Protest oder Überzeugung? - Aus welchen Gründen die AfD gewählt wird
Die AfD beschäftigt seit Jahren den Verfassungsschutz. In Brandenburg gilt die Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall. Bei einigen Personen, die nun im Landtag sitzen werden, ist das gesichert. Viele Wähler hat das offenbar nicht gestört. Von Oliver Noffke
Am vergangenen Sonntag wurde die AfD zweitstärkste Kraft bei der Landtagswahl in Brandenburg. Nach dem vorläufigen Endergebnis hat sie 29,23 Prozent der Stimmen erhalten. 463.678 Menschen haben ihr Kreuz bei der rechtspopulistischen Partei gemacht.
Der Brandenburger Landesverband wird vom zuständigen Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft. Einige der Abgeordneten gelten als gesichert extremistisch.
Wer hat AfD gewählt?
Stark war die AfD insbesondere im Norden, Osten und Süden Brandenburgs. Auf dem Land war sie erfolgreicher als in den Städten. Die höchste Zustimmung erhielt sie in der Gemeinde Hirschfeld (Landkreis Elbe-Elster, 61,3 Prozent), die niedrigste in Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark, 11,5 Prozent).
Untersuchungen von Meinungsforschern haben ergeben, dass die Partei Menschen jeden Alters anspricht. Lediglich Wählerinnen und Wähler über 70 stimmten lieber für die SPD als für die AfD, berichtet Infratest Dimap. Das Umfrageinstitut hat vergangenen Sonntag Wählerinnen und Wähler nach ihrer Entscheidung befragt. 46 Prozent derjenigen, die dabei angaben, sie seien Arbeiter, sagten, sie hätten die AfD gewählt. Überdurchschnittliche Zustimmung kam außerdem von Selbstständigen (34 Prozent für AfD, vor SPD mit 24 Prozent).
Die Auswertung zeigt außerdem, dass die Partei eher von Männern gewählt wird. Auf zwei Frauen, die für die AfD gestimmt haben, kommen demnach etwa drei Männer. AfD-Wählende gaben im Durchschnitt deutlich seltener an, dass ihre persönliche wirtschaftliche Lage gut ist. Unter allen, die sich so einschätzten, stimmten 46 Prozent für die AfD.
Sind AfD-Wähler rechtsextrem?
52 Prozent der AfD-Wählerinnen und Wähler sagten, sie hätten aus Überzeugung gewählt; 42 Prozent, weil sie von anderen Parteien enttäuscht gewesen seien. Das heißt nicht automatisch, dass mehr als die Hälfte der AfD-Wählerschaft selbst rechtsextrem ist. Die wenigsten würden sich selbst so einschätzen. Auch dann nicht, wenn sie tatsächlich rechtsextreme Positionen vertreten.
Meinungsforschungsinstitute fragen deshalb nach Zustimmung oder Ablehnung von demokratiefeindlichen Aussagen. Im Juli zeigte eine Umfrage von Infratest Dimap, dass unter AfD-Anhängern in Brandenburg die Zustimmung zu solchen Aussagen deutlich höher ist als in der Gesamtbevölkerung.
Infratest Dimap hatte wenige Tage vor der Wahl eine repräsentative Umfrage unter Wahlberechtigten in Brandenburg durchgeführt. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Anhänger der AfD die Partei und ihre Positionen zum Teil stark anders einschätzen als der Rest der Befragten.
81 Prozent der AfD-Anhänger sagten etwa, die Partei stehe in der politischen Mitte. Zehn Prozent von ihnen stimmten der Aussage zu, eine starke AfD gefährdet die Demokratie und den Rechtsstaat. Unter allen Befragten war diese Meinung jedoch deutlich verbreiteter. 62 Prozent sagten, ja, eine starke AfD gefährdet Demokratie und Rechtsstaat. Das vermutet auch der Verfassungsschutz.
Was versteht der Verfassungsschutz unter extremistisch?
Keine Partei oder Organisation wird im jüngsten Bericht des brandenburgischen Verfassungsschutzes so oft genannt wie die AfD. Der Geheimdienst stuft die Partei als rechtsextremen Verdachtsfall ein, weil sie verfassungsfeindliche Ziele verfolge. "Für den Landesverband Brandenburg liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor", heißt es in dem Bericht [mik.brandenburg.de].
