Kommentar | Streit um Astrazeneca - Niemand hat das Recht auf einen Lieblingsimpfstoff

Mi 17.02.21 | 18:49 Uhr
  100
Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZenec
Bild: dpa/Luka Dakskobler

Jüngere in Berlin sollen nur mit dem Impfstoff von Astrazeneca geimpft werden. Das sorgt für heftige Debatten, weil zuerst Wahlfreiheit beim Impfstoff versprochen worden war. Tatsächlich zeigt sich damit, wie schnell wir jegliches Maß verloren haben. Ein Kommentar von Sebastian Schöbel

Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als wir dem potenziell tödlichen Coronavirus gegenüberstanden, und außer einem dünnen Stück Stoff im Gesicht keine Waffen zur Gegenwehr hatten? Als wir uns fast hysterisch vor die Füße der Virologen warfen und um Impfstoff bettelten? Während draußen auf den Straßen die Corona-Leugner mit Vegan-Köchen und Kaisertreuen paradierten und sich in "Lockdown-istan" wähnten?

Die Corona-Leugner sind zwar noch da, aber inzwischen haben wir größere Probleme: Wir haben fast mehr Impfstoffe zur Auswahl als Käse-Sorten im Supermarkt. Doch statt sich über dieses Wunder der Wissenschaft zu freuen, wird rumgemeckert. Als ob man Impfstoffe wie schnöde Konsumartikel behandeln kann.

"Wie, den haben sie nur in einer Farbe? Und nur ohne Geschmack? Unerhört!"

Gesundheitssenatorin kommuniziert unglücklich

In Berlin wurde dieser Effekt von der Gesundheitsverwaltung noch befeuert: Die hatte zunächst Wahlfreiheit bei den Impfstoffen versprochen und auch umgesetzt – gegen den Rat von Experten, aber auch nachvollziehbar, damit sollte nämlich die Impfbereitschaft erhöht werden. Bis mit Astrazeneca ein Mittel kam, das nur eingeschränkt empfohlen wird. Daraufhin wurde festgelegt: Die 18- bis 65-Jährigen sollen vorrangig diesen Impfstoff erhalten, während die Älteren weiterhin mit den Mitteln von Moderna und Biontech/Pfizer geimpft werden. Auch das war sinnvoll.

Doch statt einfach offen zu kommunizieren, dass unter diesen Umständen eine freie Auswahl der Impfstoffe natürlich passé ist, eierte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci trotz mehrfacher Nachfrage herum, verwies auf die Ständige Impfkommission, sprach aber weiter kryptisch davon, dass "alles bleibt wie es ist". Während im Hintergrund fix die Online-Terminvergabe umgestellt wurde, weil die nämlich noch möglich machte, was längst nicht mehr möglich sein sollte: die freie Wahl des Impfzentrums und damit des Impfstoffs.

Deutlich zu sagen, dass der Astrazeneca-Impfstoff nun mal nicht für jeden empfohlen wird, man ihn aber auch nicht wegschmeißen will und deswegen die Wahlfreiheit nicht mehr sinnvoll ist, wäre ehrlich und richtig gewesen. Ähnlich wie bei der verbockten Berliner Impfstoffproduktion beweist Kalayci erneut, dass Krisenkommunikation nicht ihre Stärke ist.

Impfen ist nicht wie Shopping

Jetzt ist der Ärger natürlich umso größer, mancher spricht schon von "Ungerechtigkeit": Wieso bekomme ich plötzlich nicht mehr den Impfstoff meiner Wahl? Nur weil ich jung und gesund bin?

Weil die Pandemie-Bekämpfung nicht nach den Regeln der Konsumgesellschaft funktionieren kann. Eine Einladung zum Impfen ist kein austauschbares Produkt, sondern ein wertvolles Privileg. Millionen von Menschen bangen um ihre Existenz, quälen sich durch den Lockdown und warten auf eine Impfung - in dem Wissen, noch sehr lange nicht an der Reihe zu sein.

Wer aus Sorge vor Nebenwirkungen von einer Impfung derzeit ganz absieht, setzt sich und andere einem Risiko aus.

Und wer mit einem bestätigten Impftermin in der Hand meckert, weil der Impfstoff der Wahl nicht angeboten wird, verhält sich einfach nur unsozial.

Hinweis: Wir haben im letzten Satz das Wort "asozial" durch das Wort "unsozial" ersetzt. Gemeint war ein unsolidarisches, nicht soziales Verhalten. Das Wort "asozial" ist durch eine besonders menschenverachtende Verwendung von den Nationalsozialisten historisch belastet. Wir bedanken uns ausdrücklich für den Hinweis eines Lesers.

