Interview | Bildungsforscher Olaf Köller - Warum Schülerinnen und Schüler jetzt Zukunftsoptimismus brauchen

Mi 23.06.21 | 14:42 Uhr
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Symbolbild: Zwei Kinder spielen im Wasser eines Springbrunnens im Rosengarten am Treptower Park. (Quelle: dpa/A. Riedl)
dpa/A. Riedl
Audio: Inforadio | 23.06.2021 | Olaf Köller im Interview | Bild: dpa/A. Riedl

Endlich Sommerferien! Doch was, wenn in diesem verrückten Schuljahr große Wissenslücken entstanden sind? Ist Entspannung wichtiger oder Ferienkurse? Auf die richtige Mischung kommees an, sagt der Bildungsforscher und Psychologe Olaf Köller.

rbb: Herr Köller, im abgelaufenen Schuljahr ist so vieles zu kurz gekommen, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Was brauchen die Kinder und Jugendlichen denn jetzt in den Ferien am meisten? Freiraum für Spiel und Bewegung, fürs Seele baumeln Lassen? Oder dann doch eher den Nachholunterricht, um die Lücken zu schließen?

Olaf Köller: Ich glaube, ganz wichtig ist jetzt, dass durch die Aufhebung der Kontaktverbote die Kinder wieder mehr Austausch mit den Gleichaltrigen bekommen, gerade auch in den Ferien. Dass sie spielen können, dass auch im Freien natürlich die Masken fallen können. Dass sie dort den sozialen Austausch haben, dass sie wieder lernen, mit den Gleichaltrigen zu interagieren, gemeinsam Regeln zu definieren beim Spielen.

Gleichwohl kann man die Sommerferien auch dazu nutzen, darüber nachzudenken, durch welche Maßnahmen Wissensdefizite und Lernrückstände, die in den letzten Monaten aufgetreten sind, sich beseitigen beziehungsweise reduzieren lassen. Es wird aber sicher nicht reichen, sich da auf die Ferien zu beschränken.

Zur Person

Olaf Köller

Der 58-jährige gebürtige Kieler ist Bildungsforscher und Psychologe. Köller ist zudem Vorsitzender der "Ständigen wissenschaftlichen Kommission". Das Gremium wurde ins Leben gerufen, um die Kultusminister der Länder zu beraten.

In welchen Fällen wäre denn für die Schüler und Schülerinnen Lernen tatsächlich in den Sommerferien sinnvoll? Und wieviel vor allem?

Generell kann man sagen, das ist sicher nicht für alle Schülerinnen und Schülern nötig, sondern wir gehen davon aus, dass die betroffene Gruppe ungefähr 30 Prozent der Kinder umfasst. Besonders betroffen sind sicherlich die Kleinen, also unsere Grundschülerinnen und -schüler beziehungsweise die Kinder, die jetzt in die Schule kommen nach den Sommerferien, oder auch Kinder, die übergehen von der Grundschule in die Gemeinschaftsschule oder in eine integrierte Sekundarschule, ins Gymnasium. Dort kann man in den Ferien anfangen mit ersten Angeboten, beispielsweise im Deutschunterricht, aber auch im Mathematikunterricht.

Wir gehen davon aus, dass die betroffenen Kinder sonst auch nicht erfolgreich weiter lernen können im neuen Schuljahr. Aber wir müssen uns natürlich auch nichts vormachen: Das wird bei Weitem nicht reichen. Wir wissen ja auch, dass diese Angebote freiwillig sind. Sie werden vielfach auch nicht die Kinder erreichen, die es besonders nötig haben. Es ist aber symbolisch wichtig, dass wir die Angebote machen, dass wir den Familien signalisieren: Euren Kindern kann geholfen werden. Aber gleichzeitig ist noch wichtiger, darüber nachzudenken: Was können wir im Laufe des nächsten Jahres tun, damit die Rückstände aufgeholt werden können?

Archivbild: Bildungsforscher Olaf Köller, Direktor am IPN Leibnitz-Institut. (Quelle: dpa/D. Bockwoldt)
Olaf Köller | Bild: dpa/D. Bockwoldt

Oft ist ja auch von psychischen Belastungen die Rede gewesen bei Kindern und Jugendlichen. Wie kann man die jetzt auffangen und ausgleichen?

Wir gehen davon aus, dass es auch hier um rund 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen geht. Und wir gehen davon aus, dass sich bei einer ganzen Reihe von Kindern die psychischen Probleme von alleine ausschleichen werden, wenn sie wieder den sozialen Austausch haben, wenn sie von ihren Eltern unterstützt werden, wenn man ihnen auch Zukunftsoptimismus gibt. Im neuen Schuljahr wird es besser, und dann wird es bei vielen Kindern mehr oder weniger von alleine gehen im Laufe des kommenden Schuljahrs.