Ziel der deutschen Inlandsgeheimdienste ist es sicherzustellen, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Land gesichert bleibt. Damit ist kein Gesetz an sich gemeint, sondern eine Reihe von Werten und Prinzipien. Das Bundesverfassungsschutzgesetz nennt unter anderen, die Menschenrechte im Grundgesetz, das Recht des Volkes auf faire Wahlen, die Unabhängigkeit der Gerichte oder den Ausschluss von Gewalt- und Willkürherrschaft [gesetz-im-internet.de].
Wer diese freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnt und die Werte, Normen, Regeln der Verfassungen abschaffen will, ist Extremist.
Ob das auf Personen oder Organisationen zutrifft, untersuchen die Verfassungsschutzbehörden in einem dreistufigen Verfahren. Die erste ist der sogenannte Prüffall. Das ist eine Voruntersuchung, bei der nur öffentlich zugängliche Quellen ausgewertet und beurteilt werden dürfen. Also zum Beispiel journalistische Berichte, Reden, Webseiten und so weiter. Geheimdienste müssen zwar die Öffentlichkeit über ihre Arbeit unterrichten. Bei einem Prüffall passiert dies jedoch nicht, um eine Vorverurteilung auszuschließen, schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung [bpb.de].
Verdachtsfall wird die zweite Stufe genannt. Die Geheimdienste können sie auslösen, wenn sie über einen längeren Zeitraum sichere Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen nachweisen können. Nun ist erlaubt, dass verdeckt und unbemerkt Informationen gesammelt werden können. Dann ist von nachrichtendienstlichen Mitteln die Rede.
Post und Telefone dürfen überwacht werden oder Vertrauenspersonen – sogenannte V-Leute – dürfen in die Organisation eingeschleust werden [verfassungsschutz.de]. Das können eigene Agenten sein oder bezahlte Helfer:innen. Wer einen Verdachtsfall darstellt, taucht meist auch im Jahresbericht der zuständigen Behörde auf, diese Informationen dürfen veröffentlicht werden und sollen es auch. Auf diese Weise kann jeder und jede sich ein eigenes Bild zu den Gründen machen. Die AfD Brandenburg ist so ein Verdachtsfall.
Die dritte und letzte Stufe stellt die Einschätzung "gesichert extremistisch" dar. Das heißt, die Verfassungsschützer haben keine Zweifel mehr daran, dass Personen oder Organisationen aktiv daran arbeiten, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen. Parteien können gegen solche Einstufungen oder die Veröffentlichungen dazu gerichtlich vorgehen.
Welche Konsequenz hat die Einstufung als gesichert extremistisch?
Erstmal gar keine. Der Verfassungsschutz ist keine Strafverfolgungsbehörde, sondern ein Nachrichtendienst. Seine Aufgabe besteht darin, Informationen zu sammeln. Die Erkenntnisse dürfen allerdings an Polizei und Staatsanwaltschaften weitergeleitet werden, auch die entsprechenden Regierungen, Parlamente sowie die Öffentlichkeit werden unterrichtet.
Gelten politische Parteien als gesichert extremistisch, kann das Bundesverfassungsgericht über ein Verbot entscheiden. Beantragen dürfen das Bundestag, Bundesrat und die Bundesregierung. Allerdings gelten die Hürden dafür als sehr hoch. Die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden rückt dann oft wieder ins Zentrum und wird genau unter die Lupe genommen. In der Vergangenheit wurde dabei auch Kritik an der Arbeit der Geheimdienste laut. So scheiterte ein erstes Verbotsverfahren gegen die Neonazi-Partei NPD im Jahr 2003, weil ihre Reihen quasi zu stark mit V-Leuten durchsetzt waren [bmi.bund.de].
Für Einzelpersonen kann die Einschätzung gesichert extremistisch hingegen umgehend Konsequenzen nach sich ziehen. Wer im Staatsdienst steht und etwa für Polizei, Staatsanwaltschaften, als Richterin oder Richter, Soldatin oder Soldat tätig ist, muss mit Disziplinarverfahren bis hin zur Beendigung des Dienstverhältnisses rechnen.
Für Politiker:innen gilt das nicht. Denn sie stehen nicht im Dienst des Staats. Sie wurden gewählt und sind dem Volk verpflichtet.
Was sagt der Verfassungsschutz zur AfD in Brandenburg?
Der brandenburgische Verfassungsschutz schreibt in seinem jüngsten Bericht, er gehe davon aus, dass von den 2.140 Personen, die mit Stand November 2023 Mitglied der Partei waren, etwa 950 eine rechtsextremistische Einstellung haben.
