Analyse | Linke nach Landtagswahl - Zerschreddert
Erstmals wird es einen ostdeutschen Landtag ohne Die Linke geben. Spitzenkandidat Sebastian Walter sagte im rbb, die Partei sei in Brandenburg zerschreddert worden. Eine Einschätzung so brutal wie korrekt, wie die Wählerwanderung zeigt. Von H. Gökkaya und O. Noffke
Die Linke wird aller Voraussicht nach nicht im nächsten Brandenburger Landtag sitzen. Die Partei wird die Fünf-Prozent-Hürde deutlich verfehlen. 3,0 Prozent zeigt die Hochrechnung um 21 Uhr. Zum ersten Mal wird es damit ein ostdeutsches Parlament ohne die Linke geben.
Der Absturz ist beispiellos. Vor 20 Jahren hielt die Vorgängerpartei PDS in Brandenburg noch den Status einer Volkspartei inne. Rund 28 Prozent holte sie bei der Landtagswahl 2004. Nun holt Die Linke nur einen Bruchteil davon.
Der Rettungsanker ist ebenfalls von der Kette gerissen. Dass Kerstin Kaiser, ehemals Fraktionsvorsitzende im Landtag, im Wahlkreis 32 das Direktmandat holen wird, schien direkt mit dem Schließen der Wahllokale extrem unwahrscheinlich. Kurz darauf zeigte sich, dass jegliche Hoffnung von vornherein vergebens war. Kaiser wird in Märkisch-Oderland II wohl gerade so auf dem vierten Platz landen. Hinter den Kandidat:innen von AfD, SPD und CDU.
17.000 frühere Linken-Wählende sind zu Hause geblieben
Dass Kaiser sich nicht noch weiter unten wiederfindet, hat sie wohl indirekt dem Bündnis Sahra Wagenknecht zu verdanken. Das BSW hatte im Wahlkreis 32 niemanden für die Direktwahl aufgestellt.
Die Partei sei von allen Seiten "zerschreddert" worden, sagte der Parteivorsitzende Sebastian Walter am Abend im rbb. Eine Einschätzung so brutal wie korrekt.
41.000 Wählerstimmen hat die Partei wohl an das BSW verloren, berichtet das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap anhand von Nachwahlbefragungen. Bei einer Wahlbeteiligung, die am Ende wohl bei 73 bis 74 Prozent gelegen haben wird, macht allein das mehr als 2,6 fehlende Prozentpunkte aus. 23.000 weitere ehemalige Linken-Wählende haben diesmal lieber SPD gewählt, 14.000 sind zur AfD abgewandert. 17.000 sind lieber direkt zu Hause geblieben.
Das junge Gesicht einer alternden Partei
Wirklich überrascht kann dieses Ergebnis Walter wohl nicht haben. Vermutlich wird der Schock bei ihm nicht einmal so tief sitzen, wie er sollte. Dafür hatte der Co-Landeschef zu lange Zeit, um sich auf so eine Schlappe vorzubereiten. Geschreddert wurde mit Ansage.
Da ist zum einen der Abwärtstrend, der die Linke seit Jahren quält – nicht nur auf Bundesebene, sondern besonders in Brandenburg. Zur Erinnerung: Die Partei, die jahrelang mitregierte und Ministerien führte, ist seit 2009 von Wahl zu Wahl zu einem politischen Zwerg geschrumpft. Gewichtige Akzente in der Opposition konnte sie zuletzt kaum noch setzen. Nun ist sie nicht einmal mehr groß genug für den Landtag.
Zum anderen hat die Partei ein demographisches Problem. Die Parteimitglieder sind überwiegend in fortgeschrittenem Alter. Walter ist, ob gewollt oder nicht, das junge Gesicht einer alternden Partei in Brandenburg.
Keine Chance gegen charismatische Über-Figur
Nach 15 Jahren im Abwärtstrend konnte Walter Die Linke nicht zurück auf Kurs bringen. Im Gegenteil: Er hat in diesem Wahlkampf gewichtige Fehler begangen. Die Linke habe zu spät verstanden, auf welche Themen es ankomme, das sagte er Anfang des Monats dem rbb. Zu lange habe er sich auf unnötige Diskussionen und Kulturkämpfe eingelassen. Etwa mit der AfD übers Gendern gestritten.
Walters größter Fehler war jedoch, das Thema zu ignorieren, dass dem BSW im Wahlkampf Herzen zufliegen ließ. "Wir haben zu lange versucht, das Thema Frieden zu umschiffen, ohne dabei klar sein zu können", sagte Walter vergangene Woche rbb|24. "Jetzt stellen wir fest, dass Frieden im Osten Deutschlands das wahlentscheidende Thema ist."
Zu lange hatte Walter versucht, den Fokus wegzulenken von der großen Außenpolitik. Schließlich hat Brandenburg kaum Kompetenzen in der Außenpolitik, sondern der Bund. Walter wollte lieber über Löhne, Renten oder Tesla reden. Dafür fehlten ihm jedoch die Zuhörer. Denn auch das ist eine Erkenntnis dieses Wahlsonntags: Der Krieg in der Ukraine bewegte die Menschen im Norden, Osten, Süden und Westen des Landes. Gegen eine charismatische Über-Figur wie Sahra Wagenknecht hatte der 34-Jährige am Ende keine Chance.
Und jetzt?
Auch Bündnis 90/Die Grünen und BVB/Freie Wähler werden den Wiedereinzug in den Landtag auf ähnliche Weise wohl verpassen. Doch für Die Linke ist der Scherbenhaufen besonders groß. Sie hat eine ehemalige Hochburg verloren und steht nun womöglich insgesamt vor der politischen Bedeutungslosigkeit. Ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl ist der genaue Schaden jedoch noch gar nicht zu beziffern. Wird es weiterhin eine Linken-Fraktion im Bundestag geben können? Jetzt, wo es das BSW gibt?
Walter betonte am Wahlabend in der ARD, dass er dem BSW nur eine kurze Halbwertszeit zutraut. Die Partei sei schlicht zu richtungslos, sei zu breit gestreut, findet er. Sein Kalkül: Abwarten, bis sich "dieses Bündnis BSW" selbst zerlege. Und anschließend die verlorenen Wählerinnen und Wähler wieder abholen. Von einem Sterben der Linken könne aber keine Rede sein. "Wir können von Null beginnen", sagte er. Er klang fast so, als sei das etwas Positives.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 22.09.2024, 19:30 Uhr