Die Kommentarfunktion wurde am 18.02.2021 um 08:04 Uhr geschlossen

Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Was Sie jetzt wissen müssen

100 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 100.

    Vor einer Impfung wäre ein Antikörpertest ratsam, sonst hat man mit schweren Nebenwirkungen zu kämpfen. Der Staat greift wieder in die Rechte der Bürger ein und zwingt dem Bürger einen Impfstoff auf, der nicht gut ist und in vielen Ländern umstritten ist!

  2. 99.

    Von den Nebenwirkungen einmla abgesehen. Warum sollte ich mir einen Impfstopff verabreichen lassen der nur 60 - 70 % Wirkungsgrad hat? Diese POlitik hat bei mir lediglich bewirkt, dass meine Bereitschaft sich impfen zu lassen bei 0 ist. Da hab ich nämlich Gott sei Dank noch die Wahl.

  3. 98.

    Mit dieser Entscheidung hat Frau Kalayci der ohnehik schon schlechten Impfbereitschaft einen Bärendienst erwiesen. Besser wäre gewesen, dass Impfberechtigte Termine bis z.B. 15 Uhr buchen können. Danach kann jeder, auch noch nicht Berechtigte, ohne Termin eine Impfung bekommen. Ich denke, dass das die Bereitschaft, sich auch AZ impfen zu lassen, enorm erhöht hätte. Man wäre nicht auf dem Impfstoff sitzen geblieben. Ich fürchte, so werden jetzt viele Impftermine einfach nicht wahrgenommen werden.

  4. 97.

    Niemand hat das Recht auf einen Lieblingsimpfstoff

    Und Niemand hat das Recht mir vorzuschreiben,was für Medikamente/Impfstoff ich zu nehmen habe.
    Es gibt sicherlich die möglichkeit sich woanders mit Biontech und Moderna Impfen zu lassen.



  5. 96.

    Toller Beitrag von wegen „es ist ein Privileg sich impfen zu lassen“!!!
    Für mich gibt es KEINEN!!!! Grund auf 25% mehr Schutz bei einen Impfung zu verzichten!!!!
    Bisher war es für mich keine Frage darüber nachzudenken ob oder ob nicht ich mich nicht impfen lassen werde.
    Das Thema ist vom Tisch für mich.
    Ich werde mich jedenfalls NICHT mit AZ impfen lassen.

  6. 95.

    Ich würde mich gerne impfen lassen, aber mit ü 60 und u 70 dauert es wohl noch. Ich nehme grippeähnlichiche Symptome gerne in Kauf, wenn mir dadurch das Beatmunggerät oder gar der Sarg erspart bleiben. Das Wohlstandsgemecker in unserem Land nimmt groteske Formen an. Ich will, ich will, ich will.

  7. 94.

    Sehr richtig. Ich kann Ihnen da nur zustimmen. Das, was Sie beschreiben gilt ebenso (leider) aber gerade auch für die, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen die Impfmittelwahlfreiheit ausgerufen haben.Das es Ausnahmen geben muss, die medizinisch begründet sind, wie zum Bsp bei Autoimmunerkrankungen, sollte überhaupt nicht Gegenstand einer Diskussion sein, aber bei allen anderen eine Wahlfreiheit zu versprechen ist freundlich gesprochen ein weiteres kommunikative Debakel der verantwortlichen Senatorin.

  8. 93.

    @Ulrike Sonntag: mir geht es wie Ihnen. Aus diesem Grunde werde ich mich auch nicht impfen lassen mit AstraZeneca.
    Sollte Frau Kalayci damit durchkommen, erwäge ich, mich umzumelden in ein anderen Bundesland, wo ich mir den Impfstoff noch aussuchen kann.

  9. 92.

    Jens Spahn hat von Anfang an gesagt,dass der Impfstoff solange nicht ausgwählt werden kann,solange dafür nicht genug vorhanden ist. Der Senat von Berlin ist dann ausgeschert und nun fliegt ihm das Thema um die Ohren. Nicht zuletzt durch die schlechte und teils widersprüchliche Kommunikation von Frau Kalayci ,die sich sogar in ihren unterschiedlichen Twitteräußerungen widerspricht. Ohne diesen Alleingang gäbe es diese Diskussion gar nicht.

  10. 91.

    Wenn der Kommentar recht hat, war das Verhalten der Gruene Senatorin also nur unfähig.

  11. 90.

    Herr Ströbel sollte sich mal lieber Gedanken machen, warum ausgerechnet Pflegekräfte/ medizinisches Personal skeptisch ist. Und diese nennt er dann asozial, ja? Die Menschen, die seit Monaten die Stationen am Laufen halten? Ihre Meinung über Astrazeneca in allen Ehren, Herr Autor, Menschen beschimpfen und beleidigen ist eine Stufe unter der, die Sie genannt haben.