Laut dem Jahresbericht 2023 gibt es innerhalb der Brandenburger AfD zwei konkurrierende Gruppen. "Beide Lager sind extremistisch." Auf der einen Seite stehen demnach der Spitzenkandidat im Wahlkampf, Hans-Christoph Berndt, sowie Dennis Hohloch, Parlamentarischer Geschäftsführer, und der Bundestagsabgeordnete René Springer. Die beiden erstgenannten werden als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft.
Dem gegenüber steht das Lager um die frühere Fraktionsvorsitzende Birgit Bessin, die von ihrem Vorgänger Andreas Kalbitz unterstützt wurde. Dieser wurde aus der Partei ausgeschlossen, nachdem öffentlich geworden war, dass er auf einer Mitgliedsliste des mittlerweile verbotenen Vereins Heimattreue Deutsche Jugend geführt wurde.
Zu vielen Personen, die im Landesverband aktiv oder im Parlament sitzen, macht der Bericht detaillierte Angaben. Erwähnt wird unter anderen die Nähe zu der rassistischen Identitären Bewegung um den Österreicher Martin Sellner. Die Partei selbst hat im Jahr 2016 einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst. Wer in der Partei sei, könne nicht Teil der Sellner-Truppe sein. So die offizielle Linie.
Tatsächlich bestehen diverse Verknüpfungspunkte, konkret zur Identitären Bewegung, aber auch zu anderen extremistischen Organisationen. Das berichten Verfassungsschützer und investigativ arbeitende Journalist:innen immer wieder. AfD-Bundestagsabgeordnete haben zum Beispiel Personen aus diesem Milieu als Mitarbeitende beschäftigt. Andere haben sich an Aktionen von diesen Gruppen beteiligt oder teilen deren Inhalte in sozialen Medien.
In der abgelaufenen Legislaturperiode befanden sich fünf Abgeordnete in den Reihen der AfD, die als erwiesene Rechtsextremisten gelten, sowie das ehemalige Mitglied Andreas Kalbitz. Im neuen Landtag ist diese Zahl wohl höher. Laut Medienberichten sollen von den 30 AfD-Abgeordneten elf einem extremistischen Weltbild anhängen.
Wie viele der AfD-Wähler gelten als überzeugt?
Keine dieser Informationen zu den politischen Zielen der AfD ist wirklich neu. Sie können zum Teil seit Jahren öffentlich eingesehen werden und führen immer wieder zu breiten gesellschaftlichen Debatten. Die Zahl der angeblichen Einzelfälle an verbalen Entgleisungen und Grenzverschiebungen aus den Reihen der Partei ist beispiellos.
Dennoch stoßen die Politik und offenbar auch der Stil der Rechtspopulisten auf breite Zustimmung. Hunderttausende haben sich bei der Landtagswahl für die Partei entschieden. Sind also große Teile der Brandenburger Wählerinnen und Wähler selbst rechtsextrem?
Es gibt mehrere wissenschaftliche Studien, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Oft steht dabei die Frage im Mittelpunkt, ob die AfD aus Protest gewählt wird oder aus Überzeugung? Als eine der umfassendsten und detailliertesten Untersuchungen gilt die sogenannte "Mitte-Studie". Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat dafür nach der Verbreitung von rechtsextremen und demokratiefeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung gefragt [fes.de].
Dabei wurde festgestellt, dass 21 Prozent der AfD-Anhänger ein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben. In der Gesamtbevölkerung waren es sechs Prozent. Wer mit der AfD sympathisiert, ist eher verunsichert von der politischen Weltlage als andere, blickt eher unzufriedener in die Zukunft und denkt mit höher Wahrscheinlichkeit, dass ihm oder ihr mehr zusteht als anderen.
Viele Studien oder Umfragen, die sich mit den Sorgen und Einstellungen von AfD-Wähler:innen beschäftigen, haben in den vergangenen Jahren ähnliche Ergebnisse gezeigt. Auch nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hat sich das gezeigt [tagesschau.de]. Zusammenfassend lässt sich deshalb sagen: Nicht jeder, der AfD wählt, ist selbst Rechtsextremist. Aber wer einem rechtsextremen Weltbild anhängt, wählt sehr wahrscheinlich AfD. Und damit auch Politiker:innen, die als erwiesen rechtsextrem gelten.
In der Befragung vor der Landtagswahl von Infratest Dimap sagten 77 Prozent der Brandenburger AfD-Anhänger, das sei ihnen egal.
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