Wahlreaktionen aus Forst - "Wir haben wenig Hoffnung, dass sich was ändert"
Forst an der Neiße. Eine Stadt fernab des boomenden Speckgürtels mit ganz eigenen Problemen. Hier wohnen knapp 18.000 Menschen. Einer von ihnen ist der Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Was denken die Forster am Wahlsonntag über Politik und ihren bekanntesten Einwohner? Von Andreas Rausch
Die Sonne strahlt über den Wahlplakatwäldern von Forst. Viel Blau vom Himmel und am Boden, dazu werbendes Rot, Türkis, etwas Grün, Orange ist auch dabei. Es ist einer dieser Spätsommertage, von denen man vor dem nasskalten Herbst gar nicht genug bekommen kann. Ein warmer Sonntag, und doch sind kaum Menschen auf den Straßen zu sehen, Wahllokale erkennt der nachmittägliche Besucher hier nicht am Zustrom der Willigen. Nur ein paar Spaziergänger um einen Eisladen herum sind auszumachen.
Letzter Brandenburger Landkreis in dem Braunkohle gefördert wird
18.049 Menschen wohnen laut letzter Statistik [forst-lausitz.de] an der polnischen Grenze, es waren früher deutlich mehr. Früher meint nicht die Wende, wie in vielen anderen Orten Ostdeutschlands. Die Forster Schrumpfung setzte schon nach den 1960er Jahren ein. Und setzt sich schleichend bis heute fort. Eine Stadt mit großer Vergangenheit und schwieriger Gegenwart.
Forst ist Kreisstadt in Spree-Neiße, dem einzigen Landkreis in Brandenburg, in dem Braunkohle noch gefördert und verarbeitet wird und den der Kohleausstieg dementsprechend stark trifft. Der Tagebau Jänschwalde liegt nur wenige Kilometer vor der Stadt. Forst kämpft. Um Zukunft und Anerkennung. Einst galt das Städtchen als das "Manchester des Ostens" ob seiner Textilproduktion. Hier wurden einst die Deutschen Rosenschauen erfunden, bis heute lädt der Ostdeutsche Rosengarten zum Verweilen ein. Aber die Kreisstadt hat auch ein Abo auf die Rote Laterne der Arbeitslosenquote in der Region, zuletzt lag sie bei mehr als acht Prozent, drei Prozent über dem Durchschnitt.
Seit Juni ist der Landkreis Spree-Neiße auch der, in dem die AfD bei den Kommunalwahlen mit 38,2 Prozent ihr landesweit bestes Ergebnis eingefahren hatte. Doch über allem thront an diesem Tag die spannende Frage – wird der gerade deutschlandweit bekannteste Forster weiter die Geschicke Brandenburgs lenken oder sein Politikerdasein nach einer Niederlage an den Nagel hängen? Dietmar Woidke, den hier viele nur "den Dietmar" nennen, ist seit elf Jahren Ministerpräsident, er stammt aus der Stadt und wohnt bis heute hier. Für ihn ist der Tag der Landtagswahl eine Schicksalswahl. Und was denkt Forst?
Reaktionen auf erste Prognose im Biergarten
"Im Sperlingsstüb'l ist eigentlich immer was los", den Tipp bekommen wir und machen uns auf den Weg, knapp anderthalb Kilometer weg vom Eisladen. Es geht vorbei an schön sanierten Fassaden und alten Häusern, an leeren Schaufensterscheiben und vielen Baulücken. Wunden, die der Zweite Weltkrieg geschlagen hat. Als die Rote Armee den Krieg zurück nach Deutschland brachte, wurden 85 Prozent der Stadt zerstört. Das Stüb'l liegt am Stadtrand, im Nordwesten. Keine Straßenbeleuchtung weist den Heimweg. Und der Lärm aus den Baumkronen ringsherum lässt keinen Zweifel an der zwingenden Namensgebung für die Gaststätte.
Der Biergarten, um 18 Uhr herum, ist gut gefüllt. Eine Familie hier, eine gesellige Runde da. Viele Blicke kleben an den Handys. Die erste Prognose. Die SPD liegt vorn, die AfD dahinter. Kein Raunen geht durch den Biergarten, kein Applaus, keine enttäuschten oder erfreuten Ausrufe. Und unsere Frage nach dem "Was erwarten Sie hier in Forst von dieser Wahl?", wird an vielen Tischen abgewunken, freundlich aber bestimmt. "Kein Kommentar". Geraunte Medienskepsis. Ein paar reden dann aber doch mit uns.
