Interview | Bildungsforscherin Hanna Dumont - "Eltern bauen oft viel Druck auf, ohne es zu wollen"

Do 08.07.21 | 21:54 Uhr | Von Stephanie Teistler
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Ein Junge im Homeschooling (Quelle: dpa/Stephan Schulz)
Bild: dpa/Stephan Schulz

Distanz- und Wechselunterricht haben in der Pandemie vielen Schülern das Lernen erschwert oder unmöglich gemacht. Wie der verpasste Schulstoff nachgeholt werden kann, erklärt die Bildungsforscherin Hanna Dumont von der Uni Potsdam.

rbb: Kinder und Jugendliche haben in der Pandemie Schulstoff verpasst - Sommerschulen und Ferienangebote sollen da Abhilfe schaffen. Können diese Angebote das überhaupt leisten oder stecken Eltern da zu viel Hoffnung rein?

Bildungsforscherin Hanna Dumont. (Quelle: rbb)
Hanna DumontBild: rbb

Hanna Dumont: Da wäre ich etwas vorsichtig. Man kann nicht erwarten, dass jetzt in kurzer Zeit nachgeholt werden kann, was vielleicht in mehreren Monaten versäumt worden ist. Im Idealfall müssen die Kinder wirklich individuell gefördert werden, in enger Zusammenarbeit mit den Lehrkräften, die sie auch sonst unterrichten. Das ist in der Kürze der Zeit aber höchstwahrscheinlich nicht machbar - auch wenn ich es grundsätzlich begrüße, dass es diese Angebote gibt.

Die Länder fördern aber, was auch Schulstoff vermittelt. Was kann so eine Sommerschule dann realistischerweise?

Der soziale und motivationale Aspekt ist sehr wichtig. Denn die Leistungen entwickeln sich nicht unabhängig davon, wie sich Schülerinnen und Schüler fühlen. Und dieser Bereich - das sich Wohlfühlen, die Motivation - hat auch gelitten in den letzten anderthalb Jahren. Die Ferienangebote können also wieder Begeisterung schaffen, sich mit bestimmten Inhalten auseinanderzusetzen. Dabei ist es wichtig, wie die schulischen Inhalte angeboten werden. Es ist besser, eine Fahrradtour zu machen und den Weg ans Ziel zu berechnen, als klassisch Matheaufgaben durchzuarbeiten.

Steht mit der Motivation dabei das Spielerische im Vordergrund?

Es ist nicht so, dass man nur auf Entspannung und nur auf Interesse setzen muss. Sondern es geht darum, die schulischen Inhalte mit dem Alltagserleben der Kinder zu verzahnen. Das zu Lernende wird so an konkrete Erlebnisse geknüpft.

Kinder aus armen Haushalten hat die Pandemie stärker zurückgeworfen als andere. Wie können sie das wieder aufholen?

Wir können das für Deutschland schwer beziffern, wie groß die Lücke ist, weil nicht in allen Jahrgangsstufen regelmäßig Lernstände erhoben werden. Auf der Basis internationaler Studien müssen wir jedoch davon ausgehen, dass auch bei uns Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern besonders zurückgeworfen wurden.

Wir sprechen da in der Bildungsforschung von sogenannten Basiskompetenzen. Wer die nicht erreicht, wird auf seinem weiteren Bildungsweg Schwierigkeiten haben. Das Ziel müsste daher sein, dass der individuelle Förderbedarf jetzt erst einmal für jedes Fach diagnostiziert wird - und das ist eine Mammutaufgabe.

Wie sollen Lehreinnen und Lehrer dann mit umgehen, wen sie im nächsten Schuljahr mit Klassen konfrontiert sind, die leistungsmäßig stark auseinandergehen?

Das ist natürlich die Gretchenfrage. Es gibt verschiedene didaktische Möglichkeiten darauf einzugehen, etwa dass man nicht immer das gleiche Angebot für alle Kinder einer Klasse macht, sondern je nach Leistungsstand verschiedene Aufgaben vergibt. Das ist viel Verantwortung, die da von den Lehrkräften abverlangt wird. Jede und jeder Einzelne muss sich fragen, inwiefern er oder sie selbst die Qualifikationen und auch das Know-how hat, genau das umzusetzen.

Das ist sicher keine einfache Frage an sich selbst, wenn man den Beruf schon seit 20 Jahren macht. Was, wenn jemand zu der Erkenntnis kommt: Nein, das überfordert mich gerade?

Eine pragmatische Lösung wäre es, wenn die Lehrkräfte sich untereinander verstärkt austauschen und miteinander kooperieren. Innerhalb eines Kollegiums gibt es ja unterschiedliche Expertisen und Erfahrungen. Die kann man teilen und braucht keine Weiterbildung von außen, die in der Kürze der Zeit auch schwierig zu organisieren ist.

Auf der anderen Seite waren die vergangenen anderthalb Jahre auch für die Eltern anstrengend. Was raten Sie denen, die jetzt Schulwissenslücken bei ihren Kindern sehen und sich deshalb sorgen?

Eltern, die versuchen ihren Kindern zu helfen, sind häufig - ohne es zu merken - sehr kontrollierend und üben viel Druck aus. Sie meinen es natürlich nur gut und wollen ihren Kindern helfen, die Rückstände aufzuholen. Aber da kommt wieder die Motivation ins Spiel: Wenn Kinder den Eindruck haben, dass sie in ihrer Autonomie beschnitten werden, sind sie häufig weniger zum Lernen bereit. Deshalb ist es besser, da den Druck rauszunehmen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Stephanie Teistler

Sendung: Brandenburg aktuell, 08.07.2021, 19:30 Uhr

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Beitrag von Stephanie Teistler

9 Kommentare

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  1. 9.

