Vom Präsidenten entlassen - Melnyk ist nicht mehr ukrainischer Botschafter in Berlin

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, ist entlassen. Er hatte in der Vergangenheit mehrfach die deutsche Haltung im Ukraine-Krieg und auch das deutsche Kriegsgedenken kritisiert. Er selbst geriet auch immer wieder in die Kritik.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Botschafter seines Landes in Deutschland, Andrij Melnyk, entlassen. Das ging aus einem von der Präsidentenkanzlei in Kiew am Samstag veröffentlichten Dekret hervor.
Außer Melnyk wurden laut Präsidialamt auch die Botschafter der Ukraine in Norwegen, Tschechien und Ungarn sowie Indien entlassen. Selenskyj sprach von einem normalen Vorgang. "Diese Frage der Rotation ist ein üblicher Teil der diplomatischen Praxis", sagte er am Samstag in einer Videobotschaft, ohne einen der fünf Botschafter namentlich zu nennen.
Ob Melnyk nach seiner Entlassung als Botschafter für ein anderes hochrangiges Amt in Kiew oder anderswo vorgesehen ist, blieb zunächst offen.
Melnyk war seit Januar 2015 Botschafter in Deutschland - eine außergewöhnlich lange Zeit für einen Diplomaten auf einem Posten. Auch Kommentatoren in Kiew sagten am Samstag, dass dies etwa das Doppelte der üblichen Entsendungszeit gewesen sei.
Kritik wegen Äußerungen über ukrainischen Nationalistenführer
Melnyk wurde in Deutschland durch scharfe Kritik an der Ukraine-Politik der Bundesregierung bekannt. Zuletzt geriet er mit umstrittenen Äußerungen über den ukrainischen Nationalistenführer und Antisemiten Stepan Bandera unter Druck, dem Kollaboration mit den Nationalsozialisten vorgeworfen wird.
Melnyk bestritt in einem Interview mit dem Journalisten Tilo Jung [youtube.com], dass Bandera ein Massenmörder von Juden und Polen gewesen sei. Der Nationalist sei gezielt von der Sowjetunion dämonisiert worden. Die israelische Botschaft hatte Melnyk daraufhin "eine Verzerrung der historischen Tatsachen, eine Verharmlosung des Holocausts und eine Beleidigung derer, die von Bandera und seinen Leuten ermordet wurden" vorgeworfen.
Melnyk hatte anschließend tagelang nichts dazu gesagt, reagierte dann aber am Dienstag mit einem Tweet auf die Vorwürfe. Seine Worte adressierte er ausdrücklich auch an die "lieben jüdischen Mitbürger". Melnyk sprach von absurden Vorwürfen, die er entschieden zurückweise. "Jeder, der mich kennt, weiß: immer habe ich den Holocaust auf das Schärfste verurteilt." Die Nazi-Verbrechen des Holocaust seien eine gemeinsame Tragödie der Ukraine und Israels.
Melnyk forderte anderes Kriegsgedenken in Deutschland
Der Diplomat hatte in den vergangenen Monaten mit seiner scharfen Kritik auch an Kanzler Olaf Scholz (SPD) für Aufsehen gesorgt. Er warf Scholz und seinen Ministern unter anderem vor, zu zögerlich Waffen für den Kampf gegen die russischen Angreifer in die Ukraine zu liefern.
In Berlin hatte Melnyk ein zum Gedenken an das Kriegsende im Mai erlassenes Flaggenverbot an bestimmen Orten in der Stadt heftig kritisiert. Melnyk nannte das auf Twitter eine skandalöse Entscheidung und forderte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) auf, diese zu widerrufen. Das sei eine Ohrfeige für die Ukraine und ein Schlag ins Gesicht des ukrainischen Volkes.
Bei einer Rede im Brandenburger Landtag anlässlich des Gedenkens an das Kriegsende hatte Melnyk gefordert, ukrainische Kriegsopfer stärker in das Gedenken einzubeziehen. In Deutschland herrsche auch 77 Jahre nach Kriegsende ein "riesiger blinder Fleck" in der Erinnerung an die Barbarei der Nationalsozialisten, wenn es um die Ukraine gehe.
Sendung: Inforadio, 09.07.2022, 17:40 Uhr
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