Vierte Corona-Welle - Debatte über Impfpflicht nimmt Fahrt auf

Mo 15.11.21 | 22:53 Uhr
  116
Schild: "Liebe Mitarbeiter Zutritt nur für Geimpfte"
Bild: dpa/Michael Bihlmayer

Ungeimpfte Corona-Patienten füllen die Intensivstationen, immer neue Infektionen kommen dazu, Kontaktbeschränkungen werden ausgeweitet: Die pandemische Lage spitzt sich wieder zu, und die Rufe nach einer Impfpflicht werden lauter.

Die politische Debatte über eine Einführung der Impfpflicht nimmt immer weiter Fahrt auf, der Druck auf Ungeimpfte wächst, während die Zahl der Coronainfektionen und Patienten auf Intensivstationen kontinuierlich steigt. In Berlin und Brandenburg gelten seit Montag erweiterte Zugangsbeschränkungen, die 2G-Regel wurde auf weitere Bereiche des öffentlichen Lebens ausgedehnt. Gleichzeitig werden Zweifel laut, ob die Zugangsbeschränkungen reichen, um die vierte Corona-Welle zu brechen.

Neuköllns Bürgermeister fordert allgemeine Impfpflicht

Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel (SPD), hat sich nun für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. Angesichts der aktuellen Corona-Zahlen sei das die konsequenteste Lösung, sagte Hikel am Montag rbb 88.8. Andere Ansätze, etwa die 2G-Regel, würden sich mit einer Impfpflicht erübrigen. Denn die Funktion der 2G-Regel sei es, mehr Menschen zur Impfung zu bewegen.

Sicher gebe es Widerstände gegen eine allgemeine Impfpflicht, räumte Hikel ein. Man sehe aber auch, wie die gesellschaftliche Stimmung sich bei diesem Thema ändere, so der SPD-Politiker. Weitere Aufklärung über die Impfung sei das Mindeste. Das müsse mit einer Impfpflicht kombiniert werden - mindestens für bestimmte Berufsgruppen, so Hikel.

Die sich verschärfende Corona-Lage ist am Dienstag auch das wichtigste Thema im Berliner Senat. Neue Beschlüsse sind aber zunächst nicht zu erwarten.

Ethikrat-Mitglied: Allgemeine Impfpflicht möglich

Der Berliner Theologe und Vertreter des Nationalen Ethikrats, Andreas Lob-Hüdepohl, hält es für möglich, dass in Deutschland eine allgemeine Impfpflicht eingeführt wird. Diese sei ein hartes Instrument, sagte Lob-Hüdepohl am Montag in der rbb-Abendschau, damit werde in die Freiheitsrechte eingegriffen. Deswegen müssten zunächst mildere Maßnahmen ergriffen werden. Lob-Hüdepohl plädierte in diesem Zusammenhang für eine bereichsspezifische Impfpflicht. Es müsse zunächst geprüft werden, ob nicht schon durch diese Maßnahme die besonders vulnerablen Gruppen geschützt werden können - etwa die Bewohner von Pflegeeinrichtungen.

Vielleicht werde man aber nicht mehr um eine allgemeine Impfpflicht herumkommen. Als "ultima ratio" sei das denkbar, so Lob-Hüdepohl.

Amtsarzt fordert: Keine Ungeimpften in der Medizin

Dem widersprach der Amtsarzt von Berlin-Reinickendorf, Patrik Larscheid: Eine allgemeine Impfpflicht sei kontraproduktiv und werde in der Wissenschaft auch nicht diskutiert. Er sprach sich allerdings dafür aus, dass Ungeimpfte in bestimmten Bereichen nicht arbeiten dürfen. Das betreffe vor allem den gesamten Medizinbereich, sagte Larscheid am Montag im rbb-Fernsehen. Er könne nicht verstehen, dass vulnerable Gruppen darauf verzichten müssten, gesund zu werden, nur damit gesunde Menschen frei wählen können, ob sie sich gegen Corona impfen lassen oder nicht.

