Parteitage in Brandenburg - "Keine Liebeshochzeit" - SPD und BSW entscheiden über Koalition

Fr 06.12.24 | 06:12 Uhr | Von Hasan Gökkaya
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Archivbild: "Bündnis Sahra Wagenknecht - Vernunft und Gerechtigkeit": Teilnehmer heben die Stimmkarte für eine Abstimmung. (Quelle: dpa/dts)
Audio: rbb24 Inforadio | 06.12.2024 | Nico Hecht | Bild: dpa/dts

SPD und BSW haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt – nun müssen die Gremien diesen annehmen. Auf dem Parteitag der SPD muss Ministerpräsident Woidke die Mitglieder auf ein Zweckbündnis einschwören. Von Hasan Gökkaya

Neben dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) muss auch die SPD dem Koalitionsvertrag zustimmen, damit wie geplant am 11. Dezember Dietmar Woidke sich zum Ministerpräsidenten von Brandenburg wählen lassen kann. Dafür hat die SPD Brandenburg an diesem Freitag zu einem außerordentlichen Landesparteitag in Potsdam einberufen - am selben Tag wie das BSW.

Die SPD konnte seit 1990 alle bisherigen Ministerpräsidenten stellen und hat nun die Chance, mit Woidke als Regierungschef erneut Brandenburg als "Stammland der Sozialdemokraten" zu proklamieren, auch in Zeiten einer erstarkenden AfD. Im Vorfeld der "Aussprache zum Koalitionsvertrag und Beschluss", wie es unter Punkt 5 der Tagesordnung heißt, wird deshalb auch nicht mit einer großen Überraschung gerechnet. Und weil die Partei nach innen gerichtet eher für Disziplin bekannt ist, wird erwartet, dass der Entwurf zum Koalitionsvertrag zwischen dem BSW und der SPD auf dem Landesparteitag durchgewunken wird.

Zumindest schien es zuletzt nicht viel Redebedarf zu geben, auch unter SPD-Wählern. Als am Montag die SPD-Fraktion zu einer öffentlichen Diskussion in Fürstenwalde einlud, kamen nicht einmal 20 Genossinnen und Genossen zusammen. Der Fraktionsvorsitzende Daniel Keller sagte offen vor den Anwesenden: "Eine Koalition mit dem BSW ist keine Liebeshochzeit, sondern das, was wir unter Verantwortung verstehen, und dass wir gemeinsam die Verantwortung haben, in den nächsten fünf Jahren handlungsfähig zu sein." Die Wenigen, die kamen, stimmten zu.

Wirtschaftsminister Steinbach zieht sich wegen BSW zurück

Ganz dem Zufall überlassen will der amtierende Ministerpräsident Woidke die Sache aber nicht: Vor der Debatte zum Koalitionsvertrag wird Woidke auf dem SPD-Parteitag eine Rede halten. Keine schlechte Idee, blickt man auf die Gemengelage. Denn klar ist: Für die SPD ist das BSW als Bündnispartner keine Traumvorstellung. Woidke sprach selbst bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags im Beisein von BSW-Partei- und Fraktionschef Robert Crumbach von "schwierigen Verhandlungen".

Eine Regierungslinie zusammenschreiben ist das eine, die Gegenseite wirklich kennen das andere. Und da ist das Problem: Für Woidke und seine Partei ist das noch junge BSW nach wie vor eine politische "Blackbox". Wie gut sich mit der Partei wirklich regieren lässt, kann nicht einmal der erfahrene Ministerpräsident absehen. Noch-Wirtschaftsminister Jörg Steinbach zog deshalb bereits Konsequenzen: Ende November teilte der SPD-Politiker mit, für eine weitere Amtszeit nicht zur Verfügung zu stehen. Er begründete seinen Rückzug damit, dass die SPD in der nächsten Landesregierung voraussichtlich eine Koalition mit dem BSW eingeht und er keine Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sehe.

Vor, während und nach dem Wahlkampf zur Landtagswahl wurde dem BSW vorgeworfen, Russland-freundlich zu sein - auch wegen der BSW-Namensgeberin und Ex-Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht, die Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine oft mit relativierenden Aussagen verharmloste. Dagegen nutzte Woidke bis zum September die Wahlkampfbühnen des Landes fleißig dafür aus, um sich von AfD und BSW eben auch durch ukrainefreundliche Töne zu distanzieren.