Bei anderen Kindern, die auch schon vorher Probleme hatten, sind sicherlich auch therapeutische Maßnahmen nötig. Die Kinder- und Jugendhilfe, die Sozialarbeit spielt hier eine wichtige Rolle. Und ich glaube, wir müssen auch im neuen Schuljahr die Lehrkräfte noch mehr sensibilisieren hinzuschauen, ob die Kinder psychische Symptome zeigen. Lehrerinnen und Lehrer sollen nicht selbst als Psychotherapeuten auftreten, aber sie können schon auch mit den Sozialarbeitern vor Ort sprechen, mit Schulpsychologen reden. Das müssen nicht grundsätzlich therapeutische Angebote sein, es können auch unterstützende Angebote sein: Man spricht über die Krise im Land, unterstützt die Kinder auch darin, dass sie mit Blick auf die Zukunft wieder optimistischer werden. Dass sie auch so etwas haben wie Kontroll-Erleben: Mein Leben normalisiert sich, ich gehe wieder normal in die Schule, ich habe wieder Kontakt zu Gleichaltrigen. Es gibt viele Möglichkeiten, das aufzufangen.

Herr Köller, Sie haben auch fürs Lernen eine konkrete Empfehlung abgegeben für das nächste Schuljahr, nämlich jeweils eine Stunde mehr Deutsch und eine Stunde mehr Mathe im Stundenplan. Ich höre die anderen schon aufschreien - der Bio-Unterricht dürfe nicht hintenanstehen, Sport sei auch wichtig. Lässt sich denn tatsächlich alles über die Schule ausgleichen?

Diese Forderung muss man differenziert sehen. In der Grundschule haben die Schulen in der Regel ja ohnehin flexible Stunden, über die sie verfügen können, wie sie wollen. Und viele Schulen nutzen ohnehin diese flexiblen Wochenstunden für Deutsch und Mathematik, das heißt dort bricht erst mal nichts weg.

Wenn wir über das neue Schuljahr reden und eine zusätzliche Stunde Deutsch eine zusätzliche Stunde Mathematik, dann muss man sehen, ob man das teilweise auch im Ganztagsbetrieb in den Nachmittag schiebt. Oder man muss natürlich andere Fächer zeitweise etwas reduzieren. Ich glaube, wenn man das über das ganze Schuljahr klug macht, dann wird kein Fach hinten runterfallen, dann wird sowohl der Biologieunterricht stattfinden als auch der Musikunterricht.

Sendung: Inforadio, 23. Juni 2021, 6:45 Uhr

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5 Kommentare

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  1. 5.

    "Die Kinder und Jugendliche von heute, sind die Erwachsenen von morgen“
    Nach Monaten geschlossener Schulen, Einschränkungen beim digitalen Unterricht, Verunsicherung durch erneute Quarantänenotwendigkeiten und Zurückhaltung der Wirtschaft bei der Besetzung von Ausbildungsstellen, machen sich junge Menschen zu Recht Sorgen um ihre schulische und berufliche Zukunft. Hier muss die Politik handeln und Ausgleichsmöglichkeiten für diese Nachteile finden und finanzieren. Dazu braucht es eine ernsthafte Beteiligung der jungen Menschen, denn es geht um ihre Zukunft.

    Kinder und Jugendlichen können schnell wieder aufholen und Versäumtes nachholen. Das gilt nicht nur für den Lernstoff, sondern auch für ihr soziales Leben: Sie sollen Zeit haben für Freunde, Sport und Freizeit und die Unterstützung bekommen, die sie und ihre Familien jetzt brauchen.

  2. 4.

    1 Stunde mehr Mathe, Deutsch und Englisch (also 3 Std. mehr pro Woche im Stundenplan), kann doch nicht schaden; wenigstens ab Klasse 3.

  3. 3.

    Wie wäre es den mit der Hanf-Legalisierung? Das könnte den Kindern und Jugendlichen, die Zukunft etwas "rosiger" zu sehen...

  4. 2.

    Klug gesprochen! Jetzt muss es nur noch umgesetzt werden. Und ja ich stimme zu, dass die Fächer Deutsch, Mathe und Englisch unbedingt bevorzugt unterrichtet werden, damit wenigstens das Grundwissen sitzt. Vielleicht müssten die Schulämter sich Gedanken machen über den Lehrplan und Wissen, wie z.B. teilschriftliches dividieren (oder wie das heißt) wieder streichen.
    Ich vermute nur, dass es nach den Sommerferien genau so weitergeht, wie es vor den Sommerferien aufgehört hat. Solange alle Maßnahmen ausschließlich an den bisherigen Modellierungen und Prophezeiungen fest gemacht werden und keine neuen Überlegungen einfließen, werden die Schüler bald wieder in den Wechselunterricht bzw. im homescooling landen. Es wird weiterhin nach Masken und Impfungen für die Kids gerufen werden.

  5. 1.

    Na, den wissenschaftlichen Beleg für die Behauptung, die Probleme würden sich im nächsten Schuljahr ausschleichen, die muss der Gute aber erst noch liefern. Ziemlich populärwissenschaftlich der Experte.

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