Larscheid betonte, dass er keine Impfpflicht für medizinisches Personal fordere. Er sei aber dafür, dass in der derzeitigen Corona-Lage Ungeimpfte dort nicht eingesetzt werden, wo medizinisch gearbeitet wird.

Mögliche Ampel-Koalitionäre wollen keine branchenspezifische Impfpflicht

SPD, Grüne und FDP im Bund haben sich bei ihren Koalitionsverhandlungen bislang nicht auf eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen verständigt. Das stellten Vertreterinnen und Vertreter der drei Parteien am Montag in Berlin klar. Das bedeutet aber offensichtlich nicht, dass eine solche Vorschrift vom Tisch ist.

Fakt sei, dass dies "kein Gegenstand des gegenwärtigen Gesetzgebungsverfahrens ist", sagte die SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar. "Wir stellen hier keine einzelnen Berufsgruppen an den Pranger", sagte sie weiter. Sofern es Impfpflichten gebe, sollten diese "einrichtungsspezifisch und nicht berufsgruppenspezifisch" geregelt werden. Dazu solle es am Montagabend ein Berichterstattergespräch der Ampel-Parteien geben.

Einrichtungsspezifisch heißt, dass eine Impfpflicht etwa für alle Menschen gelten würde, die in einem Pflegeheim oder Krankenhaus arbeiten, unabhängig von deren Beruf. Eine Impfpflicht sei "schon ein sehr schwerwiegender Eingriff", gab Dittmar zu bedenken. "Das macht man nicht im Hauruck-Verfahren". Auch fehlten noch Daten zum Impfstatus etwa in Krankenhäusern.

Scholz für Impfpflicht-Debatte bei bestimmten Berufsgruppen

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz befürwortet eine Debatte über eine Corona-Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen wie Beschäftigte in Pflegeheimen. "Ich finde es richtig, dass wir jetzt eine Diskussion darüber begonnen haben, ob man das machen soll", sagte der geschäftsführende Vizekanzler am Montagabend beim Wirtschaftsgipfel der "Süddeutschen Zeitung". Allein darüber zu sprechen, sei schon eine deutliche Aussage - SPD, Grüne und FDP hätten diese Debatte bewusst geöffnet.

Scholz sagte zugleich, eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen sei nur in einem Konsens möglich, "dass viele mitmachen wollen". "Wenn der erreicht ist, fände ich das gut", sagte er. Eine solche Entscheidung könne auch kurzfristig anstehen.

Ampel besser Pläne nach, Wissenschaft warnt

Nach viel Kritik hatten SPD, Grüne und FDP ihre Corona-Pläne nachgebessert. Ausgangs- oder Reisebeschränkungen sowie generelle Schließungen von Schulen, Läden oder Gaststätten sollen nach dem Auslaufen der epidemischen Lage am 25. November nicht mehr möglich sein. Scholz versprach, alle "notwendigen Entscheidungen" würden getroffen. Geplant ist auch 3G im öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Nur noch Menschen mit Impf-, Genesenen- oder Testnachweis dürften dann mitfahren.

Entscheidungen sollen an diesem Donnerstag fallen. Dann wollen SPD, Grüne und FDP das veränderte Infektionsschutzgesetz im Bundestag beschließen. Bund und Länder wollen zudem in einem Spitzentreffen einen gemeinsamen Kurs festlegen. Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier mahnte verschärfte Maßnahmen an.

Wissenschaft zweifelt an 2G und 3G

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dämpften derweil in einer Bundestagsanhörung die Erwartungen an die geplanten Maßnahmen. "Das, was derzeit geplant ist, nur 2G, 3G im öffentlichen Bereich, das wird nicht reichen, um die Fallzahlen runterzubringen", sagte die Physikerin und Modelliererin Viola Priesemann, denn die meisten Kontakte spielten sich im Privaten ab, und durch Schulen und Arbeitsplatz gebe es viele Verbindungen zwischen Geimpften und Ungeimpften.

