anm. der Red.) scheint nicht mal darüber informiert zu werden.

Belarus wird in den Krieg hineingezogen. Das ist eine Situation, mit der die Bevölkerung niemals zurecht kommen kann. Die Familien leben auf beiden Seiten. Jede:r in Belarus hat Freunde oder Angehörige in der Ukraine. Das ist eine unvorstellbare Situation, die die Menschen nicht verkraften können.

Zur Person

Die belarussische Künstlerin Marina Naprushkina (Bild: Privat)
Privat

Marina Naprushkina ist eine belarusische Künstlerin und Aktivistin, die in Berlin lebt und arbeitet. In ihrem Werk beschäftigt sie sich mit politischen und gesellschaftlichen Dynamiken. Sie lehrt an der Kunsthochschule Weißensee.

Mit dem Referendum vom vergangenen Sonntag in Belarus [tagesschau.de] ist eine dauerhafte Stationierung russischer Truppen und Atomwaffen im Land möglich. Wie ist die Stimmung bei der Bevölkerung?

Die Menschen haben Angst. Belarus ist das Land, das am meisten unter der Tschernobyl-Katastrophe 1986 gelitten hat. Die Leute wissen ganz genau, was das jetzt bedeutet.

Auf der Demonstration am Sonntag in Berlin waren viele weiß-rote Fahnen der belarusischen Opposition zu sehen. Wie sind die Verbindungen zwischen der ukrainischen, der belarusischen und der russischen Community hier in Berlin und Brandenburg?

Die belarusische Diaspora hat sich im Sommer 2020 während der Widerstandsbewegung sehr stark organisiert. Es gibt den Verein Razam, der sich deutschlandweit für die Demokratie in Belarus einsetzt und den Geflüchteten aus Belarus hilft. Mehr als 400.000 Menschen haben seit dem Sommer 2020 das Land verlassen oder mussten das Land verlassen. Jetzt organisiert die belarusische Diaspora Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine. Das sind ja teilweise auch Belarus:innen, die damals in die Ukraine geflüchtet sind und die jetzt zum zweiten Mal fliehen müssen.

Jede:r in Belarus hat Freunde oder Angehörige in der Ukraine. Das ist eine unvorstellbare Situation, die die Menschen nicht verkraften können.

Marina Naprushkina, Künstlerin

Die Verbindungen sind also da. Besonders in der Kulturszene arbeitet man auch viel zusammen. Dennoch wünsche ich mir mehr Unterstützung von größeren deutschen Kultur-Institutionen. Diese haben die notwendige Strahlkraft und die Ressourcen. Das würde dazu beitragen, dass man die kritischen Stimmen hört, dass man eine Präsenz schafft, dass man Zusammenhalt schafft.

Von Putin ist es ja gewünscht, dass Menschen aus der Ukraine, aus Belarus und aus Russland ihre Zukunft nicht frei und gemeinsam denken. Dass die Länder voneinander getrennt gegeneinander ausgespielt werden und dieser Nationalhass anfängt untereinander, das wird gewünscht und kommt jetzt durch den Krieg. Es ist ganz wichtig, dagegen zu wirken, dem gegenüberzustehen und Menschen die Möglichkeit zu geben, zusammenzuarbeiten.

Die Proteste in Belarus im Sommer 2020 wurden von Lukaschenko mit Gewalt niedergeschlagen. Tausende politische Gefangene sitzen immer noch in den Gefängnissen. Hat die Bevölkerung in Belarus überhaupt eine Chance dagegen zu protestieren, dass Lukaschenko Putins Angriff auf die Ukraine unterstützt?

Die Menschen tun das. Am Sonntag, nach dem Referendum, haben die Menschen protestiert. Auf allen Straßen in allen Städten wurden über 1.000 Menschen festgenommen. Heute kamen die ersten Gerichtsentscheide - hohe Geldstrafen, Haftstrafen bis zu 15 Tage. Was natürlich auch nicht bedeutet, dass die Menschen danach freigelassen werden. Die Regierung setzt die Repressionen fort. Wir wissen, dass das Land 2020 eine massive Widerstandsbewegung hatte. Und ich glaube, Belarus war kurz davor, den Diktator zu stürzen und es hat wenig Hilfe gegeben von der internationalen Gemeinschaft.

Da sitzt auch jetzt wieder der Fehler. Russische Truppe konnten einfach so nach Belarus einmarschieren. Das Land hat dadurch seine Souveränität verloren. Die Regierung wehrt sich nicht. Und die Zivilbevölkerung hat in den letzten zwei Jahren härteste Repressionen erlebt. Wir haben immer noch über 1.000 politische Gefangene in Belarus. Alle NGOs und unabhängige Kulturinstitutionen wurden geschlossen. Das macht es schwer, jetzt noch mal eine Protestwelle zu starten, dennoch machen das Menschen, weil sie einfach sehr wütend sind. Sie versuchen noch Widerstand zu leisten.