Mit Sondierungspapier kam Thema Russland wieder auf

Als aber absehbar wurde, dass die SPD - ohne AfD - in Brandenburg nur mit dem BSW regieren kann, begannen die Sozialdemokraten das Thema zunehmend zu umschiffen. Erst das Sondierungspapier zeigte, wie viel die SPD bereit war zu Gunsten von BSW ins Papier zu schreiben: Festgehalten wurde in dem Dokument, dass der russische Krieg in der Ukraine "nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet" werden könne. Und: Vor dem Hintergrund, "Spannungen innerhalb Europas" durch eine diplomatische Lösung des Ukrainekonflikts abbauen zu wollen, sähen SPD und BSW "die Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch", heißt es.

Auf Woidke prasselte sofort Kritik ein, er sei damit BSW-Chefin Sahra Wagenknecht entgegengekommen, damit sie wiederum dem Brandenburger BSW grünes Licht für die Koalition gebe. Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth bezeichnete das Sondierungspapier sogar "in mehrfacher Hinsicht" als "einen Bruch mit der Politik des Bundeskanzlers und der SPD". Der Wortlaut im Sondierungspapier wurde unverändert im Entwurf zum Koalitionsvertrag übernommen.

Die Sanktionen gegen Russland werden darin nicht infrage gestellt, aber es wird – im Sinne des BSW – betont, dass sie Nachteile für die Wirtschaft in Brandenburg brächten. Auch deswegen müssten "diplomatische Friedensbemühungen auch die Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehung zum Ziel haben", heißt es.

Ist der Entwurf "tief lila gefärbt"?

Allerdings muss sich Woidke mit Blick auf den Entwurf zum Koalitionsvertrag auch nicht als geschrumpften Zwerg geben. Schließlich wird die SPD in einer neuen Regierung sieben der zehn Ministerien besetzen können, darunter Wirtschaft, Inneres und Bildung. Der Verfassungstreue-Check für Beamte, der seit September gilt, soll nicht - wie vom BSW zunächst gefordert - abgeschafft, sondern 2025 nur geprüft werden. Und: Zur Bundeswehr und ihren Standorten in Brandenburg heißt es im Vertrag, dass der Ausbau der zivilen Infrastruktur sowie die Ansiedlung von Wirtschaftsunternehmen dazugehöre.

Prompt stellte ein Journalist bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags BSW-Chef Crumbach deshalb auch die Frage, wie viel BSW überhaupt noch im Vertrag stecke. Dieser sei "tief lila gefärbt", antwortete er knapp.

BSW-Abgeordneter Hornauf gefährdet Woidkes absolute Mehrheit

Spätestens als die Koalitionsverhandlungen wegen des Fliegerhorsts Holzdorf (Elbe-Elster) ins Stocken gerieten, wurde der SPD aber klar, wie instabil das junge BSW-Uhrwerk tickt. Der BSW-Abgeordnete Sven Hornauf drohte sogar, wegen Kritik an der Stationierung des Raketenabwehrsystems Arrow 3 in Holzdorf bei der Wahl des Ministerpräsidenten nicht für Woidke zu stimmen – und stellte sich damit gegen seine eigene Fraktion.

Crumbach hatte mit Blick auf die näherkommende Wahl des Ministerpräsidenten am 11. Dezember große Mühe, die Aufregung um Hornauf runterzuspielen. Zuletzt entschied seine Fraktion nach einem langen Gespräch, Hornauf nicht aus der BSW-Fraktion rauszuschmeißen. Der ließ allerdings auf Nachfrage von Journalisten bis zum Ende offen, ob er Woidke bei der Wahl zum Ministerpräsidenten wählen wird.

SPD und BSW haben in einem Landesparlament mit insgesamt 88 Abgeordneten eine Mehrheit von 46 Stimmen. Das ist alles andere als komfortabel für ein Kabinett, das durchregieren will. Sollte Hornauf seine Drohung wahrmachen und am 11. Dezember nicht für Woidke stimmen, bekäme dieser gerade noch so viele Stimmen wie er bräuchte – vorausgesetzt, niemand anderes von BSW oder SPD springt ab. So oder so: Es wird eine knappe Kiste - und das weiß die SPD.