Der Virologe Christian Drosten sagte vor den Abgeordneten, in der aktuellen "Hochinzidenz-Zeit" verhindere man mit 3G in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht, dass Geimpfte, die unerkannt infiziert seien, Menschen ohne Impfung ansteckten. In stabilen Sozialgruppen, etwa am Arbeitsplatz, könne die 3G-Regel jedoch noch etwas ausrichten.

Sendung: Abendschau, 15.11.2021, 19:30 Uhr

Was Sie jetzt wissen müssen

116 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 116.

    Das kann , darf, soll und muss jedes Individuum, das nicht fremdgesteuert durch Meinungsmache ist, selbst entscheiden.

    Ich brauche keine Amme zum Bäuerchen machen.

  2. 115.

    Nochmal zur Herdenimmunität-
    wenn sie also tatsächlich, wie behauptet, nicht zu erreichen ist, na dann wird es doch umso notwendiger, das jedes Individuum seinen eigenen Schutz, durch Impfung, erhält !!

  3. 114.

    Wenn Sie meine Quellenangabe, die ja seriös ist lesen, sehen Sie, das es anscheinend unterschiedliche Meinungen zu Ihrer, gibt.
    Also wird Prüfstein jeder Theorie, wie so oft, die Praxis sein :-)

  4. 113.

    @ Marcel

    Mit der Wahrheit stehst Du auf Kriegsfuß? Schaue einige Artikel höher in der App. Darüberhinaus kann ich noch ZDF und ARD empfehlen.

  5. 112.

    Ich hoffe dann sind auch die Kapazitäten da um die Menschen zu impfen.Unser all geliebter Bürgermeister hat dazu aufgerufen sich zu melden wenn man in der Lage ist in den Impfcentren zu helfen.Habe ich heute versucht.Beim Deutschen Roten Kreuz sehr unfreundlich auf eine Nummer verwiesen.Ab 16.00 keiner mehr abgenommen und bei den Samariter habe ich gar nichts diesbezüglich gefunden.Wer nicht will der hat schon.Ich sage nur skandalös.

  6. 111.

    Danke für Ihre Hinweise zu TV & Gedrucktem. Habe ich versucht und bin nicht schlauer.
    Welche sind dann die Richtigen?
    Warum geben Sie keine Quelle an?
    Wo habe ich das ganze als Lüge bezeichnet?

  7. 110.

    Welches Haftungspotenzial? Für anerkannte!!! Impfschäden gibt's seit Jahrzehnten schon staatliche Entschädigung. Die Impfstoffe sind zugelassen und verringern nachweislich die Hospitalisierung. Also ist die Wirksamkeit belegt. Aber Impfverweigerer und Querdenker sind für Logik eh nicht empfänglich

  8. 109.

    Übrigens kriegt man schon ohne Impfpflicht, hier kaum Termine.
    Was soll da werden, wir rasen doch schon in die nächste Kataststrophe .
    Kann man aber abmildern, ich kenne es aus Irland, da impfen seit 2011 die Apotheker gegen Grippe, jetzt auch Covid.
    Termine gibts online.
    Sollten unsere Verantwortlichen auch mal anschieben.

  9. 108.

    An Tabakwaren, Alkohol, Fahrzeugen verdient der Staat ja wenigstens noch Geld. ;) Corona kostet nur...

  10. 107.

    Interessant, können Sie das näher erläutern ?

  11. 106.

    da kenne ich andere Zahlen.

    40 Prozent Über 60 und zweiffach geimpft

  12. 105.

    Schauen Sie RKI, die haben das mit der Herdenimmunität gelöscht.