    Druck muss einfach sein, sonst werden aus den antiautoritär erzogenen Kindern Aktivisten ohne eigenes Einkommen.

  2. 8.

    Besser kann es nicht formuliert werden....bester Beitrag für mich.

  3. 7.

    Richtig, ein Fußballspiel sollte nicht wichtiger sein als unsere Kinder, ist es aber in einer Gesellschaft, in der alles nur auf Profit aus ist.
    DAS sollte geändert werden.

  4. 6.

    Druck aufbauen ist gut.
    Gerade bei den Eltern wurde enormer Druck aufgebaut, indem sie ihre Kinder unterrichten sollten. Soetwas kann nicht jeder.
    Unsere Kinder haben ein Haufen Blätter bekommen, die sie sich selbst erarbeiten mussten und diese wurden zum Schluss nichtmal kontrolliert.
    Also mussten wir Eltern erstmal wieder NEUlernen, was wir den Kindern beibringen.
    Ich habe kein Druck auf mein Kind ausgeübt, sondern auf mich, damit mein Kind nicht hängen bleibt und sein Berufswunsch aufgeben muss.

    Ich hoffe ganz stark drauf, daß ab Herbst an die Kinder und Jugendlichen gedacht wird. Bisher wurden sie nur wie ein lästiges Nebenprodukt behandelt.
    Es fehlen schon jetzt 1.5 Jahre Bildung und Freizeit.
    Die psychische Gesundheit unserer Kinder sollte Dtl nicht egal sein.
    Das alles sollte auch ohne Impfzwang funktionieren.
    Es kann einfach nicht sein, daß ein Fußballspiel wichtiger ist als unsere Kinder

  5. 5.

    Wenn wir schon dabei sind: Auch alle Eltern sollten im Urlaub ihre Arbeit nachholen. Da ist ja viel liegengeblieben. Ich weiß, dass alle Eltern unmotiviert sind. Das liegt an Corona. Darum sollte man, um die Eltern wieder mehr zu motivieren, die Arbeit mit dem Alltag verzahnen. (Könnt ihr alle mein Sarkasmusschild sehen?)

    Kinder lernen immer. Jeden Tag. Mein Tipp an alle die für ihr Kind ein Abitur als Minumumbildung verorten: Nehmt einen Hammer und schlagt Handy, Konsole und Fernseher kaputt. Danach die Tür auf, Kind rausschieben und dahinter wieder zumachen. Mittag aus dem Fenster brüllen, dass gespeist werden darf. Den Rest machen die Kids schon.

    Das bisschen Mathe und Deutsch nachzuholen ist doch kein Thema. Alles andere baut doch darauf auf. Ich und auch andere haben doch auch das Abitur geschafft. Und um ehrlich zu sein, ich kann nicht verstehen, warum heutzutage so viel gelernt werden muss. Sind die Kids dü..?

  6. 4.

    Den Druck bauten vor allem Nebenfachlehrer auf! Unnötigerweise musste ich endlos LER Hausaufgaben machen, und WAT, Musik... damit mein Kind sich Mathe Deutsch und Englisch widmen konnte. Und den MSA ablegen konnte, den auch keiner braucht. Ich mache auch abends lieber was anderes... Aber solange im Abschlussjahrgang andauernd LER Plakate erstellt werden müssen, brauchen wir uns über Wissenslücken nicht unterhalten! Man schafft es nach 1,5 Jahren Pandemie mit Schulschließung nicht, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Und ab September machen wir alles wieder zu, ungeimpfte Kinder bitte zu Hause bleiben.. wow. Einmal mit Profis arbeiten...

    Da bau ich gar keinen Druck mehr auf. Lohnt sich null.

  7. 3.

    Wenn wunderst, dass die Eltern Druck aufbauen, wenn man für jeden Beruf fast Abitur braucht angeblich.
    Wir sollten uns auch mal fragen, was die Noten am Ende bringen, wenn es sehr große Unterschiede zwischen Lehrern und Schulen gibt. Das System ist schon lange nicht mehr vergleichbar. Aber wir versuchen es immer wieder.
    Fangt an die Leute individuell zu fördern wirklich wo die Stärken liegen und nicht nur immer zu frustrieren, wenn ihre Stärken nicht in den Hauptfächern liegen. Es ist halt nicht so dass jeder in allen Fächern gut ist. Das ist
    Ok.

  8. 2.

    "Eltern bauen oft viel Druck auf, ohne es zu wollen." Das ist meiner Meinung nach eine starke Relativierung, wenn nicht sogar eine Lüge, auf jeden Fall eine plumpe Ausrede(ohne es zu wollen, lol) . Viele Eltern bauen heute gezielt Druck auf und wissen auch ganz genau was sie da tun. Sie meinen sie müssten ihre Kinder ganz besonders gut auf Welt vorbereiten und auch weil sie ihren persönlichen Ehrgeiz auf die Kinder reflektieren. Diese Kinder können einem bloß leid tun.

  9. 1.

    Schule funktioniert traditionell so, dass das gleiche Programm Jahr für Jahr abgespult wird, alle in der Klasse sollen auf gleichem Stand gehalten werden. Wer nicht mitkommt, muss zur Nachhilfe, und wenn das nicht reicht, die Klasse wiederholen. Wer der Gruppe voraus ist, langweilt sich.

    Individuelle Förderung ist die Ausnahme und nicht die Regel.
    Darin sehe ich ein viel größeres Defizit als in der (angeblich) versäumten Digitalisierung.

    Die Pandemie macht es - wie viele andere Probleme - jetzt unübersehbar. Mal sehen, ob das Schulwesen die Kraft hat, sich dieser Herausforderung zu stellen.

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