Doch das ist erst der übernächste Schritt. Jetzt müssen erst einmal die Gremien von SPD und BSW entscheiden, ob sie dem Entwurf zum Koalitionsvertrag zustimmen.

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.12.2024, 7 Uhr

Beitrag von Hasan Gökkaya

8 Kommentare

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  1. 8.

    Was heißt eigentlich? Und nur eine Minderheit hat rechtsextrem gewählt, wie sie selbst feststellen.

  2. 7.

    Viele Wahlkreise, gerade auch im Süden Brandenburgs, haben eigentlich AfD gewählt.
    Eine SPD/BSW Koalition, beachtet daher die Wünsche und den Willen, vieler AfD Wahlkreise, AfD Städte und Kommunen und der vielen AfD Wählerinnen/Wähler überhaupt nicht.
    Teilweise, haben 35 bzw. 40 Prozent der Wähler/innen, die AfD gewählt - im Brandenburger Südosten, im Brandenburger Osten, im Brandenburger Nordosten und selbst im Brandenburger Nordwesten (Prignitz, OPR).

  3. 6.

    2022 gab es das BSW noch gar nicht. Es gab aber deutsche Politiker, die auf einer Treppe in Kiew lachend mit Sektgläsern in den Händen fotografiert wurden. Ich glaube, Frau Wagenknecht war nicht dabei. In der Zeit seit Gründung ihres Bündnisses war sie mit den daraus resultierenden Arbeiten beschäftigt. Ich wähle BSW nicht, doch ich stelle fest, dass andere Politiker sich auch mit den Belangen ihrer Wähler beschäftigen müssen und die residieren wohl eher nicht in der Ukraine. Welchen Nutzen haben also die Besuche dort? Es gibt Videokonferenzen, da können die roten Teppiche aufgerollt und die Piloten im Bett bleiben.

  4. 5.

    Welche Partei wäre denn für die SPD die Traumvorstellung? Ich bin mir sicher viele Stammwähler sind mit der Koalition zufrieden. Wird an der einen Stelle im Text auch deutlich.
    Wenn SPD Hardliner empört sind, kann das für die Partei ja nur ein Schritt in die richtige Richtung sein.

  5. 4.

    man beachte: das ach-so-tolle bsw mit der parteibuchsammlerin Wagenknecht an der Spitze hatte/hat nicht ein einziges Mal Russland aufgefordert, sich dauerhaft & endgültig hinter ukrainisches Territorium nach dem Territorialzustand von 2012 zurück zu ziehen. Wagenknecht hatte seit 2022 nicht ein einziges Mal die Ukraine besucht. Möchte sie es sich nicht antun, die Auswirkungen der russischen Spezialopreation anzusehen?

  6. 3.

    "Keine Liebeshochzeit" , oder vieleicht "Was sich neckt, das liebt sich", wäre doch treffender?

  7. 2.

    Es ist doch egal, in welche Richtung es für die SPD und deren Spitzenpersonal geht. Nach dem Ausscheiden gibt es oft einen Posten, der auf einen wartet.

    "Sigmar Gabriel soll künftig dem Aufsichtsrat der Waffenschmiede Rheinmetall angehören. Der frühere Bundesminister sieht den Konzern vor großen Aufgaben: »Die Bundeswehr muss wieder kriegstauglich gemacht werden.«"

    Oha, daher geifern alle ob des BSW und den "Zugeständnissen" von Herrn Woidke, da im Sondierungspapier festgehalten wurde, dass der Krieg eben nicht mit noch mehr Waffen beendet werden kann. Das ist geschäftsschädigendes Verhalten, aus Sicht der Aktionäre!

  8. 1.

    Ob ein Friedensplan da nicht ggf. die Rückgabe Kursk, sowie die dauerhafte Eingliederung der Krim und Brandenburgs ins russische Reich nen Denkmodell bei so manch BSW-ler ist ?

    Vielen Brandenburgern wäre vermutlich wohler, wenn der Bund das Ruder in BB an sich reißen könnte, wenn dort gar humanitäre Notlagen drohen. So mit Wirtschaft scheint das da künftig eher nen roten Fleck zu geben, mit Signalwirkung ("rette sich wer kann" was die Wirtschaft betrifft) auch auf andere Bundesländer.

    Ich rechne mit nichtmal 2 Jahren dieser Koalition, bis die ersten Fälle von Landesverrat aus der Regierung raus evident werden.



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