    Ansonsten bemühen Sie Google: "streeck herdenimmunität unmöglich"

    Artikel in der Augsburger Allgemeinen vom 26.9.
    "Virologe Hendrik Streeck: "Es wird keine Herdenimmunität geben"

    oder Redaktionsnetzwerk Deutschland 22.7. (!) bereits:
    "Virologe Streeck: „Wir erreichen mit diesen Impfstoffen keine Herdenimmunität"

    oder Fuldaer Zeitung vom 19.6.:
    "Experte Streeck erwartet keine Herdenimmunität -"

    oder ZDF vom 29.5. (!):
    "Virologe Hendrik Streeck: Keine Herdenimmunität bis Herbst"

    das ist nun wirklich ein alter Hut.

    wer immer noch auf Herdenimmunität beharrt, dem kann man Realitätsferne attestieren.

  13. 104.

    Nein, ich schaue schon seit Monaten überhaupt kein TV mehr.
    Ich hatte mal von einem, in Entwicklung befindlichen, Medikament gelesen. Dass 2 fertige auf ihre Zulassung warten, ist mir neu.
    Dann hoffen wir mal, das die EMA oder wer auch immer, zu einer (Notfall) Zulassung ihr okay geben kann und wir im Kampf gegen die schweren, tödlichen Verläufe voran kommen.
    Danke für die Info.

  14. 103.

    @ Ulli, das gerade fast 80 % aller beatmungspflichtigen Patienten auf den Intensivstationen ungeimpft und jung ist, ist nunmal Tatsache. Also bitte in der Realität verweilen.

  15. 102.

    Ich denke es gibt diesbezüglich ein nicht unerhebliches Haftungspotential. Die letzte Studie muss bis zum 31.12.2023 (kein Tippfehler) vorgelegt werden.

  16. 101.

    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/129060/Studie-Herdenimmunitaet-wegen-Delta-erst-ab-Impfquote-von-90-Prozent

  17. 100.

    Ich nehme Ihnen diesen undurchdachten Unsinn nicht mehr ab, zu fern jeder Logik, Sie kreiseln um Ihren eigenen Planeten und das aus Prinzip. Lassen Sie sich impfen, tun Sie es einfach für alle anderen Menschen, einfach so aus Solidarität.

  18. 99.

    Auch wenn das nicht an mich gerichtet war: Doch, es ist etwas vollkommen anderes, ob ich in Kauf nehme, eine hochansteckende und mit zahlreichen Komplikationen einhergehende Infektionskrankheit zu verbreiten und wegen ihr der Volkswirtschaft unter Umständen sogar dauerhaft entzogen zu werden, OBWOHL ein wirksamer Impfstoff vorhanden ist, oder ob ich einen ungesunden Lebensstil führe. Ersteres betrifft durch das massenhafte Auftreten auch direkt andere, indem es z. B. das Gesundheitssystem und die Wirtschaft überlastet und andere ansteckt, letzteres hingegen hauptsächlich nur mich. Kleinere Kollateralschäden wird es dabei immer in irgendeiner lokalen Form geben, jedoch sind diese Schäden nicht vergleichbar mit einer sich explosionsartig national und global ausbreitenden Krankheit, die wirklich jeden zu jeder Zeit treffen kann.

  19. 98.

    Ich vermute, die Impfpflicht kommt und das ist richtig so.
    Es dauert nur noch, weil die Politiker noch nicht wissen, wie sie das ohne Gesichtsverlust hin kriegen.
    Was die damals sagten, keine Impfpflicht, hätte ja auch geklappt, aber wie so oft schreit das Volk nach Mangelware (Impfstoffe)und wenn sie dann da ist, ist es auch nicht gut, damit hat man nicht gerechnet, so ist das eben.
    Viele lehnen das System ab und machen das mit der Impfverweigerung fest, ein gefährliches Spiel :-(

  20. 97.

    @ stiller...: z.b. ganz aktuell in Traunstein
    30 Intensivpatienten (alle belegt), davon
    17 Corona-Patienten, davon
    13 ungeimpft.
    Und jetzt zu Ihrer (bestimmt) nächsten Frage nach der Quelle. Einfach seriös(!) informieren.

Nächster Artikel