Berlin und Brandenburg bauen Kapazitäten aus - Wie die Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine strukturierter werden soll

Brandenburg unterstützt Berlin bei der Versorgung ukrainischer Geflüchteter. Bund und Länder bemühen sich um bessere Koordination der Hilfen. Die Verfahren werden EU-weit vereinfacht. Doch noch immer leisten Freiwillige einen großen Teil der Arbeit. Von Konrad Spremberg
Die EU-Staaten haben sich geeinigt: Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, sollen schnell und unkompliziert aufgenommen werden können, ohne Asylverfahren. Das bedeutet raschen Zugang zu Arbeitsmarkt und Sozialleistungen auch in Deutschland.
Derweil werden die Hilfen für Menschen auf der Flucht aus der Ukraine nach teils chaotischem Start in der Region nach und nach effizienter und klarer strukturiert.
Potsdam stockt Kapazitäten weiter auf
Brandenburg versorgt dabei immer mehr Geflüchtete, die zunächst in Berlin angekommen waren. Nach einem Hilfsantrag des Senats am Dienstagabend hat das Brandenburger Innenministerium Plätze in drei Kommunen zur Verfügung gestellt, vor allem in Brandenburg an der Havel und Potsdam mit jeweils hundert Betten. Dazu kommen laut Innenministerium mindestens 288 Menschen in der Brandenburger Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt. Von allen aus der Ukraine hier angekommenen Menschen lebt aber nur ein Bruchteil in solchen öffentlichen Einrichtungen.
Potsdam hat bisher 70 der 100 Plätze belegt, viele davon in angemieteten Pensionszimmern. Aber schon jetzt stockt die Stadt die Kapazitäten in Gemeinschafsunterkünften weiter auf. Bei Bedarf würden auch große Hallen freigemacht, sagte Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) dem rbb.
Neue Shuttlezüge der Bahn
Am Berliner Hauptbahnhof arbeiten aktuell vor allem Mitarbeitende der Bahn zusammen mit dem Technischen Hilfswerk und dem Deutschen Roten Kreuz, um den ankommenden Menschen zu helfen. Laut Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) sind auch Senatsmitarbeitende regelmäßig vor Ort. Ohne viele freiwillige Helfer:innen ginge es aber weiterhin nicht, berichtet ein rbb-Reporter. In Warnwesten versorgen sie die Ankommenden mit Essen, Kleidung, Spielzeug und Mobilfunkkarten und helfen dabei, Züge und Busse in andere Teile Berlins und Deutschlands zu finden.
Die Bahn hat am Donnerstag einen neuen Shuttleverkehr zwischen dem Grenzbahnhof Frankfurt (Oder) und Berlin eingerichtet. Täglich pendeln hier sechs Züge, zusätzlich zu den acht Fernzügen aus Polen. Damit ist auf der Verbindung Frankfurt-Berlin nach Angaben der Bahn Platz für rund 5.000 Reisende pro Tag.
Die Einreise nach Deutschland und die Weiterfahrt im Nahverkehr sind mit ukrainischem Pass kostenlos. Für den Fernverkehr bekommen Ukrainerinnen und Ukrainer an DB-Schaltern das "helpukraine"-Ticket ebenfalls kostenlos. Es kann zu jedem beliebigen Zielbahnhof gelöst werden und gilt auch für Züge ins europäische Ausland. Geflüchtete sollen so unkompliziert zu ihren Verwandten und Bekannten fahren können.
Viele bieten ein Dach überm Kopf
Wer nicht bei Freund:innen und Familie unterkommen kann, findet theoretisch ein großes Angebot an privaten Übernachtungsmöglichkeiten. Beim derzeit größten Vermittlungsportal "unterkunft-ukraine.de" sind bis Donnerstagnachmittag mehr als 180.000 angebotene Betten registriert.
Das Brandenburger Integrationsministerium hat eine eigene zentrale E-Mail-Adresse für private Unterkunftsangebote eingerichtet [msgiv.brandenburg.de]. Innerhalb eines Tages gingen hier rund 150 Angebote ein. Sie werden an die Landkreise weitergeleitet, die für die Unterbringung zuständig sind. Potsdam hatte zuvor schon eine eigene Adresse geschaltet, auch hier wurden bisher rund 150 Unterkünfte angeboten.
Die Vermittlung all dieser Wohnplätze an flüchtende Menschen steht nach rbb-Recherchen aber noch ganz am Anfang. Wer jemanden aufnehmen möchte, braucht aktuell Geduld. Die offiziellen Stellen betonen aber, dass private Angebote mit wachsenden Flüchtlingszahlen immer wichtiger würden.
Berlin ist "Dreh- und Angelpunkt"
Seit dem Ausbruch des Krieges vor einer Woche sind Tausende Menschen aus der Ukraine nach Berlin geflohen. Die Berliner Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nennt die Stadt einen "Dreh- und Angelpunkt für Flüchtende in Deutschland". Nach Angaben der Senatskanzlei sind in den vergangenen Tagen etwa zwei Drittel von ihnen zu Verwandten und Freunden gefahren, ein Drittel sei vom Land Berlin versorgt und untergebracht worden.
Am Donnerstag seien bis Mittag mehr als 2.600 Menschen am Hauptbahnhof und am Zentralen Omnibusbahnhof eingetroffen. "Bis zum Abend erwarten wir insgesamt 6.000 Menschen am heutigen Tag, die in Berlin ankommen." Berlin rechnet inzwischen mit deutlich mehr als 20.000 Flüchtenden, die eine Unterkunft in der Stadt brauchen werden.
All diese Zahlen verändern sich schnell und spiegeln nicht wider, wie viele Menschen tatsächlich seit Beginn des Krieges aus der Ukraine nach Berlin und Brandenburg gekommen sind. Denn für sie besteht keine Pflicht zur Registrierung, viele finden erste Hilfe bei Verwandten und Bekannten.
Besondere Rechtslage
Wer mit ukrainischer Staatsbürgerschaft nach Deutschland reist, kann ohne Visum ohnehin bis zu 90 Tage im Land bleiben, auf Antrag noch einmal so lang – allerdings ohne Anspruch auf Sozialleistungen oder Arbeitsrecht. Das ändert sich jetzt durch eine Einwanderungsrichtlinie der Europäischen Union: Leistungen für Asylbewerber:innen, aber auch Zugang zum Arbeitsmarkt und Reisefreiheit sollen schnellstmöglich für bis zu drei Jahre gesichert werden – ohne Asylverfahren. Das haben die EU-Innenminister:innen am Donnerstag beschlossen.
In jedem Fall gilt die neue Regelung für Ukrainerinnen und Ukrainer, könnte aber auf Staatsangehörige anderer Länder oder bestimmte Personengruppen ausgeweitet werden. Für alle anderen bliebe nur das normale Asylverfahren. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) möchte, dass Menschen auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine je nach Staatsbürgerschaft unterschiedlich behandelt werden: "Wir helfen gerade Kriegsflüchtlingen und es gibt eine ganz große Aufnahme- und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung." Es gäbe aber einen Unterschied zum Asylstatus von Menschen aus anderen Ländern als der Ukraine, "das muss systematisch in diesem Bereich bleiben".
In den vergangenen Tagen häufen sich Augenzeugenberichte, dass insbesondere schwarze Menschen auf ihrem Weg aus der Ukraine vom freien Reisen abgehalten wurden. Die neuen EU-weiten Regeln zur Migration aus der Ukraine sollen schnellstmöglich umgesetzt werden.
Sendung: Abendschau, 03.03.2022, 19:30 Uhr