Menschen aus den Nachbarländern machen sich auf in die Ukraine, um zu kämpfen, auch aus Belarus. Wie erleben Sie das?

Ich habe sehr viele Freunde in der Ukraine, die entschieden haben, dort zu bleiben - mit Familie und ohne Familien. Viele, die in Berlin wohnen, sind zurück gereist und unterstützen ihre Angehörigen, unterstützen ihr Land. Ich bin aufgewachsen mit dem Bild: Es gibt nie wieder Krieg. Es ist schwierig, das jetzt zu sehen. Es kämpfen alle. Ich glaube, jede:r versucht in der Position, in der er oder sie ist, aktiv zu werden.

Es ist schwierig, Entscheidungen zu treffen, es gibt keine guten Entscheidungen. Vorher hätte man mehr tun müssen. Der Krieg in der Ukraine wird seit 2014 geführt. Er hat nie aufgehört. Die Situation in Belarus hat dazu beigetragen, dass Putin diesen Krieg jetzt fortgesetzt hat. Aber die Leute widerstehen, wehren sich. Es gibt pensionierte Offiziere in Belarus, die das belarusische Militär dazu aufrufen, den Befehlen nicht zu folgen. Es gibt sehr viel Widerstand, und die Leute probieren alles.

Sie verwandeln politische Stimmungen in Kunst. Hilft Ihnen Kunst, die derzeitigen Erlebnisse zu verarbeiten?

Im Krieg kann man keine Kunst machen, Kunst wird schnell zu Propaganda. Das Grauen hat keine Metaebene. Es ist schwierig in dieser Situation, zu arbeiten, sich zu fokussieren, klar zu denken. Wir kriegen durch soziale Medien sehr viele Informationen, sehr viele Bilder und Nachrichten. Das ist neu. Das ist ein hybrider Krieg, weil er nicht nur auf ukrainischem Boden, sondern auch im digitalen Raum geführt wird. Da ist viel Information, die wir verkraften müssen. Da hilft es oft, literarische Texte zu lesen oder künstlerische Arbeiten anzuschauen, um mit der Situation zurecht zu kommen, um nicht innerlich auszubrennen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Anna Bordel, rbb|24.

14 Kommentare

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  1. 14.

    Weil dieser Mann Putin mehr als nahe steht und allen Putin nahen Gefolgsleuten die Konten eingefrohren werden .
    Warum soll das bei einem Herrn Schröder anders sein , nur weil er mal Kanzler war .

  2. 13.

    "Jetzt kommen wieder diejenigen die sagen "Sollen NATO Flugzeuge russische Flugzeuge abschießen?". JA WARUM NICHT? Entweder Putin ist Irre,...."
    Sie wollen, dass NATO-Flugzeuge über der Ukraine russische Kampf-Jets abschießen?
    1. Wer wen abschießen könnte wäre noch zu klären.
    2. Ich glaube, dass sie, was den Begriff irre anbelangt, sich nicht von Putin unterscheiden, so wie in allen ihren Beiträgen und zu allen Themen.
    3. Hören sie auf jeden, im Gegensatz zu ihnen, sachlichen Kommentator als Putintroll zu diffamieren. Was wagen sie sich hier schon wieder?

  3. 11.

    Ist eigentlich schon Altkanzler Schröders Vermögen eingefroren?

  4. 10.

    Leider gibt es sowohl für die russische als auch auch für die belarusische Bevölkerung kaum Medien, die über die tatsächlichen Ereignisse berichten. Wenn sie es tun, werden Sie entweder abgeschaltet oder anders sanktioniert. So wie jetzt beim Radiosender ECHO MOSKAU geschehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass russische Mütter tatenlos zusehen würden, wenn sie wüssten, aus welchem Grund Putin wieder einmal ihre Söhne verheizt und dann noch behauptet, es gäbe keine o. kaum russische Verluste.
    "Anonymus", der Zusammenschluss weltweiter Hacker, die für das Recht auf Meinungsfreit kämpfen, haben die Idee, wie die Meinungsfreiheit, das Recht auf Informationen, trotzdem aufrecht erhalten werden kann. Super...Schlechte Zeiten waren immer die besten zeiten für gute Ideen!
    https://www.n-tv.de/panorama/Wie-man-die-russische-Zensur-umgehen-kann-article23164118.html

  5. 9.

    Sie wollen jetzt aber nicht die Nato mit dem Zwangsbündnis von Gnaden Putins vergleichen oder?

  6. 8.

