Zuständigkeit wechselt von Bezirken zum Bund - Jobcenter werden neue Anlaufstelle für ukrainische Geflüchtete

Mi 01.06.22 | 06:08 Uhr | Von Sabrina Wendling
  18
Ein Mann geht in einem Jobberatungszentrum am Hauptbahnhof an einem Plakat mit der Aufschrift «Job in Germany» vorbei. (Quelle: dpa/Oliver Berg)
Video: rbb24 Abendschau | 31.05.2022 | Anna-Maria Deutschmann | Bild: dpa/Oliver Berg

Geflüchtete aus der Ukraine müssen ab Mittwoch zum Jobcenter, um Hilfsleistungen zu bekommen. Die Mitarbeiter der bisher zuständigen Sozialämter atmen auf. Aber profitieren die Geflüchteten? Oder stehen sie jetzt nur woanders Schlange? Von Sabrina Wendling

Was bedeutet "alleinerziehend"? Was ist "Vermögen"? Es ist so schon nicht immer einfach, sich im Behördendeutsch der Anträge zurechtzufinden. Für Geflüchtete aus der Ukraine ist es ungemein schwerer. "Da gab es viel Beratungsbedarf, und wir haben sehr viel erklärt", sagt Elena Zavlaris, die Geschäftsführerin der Jobcenter in Tempelhof-Schöneberg. "Zum Beispiel, dass auch solche Frauen nach deutschem Recht als alleinerziehend gelten, deren Männer in der Ukraine sind – und damit haben sie eben Anspruch auf Unterstützungsleistungen für Alleinerziehende", sagt Zavlaris.

Im Mai wurden ukrainische Geflüchtete in Tempelhof-Schöneberg bereits zu Gruppen-Informationsveranstaltungen in den Jobcentern eingeladen. Dort haben sie dann mit Unterstützung von Sprachmittlern Anträge ausgefüllt. Seit Anfang Mai tauschen sich Jobcenter und Sozialämter aus, um das große Chaos ab dem 1. Juni zu vermeiden – wenn die Jobcenter zur neuen Anlaufstelle für ukrainische Geflüchtete werden.

Sozialämter von Antragsflut überfordert

Für das Land Berlin ist die Zuständigkeit der Jobcenter ein politischer Erfolg. Denn kaum waren Ende Februar, Anfang März die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine in Berlin angekommen, da wurde Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) nicht müde bei jeder Gelegenheit zu wiederholen, der Bund möge sich bitte für finanzielle Hilfen an die Geflüchteten zuständig fühlen. Die Auszahlung von Leistungen dürfe nicht den Sozialämtern, also den Bezirken, überlassen werden.

Das hatte zum einen finanzielle Gründe: Wenn die Geflüchteten Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch haben, dann trägt der Bund die Kosten – was dem Land natürlich nur recht sein kann. Zum anderen war aber auch erwartbar, dass Berlins ohnehin stark geforderte Sozialämter durch Tausende neue Antragsteller massiv überfordert würden.

Giffey: Wechsel auf Jobcenter ein "Quantensprung"

Der Ruf aus Berlin nach Zuständigkeit der Jobcenter blieb über viele Wochen und Ministerpräsidentenkonferenzen ungehört. Der Haushalt des Bundes war auch so schon überstrapaziert, die Bundesregierung ließ sich mehrfach bitten. Und so warteten vor den Sozialämtern, etwa in Reinickendorf und Neukölln, täglich Dutzende bis Hunderte Geflüchtete, um sich für Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz zu registrieren. Die dort zuständigen Sozialstadträte von der CDU wurden nicht müde, immer wieder mehr Unterstützung vom Senat einzufordern. Dieser zeigte weiter mit dem Finger auf den Bund – bis man sich schließlich bei der Ministerpräsidentenkonferenz am 9. April darauf einigte, dass ab Juni die Jobcenter übernehmen sollen.

