Interview | Bildungsforscherin Hanna Dumont - "Eltern bauen oft viel Druck auf, ohne es zu wollen"
Distanz- und Wechselunterricht haben in der Pandemie vielen Schülern das Lernen erschwert oder unmöglich gemacht. Wie der verpasste Schulstoff nachgeholt werden kann, erklärt die Bildungsforscherin Hanna Dumont von der Uni Potsdam.
rbb: Kinder und Jugendliche haben in der Pandemie Schulstoff verpasst - Sommerschulen und Ferienangebote sollen da Abhilfe schaffen. Können diese Angebote das überhaupt leisten oder stecken Eltern da zu viel Hoffnung rein?
Hanna Dumont: Da wäre ich etwas vorsichtig. Man kann nicht erwarten, dass jetzt in kurzer Zeit nachgeholt werden kann, was vielleicht in mehreren Monaten versäumt worden ist. Im Idealfall müssen die Kinder wirklich individuell gefördert werden, in enger Zusammenarbeit mit den Lehrkräften, die sie auch sonst unterrichten. Das ist in der Kürze der Zeit aber höchstwahrscheinlich nicht machbar - auch wenn ich es grundsätzlich begrüße, dass es diese Angebote gibt.
Die Länder fördern aber, was auch Schulstoff vermittelt. Was kann so eine Sommerschule dann realistischerweise?
Der soziale und motivationale Aspekt ist sehr wichtig. Denn die Leistungen entwickeln sich nicht unabhängig davon, wie sich Schülerinnen und Schüler fühlen. Und dieser Bereich - das sich Wohlfühlen, die Motivation - hat auch gelitten in den letzten anderthalb Jahren. Die Ferienangebote können also wieder Begeisterung schaffen, sich mit bestimmten Inhalten auseinanderzusetzen. Dabei ist es wichtig, wie die schulischen Inhalte angeboten werden. Es ist besser, eine Fahrradtour zu machen und den Weg ans Ziel zu berechnen, als klassisch Matheaufgaben durchzuarbeiten.
Steht mit der Motivation dabei das Spielerische im Vordergrund?
Es ist nicht so, dass man nur auf Entspannung und nur auf Interesse setzen muss. Sondern es geht darum, die schulischen Inhalte mit dem Alltagserleben der Kinder zu verzahnen. Das zu Lernende wird so an konkrete Erlebnisse geknüpft.
Kinder aus armen Haushalten hat die Pandemie stärker zurückgeworfen als andere. Wie können sie das wieder aufholen?
Wir können das für Deutschland schwer beziffern, wie groß die Lücke ist, weil nicht in allen Jahrgangsstufen regelmäßig Lernstände erhoben werden. Auf der Basis internationaler Studien müssen wir jedoch davon ausgehen, dass auch bei uns Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern besonders zurückgeworfen wurden.
Wir sprechen da in der Bildungsforschung von sogenannten Basiskompetenzen. Wer die nicht erreicht, wird auf seinem weiteren Bildungsweg Schwierigkeiten haben. Das Ziel müsste daher sein, dass der individuelle Förderbedarf jetzt erst einmal für jedes Fach diagnostiziert wird - und das ist eine Mammutaufgabe.
Wie sollen Lehreinnen und Lehrer dann mit umgehen, wen sie im nächsten Schuljahr mit Klassen konfrontiert sind, die leistungsmäßig stark auseinandergehen?
Das ist natürlich die Gretchenfrage. Es gibt verschiedene didaktische Möglichkeiten darauf einzugehen, etwa dass man nicht immer das gleiche Angebot für alle Kinder einer Klasse macht, sondern je nach Leistungsstand verschiedene Aufgaben vergibt. Das ist viel Verantwortung, die da von den Lehrkräften abverlangt wird. Jede und jeder Einzelne muss sich fragen, inwiefern er oder sie selbst die Qualifikationen und auch das Know-how hat, genau das umzusetzen.
Das ist sicher keine einfache Frage an sich selbst, wenn man den Beruf schon seit 20 Jahren macht. Was, wenn jemand zu der Erkenntnis kommt: Nein, das überfordert mich gerade?
Eine pragmatische Lösung wäre es, wenn die Lehrkräfte sich untereinander verstärkt austauschen und miteinander kooperieren. Innerhalb eines Kollegiums gibt es ja unterschiedliche Expertisen und Erfahrungen. Die kann man teilen und braucht keine Weiterbildung von außen, die in der Kürze der Zeit auch schwierig zu organisieren ist.
Auf der anderen Seite waren die vergangenen anderthalb Jahre auch für die Eltern anstrengend. Was raten Sie denen, die jetzt Schulwissenslücken bei ihren Kindern sehen und sich deshalb sorgen?
Eltern, die versuchen ihren Kindern zu helfen, sind häufig - ohne es zu merken - sehr kontrollierend und üben viel Druck aus. Sie meinen es natürlich nur gut und wollen ihren Kindern helfen, die Rückstände aufzuholen. Aber da kommt wieder die Motivation ins Spiel: Wenn Kinder den Eindruck haben, dass sie in ihrer Autonomie beschnitten werden, sind sie häufig weniger zum Lernen bereit. Deshalb ist es besser, da den Druck rauszunehmen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Stephanie Teistler
Sendung: Brandenburg aktuell, 08.07.2021, 19:30 Uhr