"Es ist für mich doch überraschend, dass die SPD nochmal so zugelegt hat", meint etwa Sandro Mühlmeister. Der 47-Jährige denkt, dass die Zuspitzung im Wahlkampf zwischen AfD und SPD bei vielen dazu geführt habe, doch "den Dietmar" nochmal zu wählen. "Das hätte ich nicht erwartet und das überrascht mich auch", meint er.
"Ich hab erwartet, dass es so kommen wird. Aber ich bin enttäuscht. Weil sich so nichts ändern wird bei uns", sagt Thomas Feuerstein ihm gegenüber. Zuckt mit den Schultern und betont zugleich: "Ein Umschwung in die andere Richtung hätte ich mir aber auch nicht gewünscht, muss ich ganz ehrlich sagen". Der 60-Jährige meint die AfD, die habe man auch nicht gewählt, fühlt sich traditionell eher den Linken verbunden. Aber naja…und diesmal winken beide ab.
Brandenburg ist kein einfaches Land. Das ist zu spüren, gerade in diesem Biergarten am Rande von Forst. Wer sich mit den Forstern unterhält, bekommt einen unmittelbaren Eindruck vom Stadt-Land-Gefälle, von der Verbitterung, am Rand nicht wahrgenommen zu werden von den politischen Entscheidern.
Wenig Hoffnung auf Veränderung
"Die neue Landesregierung, wenn ich mir was wünschen dürfte, sollte nicht nur auf Potsdam oder den Speckgürtel gucken sondern auch dahin, wo wir wohnen!" Am Tisch wird beifällig genickt, als es wieder um "den Dietmar" geht. "Auch wenn er hier wohnt. Er wird mit Autos gefahren, er sollte schonmal sehen, dass viele hier Probleme haben, einen Arzt zu finden. Oder einen Anschluss an die Regionen, wo das urbane Leben tobt. Das wünschte ich mir." Die Wirtin bringt noch eine Runde. Da hakt Sandro Mühlmeister nochmal ein. "Ich hab mit dem Wahlergebnis wenig Hoffnung für mich. Das bedeutet eigentlich ein Weiter so wie bisher. Die Probleme an der Basis, also hier in der Peripherie, die werden in Potsdam weiter nicht ankommen, denke ich. In einer Grenzstadt wie Forst ist das Thema Migration und Grenzkontrollen unmittelbar. Vom Nachbartisch ruft jemand rüber: "Ja, es soll jetzt wohl besser kontrolliert werden. Aber gesehen hab ich davon noch nicht allzu viel!"
Bei dem Thema hakt Doris Wartig ein, sie hat mittlerweile Enkel und wünscht sich für die eine bessere Bildungspolitik. "Ja, es sollte mehr in den Schulen getan werden, mehr Lehrer brauchen wir." Und dann ein Satz, den man häufig hört, wenn es um Migranten geht: "Ich bin nicht ausländerfeindlich. Aber da kommen jetzt Kinder in die Schulen, in die dritte Klasse und können kein Wort Deutsch. Und wer leidet darunter? Unsere Kinder, also in dem Fall meine Enkelkinder."
Der Abend zieht sich, eine Hochrechnung löst die nächste ab. Auf den Krieg wollen sie noch zu sprechen kommen. Den wolle man nicht, vor allem keine weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine. "Da muss sich so eine Landesregierung auch einsetzen, die können den Willen der Leute, also der Wähler, doch nicht ignorieren", ist sich der Tisch einig. Dann sind die letzten Runden bestellt, zunehmende Dunkelheit sorgt für einsetzendes Herbstfrösteln im Biergarten. Die letzten Gäste klopfen uns beim Abschied auf die Schulter. "Vielleicht ändert sich ja doch mal was. War auf jeden Fall gut, dass ihr auch mal hier bei uns gewesen seid." Und gehen, ihre Räder schiebend, über den nicht beleuchteten Feldweg zurück in ihre Stadt, die auch in den nächsten fünf Jahren den Ministerpräsidenten Brandenburgs stellen wird. In seinem Wahlkreis hat er das Direktmandat an den AfD-Mitbewerber Steffen Kubitzki verloren. Nicht so in der Rosenstadt Forst. Hier fielen dann doch die meisten der abgegebenen Erstwahlstimmen auf "den Dietmar".
Sendung: rbb24 - Ihre Wahl, 22.09.2024, 18:00 Uhr