    Die EU wird ganz sicherlich nicht die direkten Oststaaten von Russland einnehmen lassen.
    Auch England und Frankreich sind Atommächte und Verfügen über diese Waffentechnologie, dass sollte man in Europa nicht vergessen, somit kann auch die Nato Säbelrasseln.
    Auch die russischen Generäle wissen, dass der Einmarsch bei einem Nato Bündnispartner den WWIII nach sich ziehen würde, ich gehe aber davon aus, dass vorher China einschreitet und Russland wieder erdet, weil ich glaube kein Land der welt möchte einen neuen Konflikt.

  7. 7.

    Der Westen hat vor 2 Jahren einen großen Fehler begangen die Proteste in Belarus nicht zu unterstützen. Das rächt sich jetzt. Dank an die Merkel Politik, die nur ihr Afghanistan und ihre Pipeline priorisierte.

  8. 6.

    Ach so für Putin Trolle gibt es ab sofort keine Zivilisten mehr in der Ukraine.

    Na super Rechtfertigung....

    Rechnen Sie mal grob aus, wieviele Frauen und Kinder es in der Ukraine gibt und wieviele bisher fliehen konnten. Gibt zuhauf Bilder/Videos von Frauen, Kindern, Alten in Charkiv die seit Tagen in Kellern ausharren. Alles Kombattanten, die laut Putin Trollen vernichtet gehören....

  9. 5.

    Putin ist bestimmt nicht dumm, scheint aber zunehmend unter Realitätsverlust zu leiden. Das haben mehr oder weniger alle bestätigt, die in den vergangenen Wochen noch versucht haben, mit ihm zu reden.

  10. 4.

    Ein Vertrag ist auch nur Papier.

    Deswegen spielt Putin immer mit seiner Atomoption, und entweder er ist Irre oder er kann hervorragend einen Irren spielen, um das Bedrohungsszenario "Atomkrieg" entsprechend zu unterfüttern und realistisch werden zu lassen.

    Wer fängt für Lettland schon einen Atomkrieg an im Westen? Papier ist Geduldig, dass mussten auch die Ukrainer lernen.

    Man könnte genauso den Luftraum der Ukraine freihalten. Jetzt kommen wieder diejenigen die sagen "Sollen NATO Flugzeuge russische Flugzeuge abschießen?". JA WARUM NICHT? Entweder Putin ist Irre, dann kommt der Atomkrieg sowieso, oder er hat noch einen Fünkchen Restverstand und belässt es beim Krieg in der Ukraine, auch wenn seine kläglichen Luftstreitkräfte entweder dann nicht mehr in die Ukraine fliegen kann, um KINDER ZU TÖTEN oder seine Flugzeuge/Helikopter werden eben abgeschossen. (Er wird sowieso genügend Zivilisten ermorden lassen)

  11. 3.

    Ich sehe heute ein Interview wo jemand aus der Ukraine sinngemäß sagt "wir werden sie aus allen Fenstern beschießen, aus jeder Ecke angreifen" auf der anderen Seite sehe ich ein Interview mit Armin Laschet der sagt, "wir müssen sie dazu bringen, nicht mehr auf Zivilisten und Zivileinrichtungen zu schießen"
    Finde den Fehler.

  12. 2.

    Die NATO könnte sich genau so wenig aus der Beistandsverpflichtung stehlen und angehörige Staaten aufgeben, wie dies das russische Bündnis auf der Gegenseite könnte. Das wäre nämlich das Ende des Bündnisses und das liegt naturgemäß nicht in deren Interesse. Genau diese Verpflichtung ist faktisch im Moment die einzige Garantie, dass Putin nicht nach den osteuropäischen Staaten greifen kann und das weiß Putin sehr genau. Dieser Mann ist skrupellos, aber nicht dumm.

  13. 1.

    Man vergisst gerade schnell, dass das Belarussische Volk praktisch schon unter der Knechtschaft von Putin lebt. Lukaschenko ist nicht mehr als eine Putin Marionette.

    Leider wurden die Proteste gegen den Diktator Lukaschenko so brutal niedergeschlagen. Aber was hätte man tun können? Die Putin Trolle hätte jeder Eingriff von außen perfekt ins Narrativ gepasst und Putin wird ja nicht Müde mit Atomwaffen zu drohen.

    (mal nebenbei, bei so vielen Verträgen die der Ukraine hätten Schutz bieten sollen, wer glaubt da wirklich an die Beistandsklausel im NATO Vertrag? Wenn Putin schlicht und einfach wieder mit seinen Atomwaffen droht? Gibt man zb die baltischen Staaten (oder Polen, oder xyz) auf, oder riskiert man wegen den kleinen Ländern den Atomkrieg? hm....)

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