Deutlich mehr Menschen erwartet - Berlin bittet Brandenburg um Hilfe bei der Aufnahme von ukrainischen Kriegsflüchtlingen

Weil sich der russische Angriff auf die Ukraine immer mehr gegen die Zivilbevölkerung richtet, rechnet Berlin zeitnah mit deutlich mehr Flüchtenden. Der Senat hat deshalb einen Hilfsantrag an Brandenburg gestellt, wie der rbb erfuhr.
Berlin hat einen Hilfsantrag an Brandenburg gestellt, Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen. Das bestätigte der Brandenburger Innenminister Michael Stübgen (CDU) dem rbb. Brandenburg wolle nun kurzfristig 420 Plätze zur Verfügung stellen.
Am Mittwochabend kamen weitere Züge mit Kriegsflüchtlingen am Berliner Hauptbahnhof an. Wenke Christoph (Linke), Staatssekretärin für Integration und Soziales, sagte in der rbb-Abendschau, sie rechne damit, dass es mindestens so viele wie am Dienstag oder sogar mehr seien - also mehr als 1.400 Menschen.
In Brandenburg mehr als 3.000 Geflüchtete aus der Ukraine
Die Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) hatte bereits am Mittwochvormittag in einem Pressestatement mitgeteilt, dass sie einen "sprunghaften Anstieg" der Zahlen von geflüchteten Menschen aus der Ukraine erwarte. Als Grund nannte sie die zunehmenden Angriffe auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine durch die russische Armee.
Auch Stübgen erklärte, man müsse sich auf weitere "Flüchtlingswellen" einstellen. "Was in der Ukraine stattfindet, ist ein Kriegsverbrechen", sagte Stübgen.
Am Montag und Dienstag wurden Senatsangaben zufolge insgesamt 1.750 Menschen in Berlin registriert. In Brandenburg seien mittlerweile bereits mehr als 3.000 Geflüchtete angekommen, teilte das Land mit.
Drei Sonderzüge am Mittwoch
Insgesamt fünf Züge aus der polnischen Hauptstadt wurden am Mittwoch in Berlin erwartet. Dabei handelte es sich um reguläre Fahrten, mit den Zügen aus Polen waren in den letzten Tagen aber viele Flüchtende nach Deutschland gekommen. Sie können viele Züge kostenlos für ihre Flucht nutzen.
rbb-Reporter vor Ort berichteten bereits am frühen Abend von mehreren hundert Menschen, die in jedem ankommenden Zug seien, der am Hauptbahnhof ankommt. Die Züge wirkten teilweise überfüllt und kamen mit großer Verspätung in Berlin an. Der letzte wurde um 22.30 Uhr erwartet.
Die ursprüngliche Schätzung des Berliner Senats, dass die Stadt infolge des Krieges in der Ukraine mit rund 20.000 Geflüchteten rechne, scheint schon jetzt zu niedrig. Die Situation sei gerade "sehr dynamisch", stellte Wenke Christoph in der Abendschau fest.
Lage laut Senat "dramatisch verändert"
Auch ein Bus aus Odessa mit 120 jüdischen Waisenkindern soll derzeit nach Berlin unterwegs sein. Die Kinder seien in Zusammenarbeit mit dem in Odessa ansässigen Rabbiner evakuiert worden, teilte die jüdische Gemeinschaft Chabad Lubawitsch mit. Am Donnerstag werden sie in Berlin erwartet und sollen hier zunächst von Chabad aufgenommen und erstversorgt werden.
Eine aktuelle Gesamtzahl der derzeit in Berlin befindlichen Geflüchteten aus der Ukraine scheint schwer ermittelbar zu sein, weil nicht alle den Weg über die offiziellen Registrierungsstellen gehen, wie Senatorin Kipping erklärte. Einige würden direkt vom Hauptbahnhof von Verwandten abgeholt und untergebracht, sagte sie. Die meisten brauchten aber wohl den Schutz und Hilfsangebote der Stadt. Auch die Senatorin erkenne, dass sich die Lage "dramatisch verändert" habe, es müssten immer mehr Flüchtende von den Behörden untergebracht werden. Die Stadt Berlin habe bereits einen Krisenstab eingerichtet.
Staatssekretärin: "Wir brauchen die Freiwilligen, das ist klar!"
Bei der Ankunft von 1.300 Geflüchteten am Dienstagabend am Berliner Hauptbahnhof hatten vor allem freiwillige Helfer, die Berliner Feuerwehr sowie das Deutsche Rote Kreuz und Bahn-Mitarbeiter geholfen, den Menschen Verpflegung und medizinische Versorgung zu geben und ihnen den Weg zu den Bussen zu zeigen, die für die Weiterfahrt zum Landesamt für Flüchtlinge bereitstanden.
Eine rbb-Reporterin vor Ort hatte am Abend berichtet, Helfer der Ämter seien nicht erkennbar gewesen. Das soll sich inzwischen geändert haben, wie Kipping mitteilte, so werde der Info- und Versorgungspunkt im Hauptbahnhof inzwischen auch von den Behörden und der Stadtmission unterstützt. Auch Wenke Christoph warb im rbb um Verständnis, dass der Senat die Situation im Moment nicht alleine meistern könne: "Wir müssen gemeinsam als Stadt daran arbeiten", sagte sie und: "Wir brauchen die Freiwilligen, das ist klar!" Der Krisenstab arbeite aber rund um die Uhr daran, neue Unterkünfte zu finden und inzwischen auch am Hauptbahnhof.
Ein Gebäude sei bereits kurzfristig als Unterkunft in Betrieb genommen worden, das eigentlich als Quarantäne-Station gedacht war, erklärte Kipping. Weitere Unterbringungs-Möglichkeiten - unter anderem in Spandau, Neukölln, Pankow und Friedrichshain - würden gerade "aktiviert". Berlin komme nicht umhin, eine "großflächige Struktur zu schaffen", um das alles zu bewältigen.
Giffey und Kipping fordern Regelung des Aufenthaltsrechts
Problematisch sei laut Kipping, dass es noch keine offizielle Handhabe zur Registrierung der Flüchtlinge gebe und damit auch keine Instrumente zur Verteilung auf andere Bundesländer. Sie kritisierte die noch ausstehende Regelung zum Umgang mit den Menschen aus der Ukraine: "Wir agieren jetzt quasi auf der Grundlage von Presseaussagen und Twittermeldungen der Bundesinnenministerin. Wir haben noch keine Gesetzesgrundlage, wir agieren aber so, als ob sie als Kriegsflüchtlinge eingestuft sind, weil die Menschen brauchen ja Hilfe", sagte die Senatorin.
Auch die Berliner Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) betonte, dass es entscheidend sei, schnell die Frage des Aufenthaltsrechts zu klären. Sie hoffe auf einen Beschluss des Europäischen Rats in Brüssel am Donnerstag. Von der Bundesregierung forderte sie, dass die Menschen aus der Ukraine ein Aufenthalts- und Arbeitsrecht bekommen.
UN: Bereits über 800.000 Menschen aus der Ukraine auf der Flucht
Berlin hatte am Dienstag bekannt gegeben, man richte sich auf die Unterbringung von 20.000 Geflüchteten aus der Ukraine ein. Nach jüngsten Angaben des Bundesinnenministeriums vom Mittwoch seien bereits mindestens 5.300 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland registriert worden. Da an den EU-Binnengrenzen allerdings keine Grenzkontrollen stattfinden, könnte die Zahl auch deutlich höher sein.
Die Vereinten Nationen geben an, dass schon rund 875.000 Menschen vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine geflohen sind. Die Zahl erhöhe sich "minütlich", hieß es in einem Twitter-Statement des Flüchtlingshochkommissariats der UN (UNHCR) am Mittwochabend.
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Sendung: Inforadio, 02.03.2022, 13:20 Uhr