Die Berliner Regierende Franziska Giffey (SPD) will das nicht nur als Entlastung des Berliner Haushalts verstanden wissen. "Aus integrationspolitischer Sicht ist dieser Rechtskreiswechsel ein Quantensprung", sagt die Regierende Bürgermeisterin auf Nachfrage des rbb. "Die Menschen, die in Grundsicherung kommen, werden einen Zugang haben zu Sprachbildung, zum Gesundheitssystem und zu Integrationskursen. Und der Zugang zu Arbeit, Ausbildung und gesellschaftlicher Teilhabe ist Gelingensbedingung für eine erfolgreiche Integration", so Giffey.

Jobcenter rechnen nicht mit langen Schlangen

Dass Geflüchtete aus der Ukraine nun die Jobcenter als Anlaufstelle haben, bedeutet konkret: Sie können künftig Arbeitslosengeld II bekommen, also Hartz IV – oder eben Sozialhilfe. Das hat erst mal den Vorteil, dass sie mehr Geld bekommen als nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, bei dem die Sätze niedriger sind. Sie bekommen mit dem Anspruch aufs Arbeitslosengeld auch teilweise die Kosten für Unterkunft und Heizung erstattet. Außerdem können sie Kindergeld beantragen.

Aus Sicht der Jobcenter eine deutliche Verbesserung. "Wir haben jetzt die Möglichkeit, unter einem Dach und aus einer Hand nicht nur Leistungen zum Lebensunterhalt zu gewähren, sondern auch gleich in das Thema reinzugehen: Wie können wir unterstützen und die Integration in den Arbeitsmarkt organisieren?", sagt Ramona Schröder. Sie ist bei der Bundesagentur für Arbeit die Vorsitzende der Geschäftsführung für die Regionaldirektorin Berlin-Brandenburg. "Bisher waren zwei Behörden zuständig, jetzt ist es nur noch eine – das geht schneller."

Mit langen Schlangen rechnet Ramona Schröder nicht. "Wir sind seit Anfang Mai in der Vorbereitung und in einem sehr engen Austausch mit den Sozialämtern. Alle zwölf Jobcenter in Berlin und auch im Land Brandenburg haben sich gut vorbereitet, die personellen Ressourcen stehen – also alles spricht dafür, dass wir gut vorbereitet sind." Ähnlich sieht man es bei den Jobcentern in Potsdam. "Es ist schon eine Herausforderung", sagt der Geschäftsführer der Potsdamer Jobcenter, Thomas Brincker, "aber wir haben in der Corona-Krise auch einen enormen Zugang gehabt, sodass meine Beschäftigten so eine Situation gewöhnt sind. Wir sind außerdem personell gut aufgestellt und haben das Verfahren entsprechend organisiert."

Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer: riesiger Informationsbedarf

In Berlin rechnen die Jobcenter mit 35.000 Geflüchteten aus der Ukraine, die antragsberechtigt sind. In Brandenburg sind es der Regionaldirektion zufolge etwa 20.000 Menschen. Denn so viele sind in beiden Bundesländern bereits registriert und haben eine sogenannte Fiktionsbescheinigung – also den Nachweis über ihr vorläufiges Aufenthaltsrecht.

Das sind die Voraussetzungen, um direkt ab 1. Juni im Jobcenter betreut zu werden. "Das bedeutet aber nicht, dass diese 35.000 Geflüchteten in Berlin alle persönlich einen Antrag stellen werden. Es sind ja auch Kinder darunter und Familien, daher rechnen wir ungefähr mit der Hälfte an Anträgen", sagt Ramona Schröder dem rbb.

Doch was nach einer guten Nachricht klingt, sieht man im Flüchtlingshilfe-Verein "Moabit hilft" kritisch. Denn aus ihrer Sicht gibt es viel zu wenig Informationen für Geflüchtete, was dieser Wechsel vom Sozialamt in die Jobcenter für sie bedeutet und wie sie all die Anträge beim Jobcenter ausfüllen müssen. "Wir brauchen jetzt eine große Informationskampagne, die Geflüchteten brauchen mehr Informationen", beklagt Geschäftsführerin Diana Henniges. "Im Grunde müsste man 20 Jahre Digitalisierung aufholen, ich verstehe nicht, warum man stapelweise Papier druckt, statt die Menschen über Instagram oder Telegram zu informieren."

"Moabit Hilft": Politik hat nichts dazugelernt

Die Haupt- und Ehrenamtlichen von "Moabit hilft" unterstützen die Geflüchteten dabei, Anträge zu verstehen und auszufüllen. Das kann manchmal ein bis zwei Tage dauern, so Henniges. "Wir können das Rudimentärste machen, aber das ist eigentlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und daraus ergibt sich auch, dass es eine politische Verantwortung geben muss", sagt Henniges. Die Politik aber wate im selben Wasser wie vor zehn Jahren.

Dem widerspricht die Regierende Bürgermeisterin. Die Politik habe sehr wohl aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Zusammen mit Integrationssenatorin Kipping informiere sie in diesen Tagen Bezirksstadträte und Bezirksbürgermeister, um zu besprechen, welche Hilfen bei der Umstellung noch benötigt würden. "Es geht jetzt um ganz viel Abstimmung und Beratung für diejenigen, die betroffen sind. Da versuchen wir mit der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten und auch mehrsprachige Informationen bereitzustellen und an die Menschen ranzubringen", sagt Giffey.

Ob das funktioniert und die Geflüchteten aus der Ukraine wissen was zu tun ist – oder, wie Ehrenamtliche befürchten, eher völlig überfordert sind, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.

Beitrag von Sabrina Wendling

18 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 18.

    Guter Ansatz in Berlin und bei den Mengen sicherlich ein guter Ansatz. Zur Ausländerbehörde mit Termin muss man trotzdem noch, allerdings dann zeitlich entkoppelt.

    Wie löst Berlin die Krankenversicherungsprovlematik? Bei uns im Landkreis hat die Ausländerbehörde strikt zum 31.5. die Zahlung für Gesundheitsleistungen eingestellt. Ab 01.6. ist das Jobcenter zuständig und die Krankenkasse. Leider bescheinigt das Jobcenter erst seit 01.06. und damit kann auch erst die Krankenkasse beantragt werden. Familienversicherung der ukrainischen Kinder dauert auch 1-2 Wochen. Damit sind die Ukrainischen Kinder bei uns einem erhöhten Risiko ausgesetzt, da kein Leistungsträger verantwortlich ist. Wie macht das Berlin?

  2. 17.

    In Berlin (mittlerweile) schon: https://www.berlin.de/ukraine/ankommen/aufenthaltserlaubnis-online-antrag/

    Termin online buchen und direkt das PDF der Fiktionsbescheinigung herunterladen. Damit geht es zum Jobcenter zum Beantragen der Leistungen nach SGB II.

    Der Übergang selbst ist natürlich kein Quantensprung und für alle Beteiligten schwierig, aber die Möglichkeiten der Unterstützung der Geflüchteten sind im SGB II deutlich umfassender als nach AslybLG.

  3. 16.

    Ja schönen Dank. Aber so lauft es eben nicht. Viele Grüße aus der Behörde, die das täglich macht.

    Vielleicht lesen Sie einfach mal was da steht: Termin buchen, dann das Dokument ausdrucken, welches Aufenthalt in Berlin und zur Arbeitsaufnahme erlaubt und zum Termin im LEA dann den eigentlichen Aufenthaltstitel beantragen. So läuft das aktuell, seit mehreren Wochen und auch in den kommenden. Und jetzt reicht es wirklich mit anderen Behauptungen bitte.

  4. 15.

    Eine Fiktionsbescheinigung gibt es nicht online. Der Termin dazu kann online beantragt werden. Dabei müssen ebenfalls die Fingerabdrücke genommen werden und Ausweisdokument vorgelegt werden. Online-Anträge sind lediglich eine Vorerfassung der Daten. Ich habe eine ukrainische Familie durch den ganzen Prozess geführt.

    Die Ausfühung, dass der Übergang einen Quantensprung ist, ist purer Populismus. Es geht nur darum die Zuständigkeit auf den Bund zu übertragen. Alle Daten müssen noch einmal neu erfasst werden. Einziger wirklicher Vorteil für die Ukrainer ist, dass die Krankenversicherung mit Chipkarte funktioniert und nicht für jeden Arztbesuch ein Antrag gestellt werden muss. Ansonsten beschäftigt das nur die Helfer und schafft Lücken in der ärztlichen und finanziellen Versorgung der Flüchtlinge.

  5. 14.

    Bleibt abzuwarten, ob bei den Ukrainern auch restriktive Maßnahmen ergriffen werden, wenn z. B. die Vermögenlage nicht richtig angegeben wurden, wie es bei hiesigen Arbeitslosen passiert.
    @Hagen - Ihre Diffamierung wird auch nicht besser, wenn Sie X-mal wiederholt wird.
    Aber: was halten Sie von den 100 Milliarden für die Aufrüstung?

  6. 13.

    Man beantragt online den Aufenthaltstitel, erhält später den Termin zur Ausgabe, bekommt vor Ort das Dokument und geht dann wieder!
    Viele Grüße aus ner Behörde

  7. 12.

    Was halten sie denn für sinnvoller? Teure Geschenke für die Mineralölkonzerne und die Berliner FDP (A 100) oder Hilfe für traumatisierte Flüchtlinge? Aha...

  8. 11.

    Ja, online. Einfach mal hier selbst lesen:
    https://www.berlin.de/ukraine/ankommen/aufenthaltserlaubnis-online-antrag/

    „ Für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stellen Sie bitte online einen Antrag beim LEA.

    Nach dem Absenden Ihrer Daten wird Ihnen ein PDF-Dokument als Bestätigung Ihres Antrags angezeigt. Mit diesem PDF-Dokument wird Ihnen der erlaubte Aufenthalt im Bundesgebiet und das Recht zur Aufnahme jeder Erwerbstätigkeit bescheinigt.
    Bitte speichern Sie sich dieses Dokument deshalb unbedingt ab und drucken es zudem auch nach Möglichkeit aus.“
    > Das ist die erwähnte Fiktionsbescheinigung, sie berechtigt übrigens auch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit und damit zur Beantragung der Leistungen nach SGB II im Jobcenter.

  9. 10.

    Offensichtlich halten sie Milliarden an Geldverschwendung für sinnvoller als es für traumatisierte Flüchtlinge auszugeben? Aha...

  10. 8.

    Die gleichen die den unsinnigen Ausbau der A 100 oder den Geldsegen für die Mineralölkonzerne bezahlen. Nur hier ist das Geld sinnvoll angelegt.

    Antworten über Antworten.

  11. 7.

    Die gleichen die den unsinnigen Ausbai der A 100 oder den Geldsegen für die Mineralölkonzerne bezahlen. Nur hier ist das Geld sinnvoll angelegt.

    Antworten über Antworten.

  12. 6.

    Häää??? Ein Aufenthaltstitel der heruntergeladen werden kann? So ein Quark. Auch bei einer Fiktionsbescheinigung gehört ein Siegel drauf, außerdem ist das kein weißes A4 Blatt! Bitte informieren SIE sich erstmal.

  13. 4.

    Diese Fiktionsbescheinigung wird online ausgestellt und kann mittels Terminbuchung beim LEA heruntergeladen werden. Das funktioniert und haben bereits tausende Geflüchtete gemacht.
    Bitte informieren Sie sich in ihrer Flüchtlingshilfe besser, damit sie tatsächlich helfen können.

  14. 3.

    Und wer bezahlt all das wieder? Fragen über Fragen.

  15. 2.

    Ich arbeite selbst in der Flüchtlingshilfe und kann leider keine gut organisiertes Prozedere erkennen. Die Sozialämter stellen von einem Tag auf den anderen die Zahlungen ein und verweisen an die Jobcenter. Diese wiederum verlangen entweder die Aufenthaltserlaubnis (welche die meisten noch nicht haben, weil auf Termin beim Landesamt für Einwanderung gewartet werden muss) oder alternativ eine “Fiktionsbescheinigung”, welche in Berlin meist nicht ausgestellt wurde. Versorgungslücke garantiert !

  16. 1.

    Ist ja auch eine Bundesaufgabe. So etwas kann keine Kommune alleine leisten.

Nächster Artikel