  12. 89.

    Impfen ist sehr wichtig! Was man nicht verschweigen sollte, das der größte Teil der Pflegekräfte nach der Impfung mit Astra Impfstoff erst mal erkrankt. Das ist fatal! Wir brauchen die Pflegekräfte, wer soll die Patienten versorgen wenn das Personal ausfällt? Wer stellt Ersatzpersonal?? Also bitte mal überlegen, ob das der richtige Weg ist. Nicht umsonst verweigern Pflegekräfte die Impfung.

  13. 88.

    Das sehe ich ganz anders! Erst wurde uns Versprochen, das wir wählen können dann wird es gebrochen! Es ist aber mein Körper und ich möchte mitentscheiden was da hinein geimpft wird. Meine Impfbereitschaft lag bei 100 Prozent. Durch diese Entscheidung sieht jetzt alles anders aus! Vertrauen kaputt!

  14. 87.

    Also aktuell verbreitet sich bei uns die zuerst in Großbritanien entdeckte Mutation, die ansteckender sein soll als das ursprüngliche COVID19. Hiergegen soll AZ auch wirksam sein. Es ist ja noch vieles ungeklärt,so z.B. auch,wielange die Impfungen wirken. Ich pers. gehe im Moment davon aus,dass wir uns ggf. jährlich impfen lassen müssen,wie bei der Grippeschutzimpfung. In der Zwischenzeit wird sich bei den Impfstoffen noch viel tun,sie müssen ja auch mgl. weiteren Mutationen angepasst werden. AZ ist nach meinem Kenntnisstand auch dabei. M.E. wäre ich mit der Impfung,auch mit AZ besser geschützt als ohne Impfung. Das muss aber jeder für sich selbst entscheiden. Das Thema sollte in jedem Fall sachlicher behandelt werden.

  15. 86.

    Sehe ich genauso!
    Da schränke ich mich lieber weiter ein, als dass ich mich einem höheren Risiko beim Impfstoff aussetze.

  16. 85.

    Da ist es wieder, das Land der Egoisten. Endlich ein Grund, sich nicht impfen zu lassen und sich ungeniert zurück zu lehnen und den Lockdown weiter zu genießen. Uns geht's zu gut! Sebastian hat Recht!

  17. 84.

    mal unanhängig von diesem unsäglichen Kommentar. Ich kann nur jedem empfehlen sich auf der wirklich guten Web Seite vom Paul Ehrlich Institut die EMA Zusammenfassung zu AZ anzuschauen und sich sein eigenes Bild zu machen.
    Es wird in allen Medien immer wieder gebetsmühlenartig reflektiert das AZ nur bis 65 zugelassen ist, da es darüber hinaus keine Daten für ältere gebe. Das ist so NICHT korrekt, denn belastbare Daten liegen nur für die Altergruppe der Probanden von 18 bis 55 vor. In Italien und in Spanien ist der Impfstoff deshalb auch nur bis 55 zugelassen. Die zweite Zahl die im Orbit herum wabert ist die Wirksamkeit von 70%. Auch das ist nicht korrekt - es sind durchschnittlich 60%. Bitte schaut euch doch einfach mal die EMA Studie dazu an !
    Diejenigen die das tun und zumindestens Fragen haben und/oder verunsichert sind sollte man jedenfalls nicht als asozial bezeichnen ...

  18. 83.

    In einem Kommentar nimmt man kritisch Stellung zu einem Thema. Nicht anderes haben sie getan. Da sieht man wieder, mit wie wenig Kritik sehr viele Menschen umgehen können. Ich bin froh, dass im öffentlich-rechtlichen noch so etwas stattfindet.

  19. 82.

    "Mir wäre ein Impfstoff der zu 70% schützt lieber als keiner"
    Das Problem ist, dass er gegen die Mutationen - insbesondere die südafrikanische und brasilianische - fast gar nicht wirkt.
    Und genau diese Formen von Covid 19 werden zukünftig hauptsächlich vorkommen. Wer mit Astra Zeneca geimpft ist, hat also schon von vornherein die Garantie eines immer weiter nachlassenden Schutzes.

  20. 81.

    Was ist mit Menschen unter 66, die in einer derart schlechten gesundheitlichen Verfassung sind, dass sie Sorgen haben müssen, sich mit einer Impfung dieses Wirkstoffes (A.Z.) körperlich dauerhaft zu schaden, also mit einschneidenden Behinderungen rechnen müssen?

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren